Schweitzer Fachinformationen
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»Heute kommt Lukas, Schneeflocke!«
Als ich Miss Tillys Stimme höre, öffne ich blinzelnd die Augen. Ich habe zusammengerollt auf meinem Lieblingsstuhl in der Küche geschlafen, wo es schön warm ist. Er ist besonders weich, weil einer meiner beiden Lieblingsmenschen da oft sitzt. Um richtig wach zu werden, muss ich mich recken und strecken. Nur mit halbem Ohr höre ich zu, was Miss Tilly über diesen Lukas erzählt, um den es jetzt schon seit Tagen geht. Genüsslich gähnend dehne ich die Pfoten, maunze und muss dann niesen.
Schmunzelnd schaut Tilly aus dem Fenster. »Meinst du, er bleibt diesmal etwas länger?«
Ich kenne diesen Lukas nicht, habe nur mitbekommen, dass Tilly regelmäßig mit ihm telefoniert, deshalb putze ich mich weiter und widme mich besonders gründlich meinen Pfötchen. Mein weißes Fell ist wunderschön. Finde ich wenigstens. Bevor ich meine Mutter verloren habe, hat sie mir gezeigt, wie man es sauber hält.
Oder bevor sie mich verloren hat. Ich weiß nicht mehr, was genau passiert ist.
Tilly sieht sich in der Küche um. »Meinst du, es fällt ihm auf?« Ihre Stimme ist fast ein Flüstern.
Ich halte inne, um zu sehen, wovon sie spricht. Was soll ihm auffallen? Ich stehe auf und bearbeite das Sitzkissen mit kleinen Tritten. Wenn meine Krallen am Stoff hängen bleiben, machen sie so schöne kratzende Geräusche.
»Nein, nein, nein«, flötet Miss Tilly, greift mir unter den Bauch und hebt mich hoch.
Doch sie schlägt mir nicht auf die Nase, wie die Katze draußen aus dem Stall es machen würde, wenn ich etwas Böses tue, sondern drückt mich an sich und kitzelt mich unterm Kinn. Ich schmiege mich an sie, ein Schnurren lässt meinen Körper vibrieren. Es geht mir gut.
Mein zweitliebster Mensch kommt in die Küche gestürmt und sieht Miss Tilly kopfschüttelnd an. »Ich habe gerade diese scharrenden Geräusche gehört. Damit darfst du sie nicht durchkommen lassen, sonst macht sie uns alle Stühle kaputt.«
Tu ich gar nicht! Ich schnurre lauter, und Tilly knuddelt mich. »Ach, Emily, Schneeflöckchen ist so klein, sie macht doch nichts kaputt!«
Emily streicht ebenfalls mit der Hand über mein Fell. »Irgendwann ist sie aber groß, und dann kann sie auch großen Schaden anrichten.«
Ich weiß nicht, wovon sie spricht. Ich bin ein Engel. Das sagen alle.
»Ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät.« Emily tätschelt mich noch einmal, dann wendet sie sich ab und legt ihre große Tasche auf den Küchentisch, um ihren dicken Wintermantel, ihre Handschuhe, Mütze und Schal anzuziehen. Kaum liegt dieses weiße Zeug auf dem Boden, das so kalt an meinen Pfoten ist, fangen alle Menschen an, sich einzumummeln, bis man sie kaum noch erkennt.
Warum lassen sie sich nicht Fell wachsen, so wie ich?
Miss Tilly setzt mich wieder auf den Stuhl und geht zur Spüle. »Ich wünschte, du würdest nicht denken, dass du bis in die frühen Morgenstunden Backbleche in den Ofen schieben musst, um mir über die Runden zu helfen.«
Emily hält inne, geht zu Tilly und gibt ihr einen Kuss auf die Wange. »Ich mache das für den kleinen Laden, den ich irgendwann eröffne. Wenn die Leute meine Backwaren schon kennen und mögen, werden sie auch bei mir kaufen. Außerdem läuft Haus Weber doch super. Über Weihnachten und bis ins neue Jahr sind wir restlos ausgebucht.«
Auch darüber sprechen die beiden oft: Weihnachten.
Während sie mir den Rücken zuwenden, recke ich den Kopf, um auf den Küchentisch zu sehen. Da liegt immer noch Emilys Tasche. Sie ist toll: groß genug, dass ich hineinkriechen und mit den ganzen spannenden Sachen darin spielen kann. Aber Emily erlaubt es mir nie.
Verstohlen schiele ich zu den beiden Frauen hinüber, die immer noch über Emilys zukünftige Bäckerei und Miss Tillys Pension sprechen. »Eins der Gästezimmer kann ja nicht genutzt werden«, sagt Tilly.
»Wenn Lukas da ist, kann er vielleicht das eine oder andere reparieren«, bemerkt Emily.
»Damit will ich ihn nicht belästigen.« Tilly schüttelt den Kopf. »Er ist beruflich sehr gefragt und viel unterwegs.«
Tilly sieht nicht, dass Emily die Augen verdreht. Mag sie diesen Lukas etwa nicht? Ich habe das Gefühl, dass Tilly ihn wirklich gernhat. Wenn sie von ihm spricht, wird ihre Stimme immer ganz weich und warm.
»Wie schwer kann es sein, sich ein paar Tage für die Frau freizunehmen, die einen großgezogen hat?«, fragt Emily.
Da die beiden nicht auf mich achten, konzentriere ich mich auf die Tasche. Diesmal werde ich es schaffen. Ich wackele mit dem Hinterteil, um Schwung zu holen, mache einen großen Satz auf den Tisch, husche geräuschlos über das dunkle Holz und verschwinde so flink, dass meine Wurfgeschwister neidisch geworden wären, in Emilys Tasche.
Ha! Geschafft!
Jetzt muss ich mucksmäuschenstill sein und darf mich nicht bewegen, damit Emily nichts merkt.
Umsichtig manövrierte Lukas seinen Wagen durch die verschneiten Straßen von Estes Park. Es war schon länger her, dass er bei so einem Wetter gefahren war, und der Schnee war frisch. Immerhin nicht vereist oder matschig, was es einfacher machte. Seit Lukas' letztem Besuch hatte sich das Städtchen nicht groß verändert. Weihnachtsdekoration schmückte Laternenmasten, Türen und Hausdächer. Die Haupteinkaufsstraße wimmelte von Leuten, die in die kleinen Läden gingen, die von Spielzeug und Eis bis gehobene Inneneinrichtung alles anboten. Es waren dieselben Geschäfte, die Lukas schon als kleiner Junge gekannt hatte.
Er fragte sich, ob er seiner Tante etwas mehr mitbringen sollte als die paar Souvenirs, die er auf seinen Reisen für sie gesammelt hatte.
Eine dröhnende Frauenstimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Hast du mich verstanden?« Seine Agentin hatte das Mikro immer so nah vor dem Mund, dass sie es fast verschluckte.
Lukas umklammerte das Lenkrad fester. »Ja, ich hab's gehört, Bethany. Allerdings muss ich sagen, dass ich wenig Interesse an einem Auftrag habe, für den ich über die Weihnachtsfeiertage unterwegs sein muss.«
»Aber er ist für Geographic International«, erinnerte sie ihn. »Die waren ganz begeistert von deinem Beitrag über das Berliner Bierfest diesen Sommer. In demselben Stil hätten sie gerne Bilder aus Litauen, die zeigen, wie man dort Weihnachten feiert. Insbesondere vom Internationalen Weihnachtsmarkt der Botschaften im Rathaus von Vilnius und vom Weihnachtsbaum vor der Kathedrale.«
»Aber dafür müsste ich schon nächste Woche da sein und über Silvester bleiben«, erinnerte Lukas sie.
Vor einem Jahr hätte er so eine Gelegenheit sofort ergriffen. Geographic International war für ihn als Fotograf der heilige Gral gewesen, und der Auftrag im letzten Sommer ein echter Glücksfall. Die Zusammenarbeit mit dem Magazin hatte ihm Türen geöffnet, von denen er vorher nur geträumt hatte. Seine Karriere hatte enorm an Fahrt aufgenommen.
Doch das ständige Reisen begann ihn zu stören. Er hatte kein Zuhause. Keine engen Freunde. Was sein Fehler war, denn Freunde hatten nie weit oben auf seiner Prioritätenliste gestanden. Eine Frau, mit der eine On-Off-Beziehung geführt hatte, hatte mal bemerkt, dass Lukas für einen Mann, der so schöne Bilder von anderen machte, nicht besonders viel für seine Mitmenschen übrighatte. Dann hatte sie ihre Küchenpsychologie rausgeholt und analysiert, dass er durch den frühen Unfalltod seiner Eltern traumatisiert sei und deshalb keine engeren Bindungen eingehen könne.
Doch da hatte sie sich geirrt.
Er hatte schließlich Tante Tilly. Die Tante seines Vaters, eigentlich Lukas' Großtante, die nie geheiratet hatte. Sie hatte den einsamen, verstörten zehnjährigen Jungen damals zu sich genommen und ihm eine Heimat und alle Liebe gegeben, die er brauchte.
Trotzdem hast du sie seit mehreren Jahren nicht besucht, erinnerte ihn eine vorwurfsvolle Stimme leise.
Diese Erkenntnis hatte ihn mit der Wucht eines fliehenden Stiers getroffen, als er in Pamplona war, um den dortigen Stierlauf im Bild festzuhalten. Lukas bemühte sich, seine Tante so gut wie jeden Tag anzurufen. Er hatte sie sogar dazu gebracht, mit ihm zu skypen. Aber sie so lange nicht zu besuchen? Was war er nur für ein Neffe? Ein furchtbarer, und das wollte er wiedergutmachen. Tilly war alles, was er hatte, und auch er war ihr Ein und Alles.
Und beginnen würde er damit, Weihnachten bei ihr zu verbringen. Selbst wenn man ihm noch so gute Angebote machte.
»Denk wenigstens drüber nach«, sagte Bethany.
Lukas verzog das Gesicht, auch wenn seine Agentin das nicht sehen konnte. »Okay. Ich melde mich Ende der Woche bei dir.«
Sie verabschiedeten sich, als die Verbindung gerade eh schlecht wurde. Die Kurve in der Straße war Lukas von vielen früheren Fahrten nur allzu vertraut. Von hier aus führte der Weg durch eine verschneite Hügellandschaft zu der viktorianischen Pension, die seine Tante außerhalb der Stadt führte. Der Ort, wo er nach dem Tod seiner Eltern groß geworden war. Plötzlich stutzte er, blinzelte und trat unwillkürlich auf die Bremse. »Das war doch bisher nicht da«, murmelte er vor sich hin.
Jemand musste das Grundstück der Turnstills gekauft haben, denn aus dem Hügel, der in einem flachen Feld längsseits der Straße auslief, war eine Rodelbahn geworden. Und zwar keine provisorische, wo man den Schlitten selbst hochzog, nein, unten stand eine Seilzugmaschine, und entlang der Straße war ein kleiner Parkplatz asphaltiert worden. Oben auf dem Hügel thronte eine rot gestrichene Holzhütte. Ein Schild trug die...
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