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ALS ICH EIN KLEINES MÄDCHEN WAR, BASTELTE MEINE MUTTER POP-UP-BÜCHER. Wissen Sie noch, welche ich meine? Wenn man eine Seite umblättert, klappt sich eine ganze Szenerie auf. Selbst heute, in fortgeschrittenem Lebensalter, finde ich diese Werke wunderbar. Wahrscheinlich liegt es an der Kunstfertigkeit, der sorgfältigen Konstruktion und, ja, auch der Technik, die dafür nötig ist. Die Bücher meiner Mutter waren echte Wunderwerke.
Meine kleine Schwester und ich hatten jeweils ein Lieblingsbuch. Phoebe, drei Jahre jünger als ich, liebte Alice im Wunderland - eine angemessene Wahl für ein kreatives und künstlerisch begabtes kleines Mädchen, das in einer Wunderwelt zu leben schien. Auch ich liebte dieses Buch. Meine Mutter hatte aus Karton und Transparentpapier einen kleinen Tunnel gebaut, durch den man sehen konnte, wie Alice und das weiße Kaninchen hinunterfielen. Etwas später klappte man ein Haus auf, aus dem die riesigen Arme und Beine von Alice herausschauten. Das brachte uns immer zum Lachen. Doch das schönste Bild waren die unzähligen Spielkarten, die durch die Luft flogen, wenn wir, zusammen mit Alice, sagten: »Ihr seid doch nichts weiter als ein Kartenspiel!«
Ja, ich liebte das Wunderland, aber eigentlich schlug mein Herz für Der Zauberer von Oz. Aus irgendeinem Grund berührte mich die Geschichte von Dorothy Gale. Von einem Wirbelsturm ihrer Familie entrissen und in ein fremdes Land davongetragen, musste sie mit Verstand, Herz und Mut überleben, neue Freunde kennenlernen und ihren Weg zurück nach Hause finden. Meine erste Ahnung vom Abenteuer. Im sicheren Zuhause, umgeben von meiner liebevollen Familie, träumte ich davon, nach Oz zu fliegen. Mom hatte das Buch raffiniert gebastelt, vom Zyklon, der über die erste Seite rauschte, und der kleinen grünen Brille, in einem Umschlag versteckt, den man öffnete, um die Smaragdstadt zu erkunden, bis zur allerletzten Seite, auf der, wie aufregend, die meiner Meinung nach aufwendigste Konstruktion meiner Mutter zu finden war: ein Ballon aus Karton, der flach auf den Seiten lag, bis man ihn an einem Faden zwischen zwei Halmen nach oben zog und auseinanderdrückte, sodass darunter der winzige Korb baumelte. Als kleines Kind verbrachte ich viele Stunden mit diesem Buch. Nicht nur die Geschichte hatte mich verzaubert, ich wollte herausfinden, wie meine Mutter alles zusammengebaut hatte. Mom pflegte zu sagen, dass Daddy mir das Fliegergen vererbt hätte, das Verlangen, loszufliegen und in den Weltraum zu reisen. Doch eine große Rolle spielte ihr wunderbarer, zauberhafter Ballon aus Karton, der den weiten Weg von Oz zurücklegte.
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, ist mir heute klar, dass sich in diesen Büchern die Interessen der ganzen Familie vereinten. Meine Mutter, mit Mädchennamen Gretchen Williams, war Künstlerin. Ständig experimentierte sie mit neuen Formen, doch ihr wahres Talent waren Illustrationen. Wahrscheinlich kennen Sie sie als Autorin dutzender Kinderbücher und -holoromane. Generationen von Kindern liebten ihre Geschichten. Phoebe trat in ihre Fußstapfen, denn sie hatte ihre künstlerische Ader geerbt. Auf einem meiner Holofotos stehen die beiden nebeneinander, Mom mit Pinsel in der Hand und Farbklecks auf der Nase, daneben Phoebe in gleicher Pose. Ich war keine Künstlerin. Meine Häuser standen schief, meine süßen Fellwesen erschienen bedrohlich, meine Menschen passten eher in einen Horrorholoroman. Allerdings kann ich sehr genaue Schaubilder zeichnen.
Ich war die Naturwissenschaftlerin, die Technikerin, die Praktikerin, die gern mit Zahlen umging. Ich blickte in die Sterne und zeichnete sie auf, ich wünschte mir Maschinen, wollte fliegen. Insofern kam ich nach meinem Vater Edward, Freunde nannten in Ted, meine Mutter Teddy, einen begeisterten Hobbypiloten und Astronomen. Außerdem war er Flaggoffizier der Sternenflotte, und diese Tatsache prägte mein Leben erheblich. Unsere Kindheit zeichnete sich durch die Traurigkeit über seine unvermeidliche Abwesenheit und, mindestens genauso sehr, durch die Freude über seine Anwesenheit aus, die wir intensiv erlebten. Mehr als alles andere wünschte ich mir, dass mein tapferer, fröhlicher, wunderbarer Vater stolz auf mich war. Mehr als alles andere wünschte ich mir, dass er mich als Captain eines Raumschiffs erleben würde, genau wie er es war. Dass sich dieser Wunsch nicht erfüllte, bedauere ich bis heute zutiefst. Mein Vater erlebte, wie ich auf die Akademie ging, aber nicht, wie ich Captain eines Schiffes wurde, ganz zu schweigen davon, dass ich eines von der weitesten Reise, die je ein Schiff unternommen hatte, sicher nach Hause brachte. Aber ich greife zu weit voraus. Kehren wir noch einmal an den Anfang zurück, zu einer kleinen Farm im mittleren Westen, auf den Nordteil des amerikanischen Kontinents der Erde.
Unsere Familie war auf einer kleinen Farm bei Bloomington in Indiana zu Hause. In dieser Gegend hatte die Familie meiner Mutter seit Generationen gelebt, sie waren waschechte Einwohner des Mittleren Westens. Wir kannten die Familiengeschichte der Williams (Pioniere, Siedler, die traditionellen Planwagen) und sowohl meine Großeltern mütterlicherseits als auch meine Mutter stellten sicher, dass wir die vollständige Geschichte dieses Landes, auf dem wir lebten, kannten und nicht nur die lückenhafte Erzählung, die einst in Zeiten von Nationalstaaten und der US-amerikanischen Ideologie des Manifest Destiny gelehrt worden war. Zu den Völkern, die hier vor der Ankunft meiner Vorfahren gelebt hatten, gehörten die Potawatomi, amerikanische Ureinwohner der Great Plains, die im neunzehnten Jahrhundert vertrieben worden waren. Sie selbst nennen sich Neshnabé, das Urvolk. Meine Mutter sorgte dafür, dass Phoebe und ich verstanden, dass das Land, das wir unsere Heimat nannten, bereits die Heimat vieler Menschen vor uns gewesen war und die vieler nach uns sein würde. Auch die Geschichten anderer Völker erzählte sie uns. Eine meiner Lieblingsgeschichten war die Cherokee-Geschichte der Wasserspinne. Eine Freundin meiner Mutter hatte ein Buch darüber geschrieben und illustriert, das ich sehr mochte. Die Wasserspinne geht auf eine weite Reise, um das Feuer zu finden, damit die anderen Tiere überleben können. Diese prahlen damit, dass sie es finden werden, und lachen sie aus, als sie erklärt, es schaffen zu können. Doch dann webt sie aus ihren Fäden ein Boot und segelt über das Wasser, bringt ein glühendes Stück Kohle mit und wird für ihren Mut und ihre Ehre gefeiert. Auf meiner Reise nach Hause dachte ich häufig an die Wasserspinne.
Meine Großeltern mütterlicherseits, Hector und Ellen Williams, lebten auf ihrer Farm, deren Land direkt an unseres grenzte, und so waren Phoebe und ich oft bei ihnen. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehört eine alte Eiche, die auf der Farm meiner Großeltern stand. Auf diesem alten Baum habe ich klettern gelernt und Grandpa baute mir eine Schaukel, die er an seinen Ästen installierte. Wie gern habe ich dort gespielt! An einem besonders heißen Sommernachmittag, als die Erwachsenen schwitzend im Schatten saßen, wollte niemand mit mir spielen. Nach einem Wutanfall tobte ich mich an der Schaukel aus und ließ sie bestimmt eine Stunde lang meinen Frust spüren. Dass sie dabei nicht herunterkam, zeigt, was für ein talentierter Zimmermann mein Großvater war. Als ich keine Lust mehr hatte, kletterte ich den Baum hoch und schmollte noch einige Zeit. Schließlich jedoch, ich war immer noch wütend, aber auch müde und überhitzt, bereute ich, was ich getan hatte, und ging wieder ins Haus, wo Grandma alle mit Slush erfreute. Eine Stunde später brach das unvermeidliche Gewitter herein und ich sah vom Fenster aus zu, wie sich der Regen ergoss. Erst kam der Donner, dann die Lichtshow und ich zählte vom Blitz bis zum Donner, um zu wissen, wie nah das Gewitter war. Und dann - ich sehe es noch genau vor mir - schlug der Blitz genau in die Eiche ein und spaltete sie in der Mitte.
Ich schrie so laut, dass die ganze Familie angerannt kam. Als Erster war Grandpa da, doch er konnte mich nicht zum Sprechen bewegen. Aber er verstand, als ich auf den Baum zeigte. Er legte mir den großen Arm um die Schulter und drückte mich an sich.
»Das ist gruselig, was, Katy? In einem Augenblick steht der Baum groß und stark dort und im nächsten ist er weg.«
Ja, er verstand mich. Blitze schlagen so plötzlich, so unerwartet ein. Ein alter Baum, der mich am Nachmittag noch getragen hatte, war am Abend plötzlich verschwunden. Wenn ich heute daran zurückdenke, weiß ich, dass ich damals zum ersten Mal spürte, dass uns das Unglück selbst an sicheren Orten ereilen kann, dass wir uns nicht auf alle Widrigkeiten vorbereiten können, die das Leben für uns bereithält. Ich weiß auch, dass es meine erste Berührung mit der Sterblichkeit war, die Erkenntnis, dass selbst alte, starke Dinge plötzlich auf dem Höhepunkt ihrer Kraft zusammenbrechen können.
In dieser Nacht ließ das Gewitter das Haus erzittern,...
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