Schweitzer Fachinformationen
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Warum riecht der Anfang eigentlich immer nach Schweiß?
"Tu den Ellebogen weg", sagt Hans in seinem zerknitterten, braunen Anzug. "Ist hier ja wie in der Sardellenkiste." Falscher Fisch, Hans.
Falscher Fisch und falscher Behälter, aber ja du hast recht. Ich lächle ihn freundlich distanziert an und starre wieder auf mein Handy.
"Hallo-ho? 14C! Ich rede mit dir", sagt Hans mit Dringlichkeit. "14C? So hat mich schon seit Jahren niemand genannt", versuch ich's mit einem Mittelklasse-Witz in einer Mittelklasse-Situation. Er riecht nach extremer Mittelklasse.
"Jetzt mach halt den Arm da weg und steh gefälligst auf. Ja-ha! Aufstehen! Ich muss mal. Wir sind jetzt über Österreich und ich will denen auf den Kopf machen. Elende Schluchtenscheißer. Elende." Ich wollte auf der Reise zwar Leute kennenlernen, aber definitiv exot- . Jesusmariaundjosef. Ich räusper mich. Definitiv diverser, als den stinkenden Hans aus Gütersloh. Der egalste Typ einfach.
Kaum sitze ich wieder auf 14C knacken die Lautsprecher. Die Pilotin spricht wie die Frau vom Leverkusener Autoscooter; ähnlich viel Kirmes in der Stimme und Taschentuch über dem Mikro. In drei Sprachen berichtet sie stolz vom Bord-WLAN. Die eine Stewardess, deren Augen nicht so doll geschminkt sind, schiebt ihr Essenswägelchen neben mich. Sie lächelt mich an.
"Fleisch oder vegetarisch?", fragt sie und reicht mir ein Wasser. Ihr Kollege, der eine halbe Kopfdrehung hinter mir steht, flüstert etwas in unsere Richtung.
Sie wieder zu mir: "Fleisch ist aus, also vegetarisch?" Bevor ich antworten kann, drückt der Kollege umständlich eine Aluschale an meinem Hals vorbei auf mein Tischchen. Ihm fällt der Lappen, mit dem er die Schale umwickelt hat auf meinen Schoß. Er greift danach und bekommt unter anderem den Lappen zu fassen. "Entschuldige, aber wir hatten doch noch eine Fleischvariante", sagt er.
Auf der dampfenden Schale steht in militärischen Lettern:
'Caution Hot'
"Vorsicht heiß", sagt der Steward und lächelt einen Schnuff zu lang. Will der mit mir flirten?
"Hab ich begriffen", flüster ich. "Heiß." "Oder?", fragt der Steward, zeigt an sich runter und zwinkert. Ich wurde von Männern auch schon plumper angebaggert. Nicht viel plumper, aber schon plumperer.
"Er hat kein Interesse, er wollte vegetarisch", sagt die Stewardess. "Ich nehme das Fleisch", sagt 14B, der noch mal eine halbe Kopfdrehung hinter dem Steward steht.
Wir alle starren Hans aus Gütersloh an.
Der Geruch von eingetrocknetem Schweiß wabert zu uns rüber. Mit hochgezogenen Schultern und geöffneten Handflächen ruft er: "Ja, ich bin schon wieder von der Toilette zurück. Schlimm, oder? Rein und wieder raus. Ich konnte einfach nicht groß machen. Wollte . konnte aber nicht."
Ein echter Hans.
Und jetzt redet er übers Kacken, als hätten wir gefragt.
Die Essensausgabe zieht weiter.
Hans will zu seinem Sitz und wir machen diesen kleinen Tanz, den ich schon so oft in Filmen gesehen hab: Gurt auf, eingeschweißtes Aluzeug auf Hans' Stuhl, Schale heiß, "Jesus!", Tischchen hoch und festmachen, zu dreiviertel aufstehen, Spannung in den Oberschenkeln und wie eine Krabbe seitwärts in den Gang an ihm vorbei.
"Ich musste eben so dringend", erklärt er weiter. "Vielleicht der Druck. Haha. Zu viel Druck außen und nicht genug von innen. Muss ich wohl scharf essen, aber wehe, ich muss scharf essen."
Mehr reinzwängen, weniger über deinen Nicht-Stuhl reden, du Pleb.
"Wollen Sie dann?", mach ich weiter auf freundlich distanziert. Er stolpert rein, stellt den ganzen Müll auf meinen Sitz, verbrennt sich dabei die Flossen und bummert mit seinem Hinterteil gegen den Vordersitz. 13B dreht sich um, macht einen stummen, abgefuckten T-Laut und guckt dabei finster. So machen das wohl Leute auf Flügen. Ich schnalze auch beim Einatmen mit der Zunge: "t."
"Jaha, ich mache ja schon. Alter Mann ist doch kein D-Zug", sagt Hans, klippklappert das Tischchen runter, verbrennt sich die Finger noch mal, "So menschenunwürdig hier" und schließt seinen Gurt. Schön, auch mal zu sehen, worüber sich die ganze Welt immer so aufregt.
Wie häufig werd ich fliegen, bis ich das auch menschenunwürdig finde? In den nächsten zwölf Monaten mindestens noch siebenmal. Bislang nervt mich nur das Wollte-konnte-aber-nicht-Exemplar neben mir.
War lang genug selbst eins.
Im Hinsetzen verbrenn ich mir die Finger.
Aus dem Augenwinkel seh ich Hans' Redebedarf.
Mit einem lächelnden Nicken steck ich mir die Kopfhörer rein und zücke das Internet. WLAN Anmeldung und das Telefon vibriert: 35 WhatsApp-Benachrichtigungen und . yes! Da ist sie. Eine neue Mail. Absender ich selbst - aus einer anderen Zeit. Ob die Zeit besser oder schlechter war, lass ich mal dahingestellt, aber sie war auf jeden Fall besser.
Betreff: qwertz
Text: Flug 1 // 5.9.2016 // Frankfurt - Delhi
Anhang: file_01_Februar2015.wav
Ich drücke auf die Datei, die Aufnahme startet mit einem Rauschen und ich dreh die Lautstärke runter.
"Herzlichen Glückwunsch, du Otto", sagt mein Vergangenheits-Ich zu mir.
"14C?", fragt Gegenwarts-Hans und stupst mich an.
T, mach ich in Gedanken und pausiere die Sounddatei.
"Wie kann ich helfen?", frag ich.
"Günther", sagt Hans und hält mir die Hand hin.
"Nee, bin ich nicht", antworte ich. Inzwischen nur noch distanziert.
"Ja, schon klar." Er nimmt die Hand runter. "Ich bin Günther."
Ah, Günther aus Gütersloh. Der Mann wird von Satz zu Satz undiverser.
"Ich dachte Hans", sag ich, weil Hans-Günther mich anschaut, als wär ich wieder dran mit reden.
"Hast mich vor Abflug am Telefon belauscht, was? Da habe ich mit einem Hans telefoniert."
Ich hör dich atmen, Alter. Deswegen die Kopfhörer.
"Ich werde den indischen Markt revolutionieren", sagt er uninteressanterweise.
"Werden Sie?"
"Sicherlich. Die werden mir mein . sagen wir . Produkt . ja, sagen wir Produkt. Das werden die mir aus den Händen reißen. Die Inder verbrennen doch ihre Toten und das muss bei denen immer Holz sein. Keine greene Sache das."
Er spricht green so aus, als stünde ein G vor Wien.
"Ist das so."
"Ich kann allen alles verkaufen. Ich kann Blinden Kinotickets andrehen, Rollstuhlfahrern Laufschuhe und Kleinwüchsigen Basketballkörbe."
"Verkaufen Sie ausschließlich an Menschen mit Behinderungen?"
"Wie bitte?", fragt Günther.
"Wie wollen Sie Indien revolutionieren?"
"Ich darf nicht darüber reden, weil . sagen wir Geheimhaltungsklauseln. Ja, sagen wir Geheimhaltungsklauseln. Aber die Menschen in Indien brauchen Feuer und ich arbeite in der Krematorium-Ofen-Industrie. Zwinker zwinker", sagt er ohne zu zwinkern.
"Klingt nach einem Deal in trockenen Tüchern", sag ich, ignoriere seine Nazi-Vibes und setze die Kopfhörer wieder auf.
Der Daumen schwebt über Play. Die Datei ist nur eine Minute fünfzehn lang. Trotz der konstanten Angst vor der Panik hab ich mich schon lange auf heute gefreut. Natürlich, dass es endlich losgeht, aber auch, dass die vordatierte Nachricht ankommt.
Play.
"Herzlichen Glückwunsch, du Otto", sagt mein Vergangenheits-Ich.
"Und du? Was machst du?", fragt Günther.
Pause. Kopfhörer raus.
'Ich bin auch Deutscher und exportiere ebenfalls Menschenverbrennungsanlagen', denk ich, sag ich nicht.
"Ich starte heute eine einjährige Reise", sag ich und mach ich auch. Ich starte heute wirklich die Reise. Wirklich, wirklich.
Der Punkt am Hinterkopf macht sofort Sperenzchen. Rechts hinterm Ohr und drei Finger breit hoch. Manchmal ist die daumennagelgroße Stelle heiß, manchmal vibriert sie und manchmal, so wie jetzt, fühlt es sich an, als würde eine Spritze über den Schädelknochen kratzen.
Haben andere mit Attacken auch so einen spezifischen Punkt am Körper?
"Nee du, ich meine beruflich", sagt Günthersloh.
Ah, du willst Small-Talk. Einfach nur reden, ohne was zu sagen.
"Ich bin-", na, komm schon, sag's. "Hier Dings", los, du hast damit schon Geld verdient, die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt und nach den ganzen Hochzeiten, Babys und Pärchenshootings kannst du dich ruhig so nennen.
"Dings?", fragt Günther.
"Fotograf- . grafie-Student."
"Ach, ein Künstler. Hatte mich schon gefragt, was man mit so einer Frisur Vernünftiges machen könnte", sagt er, dreht sich von mir weg und schält sein...
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