1. Kapitel
Jackson schloss die Bürotür hinter sich und eilte die Stufen hinunter. Als er nach draußen trat, schlug ihm drückende Hitze entgegen. Auch Ende August war es in Arizona immer noch sengend heiß. Die Sonne brannte auf seiner Haut. Er zog die Sonnenbrille aus der Knopfleiste seines karierten Hemdes und setzte sie auf.
Mittagspause. Am Morgen war nicht so viel zu tun gewesen, also war er schon früher zum Lunch aufgebrochen. Er ging zu seinem Auto, stieg ein und startete den Wagen. Nachdem er die Klimaanlage angeschaltet hatte, zählte er sehnsüchtig die Sekunden, bis die kühle Luft endlich durch den Innenraum strömte. Auch deshalb war er nicht in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Auf der Ranch spielte die Hitze keine Rolle, die Pferde mussten auch bei 38 Grad im Schatten versorgt und geritten werden.
Nein, Jackson war ein Bürohengst. Er mochte weder den Staub noch die extremen Wetterbedingungen, denen er auf der Rose Creek Ranch, die seiner Familie gehörte, ausgesetzt war. Er ritt nicht einmal gern. Wobei das natürlich nicht immer so gewesen war .
Jackson schob den Gedanken beiseite und startete den Wagen. Er hatte schon telefonisch zwei Chef Salads im Grand Canyon Café, dem einzigen Lokal in Sandwood, bestellt. Sein Jeep rollte die Main Street entlang. Das Auto war zwar ein Geländewagen und sollte einiges aushalten, aber Jackson wusch es regelmäßig und entfernte den roten Sand von der Fahrzeugunterseite. Zwar lebte er auf einer Ranch, aber er war Anwalt. Er kleidete sich wie jemand, der im Büro arbeitete, und sein Auto hätte genauso gut durch die überfüllten Straßen einer Großstadt fahren können. Nun aber steuerte er es durch das beschauliche Städtchen Sandwood und hielt schließlich auf dem Schotterparkplatz des Grand Canyon Cafés an.
Drinnen reichte ihm Carly Kaugummi kauend zwei Styropor-Schachteln mit Salat über die Theke. Ein paar Farmer, Rancher und Arbeiter aßen an den Tischen mit den rotkarierten Tischdecken ihren Lunch. Am Tresen thronte Stammgast Agnes mit Strickjacke und weißem Haarknoten auf einem Barhocker. Die alte Dame hielt sich kerzengerade, während sie an ihrem Mint Julep nippte. Sie prostete Jackson zu, und er nickte zurück.
Carly gab ihm das Wechselgeld. Ihre Arme waren mit Tattoos übersät, ihre Haare knallrot. Sie wusste, wie man für Trinkgeld lächeln musste, und Jackson schob das Wechselgeld zu ihr zurück.
»Danke«, sagte sie und tat überrascht.
Er schüttelte lachend den Kopf und drehte sich zur Tür. Gerade, als er sie öffnete, raste auf der Straße ein Truck vorbei. Auf dem Beifahrersitz saß Pebbles. Der riesige Hund hielt genüsslich die Schnauze in den Fahrtwind. Jackson wollte dem Mann am Steuer winken, aber dieser sah hochkonzentriert aus und bog mit quietschenden Reifen rechts ab. Wahrscheinlich ein Notfall auf irgendeiner Ranch, zu dem sein Schwager in spe unterwegs war.
Ryan war einer der beiden Tierärzte in Sandwood. Jacksons ältere Schwester Emily und er waren zwar erst ein paar Wochen zusammen, aber sie wirkten so harmonisch zusammen, dass die ganze Familie bereits jetzt mit einem Antrag rechnete.
Jackson ging über den Parkplatz und stieg ins Auto. Er hatte erst am späten Nachmittag einen Termin und freute sich auf ein paar Stunden mit Alyssa. Voller Vorfreude fuhr er zu ihrem kleinen Häuschen am Rand von Sandwood. Er hatte sehr viel länger für seinen Antrag gebraucht, als das bei Ryan der Fall sein würde. Er und Alyssa waren schon einige Jahre zusammen gewesen, als er sie vor ein paar Wochen endlich gefragt hatte, ob sie ihn heiraten wollte.
Jackson hatte bis zuletzt gezögert, Alyssa die Frage zu stellen. Aber dann hatte er es einfach getan, nachdem sie den Ring zufällig gefunden hatte. Es war nicht romantisch gewesen oder so, wie es in Liebesfilmen dargestellt wurde, aber es hatte sich doch richtig angefühlt. Und seit ihrem Ja war Jackson wie ausgewechselt. Er war wie frisch verliebt, nein, eigentlich war er verliebter in die hübsche Alyssa, als er es je zuvor gewesen war.
Er wollte jede freie Minute mit ihr verbringen und hatte auf einmal Lust auf romantische Abende und Wochenendtrips. Mit beidem hätte man ihn noch vor zwei Monaten jagen können.
Jackson parkte im Schatten vor ihrem Haus und stieg beschwingt aus dem Wagen. Er betrachtete sein Spiegelbild in den schwarz getönten Scheiben und fuhr sich noch einmal durch die dunkelblonden Haare. Dann strich er das Hemd glatt, bevor er leichten Schrittes zur Haustür ging.
Alyssa war Konditorin im Coffeebarn, einem kleinen Café im Ort. Ihre Köstlichkeiten waren weit über die Grenzen des Städtchens Sandwood hinaus bekannt. Aber so gern und gut Alyssa auch buk, sie verabscheute das Kochen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie beruflich immer in der Küche stand, privat bekam man sie nur selten hinein. Jackson würde sie heute mit dem mitgebrachten Lunch überraschen.
Er klopfte an ihre Tür, aber sie antwortete nicht. Wahrscheinlich hielt sie Mittagsschlaf. Alyssa stand meistens schon um fünf Uhr morgens in der Backstube, und wenn sie nach Hause kam, legte sie sich oft noch einmal kurz hin.
Jackson stellte sich vor, wie sie in einem hübschen Nachthemd schlief, mit einem friedlichen Lächeln auf dem Gesicht. Ihm wurde warm ums Herz. Leise öffnete er die Tür und schlich ins Haus. Er schlüpfte aus seinen Schuhen, stellte die Salate auf der Arbeitsfläche in der Küche ab und ging auf Strümpfen hinauf in die erste Etage. Eigentlich bestand diese nur aus dem Schlafzimmer und einem Bad, aber das kleine Häuschen war sehr hübsch - und ganz nach Alyssas Geschmack war es zu einem großen Teil in Rosa eingerichtet.
Auf der letzten Treppenstufe blieb Jackson stehen. Ihm war, als habe er ein leises Lachen gehört. Er dachte schon, er habe sich geirrt, als er nun ein Stöhnen vernahm. Erst leiser, dann lauter.
Jacksons Hals schnürte sich zu. Was hatte das zu bedeuten? Das Stöhnen wurde lauter, dann ein leises Seufzen. Er kannte dieses Seufzen, es war ihm vertraut. Das Stöhnen hingegen war tiefer - und es klang ganz und gar nicht vertraut.
Mit zwei Schritten war Jackson an der Schlafzimmertür und stieß sie auf.
Er erstarrte. Auf dem Bett saß eine nackte Frau. Er erkannte Alyssas brünette Haare, ihre Schultern und ihre weiße Haut. Unter ihr lag ein Mann, dessen Hände auf ihrer schmalen Taille lagen.
Unmissverständlich bewegten sich Alyssas schmale Hüften vor und zurück. Sie warf den Kopf in den Nacken und seufzte wieder.
»Hey!«, rief Jackson dazwischen und schlug mit der flachen Hand auf die Tür. »Hey!«
Alyssa fuhr zusammen und rutschte von dem Mann herunter, der nun aufschreckte. Er hatte wilde, dunkle Locken.
»Kip?«, fragte Jackson fassungslos.
Der junge Barkeeper aus dem Grand Canyon Café starrte ihn sprachlos an.
»Jackson, ich . er .«, stammelte Alyssa
Sie griff ein T-Shirt vom Boden und zerrte es sich hastig über den Kopf. Ihre Bewegungen waren ungelenk, und Jackson fand es lächerlich, dass sie sich etwas überzog. Er wusste ja eh, wie sie nackt aussah. Und ein T-Shirt machte das alles hier auch nicht besser.
Kip zog rasch die Decke über seinen nackten Körper, ansonsten blieb er stumm und sah Jackson angstvoll an.
Jackson schaute mit finsterer Miene von einem zum anderen. Er atmete ruhig. Mit langsamen Schritten ging er um das Bett herum und baute sich vor Alyssa auf. Sie schluckte und wich einen Schritt zurück. Er hielt ihr die offene Hand hin.
Verständnislos sah sie darauf.
»Den Ring«, zischte er.
»Aber Jackson, wollen wir uns nicht erst mal in Ruhe hinsetzen und reden?«
»Nein«, hörte er sich sagen. »Ich habe Lunch mitgebracht, und der reicht nicht für drei.« Die Kälte in seiner Stimme überraschte ihn selbst, aber er wollte sich seinen Schmerz nicht anmerken lassen. Er trat noch einen Schritt näher und sah verächtlich auf sie herab. »Den Ring.«
Sie zog sich den Verlobungsring vom Finger und gab ihn Jackson. Er schloss die Faust darum, drehte sich auf dem Absatz um und ging hinaus.
Bedächtig stieg er in seine Schuhe, verließ dann das Haus und ließ die Tür ins Schloss fallen, ohne sie zuzuschlagen. Draußen setzte er die Sonnenbrille wieder auf und ging zum Jeep zurück. Erst als er im Auto saß, erschien ihm das Gewicht des Ringes in seiner Hand plötzlich unendlich schwer. Er schleuderte ihn gegen die Windschutzscheibe, von wo er klirrend abprallte, gegen das Seitenfenster stieß und auf den Beifahrersitz fiel. Von dort hüpfte und rollte er auf den Boden und verschwand unter dem Sitz.
Jackson sah nicht genau nach. Er war froh, dass der goldene Reif mit dem Diamanten ihm aus den Augen war.
Seine Hände zitterten, als er sie aufs Lenkrad legte und zurück ins Büro fuhr.
***
Die Rose Creek Ranch lag etwas außerhalb des Städtchens Sandwood in Arizona. Gemma fuhr die Zufahrt entlang. Rechts von ihr grasten Kühe, links Appaloosas. Es waren herrliche Pferde, wunderschön und graziös. Sie waren nicht besonders groß, aber wendig und schnell. Schon wie sie sich im Schritt über die Weide bewegten, verhieß Spitzenklasse.
Gemma hatte auf Quarter Horses gelernt, aber ihre Stute Hetty war ein Appaloosa. Sie kam mit der Rasse einfach besonders gut klar. Und deswegen würde sie sich auf der Rose Creek Ranch nach einem weiteren Appaloosa umschauen, denn Hetty war schon alt und würde nicht mehr lange fit genug sein, um Wettbewerbe zu reiten.
In einiger Entfernung galoppierte ein Teil der Herde mit wehenden Mähnen. Gemma hielt spontan an und stieg aus,...