Schweitzer Fachinformationen
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WAS TU ICH HIER BLOSS?
»ELVIS, RUNTER VON DER Vitrine!«
Kristies energische Stimme riss Anna Campbell aus ihren Gedanken. Sie stand wie jeden Morgen geduldig in der Schlange in Kristie's Old Bakery, um sich ihr Frühstück zu besorgen. Nun sah sie erschrocken hoch und erspähte ihren riesigen, grau getigerten Maine-Coon-Kater, der in äußerst lässiger Pose auf der gläsernen Tortenvitrine herumlungerte und gelangweilt auf die Schar der Zweibeiner zu seinen Pfoten blickte. »Elvis, runter!«, rief sie streng, doch er starrte mit seinen Bernsteinaugen knapp an ihr vorbei. Ihre Katze eigensinnig zu nennen wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Seit drei Jahren teilte sie ihr Leben mit dem stattlichen Tier, und Elvis hatte sie bestens erzogen.
Die Kundin vor ihr war versorgt, und nun stand Anna selbst am Tresen. »Hast du eine Leiter? Dann hol ich ihn runter«, bat sie resigniert. Normalerweise setzte sich der Kater nur aufs Fensterbrett oder auf einen Stuhl im Cafébereich der Bäckerei. Doch offensichtlich war ihm diesmal nach mehr Aufmerksamkeit - vermutlich weil sie seinen Bedürfnissen heute noch nicht angemessen nachgekommen war.
»Nicht nötig«, mischte sich Betty Murray ein, die aus der Backstube kam und das freche Tier leicht am buschigen Schwanz zupfte, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Komm, mein Hübscher, ich hab was für dich!« Sie raschelte verführerisch mit einer Tüte seiner Lieblingsleckerlis, und prompt sprang der Verräter mit einem mächtigen Satz erst auf den Tresen und dann auf den Boden, um seiner Wohltäterin zu folgen.
»O Mann«, murmelte Anna leicht verlegen.
»Mach dir nichts draus«, tröstete Kristie mit einem breiten Lächeln. »Es gibt solche Tage. Entscheidend ist doch aber, dass heute Nachmittag alles läuft.«
»Das hoffe ich sehr. Wäre ja schlimm, wenn das Benehmen meines dreisten Katers schon ein schlechtes Omen wäre.« Anna schloss kurz die Augen, um diesen negativen Gedanken gleich wieder aus ihrem Bewusstsein zu vertreiben. Sie wollte voller Zuversicht und positiv an ihr neues Projekt herangehen und sich nicht selbst sabotieren.
»Es wird nichts passieren!«, entgegnete Kristie im Brustton der Überzeugung. »Dafür bist du viel zu gut vorbereitet. Echt schade, dass ich nicht mitmachen kann.«
»Finde ich auch. Ich hätte gerne ein bekanntes und mir wohlgesinntes Gesicht dabei.« Sie seufzte. Dieser Workshop war die totale Schnapsidee, und sie hätte sich nie darauf einlassen sollen. Warum nur hatte sie sich dazu beschwatzen lassen? Nicht umsonst gab es doch diesen Spruch: »Schuster, bleib bei deinen Leisten.« In ihrem Fall wäre das zwar eher ein Stethoskop gewesen, aber das Bild passte trotzdem. Seit neun Monaten war sie als neue Ärztin in Kirkby und mit ihrem Praxisalltag eigentlich gut ausgelastet. Im Vergleich zu ihrer früheren Kliniktätigkeit in Edinburgh fühlte sich der Job hier zwar wie ein Wellnessaufenthalt an, aber trotzdem: Hätte sie es nicht einfach bei den beiden Yogakursen bewenden lassen können, die sie seit dem Sommer in der alten Schule anbot? »Was tu ich hier bloß?«, entfuhr es ihr leise.
»So niedergeschlagen kenne ich dich gar nicht. Hast du Lampenfieber?«, unterbrach Kristie ihre Gedanken.
»Wahrscheinlich«, gab Anna zu und zwang sich zu einem Lächeln. Jetzt gab es ohnehin kein Zurück mehr.
»Dazu besteht kein Anlass!«, beharrte die hübsche Bäckerin erneut. »Was magst du zum Frühstück? Normale Croissants? Oder lieber etwas Üppigeres?«
»Definitiv etwas Üppigeres! Einen großen Cappuccino mit einem Espresso-Shot extra und zwei Schokoladen-Croissants, bitte«, bestellte Anna. Sie brauchte heute Morgen einfach jede Form der Stärkung, die sie kriegen konnte. »Sind meine Kekse schon fertig?«
»Natürlich. Ich bring sie dir gleich an den Tisch.« Kristie legte zwei knusprige Gebäckstücke auf einen Teller und schob ihn über den Tresen.
Anna bezahlte und ging mit der süßen Beute zu ihrem Lieblingsplatz in der Ecke, von dem aus sie nicht nur den schnuckeligen kleinen Laden im Blick hatte, sondern auch die Straße, wo der übliche Morgentrubel herrschte. Der Oktobertag hatte sich zu dieser frühen Stunde noch nicht entschieden, welches Wetter er heute bieten wollte, und schickte gerade etwas unentschlossen aussehende graue Wolken über den Himmel. Schüler jeder Altersklasse versammelten sich, mit bunten Regenjacken auf alle Eventualitäten vorbereitet, an der zentralen Haltestelle, wo sie auf ihren Schulbus warteten. Etliche Autos fuhren vorbei - Bewohner von Kirkby, die zu ihrem Arbeitsplatz in Inverness oder an einem noch weiter entfernten Ort unterwegs waren.
Aus dem Dorfpub The Wise Pelican trat gerade Isla Fraser, um mit ihrer Neufundländer-Hündin Polly die übliche Morgenrunde zu drehen, ehe sie zu ihrem Restaurant ging. Anna winkte ihrer Freundin zu, doch Isla wirkte ebenso geistesabwesend, wie sie selbst es vorhin gewesen war. Kein Wunder, denn an diesem Freitag würden die neuen Auszeichnungen des Guide Michelin für Großbritannien bekannt gegeben werden, und Anna wusste, dass Isla heimlich auf einen zweiten Stern hoffte. Das war eine wirklich große Sache und bot deutlich mehr Grund für Grübeleien als Annas kleiner Workshop. Wenn der nämlich nicht lief, würde exakt gar nichts passieren, außer dass ihre Ehre ein wenig angekratzt wäre. Doch damit würde sie leben können.
»Hier kommt dein Cappuccino«, sagte Kristie und servierte ihr die große Tasse. Auf dem perfekten Milchschaum prangte ein vierblättriges Kleeblatt aus gesiebtem Kakao.
»Wie lieb von dir«, freute sich Anna und strahlte Kristie gerührt an.
»Warte erst mal, bis du hier reingeschaut hast.« Kristie stellte eine weiße Keksdose auf den Tisch und sah Anna erwartungsvoll an.
»O mein Gott, sind die zauberhaft!«, rief Anna verblüfft und betrachtete andächtig das bestellte Shortbread, dem Kristie die Form perfekter Glückskleeblätter verliehen hatte.
»Ich dachte, so passen sie besser zum Motto deines Workshops.«
»Du bist unglaublich!« Anna stand auf und umarmte Kristie kurz. »Selbst wenn alle Stricke reißen, diese Kekse werden meine Teilnehmer garantiert glücklich machen. Tausend Dank.«
»Gern geschehen. Aber ich bin mir sicher, dass das Shortbread maximal das Sahnehäubchen sein wird. Zweifellos werden in den nächsten Tagen einige sehr beseelte Menschen durch Kirkby wandeln.« Kristie lächelte ihr aufmunternd zu und verabschiedete sich dann, um wieder an die Arbeit zu gehen.
Anna lehnte sich zurück, trank einen Schluck Kaffee und biss ein Stück vom ersten Croissant ab. Es war perfekt - knusprig, fluffig, schokoladig -, und es gab ihr aus irgendeinem irrationalen Grund das Gefühl, dass alles gut werden würde. Als sei es gar nicht möglich, in Gegenwart dieser Köstlichkeit Pech zu haben.
»Mau«, meldete sich Elvis zu Wort, der seinen Snack offensichtlich verspeist hatte und sich nun auch wieder seiner Mitbewohnerin zeigte. Er rieb kurz den mächtigen Kopf an Annas Bein, als Zeichen dafür, dass er ihr verziehen hatte, und sprang dann auf das Fensterbrett.
Sie wusste wirklich nicht, warum sie derart nervös war. Sie hatte schließlich nichts zu verlieren, sondern nur etwas zu gewinnen. Die Idee zu ihrem »Glücks-Yoga-Seminar« war ihr vor einiger Zeit gekommen, als zwei verschiedene Hörer ihres Podcasts sie angeschrieben und sich erkundigt hatten, ob sie in den Highlands auch Yoga anbieten könnte. Allein die Tatsache, dass ihr Podcast von mehr Menschen gehört wurde als nur von ihren Freunden in Edinburgh, für die sie ursprünglich damit angefangen hatte, fand Anna schon unglaublich. Und dass sich nun auch noch Fans direkt an sie wandten, war sensationell.
Mit »Highland Happiness«, wie ihre kleine wöchentliche Audioshow hieß, schien sie einen Nerv getroffen zu haben. Zwei ihrer Freunde, die ebenfalls einen Podcast betrieben, hatten sie mit ihrer Begeisterung für das Hörformat angesteckt, und nun war sie seit ein paar Monaten voller Elan dabei. Außerdem war es eine schöne Möglichkeit, von ihren Erlebnissen im schottischen Hochland zu erzählen, die für ihre früheren Kollegen und Bekannten in Edinburgh regelrecht exotisch klangen. Anna selbst hatte, bevor sie Anfang des Jahres nach Kirkby gezogen war, nie außerhalb von Edinburgh gelebt. Sie liebte ihre bunte, trubelige Heimatstadt immer noch sehr, aber ihren kräftezehrenden Alltag als Klinikärztin mit Endlosschichten vermisste sie kein bisschen.
Seit sie in Kirkby wohnte, fühlte sie sich viel ausgeglichener und viel mehr bei sich als je zuvor. Ihre beste Freundin Linda äußerte regelmäßig die Sorge, dass die viele ungewohnte Freizeit, die gute Luft und die zwangsläufige Langeweile auf Dauer nicht gut für Annas Seelenheil sein konnten, doch das Gegenteil war der Fall. Mal abgesehen davon, dass sie sich noch keine Sekunde gelangweilt hatte, seit sie hier lebte. Man konnte Kirkby sicher eine Menge Dinge unterstellen, aber nicht, dass hier nichts los war. Nur konnte Linda das nicht wissen, weil sie sich seit Monaten beharrlich weigerte, ihre urbane Komfortzone zu verlassen und ihre Freundin zu besuchen.
Sie war allerdings eine treue Hörerin des Podcasts - wie etliche völlig fremde Menschen offenbar auch - und hatte Anna in der zunächst noch sehr vagen Idee bestärkt, einen »Glücks-Yoga-Workshop« anzubieten. Colleen, die örtliche Event-Koordinatorin, und Bürgermeister Collum McDonald waren ebenfalls Feuer und Flamme für das Projekt gewesen, das ihrer Meinung nach auch in der Nebensaison neue Gäste nach Kirkby locken könnte. Ehe Anna sichs...
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