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Kapitel 2
Grüße von den Gillespies!
Hallo, ich bin es schon wieder, Angela! Sollen seit meinem letzten Brief wirklich zwölf Monate verstrichen sein? Ich hoffe, für Sie und Euch alle war es ein großartiges Jahr, das mit einem wundervollen Weihnachten im Kreise der Familie endet.
Für uns Gillespies war es ein fürchterliches Jahr. Irgendwie ist bei uns alles schiefgegangen.
Ich fange bei den Kindern an.
Genevieve: Ich habe Sorge, dass sie schon zu lange in den Staaten ist, sich schon zu lange in der Scheinwelt des Fernsehens mit ihren Scheinweltbewohnern bewegt. Genevieve fand Klatsch schon immer toll, und ich habe mir ihre Storys immer gerne angehört, aber neuerdings geht das weit über harmlose Tratscherei hinaus. Sie ist von Promi-News regelrecht besessen, und ich finde, sie äußert sich auch viel zu indiskret über all die Menschen aus ihrem beruflichen Umfeld. Ich habe mich an mahnenden Worten versucht, doch sie nimmt mich ja nicht ernst, sie nimmt gar nichts ernst. Und wenn sie anruft (was selten genug vorkommt - meist schickt sie uns Nachrichten über Facebook oder Instamatic oder wie dieses Internetzeug auch immer heißt), redet sie in so einem komischen australisch-amerikanischen Singsang. Sie ist als Friseurin so begabt, es erstaunt mich überhaupt nicht, dass sie für große Hollywoodproduktionen und Fernsehstars arbeitet, aber ich habe Sorge, dass sie sich in all dem Tratsch und Flitter verliert und vergisst, wer sie wirklich ist.
Genevieve kommt Weihnachten nach Hause, das erste Mal seit drei Jahren, aber nur für zehn Tage. Länger kann sie sich angeblich nicht freinehmen. Offenbar haben die Amerikaner nur sehr wenig Urlaub. Aber sie ist doch aus Australien und nicht den USA, und am liebsten wäre mir, sie käme endgültig zurück. Sie muss ja nicht bei uns auf der Farm leben, aber wenigstens im selben Land. Außerdem gibt es hier mittlerweile reichlich Jobs in der Film- und Fernsehindustrie. Selbst hier bei uns, mitten im Niemandsland, hören wir ständig von einem Filmteam, das in Hawker einen Horrorfilm oder ein Weltuntergangsszenario dreht. (Hier ist es eben wunderschön und menschenleer, weit und breit kein Haus, kein Strommast - der Traum eines jeden Regisseurs.) Aber ich kann Genevieve ja nicht drängen, nach Hause zu kommen, oder? Ich will keine von den Müttern sein, die Druck auf ihre Kinder ausüben, erst recht nicht bei jemandem, der so temperamentvoll und unabhängig ist wie Genevieve. Obwohl es mein aufrichtiger Wunsch ist und ich fest davon überzeugt bin, dass es ihr guttäte.
An der Stelle machte Angela eine Pause. Sie fühlte sich erschöpft, aber auch auf eine seltsame Weise beschwingt. Joan hatte recht. Es tat wirklich gut, sich einmal die Sorgen von der Seele zu schreiben. Es war, wie sollte sie das nennen? Befreiend. Ja, genau das war es. Sie fühlte sich befreit. Angela begann erneut zu tippen. Ihre Finger flogen über die Tastatur.
Victoria: Auch um sie mache ich mir Sorgen. Ich hatte gehofft, mein mütterlicher Instinkt hätte mich getrogen, doch dann sind Genevieve (aus Versehen? mit Absicht?) ein paar Details entschlüpft, und da hatte ich Gewissheit. Victoria und dieser (sehr bekannte) Radiomoderator aus Sydney, für den sie als Produzentin gearbeitet hat, hatten eine Affäre. Victoria und dieser verheiratete, sehr bekannte Moderator. Dieser verheiratete, sehr bekannte Moderator, der im letzten Monat aus all den falschen Gründen in der Presse war. Die Australier unter Euch haben ganz bestimmt davon gehört. Victoria hat mir zwar immer versichert, dass sein rüpelhaftes Benehmen nur der Quote dienen würde, dass er in Wahrheit ein totaler Softie sei, aber ich habe mir trotzdem immer Sorgen gemacht, dass sie auf dem Gebiet ein wenig naiv ist, vor allem, da sie von einem ländlichen Radiosender kommt und nicht wirklich weiß, wie das Medienvolk in der Großstadt operiert. Und was wirklich schrecklich ist, ich hatte recht. Seht Euch an, in welchem Schlamassel er sie sitzen gelassen hat! Das ist so dermaßen unfair, denn das war ja überhaupt nicht ihre Schuld. Er war es doch, der nach einer wilden Nacht in den Sender gekommen ist (betrunken und, laut Victoria, noch mehr - also ja, auch Koks) und wie ein Irrer randaliert und sie aus dem Studio ausgesperrt hat, als sie ihm einen Kaffee holen wollte, und dann einfach auf Sendung gegangen ist und dabei jeden, wirklich jeden hierzulande - Politiker, Sportler, Schauspieler (selbst Hugh Jackman) - aufs Übelste beleidigt und beschimpft hat. Doch ihr, seiner Produzentin, hat man die Vorwürfe gemacht, ihr Bild wurde überall in den Zeitungen und im Internet verbreitet. Meine arme Victoria. Es war schrecklich, und jetzt steht sie auch noch ohne Job da, während die ganze Sache seine Karriere auf wundersamste Weise beflügelt hat. Ich werde nie verstehen, wie die Medien funktionieren. Ich hoffe nur, dass jetzt, da sie nicht mehr mit ihm arbeitet, die Beziehung ebenfalls am Ende ist.
Ich würde ihr das niemals sagen, aber mir wäre es am allerliebsten, auch sie käme dauerhaft zurück, nach South Australia, und würde womöglich wieder einen Job bei ihrem alten Sender finden. Im Grunde ist sie doch ein Mädchen vom Land. Ich habe sie nie in der Großstadt gesehen. Ich hatte immer geglaubt, von all meinen Kindern wäre sie dasjenige, das eines Tages die Farm übernimmt. Als Kind war sie ständig mit Nick unterwegs, hat ihm Löcher in den Bauch gefragt, zu den Tieren, den Maschinen. Sie war sein Schatten, sie hatte sogar schon überlegt, sich im Anschluss an ihr Journalismusstudium auch noch für Agrarwirtschaft einzuschreiben. Aber nach der Trennung von Fred Lawson (dem ältesten Sohn eines unserer Nachbarn - die beiden waren vier Jahre zusammen, dann hat Fred das Land verlassen) hatte sie wohl ihr leidenschaftliches Interesse an Errigal verloren. Dann hat Genevieve sie auch noch überredet, sich um das Volontariat bei dem Radiosender in Port Pirie zu bewerben, und das war es dann. Ehe wir wussten, wie uns geschah, war sie Produzentin einer großen Radioshow in Sydney. Und wohin hat das geführt? Jetzt ist sie arbeitslos, öffentlich gedemütigt und ganz allein. Es bricht mir das Herz, wenn ich daran denke.
Nun war Angela nicht mehr zu bremsen.
Was Lindy angeht: Meine arme Lindy. Sie ist ja wieder da, aus Melbourne, bei uns, auf der Farm, nachdem sie sich bei ihrem letzten Versuch in Sachen Unabhängigkeit ziemlich viel Ärger eingehandelt hat. Ziemlich viel Ärger plus Schulden. Ziemlich großen Ärger plus Schulden, wenn ich wirklich ehrlich bin. Ich hatte so gehofft, dass sie mit dieser Handarbeitswebseite ihre berufliche Nische gefunden hätte. Sie hat sich seit ihrem Kunststudium an so vielen Jobs versucht - als Schwesternhelferin, in der Kinderbetreuung, Landschaftsgärtnerei, im Sekretariat. Mit dieser Webseite konnte sie immerhin zwei weitere Stationen aus ihrem Lebenslauf verbinden - ihren kurzen Ausflug in die IT-Welt und ihren Ferienjob in einem Stoffgeschäft. Ich hatte an ihre Geschäftsidee, spezielle Kissen zu besonderen Anlässen anzufertigen, fest geglaubt. Und natürlich haben Nick und ich ihr das Startkapital geliehen. Und vielleicht war es ja auch richtig, das Material per Großhandelsorder zu bestellen. Aber mussten es gleich sechzehn Kisten sein? Von einem dubiosen Lieferanten aus China? An ihre winzige Wohnung in Melbourne? Wir haben erst davon erfahren, als sie uns unter Tränen angerufen und um Hilfe gefleht hat. Gott sei Dank kennt Nick einen Fahrer aus der Gegend, der nicht nur die Kisten, sondern auch gleich Lindy samt ihren Habseligkeiten mit seinem Laster eingesammelt hat. Das ist jetzt einen Monat her, und sie weint fast unentwegt. Ich weiß, dass da noch mehr im Spiel ist, neben dem Gesichtsverlust, den schlimmen Schulden und dem Übervorrat an Füllmaterial. Ich warte nur darauf, dass sie mir sagt, dass sie schwanger ist. Oder Drogen nimmt. Schwanger ist und Drogen nimmt. Was ja alles in Ordnung wäre, wirklich. Wir würden damit schon irgendwie zurechtkommen. Aber wie sollen wir das Problem lösen, wenn wir gar nicht wissen, wo es liegt? Sie verlässt auch nie die Farm, sie fährt nicht einmal nach Hawker zu unseren Nachbarn. Sie folgt mir jeden Tag auf Schritt und Tritt und redet oder weint. Redet und weint. War sie immer so bedürftig? Immer schon so eine Drama Queen?
Angela hielt einen Moment lang inne, um Atem zu schöpfen. Aber wirklich nur einen Moment.
Was Ig angeht: Ignatius, mein kleiner Liebling. Ich liebe meinen kleinen Ig wirklich sehr. Deshalb kann ich auch mit Nachdruck sagen, dass er sich zu einem sehr seltsamen Jungen entwickelt hat. Nicht nur wegen seiner langen Haare. Oder seiner Sturheit. Oder der Tatsache, dass er wiederholt aus dem Internat in Adelaide davongelaufen ist, dreimal allein im letzten Halbjahr. Er führt auch wieder Selbstgespräche. Ach, wären es doch »Selbst«-Gespräche! Leider aber spricht er mit Robbie, seinem Fantasiefreund. Als er vor ein paar Jahren damit angefangen hat, hatte ich beschlossen, das zu ignorieren, und es hat sich ja von selbst gelegt, aber jetzt geht es wieder los. Robbie ist voll und ganz zurück. Ig ist zehn. Wird er für so etwas nicht zu alt? Joan meint zwar, ich solle mir keine Sorgen machen, viele Kinder hätten Fantasiefreunde, vor allem die Jüngsten, die auf einer Farm im Niemandsland aufwachsen. Aber ich habe im Netz recherchiert. In seinem Alter ist so ein Verhalten nicht normal, oder? Es ist ja nicht nur albernes Gerede, wenn er uns bittet, Robbie einen Teller hinzustellen oder ihm im Auto einen Platz frei zu lassen. Ig führt lange, ausführliche Gespräche mit jemandem (zumindest versichert er mir, dass Robbie »jemand« und nicht »etwas«...
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