Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL 2
»Miss Yeung! Was fällt Ihnen ein?!«
Der oberste Glasschmied hob hastig den Brief vom Boden auf und pustete den Sand von der Oberfläche.
Zhi Ging schaute benommen an ihm vorbei und bemerkte Reishi, den Schattensucher, der sie besorgt musterte. Er trug dieselbe offizielle gelbe Robe, die er bereits eine Woche zuvor am Tag ihrer Prüfung angehabt hatte. Der langhalsige Kranich, der auf seine Brust gestickt war, schien sie vorwurfsvoll anzustarren. Zhi Ging senkte den Blick. Sie hatte sich noch nicht daran gewöhnt, ihn so formell gekleidet zu sehen. Sie musste sich daran erinnern, dass er immer noch derselbe Reishi war, der bei seinen Besuchen bei Aapau mehr als einmal seinen Reisbrei umgekippt hatte, weil er so begeistert von seinen neuesten Entdeckungen erzählt hatte. Er sieht viel weniger einschüchternd aus, wenn seine Beine unter Aapaus Ersatzrobe hervorlugen.
»Ich verlange eine Erklärung! Ich hoffe, du hast einen guten Grund für deine Anwesenheit in meinem Büro!«, fuhr der oberste Glasschmied sie an. »Die höheren Ebenen des Jadebergs sind heilig und allein den Glasschmieden vorbehalten. Dorfheilerin Aapau mag dich großgezogen haben, aber deshalb hast du noch lange nicht die gleichen Rechte wie sie.«
»Ich weiß. Ich wollte doch nur wissen, ob ich .« Zhi Gings Augen huschten zu dem Brief und sie biss sich auf die Zunge.
Der oberste Glasschmied folgte ihrem Blick und schnaubte hämisch. »Das hätte ich mir denken können.« Er senkte die Stimme zu einem abfälligen Flüstern. »Weil Aapau so gut mit Reishi befreundet ist, hast du sicherlich geglaubt, du würdest als Fei Chuis Schatten ausgewählt werden?«
Wütende Tränen trübten Zhi Gings Sicht, aber sie hielt seinem Blick stand.
»Warum nicht? Ich habe genauso hart gelernt wie Iridill. Sie .«
»Ist alles in Ordnung?« Reishi trat stirnrunzelnd zwischen Zhi Ging und den obersten Glasschmied. Die beiden seidenen Beutel an seinem Gürtel baumelten hin und her; das Rascheln erinnerte Zhi Ging an den Flügelschlag eines Vogels.
Der oberste Glasschmied machte einen Satz zurück und raufte sich den Bart, wobei Funken aus seinen Fingern sprühten. Nicht zum ersten Mal musste Zhi Ging sich vorstellen, dass seine untere Gesichtshälfte von einem glühenden Löwenzahn angegriffen wurde.
»Alles in bester Ordnung. Ich entschuldige mich für diese unerwartete Unterbrechung. Ich versichere Euch, Euer Jadestein wird .«
»Bitte«, platzte Zhi Ging dazwischen und sah Reishi verzweifelt an. »Ich will . ich muss als Schatten ausgewählt werden, viel mehr als Iridill. Mehr als jeder andere in Fei Chui. Seit der oberste Glasschmied Aapau für ihr letztes Jahr fortgeschickt hat, wollen sie mich loswerden. Er sagt, ich dürfe nicht allein in ihrem Haus bleiben, aber keiner der Glasschmiede will mich als Lehrling aufnehmen, weil meine Haare nicht leuchten. Er hat Aapau versprochen, sich gut um mich zu kümmern, während sie weg ist, aber er hat gelogen! Er wird mich ins Postrohr stecken, obwohl die beiden letzten Postrohrschrubber gleich im ersten Monat ertrunken sind!«
»Vollkommener Unsinn! Das Kind ist nur sauer, weil es nicht ausgewählt wurde«, fegte der oberste Glasschmied ihre Anschuldigungen beiseite, und die Glasperlen an seinem Gewand klimperten nachdrücklich. Reishi hob die Hand und beugte sich vor, bis sein Gesicht direkt vor Zhi Gings war.
»Es tut mir leid, Zhi Ging. Wirklich. Ich weiß von Aapau, wie eifrig du gelernt hast. Aber wenn der endgültige Name feststeht, kann ich nichts mehr tun. Die Sucher haben strenge, tausend Jahre alte Regeln für die Auswahl der Schatten und wir dürfen aus jeder Stadt und jedem Dorf nur einen einzigen Kandidaten einladen.« Er hielt inne und versuchte, den nun folgenden Schlag irgendwie zu mildern. »Vielleicht kannst du die Aufnahmeprüfung nächstes Jahr wiederholen? Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber wenn du für die letzte Frage mehr Zeit gehabt hättest, wäre meine Entscheidung nicht so eindeutig ausgefallen.«
Zhi Ging schniefte und rang sich ein Lächeln ab, während der oberste Glasschmied sie über Reishis Schulter hinweg finster anstarrte. Werde ich das nächste Jahr überhaupt erleben, wenn ich erst mal im Postrohr gelandet bin?
Reishi richtete sich wieder auf und wandte sich dem obersten Glasschmied zu, der seinen düsteren Blick schnell durch ein schmieriges Lächeln ersetzte.
»Ich hoffe, Sie haben nicht vor, Zhi Ging für ihre Begeisterung zu bestrafen. Ehrlich gesagt freut es mich, dass die Möglichkeit, zur Cyo B'Ahon ausgebildet zu werden, so wie ich einer bin, in Fei Chui immer noch so einen Reiz hat. Das ist erfrischend. Und nun«, fuhr er fort, wobei seine Stimme einen befehlsgewohnten Ton annahm, »ist es Zeit, mit den anderen Glasschmieden nach meinem verschwundenen Jadestein zu suchen. Es wäre eine große Enttäuschung, wenn ich morgen ohne ihn nach Hok Woh zurückkehren müsste.«
Der oberste Glasschmied wurde blass.
»Sie haben sich bereits auf den unteren Terrassen versammelt«, krächzte er. »Wir werden ihn noch vor Eurem Abschiedsfest finden. Ich garantiere Euch, dass die Feierlichkeiten heute Abend nicht eher beginnen werden.«
Der oberste Glasschmied eilte zur Tür, drückte gegen eine gläserne Schuppe und trommelte ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden, während sich der Drache auseinanderfaltete. Reishi folgte ihm, blieb aber im Durchgang stehen und drehte sich noch einmal zu Zhi Ging um. Dabei schimmerte der aufgestickte Vogel auf seinem Gewand.
»Nächstes Jahr komme ich wieder. Versprochen.«
Zhi Ging schlurfte über den Korridor, als sie eine Gestalt bemerkte, die sie vom Hof aus angrinste.
Iridill.
Ihr höhnisches Lächeln wurde beim Anblick von Zhi Gings geschwollenen, roten Augen noch breiter, und sie stolzierte auf sie zu, wobei die bunten Glasperlen an ihrer Kleidung in der Morgensonne glitzerten. Nicht zum ersten Mal spürte Zhi Ging heftigen Neid in sich aufflammen. Ihr eigenes Gewand zierte nur eine einzige blasse Perle, die Aapau ihr an ihrem letzten Tag in Fei Chui geschenkt hatte.
»Na, Hohlbirne, willst du mir nicht gratulieren?« Iridill hielt eine Papierlaterne in den Händen, deren Oberfläche mit krakeligen Schriftzeichen bedeckt war. Aus einer Seite war der unverkennbare Umriss ihrer Silhouette herausgeschnitten worden. Sie drehte die Laterne, um sie zu bewundern.
»Sobald Reishi sie heute Mittag für mich anzündet, reise ich nach Hok Woh. Vielleicht komme ich dich ja mal besuchen, wenn ich zur unsterblichen Cyo B'Ahon aufgestiegen bin.« Iridills Augenbrauen zogen sich belustigt zusammen. »Obwohl du wahrscheinlich nicht viel Platz haben wirst, um mir aus deinem Postrohr zuzuwinken. Diese Glasrohre sind schrecklich eng, was?«
Zhi Ging ballte ihre Hände zu Fäusten. Ihre Fingernägel hinterließen wütende Halbmonde auf ihrer Handfläche, während sie die Beleidigungen hinunterschluckte, die sie Iridill am liebsten an den Kopf geworfen hätte. Das ist es nicht wert.
Iridill blickte auf Zhi Gings Hände und grinste.
»Bist du wirklich überrascht, dass du nicht ausgewählt wurdest? Niemand in Fei Chui will dich haben, Hohlbirne. Also warum sollte dich jemand in Hok Woh haben wollen?«
Zhi Ging trat einen Schritt auf Iridill zu, obwohl sie ihr kaum bis zu den Schultern reichte.
»Nur weil dein Haar leuchtet und meins nicht, heißt das nicht, dass ich anders bin als die, die unter dem Wolkenmeer leben. Sogar dein Bruder .«
Iridills Mund verzog sich zu einer wütenden Linie. »Wag es nicht, dich mit ihm zu vergleichen!«, schnitt sie Zhi Ging das Wort ab. »Wenn du nicht im Postrohr ersäufst, hoffe ich, dass der Fui Gwai dich erwischt.« Sie beugte sich vor und sah mit Freude die plötzliche Angst in Zhi Gings Augen. »Ich habe gehört, dass der Geist damit begonnen hat, die Dörfer unter dem Wolkenmeer zu plündern und noch mehr Menschen in willenlose Besessene zu verwandeln. Im Postrohr wirst du leichte Beute für ihn sein.«
»Was ist hier los?«
Die beiden Mädchen wirbelten herum und sahen einen älteren Glasschmied auf sie zu marschieren.
»Murrine!«, japste Iridill mit zitternder Unterlippe, als hätte sie schreckliche Angst. »Hohlbir . Zhi Ging hat gedroht, den Fui Gwai zu beschwören und alle Glasschmiede zu verfluchen. Sie ist so neidisch, weil ich als Schatten ausgewählt wurde, dass sie das ganze Dorf bestrafen will!«
Zhi Ging schnappte nach Luft; die Dreistigkeit von Iridills neuester Lüge machte sie sprachlos. Aapau hatte versucht, sie vor dem Gerede abzuschirmen, doch sie kannte die Geschichten um den umherstreifenden Geist, der als Fui Gwai bekannt war und angeblich Dorfbewohner in allen Teilen der Glasprovinz angriff. Obwohl dieser Geist offiziell nur ein Gerücht war, war Iridills Anschuldigung schlimmer, als wenn sie behauptet hätte, Zhi Ging wolle Fei Chui niederbrennen.
Zhi Ging öffnete den Mund, um zu protestieren, während Iridill an dem Glasschmied vorbeihuschte, aber ein Blick auf Murrines verkniffene Miene riet ihr, die Zähne zusammenzubeißen und zu schweigen. Niemand in Fei Chui würde ihren Worten Glauben schenken, wenn die Tochter des obersten Glasschmieds etwas anderes behauptete. Das wusste sie aus bitterer Erfahrung.
»Junge Dame, mit dem Fui Gwai ist nicht zu spaßen!«, bellte Murrine. »Die Beschwörung von Geistern jeglicher Art ist in unserer Provinz verboten. Selbst die Androhung einer Beschwörung muss dem obersten Glasschmied gemeldet werden. Komm mit.«
In dem Moment kam ein anderer Glasschmied so eilig über den Hof gerannt, dass er den Sand unter...
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