Schweitzer Fachinformationen
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And when our work is done,
Our course on earth is run,
May it be said, »Well Done«
Be thou at peace.
Aus der West-Point-Hymne »Alma Mater«
Das Buch ist nur 35 Zentimeter lang und 20 Zentimeter breit und hat einen zerschlissenen orangefarbenen Leineneinband. Einige Seiten fehlen, aber nachdem es über zwei Generationen hinweg tüchtig strapaziert wurde, ist es in auffallend gutem Zustand. Ich kann mich glücklich schätzen.
Das abgegriffene Kinderbuch Greek Tales for Tiny Tots1 wurde 1929 ursprünglich in Chattanooga, Tennessee für ein junges Mädchen namens Mary gekauft, die es hütete wie einen Schatz. Ende der 1950er-Jahre las mir Mary, inzwischen meine Mutter, daraus vor. Ich wiederum las meinem Sohn daraus vor, und vor Kurzem warf meine älteste Enkeltochter, Emmylou, ihren ersten Blick auf die vergilbten Seiten.
Dieses Büchlein liegt mir sehr am Herzen. Mit seinen schlichten Zeichnungen und kurzen Texten erzählt es die Geschichten griechischer und römischer Helden: Theseus, Herkules, Odysseus, Ariadne und anderer, die mit der Natur, dem Schicksal und manchmal miteinander rangen. Natürlich waren es Sagen aus der Mythologie, aber die Erzählungen von Menschen, die mit ihrem Heldentum, ihrer Vision oder Genialität, oft gepaart mit unerschütterlicher Beharrlichkeit, aufregende Abenteuer bewältigten, beeindruckten mich tief.
Als ich alt genug war, um längere Bücher zu lesen, gab mir meine Mutter Bücher über Roland, Julius Cäsar, William Wallace und Robin Hood. In der Bibliothek meiner Grundschule fand ich Biografien, die für junge Leser geschrieben waren, und ich erinnere mich, dass ich in der zweiten Klasse im Rechenunterricht von meinem Lehrer dabei erwischt wurde, wie ich ein Buch über John Paul Jones las. Ich war viel zu sehr in die Geschichte vertieft, um so zu tun, als würde ich aufpassen. Später im Leben bekam ich ein Schachspiel geschenkt, das die Inschrift trug: »Die Bauern sind die Seele des Schachspiels.« Für mich als Junge schien Geschichte jedoch ein Spiel zu sein, in dem die Anführer König, Dame, Turm, Läufer und Springer waren, deren Macht, Status und Bedeutung in krassem Gegensatz zu den niederen Bauern stand.
Meine ersten Lektionen in Führung stammten nicht aus der Geschichte der Antike. Mein Vater war Soldat, und ich war zehn, als er seinen ersten Einsatz in Vietnam hatte. Auch wenn ich noch sehr jung war, las ich viel, um das geopolitische Labyrinth zu verstehen, in das sich mein Vater und mein Land begeben hatten. Und so betrachtete ich die Ereignisse in erster Linie als Handlungen von militärischen und politischen Führungsfiguren, die erfolgreiche Helden sein würden, falls das Schicksal kooperierte. Das tat es nicht, aber mein Glaube war dennoch ungebrochen.
»West Point«, wie die United States Military Academy im Volksmund genannt wird, wurde 1802 an einer malerischen Krümmung des Hudson River gegründet. Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges war es die wichtigste strategische Stellung, da es den Briten den Zugang zu den lebenswichtigen Wasserwegen nördlich von New York City versperrte. Im Juli 1942 trat mein Vater, der selbst Sohn eines Berufssoldaten war, ins Kadettenkorps von West Point ein, und dreißig Jahre später trat ich in seine Fußstapfen.
Die Academy erinnert Besucher daran, dass »ein Großteil der Geschichte, die wir lehren, von Führungspersönlichkeiten geschrieben wurde, die wir selbst ausgebildet haben«. Heute beansprucht sie, die wichtigste Rolle in Amerikas Vergangenheit zu spielen, und noch immer bringt sie die militärischen Führer der Zukunft hervor. West Points Mission besteht unter anderem darin, »das Kadettenkorps mit dem Ziel auszubilden, zu schulen und zu inspirieren, dass jeder Absolvent ein prädestinierter Führer von großem charakterlichem Format ist«.
Was die Erfahrung der zukünftigen Soldaten prägt, ist jedoch nicht das Leitbild von West Point. Vom ersten Tag an werden die Erwartungen, die Kadetten an sich selbst und an ihre Führer stellen, von der ständigen, intensiven und physisch präsenten Erinnerung an vergangene Führungspersönlichkeiten geprägt. Die in traditionellem Grau uniformierten Kadetten bewegen sich zwischen Ikonen, die einst die gleiche Uniform trugen. Ich lebte in Pershing Barracks, benannt nach dem Offizier, der die Amerikanischen Expeditionsstreitkräfte (American Expeditionary Forces, AEF) im Ersten Weltkrieg nach Frankreich geführt hatte. Immer wenn ich zum Unterricht in die Thayer Hall ging - benannt nach dem Offizier, der den Kurs der Academy in ihren Anfängen bestimmte - kam ich an einer Bronzestatue von George Patton, dem angriffslustigen General aus dem Zweiten Weltkrieg vorbei. Bei jeder Mahlzeit blickten die Porträts berühmter Offiziere auf uns herab - eine ständige Mahnung und Erinnerung, dass West Points Daseinszweck darin bestand, uns zu Führungspersönlichkeiten zu formen.
Gleichzeitig wurden wir aber auch daran erinnert, dass es nicht um uns selbst ging. Wir wurden ausgebildet und geformt, um der Nation zu dienen und die »Long Gray Line« von West Point - so werden die Ehemaligen bezeichnet, die ihr Leben der Academy und den Idealen der Nation verschrieben haben - fortzuführen.
Wir wurden über die Überzeugungen und Verhaltensweisen herausragender Militärführer unterrichtet, und zwar nicht von Theoretikern, sondern zum größten Teil von jungen Offizieren, die erst kurz zuvor von den Schlachtfeldern Südostasiens zurückgekehrt waren. Wir saugten ihre Erzählungen über die Kampfhandlungen auf wie ein Schwamm und beneideten sie um ihre Leistungen. Wir bewunderten ihre Integrität, ihren Mut und ihr Pflichtgefühl, und wir richteten unser Denken, unser Verhalten, unsere Ausdrucksweise und unser Auftreten danach aus. Indem wir das taten, so sagte man uns, würden aus uns vielleicht keine berühmten Führungspersönlichkeiten, aber gute Soldaten - und das glaubten wir auch. Wir selbst vermuteten, wenngleich darüber nie offen gesprochen wurde, dass einige von uns wahrscheinlich einmal die Geschichte schreiben würden, die zukünftige Kadetten später in West Point studieren würden.
Kurz nach meinem Abschluss wurde mir die erste Führungsaufgabe übertragen: Als Zugführer war ich in den 1970er-Jahren für 20 Fallschirmjäger verantwortlich. Zwar hatte die Armee als Institution nach dem Vietnamkrieg einige Probleme, aber die Mehrheit der Soldaten verrichtete ihre Arbeit wie die Generationen vor ihnen mit stoischem Gleichmut. Und wie Generationen von Militärführern vor mir erklomm ich die Karriereleiter vom Captain (Kommando über 150 Mann) über den Bataillonskommandeur (Kommando über 600 Mann) und Regimentskommandeur (rund 2.200 Mann) bis zum General.
An diesem Punkt führte mich meine Erfahrung auf ein Gebiet, das ich nicht in West Point studiert hatte. In der vom 11. September geprägten Atmosphäre verbrachte ich fast fünf Jahre im Irak und in Afghanistan als Kommandeur des Joint Special Operations Command (JSOC) - einer speziellen Task Force, die sich aus den besten Eliteeinheiten der Nation zusammensetzt. Im Alter von über 50 Jahren, geprägt von den Führungsmodellen vergangener Zeiten, war das für mich eine große Herausforderung. Ich stellte fest, dass das Kommando in einem technologiebestimmten militärischen Konflikt nicht nur traditionelle Kompetenzen, sondern auch Intuition und Anpassungsfähigkeit erforderte.
Während meines ganzen Berufslebens als Militärführer habe ich immer viel gelesen. Ich hatte eine ausgeprägte Vorliebe für Geschichte und las viele Biografien, zum Beispiel von George Washington und George Marshall, sowie die Memoiren von Ulysses S. Grant. Gelegentlich schafften es auch Romane auf meinen Nachttisch, allerdings hatten sie oft einen historischen und militärischen Hintergrund. Ich erinnere mich, dass ich von The Killer Angels fasziniert war, in dem der Autor Michael Shaara mir das Gefühl gab, ein Vertrauter der allseits bekannten Kommandeure der Schlacht von Gettysburg zu sein.
Zwar las ich sehr gerne über Geschichte und Militärführer, aber als ich älter wurde, stellte ich fest, dass die Führungskonzepte, die ich übernommen hatte, ohne sie zu hinterfragen, immer stärker den Erfahrungen widersprachen, die andere gemacht hatten und von denen ich gelesen hatte, und außerdem standen sie auch im krassen Gegensatz zu meinen eigenen Erfahrungen.
Der großbürgerliche Kriegsheld Robert E. Lee unterlag dabei dem unscheinbaren »Sam« Grant.2 Thomas Jeffersons inspirierende Ideen standen in krassem Gegensatz zu seiner Eigenschaft als Sklavenhalter. Und die neuen Erkenntnisse über die erfolgreiche Dechiffrierung des Enigma-Codes durch die Alliierten machen deutlich, dass die Siege, die einst einer überlegenen militärischen Kampfstrategie zugeschrieben wurden, in Wahrheit das Ergebnis einer Kombination aus anderen Faktoren waren.
Ich stellte fest, dass Militärführer, die all die »richtigen« Führungseigenschaften aufwiesen, oft versagten, wohingegen andere, die keine der traditionellen Führungseigenschaften besaßen, erfolgreich waren. Die Qualitäten, die wir in Führern suchten und feierten, hatten irritierend wenig mit den Ergebnissen zu tun, die sie erzielten. Der Begriff der Führungskompetenz schien zunehmend zum Mythos zu werden, und zwischen den traditionellen Konzepten und den tatsächlichen Erfahrungen tat sich eine riesige Kluft auf.
Im Herbst 2010 wurde dieser...
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