Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
GRANDIOSER ERSTER EINDRUCK
»GOTTES SEGEN FÜR BRENNMEISTERIN Shona Fraser, ihr Maskottchen und Kirkbys neue Destillerie. Slàinte!«
»Slàinte!« Shona hob ihr Glas und nickte Pfarrer Jack McTavish zu, der auf der anderen Seite des letzten frisch abgefüllten Fasses von ihrem ersten selbst gebrannten Whisky stand. Dann streichelte sie ihrem dunkelgrauen Alpaka Nessie den wolligen Kopf und wandte sich an die zahlreichen Besucher, die vor der improvisierten kleinen Bühne im Brennraum standen: »Vielen Dank, dass ihr alle gekommen seid. Lasst uns auf den ersten Jahrgang des >Kirkby Alpaca Golden< trinken - standesgemäß mit meinem bisherigen Lieblingswhisky von der Gordon Gibbs Distillery! Slàinte!« Sie prostete ihren Gästen zu und nahm einen Schluck. Die goldene Flüssigkeit rann ihre Kehle hinab und entfachte eine Wärme in ihr, wie es nur die besten Tropfen vermochten.
Sie hatte es tatsächlich geschafft! Ihre eigene Destillerie war offiziell eröffnet, die erste Charge abgefüllt - die letzten zehn kleinen Quarter Casks vorhin live vor Publikum. Die würden nachher noch in eine Auktion gehen: Die Käufer durften ihr Fass eindeutig markieren und bestimmen, wie lange ihr persönlicher Single Malt reifen sollte. Heute Vormittag war Shona zusammen mit Pfarrer Jack, ihrem Vater Marlin und ihrem Mentor und Ausbilder Kieran Gibbs durch die Lagerhalle gelaufen. Was war das für ein unglaubliches Gefühl gewesen, die ordentlich in ihren Regalen aufgereihten Fässer zu sehen, an deren Fronten ihr wunderbares Logo prangte! Schade nur, dass es mindestens drei Jahre dauern würde, bis sie den ersten Schluck von ihrem eigenen Tropfen probieren und ihn verkaufen konnte, und noch viel länger, bis ihr Whisky so schmecken würde, wie sie es sich vorstellte. Doch das war der normale Lauf der Dinge - Ungeduld vertrug sich nicht mit der Kunst der Whiskyherstellung. Außerdem hatte sie Zeit. Mit siebenundzwanzig hatte sie hoffentlich viele Jahre und Jahrzehnte vor sich, in denen sie am Geschmack des Kirkby Alpaca Golden arbeiten und sich daran erfreuen konnte.
Ein weiterer Schluck von dem zwanzig Jahre alten Gordon Gibbs betäubte ein wenig die Angst, die ihr diese Riesenverantwortung insgeheim machte. Ja, es war ihr Traum gewesen - war es immer noch! -, als eine der jüngsten Brennmeisterinnen des Landes eine eigene Destillerie zu gründen. Ihr war aber auch klar, dass dieser Traum ganz schnell zu einem Albtraum werden konnte. Heutzutage schlossen die Traditionshäuser reihenweise, weil sich der Aufwand nicht mehr lohnte, oder wurden von internationalen Investoren aufgekauft. Etliche Highland-Destillerien produzierten nur noch für den asiatischen Raum. Doch sie hatte sich in den Kopf gesetzt, einen anderen Weg einzuschlagen. Sie hatte ihren gut bezahlten Job als Whisky-Sommelière und Markenbotschafterin der Gordon Gibbs Distillery in London aufgegeben, um in ihrem kleinen, verschnarchten Heimatdorf Kirkby wieder ganz traditionell Whisky zu brennen.
»Alles klar, Schätzchen?«, fragte Pfarrer Jack leise, als der Applaus des Publikums abebbte.
Shona räusperte sich und versuchte, die Panik, die in ihr aufstieg, zu unterdrücken. Jetzt war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt dafür! Das hätte sie sich deutlich früher überlegen müssen. Sie schloss kurz die Augen. Das Gefühl des Überwältigtseins war vermutlich normal und würde abklingen, sobald der Alltag einkehrte. Aber jetzt musste sie sich dringend zusammenreißen und etwas sagen. Ganz bestimmt sogar. »Ist das nicht ein wundervoller Tropfen?«, fragte sie in die Runde und hielt ihr Glas hoch, das immer noch halb gefüllt war. »Wenn mein Alpaca Golden irgendwann auf diesem Niveau ankommt, habe ich alles richtig gemacht.«
»Wenn du dir gut hundertsiebzig Jahre Zeit nimmst, dann klappt das bestimmt«, rief Kieran Gibbs aus der ersten Reihe, und das Publikum lachte.
»Da ich ja den besten Lehrmeister hatte, den man sich vorstellen kann«, nahm sie den Einwurf auf und deutete auf Kieran, »wird es bei mir hoffentlich nicht ganz so lange dauern. Aber um die Zeit zu überbrücken, habe ich zusammen mit meiner Schwester Isla einen Gin kreiert! Er heißt >Alpaca Thistle<, und ihr könnt ihn draußen im Hof probieren. Dazu gibt's ein kleines Barbecue von unserem Dorfpub und ein Fingerfood-Buffet, das Isla mit ihrer Küchencrew gezaubert hat und das die Gin-Aromen auf geniale Weise unterstützt. Guten Appetit!«
Erneut brandete Applaus auf, und der Brennraum, in dem es verdammt warm war, leerte sich zügig. Shona seufzte erleichtert und drückte ihrem Alpaka einen kleinen Kuss auf den Wuschelkopf. »Das hätten wir schon mal geschafft«, murmelte sie.
»Nichts bringt eine Party so schnell zum Brodeln wie die Aussicht auf Freigetränke und Essen«, bemerkte Jack amüsiert, als er sah, wie sich die Besucher durch die Tür ins Freie drängelten.
»Saunatemperaturen in geschlossenen Räumen helfen auch«, entgegnete Shona mit einem leichten Lächeln.
»Du hast dich wacker geschlagen, Kleine«, sagte der alte Mann und klopfte ihr väterlich auf die Schulter. »Stimmt's, Marlin?«
»Ich bin wahnsinnig stolz auf dich, Prinzessin.« Marlin stand mit ausgebreiteten Armen an der Seite der kleinen Bühne und strahlte seine Tochter an. »Du hast das toll gemacht, und jetzt komm her und lass dich von deinem alten Herrn in die Arme nehmen, ehe du dich wieder der Meute stellst.«
»Danke, Daddy.« Shona lief die wenigen Schritte zu ihrem Vater und genoss es, sich in seinen Armen für einen Augenblick sicher und geborgen zu fühlen. Er war schon immer ihr Anker gewesen, die einzige Konstante in ihrem Leben - und wenn er jetzt an sie glaubte, dann würde es auch gut werden. »Danke für alles«, sagte sie noch mal.
»Immer, meine Kleine. Aber du hast das alles gut im Griff. Ich weiß zwar nicht, warum du so viele Leute eingeladen hast - noch dazu so viel Presse und diese . wie heißen sie . Social-Media-Jünger?«
»Das sind Influencer und Blogger, Daddy. Und die sind wichtig. Ich bin jung und will meine Generation ansprechen. Jugend und Tradition, das ist eine tolle Kombination - das sieht man an meinem Instagram-Account für die Destillerie. Da habe ich schon mehr als zehntausend Follower, obwohl ich den Kanal erst vor sechs Wochen aufgemacht habe. Das sind neue Zeiten, Daddy«, fügte sie noch hinzu, als er verständnislos brummte. Sie kannte ihren Vater. Er war ihr Fels in der Brandung, ihr Unterstützer, ihr Held - aber er war auch wahnsinnig ignorant und hasste es, wenn zu viele fremde Menschen nach Kirkby kamen. Ginge es nach Marlin Fraser, bliebe man in Kirkby einfach unter sich. Shona konnte seine Haltung überhaupt nicht nachvollziehen, denn ohne Touristen und Tagesgäste wäre der Ort gar nicht in der Lage zu existieren. Ihr ältester Bruder Alex hatte aus The Cosy Thistle, dem Bed & Breakfast, das die Familie schon seit Jahrzehnten betrieb, ein exklusives Boutique-Hotel gemacht, und ihre Schwester Isla führte das Sternerestaurant The Scottish Thistle. Beide waren vom Tourismus abhängig, aber Marlin gefiel sich in der Rolle des Eigenbrötlers. Shona wusste jedoch, dass die vor allem Show war, und ignorierte seine Vorbehalte.
»Wer auch immer diese Leute sind, du solltest dich besser um sie kümmern. Ich werde mir mit Jack ein ruhiges Eckchen suchen.« Marlin drückte Shona noch einmal an sich, dann scheuchte er sie hinaus.
Als sie den geschmückten Hof betrat, musste sie unwillkürlich lächeln. Es war einfach nur perfekt! Die Augustsonne strahlte, als sei dem schottischen Wettergott klar, dass er an diesem Sonntag für Shona alles geben musste. Alte Fässer dienten als Stehtische, um die jetzt schon zahllose fröhliche Menschen gruppiert waren, die Islas Köstlichkeiten probierten und gut gelaunt plauderten. Vor der Lagerhalle war eine weitere Bühne aufgebaut, auf der sich gerade die Band bereit machte - kein wie auch immer geartetes Ereignis in Kirkby ohne Party mit Musik und Tanz! Zwischendurch würde die Versteigerung der zehn kleinen Fässer stattfinden. Shona war gespannt, wer alles mitmachen würde. Sie tippte auf ihre Familie, auf Bürgermeister Collum McDonald und natürlich auf Jon Grant, den Wirt des Pubs The Wise Pelican. Doch Jon gehörte ja auch fast schon zur Familie: Shona rechnete fest mit einer baldigen Hochzeit von ihm und Isla. Gerade standen die beiden hinter dem Buffet, und Isla winkte sie energisch zu sich.
Es dauerte jedoch ein Weilchen, bis sie sich zwischen den vielen Gratulanten durchgekämpft hatte. Schließlich erreichte sie das Buffet, das schon ziemlich geplündert aussah. »Wow, ich schätze, die Leute hatten Hunger«, sagte sie überrascht.
»Keine Sorge, Nachschub ist unterwegs«, entgegnete Isla. »Wir haben genug vorbereitet. Ich muss mich nur gleich verabschieden, denn mein Abendgeschäft beginnt in zwei Stunden.«
»Aber wir müssen doch noch den Gin präsentieren!«, rief Shona. »Das ist genauso deiner wie meiner, da kannst du dich nicht aus dem Staub machen.« Das stimmte. Ohne Isla hätte sie es niemals geschafft, in der kurzen Zeit zwischen ihrer - im wahrsten Sinne des Wortes - Schnapsidee, zusätzlich zum Whisky auch noch Gin zu brennen, und der heutigen Eröffnung ein fertiges Produkt hinzubekommen. Tatsächlich hatte sie den Alpaca Thistle erst vorgestern in Flaschen abgefüllt. Isla war nicht nur eine Spitzenköchin, sondern auch eine absolute Kräuterhexe, und sie hatte es geschafft, dem Gin ein unverwechselbares Aroma zu verpassen, das an blühende Disteln, Heidekraut und Highland-Nebel erinnerte. So hatte Shona den Geschmack jedenfalls für ihre Follower beschrieben.
»Ich...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.