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Humphrey Murray löste den Kronkorken von der Flasche und genehmigte sich einen erfrischenden Schluck Theakston Ale. Er hatte allen Grund, sich das Bier schmecken zu lassen. Trotz des Unwetters, das den Himmel vor seiner Haustür frühzeitig verfinsterte, war die Stimmung im Stadion ungebrochen und würde sich zu wahrer Ekstase entwickeln. Da - schon der nächste Konter!
Kein Abseits! Stapleton hatte von Jesper Olson über den rechten Flügel einen schönen Zuckerpass serviert bekommen und chippte ihn nun gekonnt über die hervorschnellenden Beine von Chris Fairclough, der sich stochernd dazwischenwerfen wollte. Tolle Parade und Abschuss! Nottinghams Keeper Han Segers konnte den Ball auf der Linie parieren, jedoch nicht mehr festhalten. Nachschuss musste folgen, Ballannahme und in die obere rechte Ecke gezielt . Tor! Anschlusstreffer durch Frank Stapleton nach der ersten Versenkung von John Gidman, der dem gegnerischen Hüter von Nottingham Forest keine Chance mehr ließ. Manchester führte bei diesem Auswärtsspiel damit in der ersten Hälfte schon mit 2:0. Humphrey hielt es nicht mehr in seinem Sessel, er riss die Arme in die Luft, ein euphorischer Yeah-Ruf entwich ihm.
Anhänger des Klubs wie er feierten nun ganz ungeniert sich selbst und ihre Mannschaft. Es stand außer Frage, dass man Liverpool und Tottenham hinter sich lassen würde. Aber wenn es dem Team gelänge, dieses Niveau noch bis zum Ende der Saison durchzuhalten, könnte man sogar Everton vom Thron stoßen. Ja, mit diesen prächtigen Kerlen auf dem Platz schien nichts unmöglich. Die aufgeheizte Stimmung im Stadion von Old Trafford drückte sich durchs Klatschen Tausender Hände, grölende Fanchoräle und die begeisterten Kommentare des Moderators aus.
Bis schließlich alle plötzlich verstummten. Auch Humphrey schwieg im selben Moment. Seine Fassungslosigkeit wurde sogleich durch einen Wutanfall abgelöst.
»Ich glaube es einfach nicht!«, entfuhr es ihm. Er schrie laut auf und lief erregt im Wohnzimmer auf und ab, stieß sich dabei den kleinen Zeh am Fußschemel, den er im schummrigen Dämmerlicht nicht mehr rechtzeitig gesehen hatte. Stromausfall! Licht und Fernseher waren zeitgleich ausgeknipst worden. Daran musste dieses scheppernde Gewitter über ihren Köpfen schuld sein. Seit dem Nachmittag kam es von der Küste unaufhaltsam näher, entlud sich nun mit kriegerischem Gebrüll über Rotherham und ließ den späten Nachmittag vorzeitig die Nacht begrüßen. Unter der dichten Wolkendecke war die Sonne vollkommen ausgesperrt.
»Ich fasse es nicht! Ausgerechnet jetzt!«
»Ich . ich schau mal nach dem Schaltkasten«, sagte seine Frau Linda diplomatisch und warf ihr Klatschmagazin hastig weg, in welchem sie gerade noch so vertieft geblättert hatte. Linda wusste, dass Humphrey ein Fußball-Match wichtiger war als ihre Ehe. Und wenn er nicht bekam, was er wollte, konnte Humphrey auch schnell mal zu einem Bogart werden. Sie stand auf, tapste vorsichtig aus dem Wohnzimmer und warf einen Blick durch die beschlagenen Fensterscheiben. Draußen goss es bereits wie aus Eimern, und langsam züngelten die ersten Blitze durch die finstere Wolkendecke wie feurige Schlangen.
Linda wollte nach den Leitungen schauen, eine undankbare Aufgabe, die bei ihren Freundinnen in der Regel von deren Männern übernommen wurde. Denn bei solch alten Bauten war der Schaltkasten noch draußen angebracht. Als sie durch den Matsch zur Außenfassade ihres kleinen, zweigeschossigen Landhauses watete, um dort den Stromkasten zu öffnen, bemerkte sie, dass keine der Sicherungen herausgesprungen war. Allerdings wunderte sie dies nicht, schließlich hatte sie im Vorfeld auch keinen Blitzeinschlag wahrgenommen. Vermutlich gab es Probleme mit dem Umspannungswerk, aber der Notfallstrom sollte sie sicher bald erreicht haben und dafür sorgen, dass Humphrey wieder ein Licht aufginge.
Da sie fürchtete, dass ihr Mann seine durch die unfreiwillige Pause forcierte schlechte Laune nun an ihr auslassen würde, hatte Linda es nicht sehr eilig, ins Haus zurückzukommen. Sie ließ sich lieber etwas Zeit und nahm es sogar in Kauf, dabei durchnässt zu werden. Schon seit Längerem zog es sie immer weniger in die eigenen vier Wände. Doch daran war nicht ausschließlich Humphreys impulsives Verhalten schuld. Linda fühlte sich schon lange nicht mehr wohl in ihrem Heim, und jeder Ausgang war für sie eine willkommene Erleichterung.
Als sie das Haus endlich wieder betrat, musste sie entsetzt feststellen, dass noch immer keine Elektrizität vorhanden war.
»Was ist denn los?«, fragte ihr Mann gereizt.
»Mit der Sicherung ist alles in Ordnung. Es muss am Generator liegen, der wohl noch nicht wieder angesprungen ist.«
»Und was denkst du, soll ich jetzt in der Zwischenzeit machen?«, fragte er herausfordernd. Seine Lippen bebten und entblößten dabei seine krummen Schneidezähne.
»Ich kann doch auch nichts dafür, Liebling.«
»Liebling?«, wiederholte er laut, als hätte sie ihn gerade übelst beleidigt. »Wir seifen gerade Nottingham ein! Und ich bin nicht dabei. Die Jungs brauchen mich. Verstehst du das?«
»Wieso rufst du nicht Duncan an und fragst, ob bei ihm auch der Strom abgeschaltet wurde? Du könntest das Spiel dann dort sehen?«, schlug Linda begütigend vor.
»Du dumme Gans! Wie soll ich ihn denn deiner Meinung nach anrufen, wenn wir keinen Strom haben?«, fragte er verärgert und raufte sich dabei das Haar.
»Tut mir leid, ich dachte nur .«
»Du sollst nicht denken! Und bei diesem Wetter fahre ich auch sicher nicht zu Duncan. Das ist wieder so typisch egoistisch von dir! Verdammt, ich werde morgen wie ein Vollidiot auf der Arbeit aussehen und mir das Spiel von meinen Kollegen erklären lassen müssen! Ich glaube, heute Abend gehe ich früh ins Bett, sofern ich überhaupt ein Auge zukriege«, schnauzte er sie an und dampfte daraufhin wie ein alter Traktor ins Badezimmer, wo er sich wütend einschloss.
Humphrey war nicht immer so zu Linda gewesen. Einst hatten die Murrays eine glückliche Beziehung in gegenseitiger Zuneigung geführt. Mit allem, was dazugehörte. Kennengelernt hatten sie sich, als beide gemeinsam in derselben Emaillefabrik gearbeitet hatten, bevor diese, wie so ziemlich alles in der Stadt, den Bach runterging und geschlossen wurde. Eine Hochzeitsreise nach Malta, später ein eigenes Haus, aber vor allem viele gemeinsame Erinnerungen waren es, was beide miteinander verband. Da hatte es sie auch nie gegrämt, dass sie keine Kinder bekommen hatten, um ihr Glück perfekt zu machen. Beide erfreuten sich bester Gesundheit und hatten mittlerweile Jobs, dank denen sie sorgenfrei leben konnten, wenngleich sie nicht gerade in Geld schwammen.
Doch seit etwa zwei Jahren war die Stimmung in ihrem Haus gereizt. Etwas hatte sich zwischen das Pärchen bugsiert und trieb die beiden langsam auseinander. Humphrey war angespannter und nervöser, ließ sich leicht provozieren und schnell zu etwas hinreißen. Linda hegte deshalb schon seit Längerem den Verdacht, dass er sie hinterging. Aber auch sie kam mit der neuen Situation nicht zurecht. Linda wollte es sich nicht eingestehen, doch in diesem Haus beschlich sie eine gewisse Furcht. Ohne genau zu wissen, wovor sie Angst hatte, ertappte sie sich immer häufiger dabei, dass sie sich beobachtet fühlte und einen nervösen Blick über ihre Schulter warf. Doch nie hatte sie etwas entdecken können. Besonders nachts, wenn sie in ihrem Bett lag, glaubte Linda Schritte von unten zu hören, hatte sich aber nie getraut, der Sache nachzugehen oder ihren Mann darauf anzusprechen. Denn seit Jahren lebte das Paar nun schon in diesem bescheidenen Anwesen, und es war nie etwas vorgefallen. Linda stellte sich die Frage, ob vielleicht nicht das Haus, sondern sie sich verändert hatte.
Nach einer ausgiebigen Dusche kam Humphrey schließlich aus dem Badezimmer und verdrückte noch ein paar Scheiben Weißbrot. Erst jetzt wagte sich Linda wieder hervor. Sie genossen ohnehin kaum noch ein gemeinsames Abendbrot, und wenn doch, verlief es schweigend ohne jegliche Anteilnahme oder Interesse am anderen.
Als Linda schließlich am frühen Abend die Treppe nach oben ins Schlafzimmer nahm, kam sie an jener Stelle vorbei, an der ihr stets bange wurde. An der Wand zu ihrer Rechten hing eine Reihe von Gemälden mit verzierten Rahmen. Alle waren klassische Darstellungen von Stillleben, Landschafts- und Porträtaufnahmen im Stil des Biedermeier mit einem Hauch von schwammigem Impressionismus. Sie zelebrierten Motive verschiedenster Art. Ein Tisch mit ausgekipptem, barockem Tintenfass, daneben die Abbildung eines romantisch verklärten Sonnenuntergangs über einem Weiher. Keine allzu große Kunst und auf der Kulturbörse sicher unter null gehandelt, aber dennoch Kunsthandwerk. Es war eben Kunst für den kleinen Mann - zugegeben: den spießigen kleinen Mann.
Als Linda die Treppe weiter hinaufstieg, erkannte sie die vergilbten Umrisse auf der cremefarbenen Tapete, wo bis vor kurzem ebenfalls noch ein Gemälde gehangen hatte. Linda hatte es persönlich abgenommen, nachdem sie das Bild nicht länger hatte ertragen können, sondern sich irgendwann davor gefürchtet hatte, die Treppe zu benutzen, da sie so unweigerlich daran vorbeihuschen musste.
Auch Humphrey spürte die beklemmende Wirkung, die von den Ölfarben auszugehen schien, erzählte Linda aber nichts davon. Brauchte er auch nicht, sie wusste, dass er abends Albträume hatte und dass diese immer schlimmer wurden. Bei ihr war es nicht anders. Im Schlaf suchten Linda die gleichen Augen heim, welche ihr auch auf der Treppe aufgelauert...
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