Schweitzer Fachinformationen
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Eine neue Königin bedeutete immer Ärger.
Ich stand unter dem dicht belaubten Apfelbaum im Garten von Elderberry Cottage und starrte missmutig hinauf zu einer schwer erreichbaren Astgabel. Dort hatte sich ein summender und bebender Klumpen aus mehreren Tausend Bienen zusammengefunden. Ein obdachlos gewordenes Volk, das seiner Königin ins unfreiwillige Exil gefolgt war. Offensichtlich war in einem Bienenstock außerplanmäßig eine neue Königin geschlüpft und hatte die alte in die Flucht geschlagen. Das kam gelegentlich vor - warum, wusste niemand so genau -, und nun musste ich zusehen, dass ich die Tiere einfing und sie in einem neuen Stock unterbrachte.
Ich würde allerdings wiederkommen müssen, denn natürlich hatte ich keine Ausrüstung dabei. Als ich den Anruf erhalten hatte, war ich noch im Supermarkt beschäftigt gewesen. Nachdem sich die letzten Kunden für heute verabschiedet hatten, war ich sofort hergeradelt, um mir ein Bild von der Lage zu machen.
»Kriegst du das hin?« Caruso, das grauhaarige Faktotum des Anwesens, klang skeptisch. Natürlich hieß er nicht wirklich Caruso, sondern Peter Carlsen, aber er bildete sich viel auf seine Stimme ein, die er bei jeder sich bietenden Gelegenheit über das winzige Inselchen Tresco schallen ließ.
»Na klar. Nur brauche ich dafür eine Leiter, eine Fangkiste und vor allem Schutzkleidung. Ich habe aber in einer halben Stunde Gäste für eine Ruinenwanderung und könnte erst danach wiederkommen. Oder morgen.«
»Nein, das muss unbedingt noch heute sein!«, beharrte er nervös.
»Hat sich hoher Besuch angekündigt?«, wollte ich wissen. In Elderberry Cottage stiegen gerne mal Mitglieder der königlichen Familie ab, wenn sie für ein paar Tage ihren erlauchten Pflichten entfliehen wollten, ohne dafür das Land verlassen zu müssen. Zwischendurch wurde das hübsche Häuschen auch an andere solvente Urlaubsgäste vermietet, in der Regel irgendwelche neureichen, aber medienscheuen Unternehmer mit bürgerlichen Wurzeln, die nicht auf einen heruntergekommenen familiären Landsitz zurückgreifen konnten und die Zurückgezogenheit der Scilly-Inseln schätzten. Solche Gäste waren häufig anstrengender als die Royals, die sich im Allgemeinen erstaunlich unkompliziert und volksnah gaben und meist nach wenigen Tagen wieder verschwanden. Die reichen Emporkömmlinge blieben oft viel länger und brachten nicht selten das Inselleben durcheinander.
»Irgendjemand kommt morgen, aber natürlich hat man mir nicht mitgeteilt, wer und wann«, brummte Caruso, und ich war mir nicht sicher, ob das die Wahrheit oder nur Koketterie war. »Jedenfalls müssen die Bienen bis morgen verschwunden sein, nicht, dass irgendwas passiert.«
Ich nickte. Bienen waren zwar verhältnismäßig friedlich, wenn man sie nicht provozierte, aber ein heimatloser Schwarm zeigte sich häufig nervös. Die Arbeiterinnen wollten um jeden Preis ihre Königin schützen und taten alles dafür, ein neues Quartier zu finden. Da war es allemal besser, wenn ich sie gezielt umsiedelte. Trotzdem passte das überhaupt nicht in meinen heutigen Zeitplan. Nach der Wanderung war ich noch mit meinen Freundinnen aus dem Gig-Boot-Team im Pub verabredet. Wir wollten über unser desaströses Abschneiden beim Weltcup am vergangenen Wochenende sprechen und uns eine neue Strategie überlegen.
»Weltcup« war ein großes Wort für das jährlich stattfindende Rennen, zu dem vor allem Teams aus Cornwall anreisten und ein paar besonders enthusiastische Freaks von weiter weg. Ansonsten unterschied sich diese Veranstaltung kaum von unseren wöchentlichen Inselrennen. Leider galt das auch für unsere Performance. Als Teamkapitänin sollte ich eigentlich eine klare Ansage an die Besatzung der Hope machen - so hieß unser Boot -, aber nach Lage der Dinge musste ich wohl erst ein Bienenvolk umsiedeln. »Ich komm so gegen acht«, kündigte ich also an.
»Das ist schlecht, da habe ich einen Termin«, brummte Caruso.
»Sorry, ich kann nicht früher. Kann mir vielleicht sonst jemand aufmachen?« Ich wusste genau, dass Carusos wichtiger Termin sein Altherrenstammtisch im Pub war.
Er kramte einen Schlüsselbund aus seiner Latzhose, wie man ihn eher in einem alten Herrenhaus vermutet hätte. Umständlich löste er einen großen, altmodischen Schlüssel von den anderen und drückte ihn mir in die Hand. »Damit kommst du durch das hintere Gartentor rein. Nicht verlieren«, schärfte er mir ein. »Und bring ihn mir morgen zurück.«
»Keine Sorge.« Ich wog den riesigen und erstaunlich schweren Schlüssel in der Hand. Er war warm, und ich wollte gar nicht so genau wissen, wo an Carusos ausladendem Körper er die Temperatur angenommen hatte. Gleichzeitig fragte ich mich, wieso mir solche idiotischen Vorstellungen in den Sinn kamen.
Kurz entschlossen stopfte ich den Schlüssel in die Vordertasche meines Rucksacks und pfiff dann nach meinem Hund Toby, der durch den Garten stromerte.
»Toby, los, wir müssen zu den Ruinen.« Ich nickte Caruso noch einmal zu, bevor ich durch das Haupttor zur Straße lief, wo mein Fahrrad wartete. In fünf Minuten war ich am Hafen von Old Grimsby mit einer Wandergruppe verabredet, mit der ich dann die Ruinen im weitgehend unbewohnten Norden der Insel erkunden würde.
Immerhin war meine Truppe gut zu Fuß und tatsächlich interessiert, was längst nicht immer der Fall war. So verging die Zeit schneller als gedacht, und es war schon fast halb acht, als wir an der malerischen Ruine von King Charles's Castle ankamen - nicht die Burg des aktuellen Amtsinhabers, sondern die seines gleichnamigen Urahns. Der neue König schätzte es dann wohl doch eine Spur weniger zugig.
Während die Besuchergruppe eifrig Fotos schoss, nutzte ich die Gelegenheit und rief meine Freundin Pippa an. »Ich kann heute nicht in den Pub kommen, ich muss desertierte Bienen einfangen, die sich in einem Apfelbaum bei Elderberry Cottage ein Zwischenquartier gesucht haben«, kündigte ich ohne Vorrede an und seufzte tief. »Sagst du den Mädels Bescheid?«
»Den Bienenmädels oder den anderen?« Pippa kicherte. Sie fand es albern, dass ich von meinen Bienen immer als »die Mädels« sprach, genau wie von unserem Ruderteam. Den jugendlichen Elan, den die Bezeichnung nahelegte, ließen die Rudermädels allerdings wirklich vermissen.
»Den geschätzten Damen unseres Teams!«
»Die werden wie ich froh sein, dass wir einen netten Abend verbringen können. Ganz ohne sinnlose Abreibung deinerseits. Mir tut übrigens immer noch alles weh.«
Ich sparte mir einen passenden Kommentar über die schlappe Kondition von Pippa und den anderen und sagte nur: »Freut euch nicht zu früh. Wenn es gut läuft mit den Bienen, komme ich anschließend noch auf einen Absacker vorbei.«
»Kann man dir beim Einfangen helfen?«, erkundigte sie sich.
»Nein, das ist lieb, aber das krieg ich schon hin«, gab ich zurück. Hilfe wäre zwar tatsächlich ganz erfreulich, aber nicht von Laien. Und auch wenn Pippa ansonsten recht unerschrocken war und keine große Angst vor Bienen hatte, war das dann doch eine andere Herausforderung als meine üblichen Aufgaben.
»Okay, aber gib bitte wirklich Bescheid. Ich kann dir auch Harry vorbeischicken.«
»Wirklich nicht nötig«, beharrte ich. Ich mochte Pippas brandneuen Ehemann sehr, aber für den Meeresbiologen galt das Gleiche: Er mochte sich mit Robben und Papageientauchern auskennen, aber nicht mit Bienen. Außerdem brauchte ich keinen Mann für meinen Job, da ging's mir irgendwie auch ums Prinzip. »Aber du meintest doch, dass du gerne einen Bienenstock bei euch im Garten haben möchtest. Ich könnte den Schwarm bei euch ansiedeln.« Das wäre sogar ausgesprochen praktisch, denn dann müsste ich die summende Transportkiste nicht über die halbe Insel kutschieren, sondern könnte sie einfach die paar Meter weiter zu Pippas Haus bringen.
»Ja, klar, gerne. Am besten bei den Beerensträuchern. Ich sag es Harry, dann hilft er dir wenigstens dabei.« Pippa klang aufrichtig erfreut.
»Gut, dann mach ich das so. Ich muss jetzt los und meine Wanderung zu Ende bringen. Vielleicht bis später. Und die Strategiebesprechung ist nur verschoben, nicht aufgehoben!« Ich beendete das Gespräch und wandte mich wieder meiner Gruppe zu. »Wir laufen jetzt noch den Hügel runter zum Cromwell Castle, und dann habt ihr euch ein Pint im Pub redlich verdient«, verkündete ich forciert munter und marschierte los.
Natürlich hatte alles doch länger gedauert als geplant, und so war es bereits kurz vor neun, als ich mit Sack und Pack und in voller Schutzmontur durch das versteckte Gartentor von Elderberry Cottage trat und mich dem Apfelbaum näherte. Glücklicherweise war es noch hell genug, dass ich auf meine Stirnlampe verzichten konnte. Ich lehnte die Leiter gegen einen ausladenden Ast, sodass ich gut an die Stelle herankommen würde, wo die Bienen, in einem Pulk um ihre Königin zusammengerottet, nach wie vor saßen. Oder wenigstens einigermaßen gut, denn wenn ich ehrlich war, wäre eine zweite Person schon verdammt hilfreich. Die könnte die große Kiste unter die Bienentraube halten, während ich fest auf den Ast schlug, damit der Insektenklumpen hineinfiel. Aber es half nichts, das musste ich jetzt irgendwie allein schaffen - idealerweise ohne mir dabei den Hals zu brechen.
Die späte Stunde kam mir insofern gelegen, als die Bienen nicht mehr ganz so aktiv waren. Ich besprühte sie zusätzlich noch mit etwas Wasser, was eine ähnlich beruhigende Wirkung hatte wie der Rauch, den ich manchmal bei der Arbeit an den Stöcken verwendete. Dann schlang ich zwei...
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