Schweitzer Fachinformationen
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1. KAPITEL
Francis Reboul saß in der Sonne und war gänzlich in die Betrachtung seines Frühstücks vertieft: einem Schnapsglas mit Olivenöl, nativ und extra vergine, von dem die Franzosen steif und fest behaupten, es sei ein Segen für menschliche Verdauungsprozesse aller Art, gefolgt von einer großen Schale café crème und einem Croissant von so außerordentlicher Leichtigkeit, dass es beim kleinsten Windstoß vom Teller abzuheben drohte. Von der Terrasse aus überblickte er die schimmernde, unendliche Weite des frühmorgendlichen Mittelmeers, das sich ultramarin bis zum Horizont erstreckte.
Das Leben präsentierte sich von seiner Sonnenseite. Sam Levitt und Elena Morales, seine Freunde und Weggefährten bei früheren Abenteuern, würden im Verlauf des Tages aus Kalifornien eintreffen, um einen ausgedehnten Urlaub im Süden Frankreichs zu verbringen. Sie planten, rund um Korsika zu segeln, dann Saint-Tropez anzusteuern, wo sie vor Anker gehen würden, um ein paar Tage auf Rebouls Gestüt in der Camargue auszuspannen. Natürlich wollten sie auch ihre Bekanntschaft mit den Gourmettempeln von Marseille auffrischen. Es war ein Jahr her, seit er seine Freunde das letzte Mal gesehen hatte - ein ereignisreiches Jahr -, und es gab viel zu erzählen und nachzuholen.
Reboul legte die Zeitung beiseite und kniff die Augen zusammen, um sie gegen das grelle, vom Wasser reflektierte Sonnenlicht zu schützen. Eine Reihe kleiner Segelboote nahm gemächlich Kurs auf die Frioul-Inseln, das zerklüftete, Marseille vorgelagerte Archipel aus Kalkfelsen, geformt von dem Mistralwind. Ihr bizarres Relief ließ auch aus der Ferne erahnen, dass diese Insel einst mit dem Festland verbunden gewesen war. Während er sie betrachtete, wurde seine Aufmerksamkeit von einem Schatten abgelenkt, der hinter der Landzunge auftauchte. Allmählich nahm er Konturen an und wurde größer. Erheblich größer. Es war eine Luxusyacht von ungewöhnlichen Dimensionen - an die hundert Meter lang, windschnittig und dunkelblau, mit vier Decks, Radarausrüstung, dem obligatorischen Hubschrauber, auf seinem Landeplatz im Heck festgezurrt. Diese Yacht war nicht etwa mit einem Dingi versehen, sondern hatte, wenn er es richtig sah, zwei superschnelle Riva-Beiboote im Schlepptau. Diese eleganten Sportboote - schon Onassis, Sean Connery oder Brigitte Bardot hatten sich nur mit dieser Marke über die Wellen tragen lassen - hatten Armaturen aus Mahagoni und Sitze aus bestem Leder. Mit ihren Windschutzscheiben, dem vielen Chrom und dem perfekt modellierten Gashebel erinnerten sie an amerikanische Straßenkreuzer.
Jetzt befand sich die Yacht unmittelbar vor Francis Reboul, keine dreihundert bis vierhundert Meter vom Ufer entfernt. Sie drosselte die Fahrt, kam allmählich zum Stillstand. Winzige Gestalten erschienen auf dem Oberdeck, die ihn anzustarren schienen. Im Laufe der Jahre hatte er sich an diese Form der Begutachtung durch vorbeidriftende Seefahrer mehr oder weniger gewöhnt. Sein Wohnsitz, das Palais du Pharo, im 19. Jahrhundert als Sommerresidenz für Napoleon III. erbaut, dann lange als Medizinschule genutzt, war nun einmal das größte private Anwesen in Marseille, und das imposanteste. Früher hatte diese Landzunge Tête de Mare geheißen, und Pharo bezeichnete eigentlich die kleine Bucht weiter westlich. Alles, was auf dem Wasser kreuchte und fleuchte, vom Ein-Mann-Segelboot bis zu den überfüllten lokalen Fähren, hatte irgendwann einmal vor diesem Hügel eine Rast gemacht, um Chez Reboul in Augenschein zu nehmen, ausgiebig, wenngleich aus der Ferne. Teleskope, Ferngläser, Kameras - inzwischen eine feste Größe in seinem Leben. Dennoch hatte er es bisher nie auch nur einen Augenblick bereut, für viel Geld diese Residenz, die lange Zeit als Tagungs- und Kongresszentrum mit Hotel genutzt worden war, erworben zu haben. Schulterzuckend verschanzte er sich hinter seiner Zeitung.
An Bord der Luxusyacht wandte sich der Eigner, Oleg Vronsky - Oli für seine Freunde und sein weitläufiges Gefolge, bei der internationalen Wirtschaftspresse auch als der >Barracuda< bekannt -, einer jungen Schönheit namens Natascha zu, die er für die Dauer der Seereise zu seinem persönlichen Ersten Offizier ernannt hatte. Sie hatte ansehnliche Rundungen, eine honigfarbene Haut und ein Gesicht, das durch die immer leicht geschürzten Lippen sinnlich wirkte. »Damit kommen wir der Sache schon näher«, sagte er. »Sogar um einiges näher.« Er lächelte, sodass die tiefe, dunkelviolette Narbe auf seiner Wange Runzeln bildete. Von dieser Narbe einmal abgesehen, hätte er als gut aussehender Mann gelten können. Obwohl ein wenig kurz geraten, war er schlank, mit vollen grauen Haaren, die en brosse, zum Bürstenhaarschnitt, getrimmt waren, und Augen in einem eisigen Blau, wie man sie oft bei den Bewohnern des frostigen Nordens findet.
Er hatte die letzte Woche damit verbracht, vor dem Küstenabschnitt herumzukreuzen, den man als Riviera bezeichnete, und kurze Zwischenstopps einzulegen, um sich Immobilien in Cap Ferrat, Cap d'Antibes und Saint-Tropez anzuschauen. Sie hatten ihn ausnahmslos enttäuscht. Er war bereit, tief in die Tasche zu greifen, fünfzig Millionen Euro oder mehr auf den Tisch zu blättern, aber er hatte nichts gesehen, was den Wunsch in ihm weckte, seine Brieftasche zu zücken. Zugegeben, es waren ein paar ganz nette Häuser darunter, aber sie standen viel zu eng beisammen. An der Riviera herrschte inzwischen ein schreckliches Gedränge, und genau das war das Problem, denn Vronsky legte großen Wert auf Freiraum und ein Höchstmaß an Privatsphäre - ohne russische Nachbarn weit und breit. Heutzutage wimmelte es auf Cap Ferrat von seinen Landsleuten, sodass die Einheimischen mit Geschäftssinn ein paar Brocken Russisch und den Wodka zu lieben begannen.
Vronsky zog sein Smartphone aus der Tasche und betätigte die Ruftaste, die ihn mit Katja, seiner persönlichen Assistentin, verband. Katja hatte schon vor Erreichen der ersten Milliarde in seinen Diensten gestanden, als er noch in den niederen Millionengefilden weilte, und sie gehörte zu den wenigen handverlesenen Personen, die sein absolutes Vertrauen besaßen.
»Sagen Sie Johnny, er soll auf das Oberdeck kommen, ja? Und richten Sie ihm aus, dass er alles für einen schnellen Abstecher bereit machen soll. Ach ja, liegt schon eine Rückmeldung aus London vor?« Vronsky liebäugelte mit dem Gedanken, ein englisches Footballteam zu kaufen, und stand mit einem arabischen Konsortium in Verhandlung; sie waren nicht gerade die einfachsten Geschäftspartner, und seine Geduld neigte sich langsam dem Ende zu. Vielleicht sollte er das Fußballmäzenatentum doch seinen Landsleuten überlassen, Dmitri Rybolowlew in Monaco, Abramowitsch in London und Kerimow in Machatchkala. In aller Demut hatte ihm das auch schon Katja suggeriert.
Er nahm die Inspektion des Palais du Pharo wieder auf, schob die Sonnenbrille hoch über die Stirn und stellte die Bildschärfe seines Feldstechers ein. Die klassizistische Fassade des dreistöckigen Gebäudes gefiel ihm. Die Kulisse war zweifellos malerisch und, soweit zu erkennen, befand sich das Haus inmitten eines weitläufigen Geländes, mit Sicherheit ausreichend für einen unauffälligen kleinen Hubschrauberlandeplatz. Vronsky verspürte den ersten Anflug eines Kaufinteresses, das sich rasch zu einer ausgeprägten Kauflust entwickeln könnte.
»Wohin, Boss?« Johnny aus Jamaika grinste von einem Ohr zum anderen und verschaffte Vronsky damit den Genuss, einen Blick auf sein schneeweißes Gebiss zu erhaschen, das sein kohlrabenschwarzes Gesicht unterteilte. Während seiner Zeit als Söldner in Libyen hatte er gelernt, Hubschrauber zu fliegen, eine nützliche Ergänzung zu seinen anderen Talenten, die er im Umgang mit Waffen und den Feinheiten des unbewaffneten Kampfes bewiesen hatte. Einen besseren Leibwächter mit größerem Abschreckungseffekt konnte man sich kaum wünschen.
»Ein kurzer Abstecher, Johnny. Ein kleiner Erkundungsflug. Du brauchst eine Kamera und jemanden, der sie zu benutzen versteht.« Vronsky nahm den Mann aus Jamaika am Arm und führte ihn zu einem entlegenen Winkel des Decks.
Reboul tunkte den letzten Bissen des Croissants in seinen Kaffee und hob den Blick von der Zeitung. Die blaue Yacht dümpelte immer noch an der gleichen Stelle. Er konnte zwei Gestalten am Heck erkennen, die sich an der Landevorrichtung des Hubschraubers zu schaffen machten, bevor sie einstiegen und die Rotorblätter sich zu drehen begannen. Einen Moment lang fragte er sich müßig, wohin der Flug wohl gehen mochte, dann kehrte er zu den Tagesnachrichten zurück, die Eingang in La Provence gefunden hatten. Was mochte die Angehörigen der schreibenden Zunft veranlassen, den Fußballspielern und ihren Eskapaden noch lange nach Ende der Saison so viel Raum zu widmen? Der Geschmack der Menschen wurde offenbar immer stromlinienförmiger. Seufzend legte er die Zeitung beiseite und griff nach der Financial Times. Geschäftszahlen, Umsatzentwicklungen und Marktverschiebungen faszinierten ihn nun einmal seit jeher, sich in dieser Hinsicht auf dem Laufenden zu halten, kostete ihn keinerlei Anstrengung.
Das Getöse, das unverhofft die Stille durchbrach, war ohrenbetäubend. Der Helikopter näherte sich im Tiefflug, hielt...
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