Schweitzer Fachinformationen
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»Willst du wirklich den schottischen Frühling gegen den südafrikanischen Herbst eintauschen, Philippa?«
Ich hatte nicht bemerkt, dass mein Chef John Harper ins Büro gekommen war, und sah ertappt von dem Karton auf, in den ich gerade meine restlichen Sachen packte. Der Leiter des Royal Botanic Garden lächelte mich an, doch ich konnte die Wehmut in seinem Blick erkennen. Eine Wehmut, die ich sogar ein wenig teilte, schließlich hatte ich fast zwanzig Jahre hier mit ihm zusammengearbeitet, und wir hatten einiges auf die Beine gestellt.
»Hm, der schottische Frühling hat mich noch nie sonderlich reizen können«, entgegnete ich mit einem vielsagenden Blick auf das Dach des angrenzenden Gewächshauses, auf das ein heftiger Regenschauer niederprasselte wie Gewehrsalven. Der ohrenbetäubende Lärm war vermutlich auch der Grund gewesen, warum ich John nicht hatte reinkommen hören.
»Als gäbe es in Kapstadt keinen Regen«, brummte er.
»Längst nicht so viel wie hier jedenfalls.« Ich grinste - auch wenn meine vorherige Aussage dreist gelogen war. Ich liebte den schottischen Frühling nämlich sehr. Wie ich Frühling überhaupt liebte. Es war immer ein Zeichen der Erneuerung und der Hoffnung, wenn die Natur aus ihrer Winterstarre erwachte und neues Leben sprießte. Und, ja, es fiel mir auch schwer, ausgerechnet zu dieser Jahreszeit zu gehen. Viel lieber hätte ich Edinburgh schon im Herbst verlassen, vor den langen dunklen, nasskalten Monaten, doch mein Traumjob startete erst Anfang Mai, in gut einer Woche.
Ich hatte vor mehr als zwanzig Jahren in Kapstadt Biologie studiert und mich während meines ersten Praktikums im Botanischen Garten Kirstenbosch in die einzigartige Flora der Kapregion verliebt. Am liebsten hätte ich gleich nach meinem Studienabschluss angefangen, fest dort zu arbeiten - was für mein weiteres Leben sicher die bessere Entscheidung gewesen wäre. Doch eine kleine innere Stimme hatte mich dazu gebracht, meiner Heimat und meiner Familie noch eine zweite Chance zu geben. Ich schüttelte unmerklich den Kopf, um diesen Gedanken loszuwerden. Er hatte keine Bedeutung mehr. In wenigen Tagen würde ich endlich zurück an meinem Sehnsuchtsort sein und konnte dann einen dicken, endgültigen Schlussstrich unter all das andere Elend ziehen.
»Ein bisschen wirst du uns aber schon vermissen, oder?«, nahm John den Gesprächsfaden wieder auf und schaute zu, wie ich meine heiß geliebte Kaktustasse in den Karton packte. Die hatte mir vor Jahren ein Kollege mit den bitteren Worten »Du bist so stachelig wie ein alter Kaktus« überreicht. Das »Geschenk« war als Beleidigung gedacht gewesen, doch der schreiend grüne Pott hatte sich in mein Herz geschlichen. Jedenfalls deutlich mehr als der verschmähte Verehrer, dessen Namen ich längst vergessen hatte.
»Ein bisschen«, gab ich lächelnd zu. »Aber vielleicht besucht ihr mich einfach mal - im Winter, wenn hier nicht viel zu tun ist, in Afrika aber alles blüht?« Vor meinem inneren Auge sah ich schon, wie ich John und eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen, die mir über die Jahre zu engen Freunden geworden waren, über die verschlungenen und üppig blühenden Pfade von Kirstenbosch führte. Ihnen die prächtigen Proteen zeigte, von denen die Königsprotea sicherlich die bekannteste, in meinen Augen aber nicht unbedingt die schönste war. Ich dachte an die winzigen Nektarvögel, die einen Teil der Bestäubungsarbeit übernahmen, wie es bei uns Bienen und Hummeln taten.
»Sag das nicht zu laut, sonst kommen wir tatsächlich und überfallen dich.«
»Ich würde mich sehr freuen.« Mit einem doch erstaunlich melancholischen Seufzer schaute ich mich noch einmal um, ob ich auch wirklich nichts vergessen hatte. Dieser Raum war eine Mischung aus Gemeinschaftsbüro und improvisiertem Gewächshaus. Auf fast jedem Schreibtisch standen Anzuchtschalen, und in einem riesigen Stahlschrank lagerte Saatgut aus aller Herren Länder, das wir von Besuchern bekommen oder aus privaten Urlauben selbst mitgebracht hatten, das aber nicht in die öffentliche Ausstellung passte. Außerdem hatten wir ein Terrarium, in dem eine Kragenechse namens Penny hauste, die wir eines Tages in einem Gewächshaus gefunden hatten. Offenbar hatte ein Besucher sein Haustier loswerden wollen.
Das hier war viele Jahre lang meine berufliche Heimat gewesen und gleichzeitig die Kulisse für allerlei persönliche Dramen. Paare hatten sich gefunden - manche waren Symbiosen eingegangen wie einige unserer Pflanzen, andere hatten sich als so toxisch erwiesen, dass wir sie in unserem Giftschrank hätten lagern können. Kollegen waren gekommen und gegangen, manche waren zu Freunden geworden, andere nicht. Kurz: das pralle Leben auf geschätzt fünfzig Quadratmetern.
»Aber du kommst nachher noch in den Pub, oder?« John hatte mich während meines stummen Abschiednehmens nicht aus den Augen gelassen und erinnerte mich jetzt wieder an die Farewell-Party, die er für mich organisiert hatte.
»Natürlich«, bestätigte ich. Im Feiern waren wir auch immer gut gewesen, deshalb würde ich mir die Fete um keinen Preis entgehen lassen. Auch wenn mich diese gefühlt endlose Verabschiedung zunehmend zermürbte und ich zudem meine kleine Schwester Frances würde enttäuschen müssen. Die hatte mich nämlich zur Vernissage ihrer Ausstellung eingeladen, auf die sie unglaublich stolz war.
Unser Familienküken, das einzige Mitglied meiner dysfunktionalen Sippe, zu dem ich wenigstens etwas Kontakt pflegte, war Künstlerin und hatte es offensichtlich geschafft, eine Galerie von ihrem Talent zu überzeugen. Ich wusste nicht viel über Malerei. Nein, das war noch stark übertrieben, ich hatte nicht die geringste Ahnung davon. Aber ich mochte Frances' Bilder, auch wenn ich die abstrakten, kühnen Pinselstriche nicht verstand. Sie waren mal düster, mal vordergründig lieblich, aber immer lag ein gewisser Subtext darunter, der mich seltsam berührte. Doch das würde er auch morgen oder übermorgen noch tun. Und ich hatte zweifellos mehr davon, wenn ich mir die Ausstellung ohne Gewühl anschaute und mir die Bilder von ihr erklären lassen konnte. Außerdem kannte ich kaum jemanden von ihren Freunden, und in der Kunstszene war ich ungefähr so fremd wie eine Protea in den schottischen Highlands. Frances würde das bestimmt verstehen.
»Gut, dann sehen wir uns nachher.« John rieb sich die Hände und verschwand im Gewächshaus.
Der Regen hatte aufgehört, zumindest momentan, und ich beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen, um es einigermaßen trocken zum Auto zu schaffen. Die Tränen, die sich urplötzlich in meinen Augen sammelten, zählten nicht, oder?
»Pippa, du musst einfach kommen«, flehte mir Frances durchs Telefon ins Ohr. Dieser Tonfall war die letzte Eskalationsstufe bei ihren Bemühungen, mich umzustimmen. Aus Erfahrung wusste ich, dass ich nur noch wenige Augenblicke würde durchhalten müssen, bis sie klein beigab. »Du ahnst gar nicht, wie wichtig dieser Abend für mich ist, und ich würde mich so sehr freuen, wenn wenigstens ein Familienmitglied zur Eröffnung meiner Ausstellung käme«, betonte sie jedoch und hatte mich damit fast weichgekocht.
»Frannie .« Ich seufzte hilflos und suchte im Geiste schon nach Möglichkeiten, beide Events zu verbinden. Den Pub-Abend mit meinen Kollegen - Pardon: Ex-Kollegen - und die Vernissage, die mich nicht im Geringsten interessierte, aber . Himmel, sie war nun mal meine kleine Schwester und das einzige Mitglied unserer kaputten Sippe, das mir wirklich etwas bedeutete.
»Es haben sich ein paar Journalisten angekündigt, sogar ein TV-Team, und Runa hat Einladungen an ihre komplette Kundenkartei verschickt. Sie hat auch ein tolles Catering bestellt, weil sie mit einem Riesenerfolg rechnet«, sprach Frances weiter, und ich konnte den Stolz in ihrer Stimme hören.
»Das ist wirklich unglaublich toll«, gab ich zu, allerdings mit wieder gestärkten Abwehrkräften. Bei so einem Massenauflauf würde sie mich garantiert nicht vermissen - und ich mich nur unwohl fühlen. »Ich finde, du hast die ungeteilte Aufmerksamkeit der Kunstszene Edinburghs, ach was, von ganz Schottland verdient. Mindestens. Und ich bin auch wahnsinnig gespannt auf deine neuen Bilder. Ich war ja länger nicht mehr bei dir im Atelier und bin gar nicht mehr auf dem aktuellen Stand. Aber ich glaube, ich hätte mehr davon, wenn wir beide morgen in Ruhe durch die Galerie laufen und du mir alles erklären kannst. Heute Abend wäre ich nur fehl am Platz mit meinen ahnungslosen Fragen.«
Ich hörte ein Geräusch durch die Leitung, das wie ein resigniertes Schnauben klang, doch dann sagte Frances mit erstaunlich aufgeräumter Stimme: »Ich musste es versuchen, und es war sehr erhellend, mir deine Argumente dafür anzuhören, dass du nicht kommen willst.«
»Von >nicht wollen< kann gar keine Rede sein«, behauptete ich. »Eher .«
»Von Prioritäten. Ich versteh schon.«
»Nein, das glaube ich nicht. Aber während ich mir morgen oder übermorgen oder die ganze nächste Woche jeden Tag deine Bilder ansehen und mich über die tollen Zeitungs- und Fernsehberichte mit dir freuen kann, ist heute eben die einzige Chance, mich von den Menschen zu verabschieden, mit denen ich fast zwanzig Jahre zusammengearbeitet habe. John hat Andeutungen gemacht, dass sie sich etwas Besonderes überlegt haben.« Es war wirklich vertrackt und eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera, aber diesen geschmacklosen Vergleich würde ich ganz sicher nicht aussprechen. »Das alles ändert aber nichts daran, dass ich wahnsinnig stolz auf dich bin und ahne, was für ein großer Moment deine erste...
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