Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
TAGE SEIT SHARA WHEELERS VERSCHWINDEN: 2
TAGE BIS ZUM HIGHSCHOOL-ABSCHLUSS: 41
Das Erste, was Chloe erblickt hat, als der Subaru ihrer Mom die Stadtgrenze von False Beach überquerte, war Shara Wheelers Gesicht.
Und das nicht nur im übertragenen Sinne - auch wenn Shara Wheeler tatsächlich immer und überall zu sein scheint. Aber ihr Gesicht hing buchstäblich zwölf Meter groß über der Autobahn zwischen einem Waffle House und einem Winn-Dixie-Supermarkt im sumpfgrauen Himmel: ein hübsches blondes Mädchen mit einem hübschen Lächeln, einem Stapel Bücher auf dem Arm und einem Winkelmesser in der Hand.
JESUS LIEBT GEOMETRIE!, verkündete das Banner, was Chloe eine recht mutige Behauptung zu sein schien. CHRISTUS IM MITTELPUNKT - BILDUNG AN DER WILLOWGROVE CHRISTIAN ACADEMY!
In False Beach gibt es genau fünf Highschools, und Willowgrove ist die einzige mit einer anständigen Begabtenförderung und einer Theater-AG, deren Budget groß genug für Das Phantom der Oper ist. Als vierzehnjährige Büchernärrin in einer umfassenden Goth-Phase schienen ihr diese beiden Dinge das Wichtigste zu sein, was eine Highschool bieten konnte. Ihre Mom war in den Neunzigern auf die Willowgrove gegangen, und sie hat versucht, sie davor zu warnen, aber Chloe war unbeirrbar. Solange sie keine andere Option hatte, würde sie den Jesuskram schon aushalten.
»Was für ein Name ist denn bitte False Beach?«, hat Chloe an diesem elenden Tag zum fünftausendsten Mal gefragt, als sie unter Sharas Abbild hindurchfuhren. Es war eine Frage, die sie ihrer Mom schon stellte, seit diese den Namen ihrer Heimatstadt zum ersten Mal ausgesprochen hatte.
»Eben ein Strand und doch kein Strand«, antwortete ihre Mom wie jedes Mal, und ihre andere Mom blätterte eine Seite der Canterbury Tales um, während sie weiter aus dem kalifornischen Sonnenuntergang hinaus in die Arschritze Alabamas hineinfuhren.
False Beach liegt an den Ausläufern des Lake Martin, was die schwache Illusion heraufbeschwört, es könnte sich um einen Strandort wie Gulf Shores oder Mobile handeln, die weiter südlich an der Küste liegen, aber so ist es nicht. Es liegt vier Stunden vom Golf von Mexiko entfernt, näher an Atlanta als an Pensacola, fast genau in der Mitte des Staats. Und das Seeufer ist nicht mal sandig, weil es kein echter See ist, sondern nur ein riesiges Reservoir aus den 1920ern, umgeben von sumpfigen Wiesen und Wald und Felsabhängen.
Es ist einfach nur eine kleine Stadt an irgendeinem Gewässer, in der nie etwas Interessantes passiert. Und, wie Chloe mittlerweile weiß, liegt es im Wesen dieser Kleinstädte, dass es, wenn doch mal etwas passiert, sofort jeder weiß. Was bedeutet, dass es am Montagmorgen nur ein einziges Thema gibt: Wo könnte Shara Wheeler sein?
Zugegeben, das ist jetzt kein so drastischer Unterschied zu jedem anderen Tag an der Willowgrove. Hier ist Shara Wheeler eine Art Helena von Troja, jedenfalls wenn sie dafür berühmt wäre, sowohl wunderschön als auch zu entsetzlich und tragisch brillant für ihre kleine Stadt zu sein, oder eine Regina George, wenn es ihr Markenzeichen wäre, das Doppelte der von der Schule verlangten Sozialstunden abzuleisten.
Shara Wheeler ist so hübsch. Shara Wheeler ist so schlau. Shara Wheeler war in ihrem ganzen Leben noch nie gemein zu irgendjemandem. Shara Wheeler kann eigentlich wahnsinnig gut singen, aber sie hat noch nie für ein Schulmusical vorgesungen, weil sie denen, die es dringender brauchen, nicht die Show stehlen möchte. Shara Wheeler ist die Glücksbringerin des Footballteams, und wenn sie bei einem Spiel nicht dabei ist, sind sie dem Untergang geweiht. Letztes Jahr gab es eine ganze Bewegung unter den Neuntklässlerinnen, sich die Armorbögen hochzukleben, um Sharas natürlich volle Oberlippe nachzuahmen. Es ist ein Wunder, dass noch niemand ihr Konterfei auf, sagen wir, eine Margarineverpackung gedruckt hat.
Heute:
»Ich habe gehört, seit dem Abschlussball hat sie niemand mehr gesehen.«
»Ich habe gehört, Smith hat mit ihr Schluss gemacht und sie ist total zusammengebrochen.«
»Ich habe gehört, sie ist abgehauen, um Wohnungen für Obdachlose zu bauen.«
»Ich habe gehört, sie ist heimlich schwanger und ihre Eltern haben sie bis zur Geburt weggeschickt, damit es niemand rausfindet.«
»Das ist eins zu eins eine Plotline aus Riverdale, du Schlaumeier«, ruft Benjy einem vorbeigehenden Zehntklässler zu. Er seufzt und legt sein gefaltetes Sonic-Poloshirt für seine Schicht nach der Schule ganz unten in den Spind.
Chloe starrt finster in den Spiegel an ihrer Spindtür. Wie ätzend, dass sich ihr Leben jetzt auch um Shara Wheeler drehen muss.
»Alles okay, Chloe?«, fragt Benjy.
»Klar ist alles okay«, sagt Chloe und richtet ihre glänzend silbernen Kragennadeln gerade. Georgia beschreibt ihre Interpretation der Schuluniform als »Trying too hard«. Chloe nennt es »Bitte lasst mich einen winzigen Hauch Individualität verspüren, bevor sie bis zum Mittagessen aus mir herausgequetscht wurde«. Beides stimmt. »Warum sollte nicht alles okay sein?«
»Weil du nur ein Auge geschminkt hast.«
»Was?« Sie überprüft noch einmal ihr Spiegelbild. Linkes Auge: präzise gezogener Lidstrich in Revlons blackest black. Rechtes Auge: nackt wie ein neugeborenes Baby. »Oh mein Gott.«
Hektisch zieht sie einen Eyeliner aus der Notfall-Make-up-Tasche in ihrem Spind. Er liegt schon so lange da drin, dass sie erst auf ihrem Handrücken herummalen muss, bis er wieder funktioniert. Sie hätte nie gedacht, dass sie ihn je brauchen würde.
»Jedenfalls«, setzt Benjy ihre Unterhaltung fort, »habe ich Georgia gesagt, dass wir den Filmeabend diese Woche bei ihr machen müssen, weil Ash diesen Labyrinth-Film sehen will, von dem deine Mom erzählt hat, und wenn mein Dad reinkommt und David Bowies Eier in weißem Spandex sieht, stellt er mir Fragen, die ich nur ungerne beantworten würde. Also machen wir -« Er bricht ab. »Äh. Warum kommt gerade Rory Heron zu uns rüber?«
Über Chloes Schulter, gleich unter der abgerundeten Kante ihres Bobs, erscheint eine winzige Gestalt im Spiegel, die schnell größer wird: Rory, der ob der Notwendigkeit, das Schulgelände vor dem Mittagessen zu betreten, schwer mitgenommen wirkt.
»Er schuldet mir Geld für ein Klassengeschenk an Madame Clark«, lügt Chloe schnell, zieht ihren Lidstrich zu Ende und steckt die Kappe auf den Eyeliner.
»Na dann, viel Spaß«, sagt Benjy und macht sich auf den Weg zu seiner ersten Unterrichtsstunde.
Chloe schließt ihren Spind und dreht sich zu Rory um. »Ich bin froh, dass ich nicht noch mal zum Country Club fahren muss.«
Rory blinzelt. »Du weißt schon, dass deine Masche irgendwie . anstrengend ist, oder?«
»Danke«, sagt sie. »Komm mit.«
Sie bahnt sich durch das morgendliche Gedränge einen Weg zum Physiklabor und hält auf den einen zu, um den alle anderen Footballspieler zu kreisen scheinen. Smith Parker: Sharas Freund, Quarterback, Opfer einer tragischen Vorname-Nachname-Nachname-Vornamen-Panne.
Sie erinnert sich an den Tag, an dem Smith und Shara zusammengekommen sind. Es war Homecoming Week in der Zehnten, und die gesamte Schule war von dem bizarren Südstaatenritual besessen, dem Schülerrat einen Dollar zu zahlen, um seinem Schwarm eine Nelke zukommen zu lassen. In diesem Jahr hatte man Chloe dazu verurteilt, mit Shara als Laborpartnerin zu arbeiten, und Shara hatte gerade Chloes chemische Formel durchgestrichen, um ihre eigene aufzuschreiben - Chloes war richtig -, als zwei Dutzend Nelken auf ihre Notizen klatschten, alle von Smith für Shara, und seit diesem Tag sind sie das Willowgrove-Vorzeigepaar schlechthin, wobei, ganz ehrlich? Nelken sind gar keine so schönen Blumen.
Was Chloe betrifft, ist Smith nicht viel besser als der Rest der Football-Ärsche, die sie schon aus Prinzip hassen muss. Schließlich ist im letzten Jahr der Großteil des Schulgelds in die Renovierung des Stadions geflossen, und die Cheerleading-Coachin unterrichtet Gemeinschaftskunde, da sind die Prioritäten an der Willowgrove ziemlich eindeutig. Jedes Spiel, das Smith gewinnt, bedeutet weniger Geld für das Kunstprogramm, den einzigen Ort für die wirklich Begabten der Schule.
Von Nahem ist Smith Parker . nicht ganz so riesig, wie Chloe dachte. Er ist eher konisch als klotzig, mehr wie ein Tänzer als wie ein Footballer. Er ist einer der wenigen Sportler, die Chloe für gut aussehend statt für abtörnend Stiernacken-sexy hält: Hohe Wangenknochen, eindrucksvolle braune Augen mit scharfen Innenwinkeln und geschwungenen Brauen, dunkelbraune Haut, die irgendwie über die ganze Football-Saison makellos bleibt. Er ist groß, sogar noch größer als Rory. Ist er seit der Zeit vor dem Abschlussball irgendwie gewachsen? War sein Kinn immer schon so vier- und er selbst so dreieckig? Er ist eine wandelnde Abitur-Geometrieaufgabe.
»Smith«, sagt sie. Erst reagiert er nicht, weil er immer noch einem seiner Teamkameraden etwas durch den Flur zubrüllt - ernsthaft, die Football-Saison ist seit vier Monaten vorbei, könnte man sich da nicht einen anderen Identitätsfokus zulegen? -, also versucht sie es noch mal. »Smith!«
Als er sich endlich umdreht, fällt ihr auf, dass Smith Parker vielleicht gar nicht weiß, wer sie ist. Klar, er weiß ganz sicher, dass sie das komische queere Mädchen aus L.A. mit den zwei lesbischen Müttern ist, so wie alle anderen, aber weiß...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.