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Ich kam fünfzehn Minuten zu früh zu meinem Treffen mit Doug. Die Pünktlichkeit war der Macht der Gewohnheit geschuldet. Eine weitere Eigenschaft, die Cleo seit der Junior High nervte. Ja, es war nicht cool, zu früh zu kommen, doch Gott bewahre, wenn wir während ihrer Kindheit auch nur drei Sekunden zu spät dran gewesen waren!
Als es zwischen uns bergab ging und ich mir selbst die Schuld daran gab, beharrte meine beste Freundin Lauren darauf, dass Cleos Groll gegen mich normal, wenn nicht sogar gesund sei. Es sei ihre Art, sich von mir abzunabeln, und ein Zeichen dafür, dass ich einen sicheren Ort für sie geschaffen hatte, an dem dies möglich war.
Allerdings hatte ich, abgesehen von meiner Überpünktlichkeit, noch andere Dinge falsch gemacht. Dinge, die ich bereute. Und damit meine ich nicht nur die Sache mit Kyle. Meine Fehler als Mutter häuften sich, als Cleo von einem kleinen Mädchen zur Teenagerin heranwuchs und eigentlich einfach nur meine Liebe gebraucht hätte. Ich dagegen versuchte, alles zu regeln und Dinge, die in meinen Augen nicht so liefen, wie sie sollten, in Ordnung zu bringen. Und anstatt Cleo zu lieben, geriet ich in Panik. Weil ich hervorragend darin war zu handeln - wenn es um Gefühle ging, war ich nicht so gut. Und auf unsicherem Terrain war ich absolut Scheiße.
Ich denke, deshalb habe ich so ein Ding aus der Sache mit den Klamotten gemacht, aus dem schrecklichen schwarzen Make-up und all den Piercings, denn dies war etwas, was ich noch kontrollieren konnte, zumindest theoretisch. Und ich habe es weiß Gott versucht, in dieser Hinsicht hatte Aidan recht.
Am schlimmsten war es, als Cleo zu mir kam und mir erzählte, dass sie ihre Jungfräulichkeit verloren hatte. Fast hatte es den Anschein, ich würde den Anweisungen aus einem Leitfaden Was man als Mutter niemals tun sollte folgen. Ich sagte nur das Falsche. Um ehrlich zu sein, sagte ich grauenvolle Dinge. Dinge, die eine Mutter niemals zu ihrer Tochter sagen sollte und die dazu führten, dass zwischen uns etwas zerbrach - das hatte ich in Cleos Augen gesehen.
»Darf ich Ihnen noch eins bringen?«, fragte die Bartenderin und deutete auf mein leeres Weinglas.
Sie war eine ausgesprochen hübsche Brünette mit einem Nasenring, ihr linker Unterarm war voller leuchtender Tattoos. Sie sah nicht viel älter aus als Cleo, doch sie schien sich so viel wohler in ihrer Haut zu fühlen - wahrscheinlich, weil sie eine Mom hatte, die ihr die Gewissheit gab, geliebt zu werden, ganz gleich, was sie anhatte oder auf welche Weise sie sich auszudrücken versuchte.
»Sehr gern, das wäre großartig«, sagte ich und warf erneut einen Blick aufs Handy.
»Das hier geht aufs Haus«, sagte sie und stellte mit einem Augenzwinkern ein volles Glas vor mich hin.
Mein Gesicht wurde warm. Anscheinend ging sie davon aus, dass man mich versetzt hatte. In meinem Alter passierte einem das offenbar. Aber Doug war bislang immer zuverlässig gewesen und hatte mir jedes Mal eine Textnachricht geschickt, wenn er sich auch nur ein paar Minuten verspätete. Und einmal, als er unsere Verabredung absagen musste, hatte er Stunden vorher angerufen.
»Kat?«, hörte ich eine überraschte hohe Frauenstimme hinter mir fragen.
Ich drehte mich um, und da stand Janine, Annies Mom - schick wie immer in einem smaragdgrünen Jumpsuit, die Haare elegant hochgesteckt, in schwindelerregenden Heels, die sie trug, als wären es Flipflops. Janine war eine nicht berufstätige Mutter, der es gelang, stets up to date und gleichzeitig zugänglich und bodenständig zu sein. Sie schmiss die besten Partys in ganz Park Slope, und sie hatte stets die angesagteste Halloween-Deko. Ihr ebenso attraktiver, wenngleich ziemlich unterkühlter Ehemann Liam war ein erfolgreicher britischer Architekt, der, genau wie Aidan, permanent auf Reisen war. Annie und Cleo waren nur wenige Wochen nacheinander zur Welt gekommen, also hatten Janine und ich uns in jenen übernächtigten ersten Babymonaten sehr schnell angefreundet, zumal wir Nachbarinnen waren.
Doch da mein Mutterschutz auf vier Monate begrenzt war, hatte sich unsere Freundschaft von Anfang an angefühlt, als hätte sie ein Verfallsdatum. Außerdem war mir schon immer deutlich bewusst gewesen, dass Janine eine sehr viel bessere Mutter war als ich. Selbst die ersten Wochen handhabte sie so, wie sie alles handhabte - mit ruhiger Zuversicht, Pilates-Rückbildung und makellosem rotem Lippenstift. Liams Abwesenheit schien ihr nicht das Geringste auszumachen, vielleicht weil sie eine Vollzeit-Mom war. Dennoch hatte ich mich von ihrer Entspanntheit eingeschüchtert gefühlt, vor allem zu der Zeit, als keine von uns arbeitete. Janine war nicht damit überfordert, sich allein um Annie zu kümmern. Im Gegenteil, sie wirkte . begeistert. Ich dagegen versank im totalen Chaos, genau wie ich es erwartet hatte, und eben das war der Grund gewesen, warum ich anfangs keine Kinder hatte bekommen wollen.
Es war schwer, an seine Mutterinstinkte zu glauben, wenn man nie eine Mutter gehabt hatte.
Meine Eltern hatten sich aus dem Staub gemacht, als ich viereinhalb Jahre alt gewesen war. Anschließend wanderte ich von Pflegeheim zu Pflegeheim, bis ich neun war. Eine »unglückliche Verkettung von Ereignissen«, so eine Sozialarbeiterin, die einer weiteren interessierten Familie erklärte, warum ich noch nicht adoptiert worden war. Doch niemand wollte ein Kind, das bald einen zweistelligen Geburtstag feierte, ganz gleich, wie unschuldig die Erklärung dafür sein mochte. Und ein Kind, das schon seit Jahren in diesem System war, erst recht nicht.
Was meine Mutter betraf: Alles war möglich. Vor langer Zeit hatte ich mir selbst versprochen, dass dies eine Tür war, die ich für immer geschlossen lassen würde. Vielleicht war sie tot - an einer Überdosis oder bei einem aus dem Ruder gelaufenen Drogen-Deal gestorben. Vielleicht war sie high gewesen und bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Möglicherweise hatte sie sich auch zusammengerissen und führte ein ruhiges, produktives, glückliches Leben ohne mich. Vielleicht hatte sie weitere Kinder bekommen und war einem anderen kleinen Mädchen eine gute Mutter.
Trotz all meiner Zweifel hatte ich mich irgendwann dazu durchgerungen, ein Kind zu bekommen. Noch dazu mit erst sechsundzwanzig. Ich hatte mich von Aidans Überzeugung mitreißen lassen, dass ich eine großartige Mutter sein würde - ein Baby würde mich verändern, hatte er behauptet. Ich wollte ihm so gern glauben, wollte, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen. Und in vielerlei Hinsicht taten sie das tatsächlich - allerdings nur während der Zeit, als Cleo zwischen zwei und ungefähr zwölf war. Während dieser kurzen Spanne zwischen den erschreckenden Risiken im Säuglings- und frühen Kleinkindalter, wenn es nicht selten um Leben und Tod ging, und den ebenso erschreckenden Unsicherheiten bei der Erziehung eines Teenagers. In diesen Jahren war ich eine exzellente Mutter, konsequent, zuverlässig und geduldig. Ich hielt sämtliche Zeitpläne ein, bot das richtige Essen an, begrenzte die Fernsehzeit und sorgte für ausreichend Schlaf. Doch als Cleo älter wurde, war es, als geriete mein Navigationssystem ins Stocken, und meine Zweifel gewannen zunehmend die Oberhand. Bald hatte ich komplett die Richtung verloren, und ich tat das Gegenteil von dem, was sämtliche Ratgeber empfahlen: Ich klammerte.
Dass ich so oft allein war, machte es nicht besser.
Als Cleo zwei Wochen alt war, flog Aidan nach Paris, um für seinen ersten Dokumentarfilm einen berühmten französischen Bioethiker wegen der schrumpfenden Polkappen zu interviewen. Ich erinnere mich noch genau, wie ich gerade im dunklen Kinderzimmer stand, die schreiende Cleo auf dem Arm, und versuchte, die fünfte schlaflose Nacht zu überstehen, als Aidan anrief. Sobald ich seine Stimme hörte, fing ich an zu weinen.
»Du musst dich einfach nur entspannen, Kat«, sagte er seufzend. »Sie spürt deinen Stress.«
»Ich kann das nicht, Aidan«, wisperte ich, obwohl ich in Wirklichkeit meinte: Ich kann das nicht allein.
»Selbstverständlich kannst du das«, widersprach Aidan, dann beschrieb er mir, wie wunderschön der Ausblick aus seinem Hotelzimmer war, mit der Sonne, die über dem Eiffelturm aufging. »Ich helfe dir doch.«
Was stimmt nicht mit mir?, hatte ich mich gefragt. Ich konnte mich glücklich schätzen, ich hatte einen liebenswerten Ehemann, der mich unterstützte, ein wunderschönes Baby, einen guten Job, ein fantastisches Zuhause, Geld - Dinge, von denen ich nie geträumt hatte, weder damals in Haven House noch später, als ich bei Gladys in ihrem prächtigen viktorianischen Haus in Greenwich wohnte. Ich hatte all dies bekommen, wofür ich dankbar sein konnte, aber ich fühlte mich die ganze Zeit über elend und verängstigt. Vielleicht sogar ein bisschen wütend, um ganz ehrlich zu sein - auf Aidan, aber auch auf Cleo, die doch nur ein winziges, hilfloses Baby war.
Während Cleos erster Lebensjahre war Aidan oft fort, um zu drehen. Er bekam ihre Koliken nicht mit, auch nicht die vier Male, bei denen eine Verletzung genäht werden musste, den monatelangen nächtlichen Terror, das Töpfchen-Training und die dritte Klasse, als ihre unmögliche Lehrerin sie zum Weinen brachte. Allerdings war er stets während der hellen Momente dazwischen da - in den Ferien, bei Festen oder wenn Cleo eine Auszeichnung bekam. Genau deshalb wünschte man - er - sich eine Familie: um den Finger durch die Glasur auf dem Kuchen zu ziehen, den ich Tag für Tag aufs Neue backte. Ich dagegen war die ganze Zeit über da trotz...
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