Schweitzer Fachinformationen
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Die Kerzenflamme und ihr im Wandspiegel gefangenes Ebenbild flackerten kurz auf, als er den Flur betrat; und noch einmal, als er die Tür schloss. Er nahm den Hut ab und trat langsam näher. Die Dielen knarrten unter den Stiefeln. Im schwarzen Anzug stand er im dunklen Glas, wo die Lilien sich tiefblass aus ihrer taillierten geschliffenen Vase neigten. Hinter ihm, über der schmalen Wandtäfelung im kalten Flur, hingen die glasgerahmten, matt erleuchteten Porträts von Ahnen, die ihm nur vage bekannt waren. Er blickte hinunter zum tropfenden Kerzenstummel. Presste seinen Daumenabdruck in die warme Wachspfütze auf dem Eichenfurnier. Schließlich betrachtete er das verhärmte eingefallene Gesicht zwischen den Leichentuchfalten, den vergilbten Schnurrbart, die papierdünnen Lider. Das Gesicht schlief nicht. Schlief nicht.
Es war dunkel draußen, kalt und windstill. In der Ferne blökte ein Kalb. Er stand da, den Hut in der Hand. Du warst doch sonst immer ganz anders gekämmt, sagte er.
Im Haus war alles ruhig, bis auf das Ticken der Kaminuhr im Vorderzimmer. Er ging wieder nach draußen und schloss die Tür.
Dunkel, kalt und windstill; am Ostrand der Welt tauchte ein schmales graues Riff auf. Er marschierte hinaus in die Prärie und blieb stehen; den Hut in der Hand, stand er eine ganze Weile wie ein Bettler vor der umfassenden Düsternis.
Er wollte gerade zurück, da hörte er den Zug. Er blieb wieder stehen und sah ihm entgegen. Spürte ihn unter den Füßen. Der Zug drang aus dem Osten wie ein klotziger Satellit der aufgehenden Sonne, fernes Heulen und Röhren, der lange Scheinwerferstrahl glitt durchs Mezquitogestrüpp, schuf aus der Nacht die endlose Schanze des kahlen geraden Bahndamms, sog sie mit Leitung und Mast wieder ein, meilenweit in die Dunkelheit, hinten, am zarten neuen Horizont, löste sich träge der Kesseldampf auf, hinterherschallender Lärm, er stand immer noch da, den Hut in den Händen, und blickte dem Erderschütterer nach, bis er verschwunden war. Dann machte er kehrt und marschierte zurück zum Haus.
Als er eintrat, hob sie den Blick vom Herd und musterte ihn in seinem Anzug von oben bis unten. Buenos días, guapo, sagte sie.
Er hängte den Hut an einen Haken neben der Tür, zwischen Wettermäntel, Umhänge und überzählige Nägel; dann ging er zum Herd, nahm seinen Kaffee und stellte ihn auf den Tisch. Sie öffnete den Backofen, zog ein Blech mit süßen Brötchen heraus, legte eines davon auf einen Teller und servierte es ihm mit einem Buttermesser; dann strich sie ihm mit der Hand über den Hinterkopf und kehrte wieder zurück an den Herd.
Nett von dir, dass du die Kerze angezündet hast, sagte er.
Cómo?
La candela. La vela.
No fui yo, sagte sie.
La señora?
Claro.
Ya se levantó?
Antes que yo.
Er trank seinen Kaffee. Draußen wurde es grieselig hell; Arturo marschierte aufs Haus zu.
Er sah seinen Vater bei der Beerdigung. Er stand allein auf der anderen Seite des Kieswegs, nahe am Zaun. Einmal ging er hinaus auf die Straße zu seinem Wagen. Kurz darauf kehrte er wieder zurück. Vormittags war Nordwind aufgekommen, Schneegeriesel und Staubwirbel durchzogen die Luft; die Frauen saßen da und hielten ihre Hüte fest. Das über der Grabstelle errichtete Zeltdach bot gegen die seitlich blasenden Böen keinen Schutz. Die Plane raschelte und flatterte; die Worte des Priesters verflogen im Wind. Dann war alles vorbei; als die Trauernden aufstanden und sich zum Gehen wandten, wehten ihre Klappstühle davon und purzelten zwischen die Grabsteine.
Abends sattelte er sein Pferd und verließ das Haus in westlicher Richtung. Der Wind hatte sich fast gelegt, und es war sehr kalt; vor ihm, unter den blutroten Wolkenriffen, kauerte blutrot und elliptisch die Sonne. Er ritt die übliche Strecke, wo die alte, von Norden aus dem Kiowagebiet nach Westen führende Comanchenroute abzweigte und dabei den äußersten Westrand der Ranch streifte; ihre schwache, südwärts ziehende Spur ließ sich durch die karge Prärie zwischen der nördlichen und mittleren Gabelung des Concho River verfolgen. Er ritt zur üblichen Stunde, wo die Schatten lang waren und die alte Route sich im rosenfarbenen schrägen Licht abzeichnete wie ein Traum aus der Vergangenheit, als die bemalten Mustangs und Reiter jenes verlorenen Stammes von Norden kamen, die Gesichter geweißt, die langen Haare gezwirbelt, jeder gewaffnet zum Krieg, der ihr Leben war, die Frauen und Kinder, Frauen mit Kindern an ihren Brüsten, alle dem Blut verpfändet und alle in Blut nur erlösbar. Wenn der Nordwind wehte, hörte man sie, die Pferde, ihr Schnauben und die in Rohleder gehüllten Hufe, das Klirren der Lanzen, das stete Schleifen der Schleppgerüste im Sand, wie eine vorüberkriechende Riesenschlange, die Knaben nackt auf ihren Wildpferden, lässig wie Zirkusreiter, Mustangs antreibend, die trottenden Hunde mit schlaff heraushängenden Zungen, die Sklaven folgten halbnackt und schwer beladen zu Fuß, und über allem der leise Singsang des Reiterlieds, Stamm und Geisterstamm zogen in sanftem Choral durch die mineralische Einöde dem Dunkel entgegen, verloren für Geschichte und für Erinnerung, gleich einem Gral, Summe ihres weltlichen, vergänglichen und kriegerischen Lebens.
Er ritt weiter, die Sonne verkupferte sein Gesicht, der rote Wind blies von Westen. Er wandte sich südwärts, den alten Kriegspfad entlang, und ritt eine flache Anhöhe hinauf; dort saß er ab, ließ die Zügel los, ging ein paar Schritte und blieb stehen, als sei er am Ziel.
Im Gestrüpp lag ein alter Pferdeschädel; er ging in die Hocke, hob das Ding auf und drehte es hin und her. Zerbrechlich und spröde. Papierweiß verblichen. Er hockte im länglichen Licht und hielt den Schädel fest, die grotesken Zähne locker in ihren Höhlen. Die Nähte zwischen den Knochenplatten wie gezackte Schweißspuren. Das lautlose Rieseln von Sand in der Hirnschale, als er den Schädel umdrehte.
An Pferden gefiel ihm, was ihm auch an Menschen gefiel: Rasse und das feurige Blut, das sie trieb. Seine Verehrung, seine Liebe, seine ganze Neigung galt den Heißherzigen, und so würde es immer bleiben und sich niemals ändern.
Er ritt zurück in die Düsternis. Das Pferd beschleunigte den Schritt. Hinter ihm fächerte das letzte Tageslicht langsam über die Ebene und zog sich im kühlenden Blau von Schatten, Dämmer und Frost wieder hinter die Ränder der Welt zurück; ein paar letzte einsame Vogelzwitscher ertönten im dunklen Borstengesträuch. Er überquerte erneut die alte Route und musste den Mustang heimwärts in Richtung Ebene lenken, aber die Krieger, zu Schemen geworden, ritten weiter dahin, klirrten vorüber mit ihrem steinalten Kriegsgerät, wesenlos, unter leisen blutvollen Gesängen strebten sie über die Ebenen sehnsüchtig südwärts nach Mexiko.
Das Haus war achtzehnhundertzweiundsiebzig erbaut worden. Siebenundsiebzig Jahre später war sein Großvater noch immer der Einzige, der darin gestorben war. Wer sonst in jenem Flur aufgebahrt lag, den hatte man auf einem Gatter oder in einer Wagenplane gebracht, oder ihn in einer Lattenkiste aus grobgezimmertem Kiefernholz abgeliefert; am Eingang stand dann ein Fuhrmann mit einem Frachtbrief. Wenn überhaupt jemand gebracht wurde. Meistens erfuhr man vom Tod gerüchtweise. Durch einen vergilbten Zeitungsfetzen. Einen Brief. Ein Telegramm. Die Ranch maß, dem ältesten Grundbucheintrag zufolge, ursprünglich zweitausenddreihundert Morgen, das Haus war zuvor, achtzehnhundertsechsundsechzig, eine Hütte aus Latten und Flechtwerk mit nur einem einzigen Raum. Im selben Jahr ging der erste Viehtreck durch das Gebiet, damals noch Bexar County, und zog über den Nordrand der Ranch weiter nach Fort Sumner und Denver. Fünf Jahre später trieb sein Urgroßvater sechshundert Rinder durch; mit dem Erlös baute er das Haus, da umfasste die Ranch bereits achtzehntausend Morgen. Achtzehnhundertdreiundachtzig wurde der erste Stacheldrahtzaun gezogen. Sechsundachtzig gab es keine Büffel mehr. Im damaligen Winter ein schlimmes Massensterben. Neunundachtzig wurde Fort Concho geräumt.
Sein Großvater war von acht Jungen der älteste und zugleich der einzige, der älter wurde als fünfundzwanzig. Die anderen ertranken, wurden erschossen, von Pferden zu Tode getreten....
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