Schweitzer Fachinformationen
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Die Hütte ist warm, aber ich klappere mit den Zähnen. Meine Gedanken winden sich, zwingen mich zu der Vorstellung, wie eine Kugel mir den Bauch aufreißt und das Blut rausschießt. Wie viele Kugeln bräuchte es wohl, um mich zu töten? Wie würde ich als Leiche aussehen? Mein Leben lang war der Tod zugegen, und trotzdem macht er mir Angst. Das Unerklärliche an ihm beunruhigt mich. Wie jemand da sein und nicht da sein kann, noch Teil unserer Welt, aber schon woanders, mit einer für Frischluft unzugänglichen Nase, mit für immer geschlossenen Augen, einem auf ewig versiegelten Mund, ein Mensch, aber nur ein Ding. Ich hasse diese Welt, aber ich möchte sie auch nicht vorzeitig verlassen. Ich möchte lange leben, möchte sehen, was das Leben mir nach einer verkorksten Kindheit bietet, aber ich weiß, dass der Tod danach giert, mich zu holen. Die Reise, die Papa und mich wieder vereint, beginnt vielleicht schon morgen. Das eine Mal, nach der Beerdigung einer meiner Freundinnen, fragte ich Papa nach dem Übergang von dieser in die nächste Welt, wie einsam und gefährlich er sei, und Papa sagte, der Übergang sei bei jedem anders, je nachdem, was für ein Leben man geführt habe; Worte, die mich nicht trösteten. »Du stirbst noch ganz lange nicht, Thula«, sagte Papa. Eine Lüge, das wussten wir beide. Denn wer kann einem anderen Menschen versprechen, dass er lange lebt?
Mama bindet das Seil fest, das unsere Eingangstür geschlossen hält. Ihre Hände zittern, als sie einen Knoten nach dem anderen macht, anscheinend überzeugt, dass eine fest verschlossene Bambustür das Eindringen der Soldaten verhindert. Sie beeilt sich, um das Gleiche mit der Hintertür zu machen. Juba und ich sitzen mit unserer Yaya, im Wohnzimmer; Juba auf ihrem Schoß, ich auf dem Hocker neben ihr. Mit der einen Hand streicht sie Juba über den Kopf, mit der anderen umfasst sie meine Schulter. Abgesehen von den Geräuschen, die Mamas Anstrengungen machen, ist es still in unserer Hütte. In ganz Kosawa ist es still.
»Kommt, ihr Lieben«, sagt Yaya liebevoll, »gehen wir schlafen. Wir müssen uns ausruhen für das, was der Tag morgen bringt.« Derart in Ruhe gehüllt, habe ich sie nicht mehr erlebt, seit Papa fort ist. »Wenn irgendwer kommt, um uns irgendwas zu nehmen, geben wir es her, selbst wenn es unser Leben ist.«
»Bongo und alle anderen Männer schärfen gerade ihre Macheten«, sagt Mama, als sie wieder ins Wohnzimmer tritt. Ihre Stimme bebt. »Wenn diese Soldaten glauben, sie könnten einfach kommen und .«
»Aber Mama, die Soldaten haben Waffen«, sage ich und kämpfe mit den Tränen. Bevor Papa uns verließ, ermahnte er mich, nur zu weinen, wenn es gar nicht anders gehe. »Wie helfen uns da Macheten?«
»Jakani und Sakani machen das schon«, erwidert Mama.
Ich stelle keine weiteren Fragen. Die Zwillinge - unser Dorfmedium und unser Medizinmann - können Sachen, die sind einfach unglaublich. Sie sind jenseits von normal, aber sie sind sterblich; auch auf sie wartet der Tod.
»Heute schlafen wir alle bei mir im Zimmer«, sagt Yaya, die in die Ferne starrt. »Wir träumen den gleichen Traum, vielleicht einen Traum, in dem wir Papa und Big Papa sehen.«
Wieder schweigen wir, lauschen der Stille draußen. Yaya steht als Erste auf, stützt sich auf ihren Stock. Juba und ich folgen ihr. Ohne uns den Mund auszuspülen oder die Schlafsachen anzuziehen, legen wir uns zu ihr, einer rechts und einer links. Mama schläft auf dem Boden, hat niemanden neben sich, der sie tröstet, jetzt, wo Papa fort ist und die Tradition es ihr verbietet, je wieder das Bett mit einem Mann zu teilen. Juba und Yaya gleiten in den Schlaf - ihr Atmen geht in leichtes Schnarchen über -, aber Mama und ich werden sicher wie fast alle in Kosawa die ganze Nacht wach liegen; echten Frieden schenkt das Leben nur den ganz Jungen und den ganz Alten. Meine Gedanken lassen sich nicht aufhalten, sie spulen vor zu dem Moment, wenn die Soldaten Mama und Yaya und Juba vor mir töten. Wie lange werde ich wohl in der Luft hängen zwischen dieser und der nächsten Welt, bevor ich mich inmitten meiner Verwandten wiederfinde, die mich hoffentlich willkommen heißen und mir beibringen werden, in ihrer Welt zu Hause zu sein. Mögen sie mir helfen, die wenigen guten Sachen dieser Welt zu vergessen. Vielleicht wird es ganz leicht, mich an das Land jenseits aller Vorstellungen zu gewöhnen. Papa und Big Papa sind schon da, Mama, Yaya, Juba und Bongo werden mich dorthin begleiten. Wir werden wieder zusammen sein, aber zuerst müssen wir sterben.
Mamas und Papas Ermahnung, nie auch nur in die Nähe des großen Flusses zu gehen, ist meine allererste Erinnerung. Wie hätte ich ohne ihre Warnung wissen können, dass Flüsse normalerweise nicht mit Öl und Giftmüll überzogen sind? Wie hätten meine Freunde und ich ohne unsere Eltern und ihre Geschichten von einem sauberen Kosawa und dem Schwimmen in sauberen Flüssen wissen sollen, dass der gelegentliche Rauch, der das Dorf einhüllte und unsere Augen und Nasen reizte, nicht zum normalen Alltag anderer Kinder unseres Alters gehört?
In dem Jahr, in dem meine Freunde und ich geboren wurden, manche schon an den Brüsten unserer Mütter lagen, während wir anderen die letzten Tage im Land der Ungeborenen verbrachten, explodierte in Gardens ein Bohrloch. Unsere Eltern und Großeltern erzählten uns, die Explosion habe Rohöl- und Rauchsäulen in die Luft geschickt, die höher gewesen seien als Bäume. Die Luft habe sich mit Ruß gefüllt, ein Anblick, den jeder für ein Omen gehalten hätte, wo man etwas Derartiges doch noch nie erlebt hatte. In unserem sechsten Lebensjahr aber, nachdem unsere Eltern zu spüren bekommen hatten, welchen Fluch das Leben auf einem Stück Land bedeutet, unter dem es Öl gab, begriffen sie, dass sie an jenem Tag kein Omen gesehen hatten, sondern die Folgen eines kaputten Bohrlochkopfs, der längst hätte ausgetauscht werden müssen, nur dass Pexton keinen Grund dazu hatte, wo doch vor allem wir den Preis für ihre Nachlässigkeit zahlten.
Eines Abends, ich bin fünf, frage ich Papa, während er und ich auf der Veranda sitzen, warum die Ölfelder und die Unterkünfte für die Pexton-Arbeiter ringsherum Gardens heißen, obwohl es dort keine einzige Blume gibt. Papa lacht, denkt eine Weile nach und sagt, na ja, Gardens sei eine andere Art von Garten, Pexton sei eine andere Art von Gärtner; seine Blume sei das Öl. Ich frage Papa, ob die Pipelines, die in Gardens ihren Anfang haben, irgendwo zu Ende sind - die scheinen ewig lang zu sein, um unser Dorf herumzugehen und über den großen Fluss, durch unsere Felder hindurch und tief in den Wald hinein, das Ende nirgendwo in Sicht. Papa erzählt mir, alles, was einen Anfang habe, habe auch ein Ende. Im Fall der Pipelines befände sich der Anfang an den Ölquellen und das Ende in einer fernen Kleinstadt, viele Busstunden weit weg, einer Kleinstadt am Meer. Dort, sagt Papa, käme das Öl in Container und würde nach Übersee gebracht, an diesen Ort namens Amerika.
Ich stelle Papa Fragen über Amerika, ob es so viele Einwohner habe wie Kosawa, und er erzählt mir, wenn er sich recht an seine Schulzeit erinnere, gebe es in Amerika ungefähr siebentausend Einwohner, die meisten davon hochgewachsene Männer; der Aufseher in Gardens käme von dort. Der Aufseher und seine Freunde seien nach Kosawa gekommen, um Öl zu beschaffen, damit ihre anderen Freunde in Amerika Öl für ihre Autos hätten. In Amerika besitze jeder ein Auto, sagt Papa, weil die Stunden dort so schnell verstreichen würden, dass die Leute Autos bräuchten, um schnell von einem Ort zum anderen zu gelangen und alles zu erledigen, bevor die Sonne untergehe. Ich frage ihn, ob ich irgendwann auch ein Auto haben und etwas von unserem Öl benutzen dürfe. Da grinst Papa und sagt, natürlich kannst du ein Auto haben, warum nicht? Aber achte darauf, dass du ein großes kaufst, damit du mich zum Jagen fahren kannst und ich nicht jedes Mal zu Fuß zum Wald gehen muss; dann kann ich meine Beine schonen. Da ich Pexton hasse, sage ich, dass ich ihr Öl nicht in meinem Auto haben wolle, ich also ein Auto kaufen müsse, das kein Öl brauche. Papa sagt, jedes Auto brauche Öl, aber ich beharre darauf, dass mein Auto anders wäre. Papa kichert bei der Vorstellung. Dann fängt er an zu lachen. Er lacht so doll, dass ich auch lachen muss, denn die Freude in seinen Augen kitzelt mein Herz.
Wo ist Papa? Was haben sie in Bézam mit ihm gemacht? Besteht die Chance, dass er noch lebt?
Anfangs, als er nicht von seiner Mission zurückkehrte, malte ich mir aus, wie ich irgendwann mit ersten grauen Haaren und allmählich schwindender Kraft auf der Veranda sitzen und noch immer auf meinen Papa warten würde, darauf warten, dass ein alter Mann auftauchen und sagen würde: »Thula, ich bin's, dein Vater, Malabo Nangi. Ich bin zurückgekommen, damit wir wieder auf der Veranda sitzen und reden und lachen können.« Was werde ich zu diesem alten Mann sagen? Was könnte den Verlust meines engsten Freundes je wiedergutmachen, meines geliebten Papas, so ganz anders als alle anderen Papas in Kosawa? Ein Papa, der abends mit seiner Tochter zusammensaß und die Sterne zählte, der mit ihr darüber nachdachte, ob Grashalme in der Angst leben, eines Tages niedergetrampelt zu werden, der ihr einschärfte, später nie zu vergessen, wie es sich angefühlt habe, ein Kind zu sein, schutzbedürftig und klein. Viel von dem Leid in der Welt entstehe durch jene, die vergessen hätten, dass auch sie einmal Kinder...
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