Schweitzer Fachinformationen
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»Carla schläft«, sagte Becki. »Gabi hat ihr was gegeben.«
Fanni und Sprudel waren Becki im Eingangsbereich begegnet, und Fanni hatte sie nach Carla gefragt.
Fanni nickte wissend. Sie hatte am Abend zuvor schon mitbekommen, dass Gabi Medikamente anbot wie Naschwerk.
»Ihr Sohn betreibt eine Apotheke«, hatte ihr Becki zugeraunt. »Da scheint sie sich hemmungslos zu bedienen.«
Und großzügig zu verteilen, dachte Fanni nun, denn sie hatte gesehen, wie Gabi ein ganzes Häufchen Pillen auf Traudls offene Handfläche schüttete, nachdem die gesagt hatte, ein bisschen Hilfe beim Einschlafen könne in ungewohnter Umgebung nicht schaden.
Carla war also von Finjas Tod bereits in Kenntnis gesetzt worden. Hatte man ihr auch Fragen über ihre Enkelin gestellt?
»Ein paar«, antwortete Becki, als Fanni sich danach erkundigte.
Wieso weiß die das?
Es war, als hätte Fannis Gedankenstimme auch bei Becki Gehör gefunden, denn sie begann unaufgefordert zu berichten. »Peter war Brötchen holen. Ich habe derweil Kaffee gekocht. Wir wollten es uns in unserem Erker-Eckchen gemütlich machen und ausgiebig frühstücken.« Sie deutete auf die Wohnungstür rechts neben dem Hauseingang, die mit dem Schriftzug »Dachstein« gekennzeichnet war. »Wir haben die Parterrewohnung mit dem Erker, der wie ein Türmchen aussieht.« Becki merkte offenbar, dass sie abschweifte, hüstelte und fuhr dann fort. »Als Peter zurückkam, habe ich ihm die Haustür aufgemacht, weil er keine Schlüssel mitgenommen hatte. Da sind zwei Polizisten mit hereingekommen. Sie hatten gerade bei Carla geklingelt und haben darauf gewartet, eingelassen zu werden.«
Sie atmete gequält aus. »Als ich ihre angespannten Gesichter gesehen habe, war mir klar, dass etwas passiert sein musste. Ich habe mich als Carlas Freundin vorgestellt, und da haben sie mich gefragt, ob ich mit nach oben kommen würde, weil sie Carla eine schlimme Nachricht zu überbringen hätten.« Becki legte eine Hand über ihre Augen, als könne sie damit eine Erinnerung auslöschen. »Ich war dabei, als sie es ihr gesagt haben.«
Fanni wartete nachsichtig, bis Becki sich so weit gesammelt hatte, um weitererzählen zu können. »Anfangs war Carla wie erstarrt, hat die Fragen der Polizisten automatisch beantwortet und nicht die kleinste Gefühlsregung gezeigt. Ich habe mir aber gut ausmalen können, was passieren würde, sobald sich die Schockstarre löst. Deshalb habe ich, noch bevor die Polizisten wieder gegangen sind, Gabi angerufen. Zum Glück ist sie im Haus gewesen, hat sich ihre Reiseapotheke geschnappt und war schon da, als bei Carla das Begreifen einsetzte.« Becki schluckte. »Das war aber auch notwendig.« Daraufhin verstummte sie. Aber Fanni konnte sich ohnehin recht gut vorstellen, wie es gewesen war, als die Erstarrung von Carla abfiel und der Schmerz mit voller Wucht zuschlug.
Schließlich seufzte Becki schwer. »Gott sei Dank hat Gabi genau gewusst, was sie in so einem Fall verabreichen muss.«
Fanni hätte auch am liebsten geseufzt. Gabi hatte vermutlich gründliche Arbeit geleistet und Carla nachhaltig sediert. Besorgt fragte sie sich, wann sie wohl wieder ansprechbar sein würde. Um erfolgversprechende Mordermittlungen anstellen zu können, war es unabdingbar, möglichst viel über das Opfer zu erfahren. In früheren Fällen hatte es sich oft um jemanden aus Fannis persönlichem Umfeld gehandelt, und das hatte ihr - so betrüblich es ansonsten auch gewesen war - eine ganze Menge genutzt.
Wann würde Carla imstande sein, mit ihr über Finja zu sprechen? Sie mit dem Mädchen vertraut zu machen, ihr Auskunft über deren Freundeskreis, über Gewohnheiten und Eigenarten, Vorlieben und Aversionen zu geben und über Finjas Stimmung in den vergangenen Tagen? Wann würde Carla ihr erklären können, wieso Sprudel und sie Nachforschungen über Finjas Vater anstellen sollten?
Könnte er womöglich etwas mit dem Tod des Mädchens zu tun haben?
Bevor ich nicht mit Carla gesprochen habe, spekuliere ich erst einmal über gar nichts, beschied Fanni ihrer Gedankenstimme.
»Nachdem Carla eingeschlafen war, hat Gabi als Erstes Irmi und Traudl informiert«, sagte Becki gerade. »Auch sie waren beide im Haus und sind gleich zu uns hochgekommen. Alle zusammen haben wir dann ausgemacht, abwechselnd bei Carla Wache zu halten. Sie sollte auf keinen Fall allein sein, wenn sie aufwacht.« Becki sah kurz auf ihre Armbanduhr. »Irmi hält die Stellung noch bis Mittag, dann löst Traudl sie ab.«
Fanni fing Beckis erwartungsvollen Blick auf, reagierte aber nicht darauf.
Fraglos war es erforderlich, Carla im Auge zu behalten. Aber das mussten die anderen tun. Sie selbst konnte nicht die Geduld aufbringen, tatenlos herumzusitzen, bis Carla aufwachte.
Aber wo und wie willst du denn ansetzen ohne das geringste Hintergrundwissen? Willst du etwa die Kiberer fragen, was Carla ihnen von ihrer Enkeltochter berichtet hat?
Das brachte Fanni auf den Gedanken, Becki müsse Carlas Antworten mitbekommen haben, den sie jedoch gleich wieder verwarf, weil ihr einfiel, dass Becki mit Gabi telefoniert hatte, während die Polizisten mit Carla gesprochen hatten.
Grüblerisch nagte sie an ihrer Unterlippe, als sie Sprudel zu Becki sagen hörte: »Peter hat gestern erwähnt, dass du all die Jahre Kontakt mit Carla hattest. Hast du auch Finja gekannt, sie vielleicht sogar einmal getroffen?«
Becki dachte eine Weile nach, bevor sie antwortete. »Vor Jahren habe ich sie ab und zu gesehen, wenn sie zu Besuch bei Carla war und wir zum Skifahren hier gewesen sind, Peter und ich. Aber das ist lange her. In letzter Zeit habe ich nicht mehr viel von ihr gehört. Ich wusste nicht einmal, dass das Mädel seit ein paar Monaten bei Carla wohnt. Gabi, Irmi und Traudl haben auch nichts davon gewusst. Wir sind genauso überrascht gewesen wie du, als Carla damit herausgerückt ist. Und mehr hat sie zu dem Thema ja nicht verlauten lassen.«
Fanni nickte unmerklich. Auch am gestrigen Abend, als sie in Carlas Wohnung zusammensaßen, hatte Carla keinen Grund für Finjas Umzug nach Kitzbühel genannt. Und jetzt hatte Gabi dafür gesorgt, dass sie es vorerst nicht nachholen konnte.
Wer außer Carla könnte uns bloß Auskünfte über Finja geben?, fragte sich Fanni ratlos.
»Hat Carlas Enkelin nicht erwähnt, sie sei gerade auf dem Weg zu einer Schulveranstaltung, als sie uns gestern begrüßt hat?«, sagte Sprudel in diesem Moment.
Becki nickte. »Ja, das hat sie. Ich habe aber keine Ahnung, zu welcher Schule sie wollte.«
»Sie war zu Fuß unterwegs«, sagte Sprudel. »Ich habe sie in das Gässchen einbiegen sehen, das an der Ache entlang nach Süden führt.«
Was nichts heißen muss!
Was aber das Einzige ist, was wir haben, wies Fanni die Gedankenstimme zurecht.
»Nicht weit von hier in südlicher Richtung liegt die Handelsschule. Das würde auch vom Alter her passen«, sagte plötzlich eine Stimme schräg hinter Fanni. Sie fuhr herum und sah sich Traudl gegenüber, die offenbar unbemerkt die Treppe heruntergekommen war und sich zu ihnen gesellt hatte.
»Oberstufe Gymnasium würde auch passen«, merkte Fanni an.
»Das nächste Gymnasium ist aber in St. Johann«, sagte Becki. »Das sind gut zehn Kilometer. Da wäre Finja doch nicht zu Fuß hingegangen.«
Damit hat das Zuckerl auf jeden Fall recht!
Fanni schnappte überrascht nach Luft, musste aber eingestehen, dass der Ausdruck »Zuckerl« auf Becki zweifellos zutraf. Ihre Erscheinung ließ tatsächlich an Süßes denken.
Bereits tags zuvor war Fanni der mintgrüne Hosenanzug aufgefallen, zu dem Becki einen rosa Pulli und rosa Stiefeletten getragen hatte. Das rosa Lipgloss war eine Nuance heller gewesen als der Pulli und der Lidschatten eine Nuance heller als der Hosenanzug.
Becki war auch früher schon um die Hüften gut gepolstert gewesen und mit den Jahren noch sichtlich molliger geworden. Als junge Frau hatte sie feine, weiche Gesichtszüge gehabt, die mit dem Alter aber irgendwie den Halt verloren zu haben schienen.
Und in diesen zuckrigen Farben sieht sie nun aus wie ein Marshmallow!
Fanni musste sich ein Grinsen verbeißen. Der Vergleich drängte sich zweifellos auf, denn Becki hatte heute einen weißen Pulli zu einer gelben Hose gewählt.
Ein seltsames Paar, Peter Neuhuus und seine Frau, ging es ihr durch den Kopf. Er schlank, sportlich, jugendlich, sichtlich um einiges jünger als Becki, sie fast verwelkt und ein wenig aus den Fugen geraten .
Becki umgab eine Duftwolke, die nur von einem Parfüm mit Namen »Sugar Candy« oder »Douceur de Vivre« stammen konnte.
Traudl dagegen haftet ein Geruch nach Bitterwurz an!
Was wohl daran liegt, dachte Fanni, dass Traudl so schwer mit ihrem Schicksal hadert.
Als am Abend zuvor jede von ihnen einen kurzen Überblick über ihren Lebensweg gegeben hatte, um die anderen (hauptsächlich Fanni) vom wesentlichsten Geschehen in Kenntnis zu setzen, war schnell klar geworden, dass Traudl von allen die Unzufriedenste war. Ihren Job als Grundschullehrerin hatte sie gehasst, aber aus finanziellen Gründen nicht aufgeben können. Ihre Ehe schien ein Desaster gewesen zu sein, doch sie hatte es offenbar nicht fertiggebracht, einen Schlussstrich zu ziehen. Den zog dann schließlich das Schicksal, indem es ihren Mann das Zeitliche segnen ließ. Anscheinend war damit aber alles nur noch schlimmer geworden, und Traudl fühlte sich seither völlig verlassen, einsam, abgehängt.
Fanni hatte den Eindruck gewonnen, dass sie allen alles neidete, selbst das, was sie gar nicht hätte haben wollen.
Diese Frau ist...
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