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1980 hatte Kreisky bereits 10 Jahre das Land als Bundeskanzler regiert. Nach seinem ersten Wahlsieg 1970 setzte Kreisky auf eine Minderheitsregierung mit Duldung der FPÖ. Ein Jahr später brachten Neuwahlen Kreisky die absolute Mehrheit, die von der SPÖ auch bei den Wahlen 1975 und 1979 behauptet werden konnte. Die SPÖ selbst zeigt sich wenig bescheiden, wenn es um eine Bilanz der Ära Kreisky geht: »Der Modernisierungsschub, der von Bruno Kreisky initiiert wurde, prägt Österreich bis heute.«5 Allerdings: Einer von der Nationalbank finanzierten Studie des Fessel-Instituts zufolge waren 1980, also nach 10 Jahren sozialistischen Alleinregierens, die Österreicher:innen nicht vollauf zufrieden mit dem Kreisky-Jahrzehnt. Gerade einmal fünf Prozent schienen durch Kreiskys Politik positive Veränderungen bei der Demokratisierung und Chancengleichheit wahrgenommen zu haben.6 Für die Hälfte der Befragten waren Ungleichheiten wie die Vermögensverteilung naturgegeben. Mehr Menschen glaubten an einen »lieben Gott« als an die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Vielmehr noch: Jede:r zweite Befragte sah die Herrschaft einer Elite über die große Mehrheit. Zwei Drittel der FPÖ-Wähler:innen, etwa die Hälfte der ÖVP-Wähler:innen und ein vergleichsweise kleines Drittel der SPÖ-Wähler:innenschaft waren der Meinung, eine kleine Gruppe mächtiger Personen, also eine Elite, führe ihre Untertanen. Österreich war 30 Jahre nach dem Austrofaschismus und der Naziherrschaft noch immer autoritär geprägt.
Dem Staatsmann Dr. Kreisky, stets im Dreiteiler gekleidet und rhetorisch exzellent, mag diese Prägung dienlich gewesen sein, da er mit seinem Auftreten gerade auch Bürgerliche zu überzeugen vermochte. Den Arbeiter:innen vermittelte er, dass da einer war, der sich um ihre Anliegen kümmerte - als »einer von ihnen« gab er sich nie. Kreiskys Politik war tatsächlich eine »von oben«. Nichtsdestotrotz ist die Unzufriedenheit der Wahlbevölkerung mit der Politik der sozialistischen Partei eine bittere Bilanz, die im Widerspruch zu ihren politischen Erfolgen in den Siebzigerjahren steht. Die frühen Siebziger waren geprägt von einer dramatischen Arbeitszeitverkürzung. 1969, nach einem Volksbegehren der Gewerkschaften mit 890000 Unterschriften, brachte die SPÖ unter ihrem neuen Parteivorsitzenden Bruno Kreisky eine Reduktion der Wochenarbeitszeit von 45 auf 40 Stunden auf den Weg. Gleichzeitig wurde der gesetzliche Urlaubsanspruch von zwei auf vier Wochen verdoppelt. Die Arbeitgeberseite sah die Wirtschaft zu Grabe getragen, doch im Gegenteil: Es gab kräftiges Wirtschaftswachstum. Beharrlich setzte Kreisky, mit ÖGB-Präsident Anton Benya im Rücken, einen breiten Fokus auf Arbeit und Soziales. Das Arbeitsverfassungsgesetz von 1973 weitete die Mitbestimmung von Betriebsräten in Aufsichtsräten aus. Sozialleistungen wurden ausgebaut, ein Sozialhilfegesetz eingeführt, Pensionen erhöht. Sogar die Bergbauern - alles andere als Klientel der SPÖ - bekamen eine Bergbauernförderung. Wirtschaftspolitisch folge Kreisky dem Prinzip der Vollbeschäftigung. Kreiskys vielleicht berühmtestes Zitat lautet: »Und wenn mich einer fragt, wie denn das mit den Schulden ist, dann sag ich ihm das, was ich immer wieder sage: dass mir ein paar Milliarden mehr Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar hunderttausend Arbeitslose mir bereiten würden.«
Kreiskys Wirtschaftspolitik, Schulden für Arbeitsplätze und soziale Sicherheit zu machen, wird heute als Austro-Keynesianismus bezeichnet. Und tatsächlich können viele Parallelen zu den Theorien des britischen Staatsmanns und Ökonomen John Maynard Keynes gezogen werden. Dazu gehören antizyklische Konjunkturprogramme7, also ein Investieren in der Krise gegen die Krise, in öffentliche Infrastruktur, oder, wie im Fall Österreichs der 1970er-Jahre, in die verstaatlichte Industrie. Ziel ist die Stabilisierung der Marktwirtschaft durch einen Staat, der eingreift und harte Regeln setzt.
Was die Gleichstellung der Geschlechter betrifft, ist es weniger Kreisky selbst, als vielmehr durchsetzungsstarken Frauen innerhalb der SPÖ zu verdanken, dass die Situation der Frauen innerhalb der Gesellschaft in den Siebzigerjahren große Fortschritte erfahren hat. Das »Karenzurlaubsgeld« wurde eingeführt, Ersatzzeiten für die Pensionsversicherung wurden angerechnet. Alleinerzieherinnen bekamen ein höheres Karenzgeld. Der Mutterschutz wurde auf Bäuerinnen und Selbstständige ausgeweitet. Der Mutter-Kind-Pass reduzierte die Säuglingssterblichkeit. Frauenhäuser wurden eingerichtet. Gegen den Widerstand der katholischen Kirche wurde die Fristenlösung, also die Möglichkeit der Abtreibung innerhalb eines bestimmten Zeitraums, im Strafgesetzbuch festgeschrieben. Das Gleichbehandlungsgesetz von 1975 stellte erstmals Frauen und Männer rechtlich gleich - bis dahin gab es in Kollektivverträgen unterschiedliche Lohngruppen für Frauen und Männer. SPÖ-Politikerin Johanna Dohnal, die 1979 zur ersten Staatssekretärin für Frauenfragen ernannt wurde, blickt kritisch zurück: »Wäre eine brave angepasste Funktionärin und nicht ich Staatssekretärin geworden, wäre auch manches nicht passiert. Frauenpolitik bzw. feministische Politik wurde von den sozialistischen Frauen, mit meiner Person sozusagen als Motor, zum politischen Ziel der Bundesregierung erklärt, was wiederum nicht heißt, dass dies die gesamte Regierung so gesehen oder gewollt hätte. Jede einzelne politische Frage musste durchgekämpft werden.«8
Kreiskys Justizminister Christian Broda brachte umfangreiche Justizreformen auf den Weg. Schon 1968 sorgte er für die Aufhebung der Todesstrafe. Die Strafbarkeit von Homosexualität wurde abgeschafft. Das Volksgruppengesetz mit seinen zweisprachigen Ortstafeln wurde nicht nur gegen heftigen Widerstand von ÖVP und FPÖ beschlossen, sondern führte auch zum Ortstafelsturm von 1972. Im Familienrecht wurden nicht nur Mann und Frau, sondern auch eheliche und uneheliche Kinder gleichgestellt. Männer galten bis zur Familienrechtsreform als Familienoberhäupter und konnten allein den Wohnsitz bestimmen - was rechtlich auch erst die Grundlage für Frauenhäuser schuf und Frauen bei Scheidungen oder Gewalt aus aussichtslosen Situationen befreite.
Außenpolitisch setzte Kreisky, von 1959 bis 1966 selbst Außenminister, auf eine offensive Neutralitätspolitik. Der Yom-Kippur-Krieg von 1973 führte nicht nur zu einer gefährlichen Konfrontation der USA und der UdSSR, sondern stürzte die Welt auch in die erste Ölkrise. Kreisky setzte auf Vermittlungen zwischen der arabischen Welt und Israel. Bruno Kreisky war der erste westliche Staatsmann, der Yassir Arafat, den Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, zu Gesprächen traf; mit Erfolg, wie dem Protokoll ihres ersten Gesprächs 1979 in Wien zu entnehmen ist: »Arafat kann nicht öffentlich und formell erklären, dass die Vernichtung Israels nicht mehr das Ziel der PLO sei. Es sei heute aber eine Tatsache, dass praktisch die gesamte Führung der PLO nicht mehr von der Vernichtung Israels, sondern von der Befreiung besetzter palästinensischer Gebiete spreche. Ein Palästinenserstaat könne nach der Meinung Arafats nur auf der Westbank und im Gazastreifen errichtet werden.«9
Bildungspolitisch wurde Österreich umgekrempelt. Die Studiengebühren wurden abgeschafft, genauso wie die Aufnahmeprüfungen an den Gymnasien. Gratis-Schulbücher und die Schülerfreifahrt wurden eingeführt. Gerade Kinder aus einkommensschwachen Haushalten und besonders Mädchen profitierten davon. Die Universitäten wurden reformiert und ein Ministerium für Wissenschaft und Forschung wurde gegründet - bis zu Kreiskys Rücktritt 1983 geleitet von Wissenschaftsministerin Hertha Firnberg bis zu Kreiskys Rücktritt 1983. Anstatt Privileg für Wohlhabende zu sein, sollte der Zugang zu sämtlichen Bildungseinrichtungen und -stufen allen Schichten und Klassen ermöglicht werden. Bildung sollte zum Schlüssel für gesellschaftlichen Aufstieg werden, gerade für die Arbeiterklasse. Eine Fessel-Umfrage im Auftrag von Profil im Dezember 1979 brachte dazu allerdings ein überraschendes Ergebnis: Mehr als die Hälfte der Befragten sprach sich für eine Wiedereinführung der eben erst abgeschafften Aufnahmeprüfung an der AHS aus. Ausgerechnet in der niedrigsten Einkommensstufe wurde sogar zu fast zwei Dritteln nichts vom freien Zugang in die Gymnasien gehalten.10 In der Praxis zeigte sich die Arbeiterklasse also wenig überzeugt vom Aufstieg durch Bildung. Genauso wie in der Studie der Nationalbank zeigte sich: Die Arbeiterklasse verstand sich nicht als gleichgestellt im demokratischen Prozess, sondern von einer kleinen Elite regiert. Die Basis der Partei war de facto autoritätshörig.
Auch Ergebnisse des ersten Jugendberichts, der 1981 vom Österreichischen Institut für Jugendkunde veröffentlich und vom Institut für empirische Sozialforschung (IFES) erhoben wurde, gehen in diese Richtung.11 Rebellion gegen die Elterngeneration war nicht wirklich angesagt. Für 60 Prozent der Jugendlichen war der Vater der größte Einflussgeber auf die politische Meinungsbildung, gefolgt von der Mutter, Lehrer:innen und dem ORF mit jeweils 40 Prozent. Stärkere Meinungsverschiedenheiten konnten eher unter Gleichaltrigen festgestellt werden als innerhalb der eigenen Familie. Je höher der Bildungsgrad, umso stärker wirkte der Vater in der Meinungsbildung mit. Bei Eltern, die mit der ÖVP sympathisierten, war das sogar zu 70 Prozent der Fall. Die Jugend der Achtzigerjahre war also nicht nur autoritär, sondern auch patriarchal geprägt. Was die Jugendkultur betrifft, hinkte Österreich immer ein bisschen, genauer...
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