Schweitzer Fachinformationen
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Marburg, fünf Jahre vor dem Anfang der Fahrradtour
Das leise Plätschern des Brunnens zog meinen Blick vom Sofa herunter auf den Marktplatz der Marburger Oberstadt. Langsam schob ich das Fenster ganz auf, stützte mich auf das Fensterbrett und lehnte mich leicht hinaus, um tief die nächtliche Sommerluft meiner Studienstadt einzuatmen. Im Licht der alten und kunstvoll gebogenen Straßenlampen erschien mir dieser Ort immer am schönsten. Die Touristen, die das alte Rathaus und die kleinen bunten Fachwerkhäuser bewunderten, waren längst verschwunden. Auch die lauten Stimmen der Studenten, die aus den Kneipen kamen, waren verstummt. Nur der Gong der alten Uhr am Rathaus und das Plätschern des Brunnens vor meinem Fenster durchbrachen ab und zu die Stille.
Das perfekte Setting, um in Gedanken zu versinken. Seit langer Zeit gab es für mich vor allem ein Thema, das sich immer wieder in meinen Kopf schlich. Schuld daran war ein Praktikum, das ich zu Beginn meines Studiums der Medienwissenschaften an der Marburger Universität bei der NGO Open Doors gemacht hatte. Die überkonfessionelle Organisation unterstützt verfolgte Christen weltweit. So hilft sie beispielsweise geflüchteten Christen in Nigeria mit Hilfspaketen und setzt sich für Flüchtlinge ein, die vor Gewalt im Irak geflohen sind. Während meiner Zeit bei Open Doors war es meine Aufgabe gewesen, Ideen für die Weiterentwicklung des YouTube-Kanals der Organisation zu entwickeln. Ich schrieb eine Art Hausarbeit für Open Doors und recherchierte intensiv, welche Strategien und Ansätze es gibt, um einen erfolgreichen YouTube-Kanal aufzubauen und auch auf anderen sozialen Medien viele Menschen zu erreichen. Bei der Arbeit von Open Doors geht es immer auch darum, Christen dafür zu motivieren, für ihre verfolgten Geschwister weltweit zu beten. Die Videos und Berichte von Christen aus Ländern wie Nordkorea, Indonesien und Marokko berührten mich tief, und es begeisterte mich, dazu beitragen zu können, für sie und ihre Heimat zu beten und mehr Bewusstsein für ihre schwierige Situation zu schaffen.
Dieses Praktikum bei Open Doors hatte etwas tief in mir angestoßen. In mir hatte sich eine Idee festgesetzt, die mich seitdem einfach nicht mehr losließ: Ich wollte einen christlichen YouTube-Kanal starten. Mein Ziel war es, die Vielfalt der christlichen Welt zu zeigen, und es sollte darum gehen, was uns Christen über alle Grenzen und Unterschiede hinweg verbindet - und das auf eine unterhaltsame Art, die Zuschauer auf YouTube gern ansehen würden. Noch nie hatte ich erlebt, dass mich eine Idee so vereinnahmte. Ich konnte mir selbst nicht erklären, warum die Idee so stark in mir brannte. Sie löste etwas in mir aus, womit ich einfach nur zu Gott kommen konnte. Und je mehr ich darüber betete, desto stärker loderte das Feuer für die Idee in mir auf.
Nach ein paar Monaten hatte ich schon ein Team von drei weiteren Studenten, die auch meine Gemeinde besuchten, gefunden, die Lust auf das Projekt hatten. Doch nach ein paar weiteren Monaten sprangen nach und nach alle wieder ab. Es gab andere Dinge, in die sie ihre Zeit investieren wollten. Auch mein zweiter Versuch, Menschen zu finden, die mit mir an diesem Kanal zusammenarbeiten wollten, verlief schnell im Sand. Alle hatten andere Dinge, die wichtiger waren und für die ihr Herz stärker schlug. Und wie konnte ich ihnen das schon verübeln?
Doch mein Herz schlug auch weiterhin für diese Idee. Trotz aller Enttäuschungen ließ sie mich einfach nicht los. Nachdem mir wieder zwei Leute abgesagt hatten, ging ich ins Gebet: »Ich verstehe es wirklich nicht, Gott! Wenn du es bist, der die Leidenschaft für dieses Projekt in mir auslöst, warum funktionieren dann alle Anläufe nicht, sie in die Tat umzusetzen? Warum machen mir immer wieder Leute Hoffnung und dann funktioniert es wieder nicht?« Ich war so frustriert, dass ich schließlich einen Schlussstrich setzte. »Wenn es wirklich dein Wille ist, dass dieses Projekt stattfindet, musst du mir Menschen schicken, die auch dafür brennen. Ich kenne nur die Grundlagen des Filmens und Schneidens und ich kann das alles nicht allein. Ich werde das Projekt so lange ruhen lassen, bis du mir ein Team dafür schenkst!« Und damit hätte das Thema erledigt sein sollen. Aber sosehr ich versuchte, es zu unterdrücken, tief in mir loderte immer noch das Feuer für ein Projekt, das so oder so ähnlich aussehen könnte.
Überlagert wurde es von einem Wirbelsturm an Gefühlen, die mit dem baldigen Abschluss meines Bachelors in Medienwissenschaft verbunden waren. Vor mir lag eine unendliche Zahl an beruflichen Möglichkeiten und ich hatte die Hoffnung, dass mir die Welt offenstand. Meine Pläne waren groß. Ich hatte fest vor, Karriere zu machen. Um den ersten Schritt dafür zu gehen, wollte ich einen Job in einer großen Werbeagentur finden. Das Praktikum bei Open Doors hatte mein Interesse für die Arbeit mit sozialen Medien geweckt. Daneben hatte ich bereits weitere Praktika in Agenturen mit dem Fokus auf Soziale Medien gemacht, und das kam mir jetzt zugute.
Zum Zeitpunkt meines Abschlusses fingen viele Firmen an, den Einfluss und Wert von gut gemachtem Content in den Sozialen Medien zu entdecken. So gab es für Berufsanfänger mit Praktika-Erfahrung in diesem Bereich jede Menge Jobangebote und ich konnte es kaum abwarten loszulegen. Vor meinem ersten Job in Deutschland wollte ich noch nach New York gehen, um dort das Social-Media-Team einer Organisation ein paar Monate zu unterstützen.
Meine Zukunft erschien mir so bunt und voller Möglichkeiten, dass mein Herz anfing, schneller zu schlagen. Ich lehnte meinen Kopf gegen das Fensterbrett und träumte von Büros und Wolkenkratzern. Wo würde ich wohl in ein paar Jahren gelandet sein?
Der laute Glockenschlag des Marburger Rathauses riss mich aus meinen Gedanken. Ich stand auf dem Marktplatz der Marburger Oberstadt und ließ meinen Blick vom Fenster meiner alten Wohnung über den Rest des Marktplatzes schweifen. Fünf Jahre war es jetzt her, dass ich hier gewohnt hatte. Den Großteil dieser Zeit hatte ich in Agenturen und Büros verbracht. Und jetzt war ich wieder auf dem Marburger Marktplatz gelandet, wo ich vor fünf Jahren über meine Zukunft geträumt hatte. Aber diesmal war ich hier, um ein Video über die Gemeinde UND Marburg zu drehen und Tim Guttenberger alias @timmelhimmel zu interviewen. Tim ist ein christlicher Content Creator, der sich als Brückenbauer in der christlichen Szene engagiert und sich aktiv dafür einsetzt, digitale Medien effektiv in der christlichen Arbeit zu nutzen, um den Glauben auf innovative Weise zu vermitteln.
Es war mein letzter Stopp in Deutschland, bei dem ich bei jemandem unterkam, den ich persönlich kannte, und mich in einem Umfeld bewegte, das sich zu einem gewissen Maß vertraut anfühlte. Die Zeit mit Tim und seiner WG war schnell verflogen, obwohl ich sie sogar wegen eines Bahnstreiks um einen Tag verlängern musste. Morgen stand eine lange Bahnfahrt von Marburg nach Rostock an. Bahnfahrten mit meinem E-Bike gaben mir immer ein mulmiges Gefühl, weil ich durch das Gewicht meines E-Bikes und Gepäcks auf die Hilfe von Unbekannten angewiesen war.
Aber ein paar Bahnfahrten hatte ich jetzt schon erfolgreich geschafft. Nach sechs Stunden kam ich mit der Bahn in Rostock an. Meine Hoffnung auf helfende Hände bei meiner Bahnfahrt war auch diesmal nicht enttäuscht worden.
Am nächsten Tag fuhr ich im Hafen von Rostock zum ersten Mal mit meinem Fahrrad auf eine Fähre, die mich schließlich nach Schweden brachte. Das erste Land meiner Reise außerhalb Deutschlands. Und eins der wenigen Länder auf meiner Tour, in denen ich noch nie gewesen war. Mein Herz klopfte laut, als ich sechs Stunden später über die Rampe aufs schwedische Festland fuhr. Jetzt ging es erst richtig los!
Viel Zeit hatte ich nicht, wenn ich vermeiden wollte, im Dunkeln an meinem Airbnb anzukommen, und so flogen all die neuen Eindrücke von Gebäuden und Natur nur so an mir vorbei. Aber eine scheinbar unauffällige Sache fing meine Aufmerksamkeit. Das Design der Verkehrsschilder hier erinnerte mich an die Verkehrsschilder in den Niederlanden, wo ich als Kind drei Jahre gewohnt hatte. Ein paar Monate später würde ich in den Niederlanden über diesen Gedanken lachen. Denn die Verkehrsschilder hatten wirklich kaum Ähnlichkeit miteinander. Aber so komisch es auch klingt, diese Vertrautheit hat mir in dem Moment ein Gefühl von Geborgenheit gegeben. Ein Gefühl, dass dieser Ort nicht so fremd war, wie er mir auf den ersten Blick erschien. Ich würde mich hier zurechtfinden, und das gab mir Selbstbewusstsein.
Zwei Tage später bahnte ich mir zu Fuß einen Weg durch ein kurzes Waldstück. Alles um mich herum tropfte. Es hatte den ganzen Tag geregnet, und jetzt hatte ich mein trockenes Zeitfenster von einer Stunde genutzt, um endlich mal frische Luft zu schnappen. Wenn ich eine Sache vor meiner Tour wirklich unterschätzt hatte, dann war es, wie viel Zeit es mich kosten würde, ein Video pro Woche auf YouTube zu veröffentlichen. Ich hatte ursprünglich einen Tag pro Woche eingeplant, an dem ich Zeit hatte zu schneiden, und einen, an dem ich freihatte. Ich merkte aber leider schnell, dass ich mindestens zwei Tage zum Schneiden brauchte, und so wurde mein freier Tag meistens zu einem Schnitttag. Die letzten zwei Tage hatte ich ausschließlich drinnen verbracht, um das Video rechtzeitig fertigzukriegen. Eingepfercht in...
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