Schweitzer Fachinformationen
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Hallo. Ich bin Dr. Cohen.
Sie sind nicht der Dr. Cohen, den ich erwartet habe.
Tut mir leid. Sie dachten wahrscheinlich an Dr. Robert Cohen.
Ja. An Dr. Cohens herrscht wahrscheinlich kein Mangel.
Wahrscheinlich nicht. Wie fühlen Sie sich? Geht es Ihnen gut?
Ob es mir gut geht.
Ja.
Ich bin in der Klapsmühle.
Na ja. Davon abgesehen, meine ich.
Wie lange machen Sie das schon?
Etwa vierzehn Jahre.
Sie nehmen das hier auf.
Ich glaube, so war es vereinbart. Ist das in Ordnung?
Wahrscheinlich. Da dachte ich noch, Sie wären jemand anders.
Also nicht in Ordnung.
Nein, ist schon okay. Obwohl ich darauf hinweisen sollte, dass meine Einwilligung nur für Gespräche gilt. Nicht für irgendeine Art von Therapie.
Ja. Gibt es irgendetwas, das Sie mich fragen möchten? Bevor wir anfangen.
Wir haben schon angefangen. Was zum Beispiel?
Vielleicht sollten Sie etwas von sich selbst erzählen.
Oh Mann.
Nein?
Was wird das hier? Malen nach Zahlen?
Wie bitte?
Schon gut. Ich bin nur so naiv, dass ich immer wieder denke, es wäre vielleicht möglich, diese Erkundungen auf einem Vektor durchzuführen, der nicht durch Heuchelei total ins Unplausible gelenkt wird.
Was meinen Sie? Meinen Ton?
Schon gut. Wir machen's auf Ihre Art. Was soll's.
Tja. Ich möchte nicht, dass wir auf dem falschen Fuß anfangen. Ich dachte nur, Sie wollen mir vielleicht erzählen, warum Sie hier sind.
Ich konnte nirgendwo anders hin.
Und warum hierhin?
Ich war schon mal hier.
Und warum ursprünglich?
Weil sie mich in St. Coletta nicht haben wollten.
Und warum St. Coletta?
Dahin haben sie Rosemary Kennedy gebracht. Nachdem ihr Vater ihr das Hirn hat verschmoren lassen.
Haben Sie eine Verbindung zur Familie Kennedy?
Nein. Ich wusste auch nichts von psychiatrischen Kliniken. Ich dachte nur, wenn sie diesen Ort für sie ausgesucht hatten, musste es wohl ein ziemlich guter Ort sein. Ich glaube, das Hirn haben sie ihr irgendwo anders verschmort.
Sie sprechen von Lobotomie?
Warum haben sie das mit ihr gemacht?
Weil sie absonderlich war und ihr Vater Angst hatte, jemand könnte sie vögeln. Sie war nicht, was er sich vorgestellt hatte.
Ist das wahr?
Ja. Leider.
Warum hatten Sie das Gefühl, Sie müssten irgendwohin gehen?
Sie meinen diesmal?
Ja. Diesmal.
Ich hatte es einfach. Ich hatte Italien verlassen. Wo mein Bruder im Koma lag. Sie wollten den Stecker ziehen und setzten mir zu. Ich sollte mich einverstanden erklären. Ich sollte die Papiere unterschreiben. Also bin ich geflohen. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.
Sie haben es nicht über sich gebracht? Die lebenserhaltenden Geräte abschalten zu lassen?
Ist er hirntot?
Ich will nicht über meinen Bruder sprechen.
Na gut. Sagen Sie mir nur, warum er im Koma liegt.
Er hatte einen Autounfall. Er war Rennfahrer. Ich will wirklich nicht.
Na gut. Gibt es etwas, das Sie mich fragen wollen?
Was denn?
Irgendwas. Zu meiner Person, wenn Sie wollen. Darf ich Sie Alicia nennen?
Ich soll Ihnen Fragen über Sie selbst stellen.
Wenn Sie wollen.
Sie lehren an der Uni.
In Madison. Ja.
Ich weiß, wo die Uni ist. Für einen Akademiker sind Sie ziemlich gut gekleidet.
Danke.
Das war kein Kompliment. Sie sind kein Psychoanalytiker.
Ich bin Psychiater.
Sie sind kein Arzt.
Doch, bin ich.
Was sonst noch?
Ich bin verheiratet und habe zwei Kinder. Meine Frau leitet ein städtisches Kinderprogramm. Ich bin dreiundvierzig.
Was tun Sie, wenn es niemand sieht?
Nichts. Und Sie?
Ich rauche hin und wieder eine Zigarette. Ich trinke nicht und nehme keine Drogen. Oder Medikamente. Ich nehme an, Sie haben keine Zigaretten.
Nein. Aber ich könnte welche mitbringen.
Okay.
Was noch?
Ich führe heimliche Gespräche mit angeblich nicht existenten Figuren. Man hat mir vorgeworfen, ich würde die Männer Sie-wissen-schon-was machen, aber ich finde, das stimmt nicht. Die Leute scheinen mich interessant zu finden, aber ich habe es mehr oder weniger aufgegeben, mit ihnen zu reden. Ich rede mit meinen Mitverrückten.
Sie sprechen nicht mit anderen Mathematikern?
Nicht mehr. Na ja. Mit einigen.
Warum?
Das ist eine lange Geschichte.
Beschäftigen Sie sich noch immer mit Mathematik?
Nein. Nicht mit dem, was Sie als Mathematik bezeichnen würden.
Mit welchem Zweig der Mathematik haben Sie sich beschäftigt?
Mit Topologie. Mit der Topos-Theorie.
Aber das tun Sie jetzt nicht mehr.
Nein, ich bin abgelenkt worden.
Was hat Sie abgelenkt?
Die Topologie. Die Topos-Theorie.
Vielleicht sollten wir das fürs Erste ausklammern.
Gut. Ich hatte sowieso keine Ahnung.
Das überrascht mich. Hätten Sie nicht Hilfe von anderen Mathematikern bekommen können?
Nein. Die hatten ja auch keine Ahnung.
Sind Sie sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich das aufnehme?
Klar. Was ist, wenn ich vögeln oder so sage? Ich glaube, ich hab's schon mal gesagt. Und jetzt wieder.
Ich weiß nicht. Ich glaube, die Vereinbarung war, dass Sie nichts im Nachhinein verändern können.
Das war nicht ernst gemeint.
Aha.
Alicia ist okay. Das gefällt mir besser als Henrietta.
Das war schon wieder nicht ernst gemeint.
Nein.
Na gut. Sie wollen mir nichts über ihren Bruder erzählen?
Das klingt wie das Eliza-Programm. Nein, will ich nicht.
Sie meinen das psychiatrische Computerprogramm.
Na gut. Worüber möchten Sie denn sprechen?
Ich weiß nicht. Ich glaube, ich will bloß ein bisschen klugscheißen. Wenn wir wirklich miteinander sprechen wollen, müssen wir wenigstens einen Teil von dem Quatsch weglassen. Meinen Sie nicht? Oder doch?
Ja. Ich glaube, Sie haben absolut recht.
Wie zum Beispiel das jetzt.
War das Quatsch?
Natürlich war das Quatsch. Nie im Leben glauben Sie, dass ich absolut recht habe.
Ich verstehe.
Und sagen Sie bitte nicht: Ich verstehe.
Es soll nur heißen, dass ich versuche, Ihren Standpunkt zu verstehen. Sind Sie mit irgendjemandem in Kontakt?
Sie meinen echte Menschen?
Vorzugsweise, ja.
Eigentlich nicht.
Keine Mathematiker? Niemand von der Uni?
Ich dachte, wir wollten nicht über Mathematik sprechen.
Na gut.
Ich schreibe noch immer an Grothendieck, aber er hat das IHES verlassen und antwortet mir nicht. Das ist in Ordnung. Ich habe es auch nicht erwartet.
Ist er Mathematiker?
Ja. Er war es jedenfalls.
Wo lebt er?
Ich weiß nicht. Ich nehme an, er ist noch in Frankreich.
Es ist kein sehr französischer Name.
Es ist überhaupt kein französischer Name. Sein Vater hieß Schapiro. Später Tanarow. Er ist staatenlos. Als Kind wurde er während des Krieges interniert. Er konnte fliehen und sich verstecken. Sein Vater wurde in Auschwitz ermordet.
Wohin schicken Sie Ihre Briefe?
An das IHES. Sie wissen nicht, wer er ist, stimmt's?
Schon in Ordnung. Wir waren befreundet. Wir sind befreundet. Wir teilen die gleiche Skepsis.
In Hinblick auf was?
Auf die Mathematik.
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen folgen kann.
Schon gut.
Sie sind skeptisch in Hinblick auf die Mathematik?
Hat eines der Fachgebiete Sie enttäuscht? Ich weiß nicht, wie man in Hinblick auf die ganze Mathematik skeptisch sein kann.
Ich weiß.
Aber die Mathematik hat Sie enttäuscht.
So könnte man es ausdrücken.
Wie hat sie das getan?
Tja, in diesem Fall wurde sie angeführt von einer Gruppe schlimmer, abweichender und durch und durch bösartiger partieller Differenzialgleichungen, die sich gegen die fragwürdigen Schaltkreise im Gehirn ihres Erschaffers verschworen hatten, um ihnen, ganz ähnlich wie in der von Milton beschriebenen Rebellion, die Herrschaft über ihre eigene Realität zu entreißen und die Flagge einer unabhängigen Nation zu hissen, die weder Gott noch Menschen Rechenschaft schuldet. Oder so.
Sie finden meine Fragen naiv.
Entschuldigung. Nein. Tue ich nicht. Der Fehler liegt nicht beim Fragenden.
Ist er ein bedeutender Mathematiker? Ihr Freund.
Grothendieck. Er gilt allgemein als der bedeutendste Mathematiker das zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn man außer Acht lässt, dass Hilbert und Poincaré und Cantor bis ins zwanzigste Jahrhundert gelebt haben. Und das sollte man, denn ihre wichtigsten Arbeiten stammen allesamt aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und ich bin kein allzu großer Fan von Neumanns.
Tut mir leid, aber diese Namen kenne ich nicht.
Ich weiß. Das ist schon in Ordnung. Nein, eigentlich nicht. Aber es ist okay.
Grothendieck.
Haben Sie mit ihm zusammengearbeitet?
Ich weiß nicht, ob Sie es Arbeit nennen würden. Wir haben viel geredet. Er kam dienstags ins Institut. Und ich habe viel Zeit in seinem Haus verbracht. Mit der Familie gegessen. Die Gespräche danach gingen bis tief in die Nacht. In gewisser Weise waren wir in derselben Klapsmühle. Das Institut war für ihn und einen anderen Mathematiker namens Dieudonné gegründet worden, von einem reichen und komplett verrückten Russen namens Motchane - sofern das sein richtiger Name war. Vorbild war das IAS. In Princeton. Einer der Berater war Oppenheimer. Ich war ein Jahr lang dort, aber...
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