Schweitzer Fachinformationen
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Sie passierten diverse Torpfosten, auf denen Eulenskulpturen saßen, und folgten den sanften Kurven der Auffahrt bis zum weitläufigen Gemäuer des Landhotels. In der kühlen Abenddämmerung fiel warmes gelbes Licht durch die Bleiglasfenster auf den makellosen Rasen, der mit beschirmten weißen Gartentischen gesprenkelt war.
Jons Mutter trat aus dem Haupteingang und ging ihnen entgegen, und entmutigt registrierte Harriet, dass seine Eltern wie üblich vor ihnen angekommen waren. Jons Vater gehörte zu den Menschen, die eine Reise grundsätzlich im Morgengrauen antraten.
Jacqueline trug eine bonbonrosa gestreifte Bluse mit aufgestelltem Kragen, eine Perlenkette und weiße Jeans, und mit perfekt manikürten, glänzenden, korallenfarbenen Fingerspitzen schob sie sich die wippende Föhnfrisur (frisch aus dem Salon) aus dem Gesicht. Sie war immer makellos herausgeputzt, wobei ihr die schneeweiße Strähne in dem blondierten Haar passenderweise die Aura einer bösen Disney-Hexe verlieh, wie Harriet fand. Im Gegenzug verhehlte sie nicht, was sie von Harriets »eigentümlich burschikosem Stil« (© Jacqueline) hielt.
Nach ihrer ersten Begegnung hatte Jon eine Nachricht von seiner Mum erhalten, während Harriet neben ihm saß. Typisch für Jon hatte er weder die nötige Verschlagenheit noch den gesunden Menschenverstand besessen, sie außer Sichtweite von Harriet zu öffnen.
Harriet ist ein nettes Mädchen, JJ. Sie hat ein schrecklich hübsches Gesicht, wie das Mädchen aus der Serie mit dem lahmen Detektiv mit der Gaumenspalte. Aber warum in Gottes Namen trägt sie diese scheußliche Brille? So was hat man zuletzt bei Eric Morecambe in den Siebzigern gesehen! Wirklich schade drum. Nachdem man heutzutage problemlos Kontaktlinsen kriegt, muss man fast davon ausgehen, dass die Brille so eine Art wütendes feministisches Statement sein soll.
»Was zum .!«, hatte Harriet gerufen und die Hand auf den Mund gelegt, um die Maischips mit BBQ-Geschmack nicht auszuspucken. »Was soll mit meiner Brille sein? Und warum sagt sie so was?«
»Sie findet dich wunderschön!«, sagte Jon und errötete, was Harriet zunächst für Scham hielt. Erst mit Verzögerung wurde ihr klar, dass er ganz gerührt über das war, was er als echtes Kompliment seiner Mutter verstand.
»Das sagt sie doch nur, damit sie danach ordentlich auf die vieräugige Emanzenschlampe einprügeln kann. Das sind die zwanzig Pence, die man fürs Klo bezahlen muss.«
»Du kommst mit Komplimenten echt nicht gut klar«, hatte Jon mit absurder Zärtlichkeit erwidert. Harriet hatte es aufgegeben, ihm die Nachricht seiner Mutter zu übersetzen. Das war, als wollte man einen Schlafwandler aufwecken.
»Na endlich!«, sagte Jacqueline, als sie aus dem Wagen stiegen, die steifen Glieder reckten und unbeholfen grinsten. »Wir waren kurz davor, einen Suchtrupp loszuschicken!«
Jon und Harriet waren nicht zu spät dran.
»Auf der B6160 war der Verkehr ein bisschen zäh«, sagte Jon. »Hallo, Mum. Wie sind die Zimmer? In Ordnung?«
»Okay. Dein Bruder hat um neue Kopfkissen gebeten, die waren steinhart.«
Aber klar. Martin Junior, ein humorloser kleiner Vogelmann mit aufgeplusterter Brust, startete immer mit einer Beschwerde, um von Anfang an klarzustellen, dass er seiner Umgebung überlegen war. Harriet mutmaßte, dass es ihm zwar gefiel, dass Jon die Rechnung übernahm, es ihn gleichzeitig aber zutiefst verunsicherte.
»Harriet, wie geht es dir?«, gurrte Jackie mit jener merkwürdig sarkastischen Intonation, die unter affektierten Menschen als guter Umgangston durchging.
»Danke, sehr gut. Und dir?«
»Ach, du weißt schon. Kann mich nicht beschweren.«
Wetten, doch.
Harriet hatte anfangs ehrlich versucht, mit Jackie warm zu werden. Bei ein paar Gläsern Wein zu viel hatte sie ihr einmal von Frau zu Frau erzählt, dass ihre Periode unregelmäßig kam. In der darauffolgenden Woche hatte Jackie Jon angerufen und ihm erklärt, dass Harriet ihre Fruchtbarkeit untersuchen lassen sollte.
»Wir checken schnell ein, gehen rauf und ziehen uns um und treffen euch um sechs, okay?«, sagte Jon.
»Das will ich hoffen, dass ihr euch umzieht!«, erwiderte Jackie mit gespielter Belustigung und musterte gequält Harriets übliche Jeans, T-Shirt und Doc Martens. »Bitte sagt, dass ihr was Schickes eingepackt habt!«
»Ich versuche, immer sportlich elegant zu sein, Mum!« Jon schien es für mütterliche Fürsorge zu halten und nicht die unverhohlene Stichelei gegen Harriet zu erkennen, die Jackie nur ungenügend verschleierte, indem sie so tat, als wandte sie sich an beide.
Obwohl sie wusste, dass Jons Familie eine echte Prüfung war, überraschten sie die mannigfaltigen Schrecken, wenn sie ihnen leibhaftig gegenüberstand, stets von Neuem. Eine gepfefferte Dosis Bombay Sapphire Gin war dringend geboten.
Ihr »Herrenhauszimmer« hatte ein urbaneres Flair, als Harriet in den Yorkshire Dales erwartet hätte. Stadt und Land trafen hier aufeinander. Auf dem Bett lag ein William-Morris-Quilt mit Vogel- und Obstmotiv, während ein Kabelknäuel mit altmodischen Glühbirnen als moderner Kronleuchter diente. Neben dem marmornen Kamin stand eine gewaltige frei stehende Kupferbadewanne mit dazugehörigem Waschkrug, um augenzwinkernd auf die Entbehrungen vergangener Jahrhunderte anzuspielen. Die Wände waren in einem dramatischen Rauchgrau gestrichen, von dem sich die zahnpastaweißen Stuckleisten grell abhoben.
Dank ihres Berufs war Harriet durchaus erfahren, was schicke Hotels anging, und dieses hier fiel in die Kategorie außergewöhnliche Luxusklasse. An einem Ort wie diesem war man praktisch dazu verpflichtet, ein Instagram-Bild mit Retrofilter unter dem Hashtag #dahabichnixdagegen oder #meinbüroheute zu posten. (Harriet war strikte Instagram-Verweigerin. »In meiner Freizeit mach ich keine Fotos!«, erklärte sie ihren besten Freundinnen Lorna und Roxy, wenn sie Harriet zum Mitmachen bewegen wollten.)
»Heilige Scheiße, Jon. Das muss ein Vermögen kosten«, platzte Harriet heraus, als sie den Rollkoffer rotierend zum Stehen brachte, und bereute sofort, dass ihre Bemerkung eher derb und geldgierig als dankbar geraten war. Trotzdem: Es musste ein Vermögen kosten.
»Na ja, es war nicht gerade ein Schnäppchen, andererseits feiert man ja auch nicht jeden Tag den vierzigsten Hochzeitstag!«
Harriet verkrampfte sich, als er beim Anblick der Taschentücher auf dem Nachtkästchen unvermeidlich danach griff und sich die Nase übertrieben lautstark schnäuzte, als wollte er die Hirnmasse durch die Nasenlöcher herauspressen. Ihr Magen revoltierte wie ein Mixer, in dem gefrorener Zement verquirlt wurde.
»Ich freue mich so, dass du da bist«, sagte Jon und schloss Harriet in die Arme, die ihn ihrerseits drückte und murmelte: »Danke, dass ich dabei sein darf.«
»Quatsch, natürlich bist du dabei! Bei dir klingt es so, als wärst du ein optionales Extra. Du gehörst doch zur Familie. Du bist mehr Familie für mich als die.«
»Ha, das will ich nicht hoffen«, sagte Harriet und entwand sich seinem Tentakelgriff. »Sonst ist das hier Inzest. Ich geh mich mal duschen, wenn das recht ist.«
»Nur zu!«, sagte Jon und fügte sich ihrer subtilen Weigerung, den Augenblick auf seine Weise zu deuten.
Er begann auf der Fernbedienung herumzudrücken. Woran lag es, dass ausnahmslos alle Männer in Hotelzimmern augenblicklich CNN in etwas zu hoher Lautstärke einschalten und in Socken auf dem Bett liegend fernsehen mussten? Wie oft hatte Harriet sich in einer großartigen Hotelsuite die Zähne geputzt, während der Nachrichtensprecher durch die Tür dröhnte, dass Gewalt und Plünderungen über Nacht weitergegangen waren und die Regierung dringend um Besonnenheit bat.
Sie zog den Reißverschluss ihres Koffers auf, kramte nach den Kleidern fürs Abendessen, einem neuen BH und einer frischen Unterhose und verfluchte sich innerlich, dass sie wegen Jackie am liebsten vor lauter Sturheit im selben T-Shirt zum Essen erscheinen würde. Oder noch besser in einem T-Shirt, auf dem AGGROMODUS AKTIVIERT stand, und Crocs mit England-Flagge.
Im Badezimmer, das vom Boden bis zur Decke mit weißen Metro-Fliesen gekachelt war und an ein superschickes Sanatorium erinnerte, stand Harriet unter dem tellergroßen Duschkopf und ließ den brühheißen Wasserstrahl auf sich prasseln. Das Haar hatte sie zu einem schlappen Dutt zusammengebunden. Sie hatte eine unglaublich dicke, strohblonde Mähne, die man für einen Segen halten mochte, doch sie ließ sich nicht anders bändigen als in dem langen, hoch angesetzten geflochtenen Glockenstrang, der zu ihrem Markenzeichen geworden war. Als Teenager hatte sie sich an einer Kurzhaarfrisur versucht, doch das Haar hatte wie eine Buchsbaumhecke vom Kopf abgestanden. Im Biologieunterricht in der Schule hatten sie einmal Haare, die sie sich vom Kopf gepflückt hatten, unter dem Mikroskop untersucht, und ihres hatte ausgesehen wie eine Weizenähre.
Als sie sich abgetrocknet und die Unterwäsche angezogen hatte, nahm sie das Kleid vom Sessel in der Ecke, dessen Polster ein chinesisches Motiv zierte. Ein Badezimmer mit Sessel, das war mal nobel.
Harriet kaufte sich selten Kleider, dieses hier aber hatte sie vor ein paar Monaten aus dem Schaufenster einer Boutique in einem pittoresken Dorf angelacht. Sie musste eineinhalb Stunden totschlagen, bevor Andy und Annette sich das Jawort gaben, und war hineingegangen, um den Stoff zu befühlen. Natürlich hatte sich der gelangweilte Verkäufer auf sie gestürzt und darauf bestanden,...
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