Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Frühsommersonne schien Lizard ins Gesicht. Vor ihren geschlossenen Lidern tanzten rotgoldene Flecken. Sie hockte auf dem verwitterten Holzsteg neben Onkel Yosukes Haus, das Gesicht zum wolkenlosen Himmel gereckt.
Im Wald zwitscherten die Vögel, hin und wieder plätscherte es im See, wenn ein Fisch nach einer Mücke sprang, die zu dicht über der Wasseroberfläche schwebte. Lizard seufzte vor Behagen.
Und dann ertappte sie sich wieder bei dieser unsinnigen, dummen Vorstellung, dass das Leben immer so weitergehen könnte. Dass der Tiger Raj gestorben war. Oder dass er Lizard und die bösen Tiere einfach vergessen hatte.
Ein wunderschöner Gedanke. Leider total absurd. Lizard kannte Raj gut genug, um zu wissen, dass er seinen Hass auf sie genauso wenig aufgeben würde wie seine Rachepläne. Dreimal hatte sie es geschafft, seinen Anschlägen zu entgehen. Beim vierten, fünften, sechsten oder vielleicht auch erst beim zwanzigsten Mal würde er es schaffen, er würde sie finden und töten. Ihre einzige Überlebenschance war es, ihn vorher zu erledigen.
Um gegen ihn anzutreten, musste sie allerdings erst einmal herausfinden, wo er sich gerade befand. Amerika, Afrika, Europa, Ozeanien, Asien - der mächtige Tiger konnte überall sein. Vielleicht hatte er sich in die Wüste oder in die Berge zurückgezogen, vielleicht lebte er im Urwald oder in einer Großstadt.
Solange sie seinen Aufenthaltsort nicht kannte, musste sie sich jedoch auch nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie sie ihn besiegen konnte.
Lizard reckte die Glieder in der Sonne, genau wie ihr Lieblingstier, die Eidechse, nach der sie sich benannt hatte.
Doch nun wurde das Plätschern im Wasser lauter. Ein Boot näherte sich. Den Bruchteil einer Sekunde später war Lizard auf den Beinen. Während sie die Fäuste ballte, erkannte sie den Ruderer, der sich jetzt im Boot zu ihr umdrehte.
"Hi!" Taiyo hob grüßend die Hand.
Er warf Lizard die Leine zu, die sie an einer Öse am Steg festmachte. Danach kletterte er an Land. Er blinzelte in die Sonne, die seine glatten pechschwarzen Haare glänzen ließ wie flüssigen Asphalt. Lizards Haare waren genauso schwarz, im Gegensatz zu Taiyos Haaren waren sie jedoch gefärbt, damit sie in Japan nicht so auffiel.
"Hallo, Lizard." Hinter Taiyo sprang Mikado auf den Steg. Der kupferrote Shiba Inu mit dem aufgerollten Schwanz dehnte seinen Oberkörper, dann schüttelte er sich und streckte sich in der Sonne aus.
"Wieso seid ihr schon wieder hier?", fragte sie. "Ich hab euch erst gegen Mittag erwartet."
Lizard, Taiyo und Mikado unterhielten sich in der Gedankensprache, in der sich alle auserwählten Wesen verständigten. Dabei wurden die Worte nicht ausgesprochen, sondern von Kopf zu Kopf geschickt. Auch wenn Lizard und Taiyo allein waren, kommunizierten sie auf diese Weise - sie hätten sich sonst nur mit Mühe verstanden. Lizards Muttersprache war Amerikanisch, Taiyo war Japaner.
"Makoto war nicht da", sagte Taiyo. "Ich hätte ihn vorher anfunken sollen."
Der alte Makoto wohnte auf der anderen Seite des Sees. Er war ihr einziger menschlicher Nachbar im Nikko-Nationalpark - wenn man einmal von den Park-Rangern absah, die hin und wieder in der Gegend auftauchten.
Makoto war mit Taiyos Onkel Yosuke befreundet, er kümmerte sich um dessen Haus, solange Yosuke wegen seines Beinbruchs in der Reha-Klinik war. Makoto war allerdings selbst nicht mehr der Jüngste und die Bootsfahrt übers Wasser strengte ihn an.
Er war froh darüber, dass Taiyo und Lizard nun vorübergehend hier wohnten und nach dem Rechten sahen.
"Warum war er nicht da?", murmelte Lizard besorgt. "Hoffentlich ist alles okay."
Sie ließ sich neben Mikado auf den Steg sinken. Die Gelassenheit, die sie gerade noch erfüllt hatte, war weg. Sie ließ den Blick suchend über den See schweifen. Außer ihrem Boot war kein weiteres Schiff auf dem Wasser. Sicher waren sie hier trotzdem nicht. Solange Sir Raj lebte, waren sie nirgends sicher.
Taiyo setzte sich ebenfalls.
"Klar. Sein Pick-up war weg, er ist bestimmt zum Einkaufen gefahren."
Der nächste Supermarkt war viele Kilometer weit weg, außerhalb des Nationalparks. Für Taiyo und Lizard, die kein Auto hatten, war er unmöglich zu erreichen. Aber zum Glück hatte ihnen Onkel Yosuke einen gut gefüllten Vorratsschrank mit Obstkonserven, Bohnen, Nudeln, Reis und eingemachtem Gemüse hinterlassen.
"Schade, dass er uns nicht Bescheid gegeben hat", sagte Lizard. "Er hätte uns was mitbringen können. Nudeln und frisches Gemüse. Und Schokolade." Da sie jetzt schon vier Wochen hier wohnten, wurden einige Lebensmittel knapp.
"Macht er bestimmt", sagte Taiyo. "Er hat früher auch immer für Onkel Yosuke eingekauft."
"Ich hoffe, er denkt auch an mich", erklang eine jammernde Stimme aus Lizards Hosentasche. "Aber vermutlich nicht, er weiß ja gar nicht, dass es mich gibt."
Eine faustgroße Tarantel schob sich aus der Tasche und kletterte auf Lizards Knie.
"Guten Morgen, Poison", sagte Taiyo. "Ausgeschlafen?"
"Danke, es geht so." Die Tarantel reckte ihre haarigen Beine. "Ich habe mächtigen Hunger."
"Dann fang dir was", sagte Taiyo mit einer weiten Geste auf den Wald. "Hier gibt es ja wohl genug Insekten für dich."
"Fang dir was", wiederholte Poison ärgerlich, während sie sich zu putzen begann. "So einfach ist das auch wieder nicht. Die Käfer hier sind verflixt schnell. Und ich vertrage das japanische Essen auch nicht so gut."
"Was ist los mit dir, Poison?", fragte Lizard. "Bist du mit dem falschen Beinpaar aufgestanden oder warum hast du so schlechte Laune?"
"Ach, das Leben ist so verflixt öde", murrte die Tarantel. "Ich hatte gerade so einen schönen Traum. Mikado ist von einem Felsen gestürzt und hat sich beide Vorderbeine gebrochen. Ich habe ihn zuerst operiert und dann geradezu geniale Stützverbände aus Weidenholz angelegt. Eine medizinische Meisterleistung. Und dann bin ich aufgewacht."
"Du Arme", knurrte Mikado, ohne die Augen zu öffnen. "Es ist echt ein Jammer, dass ich nicht wirklich schwer verletzt bin."
"Da haben wir es wieder", sagte Poison. "Du denkst nur an dich. Genau wie die anderen auch. Wie es mir geht, interessiert keinen. Es gab hier seit Wochen keinen Kampf, keinen Unfall, ihr habt nicht mal einen Schnupfen bekommen. Alle kerngesund, ich könnte mir vor Frust die Beine ausreißen. Selbst im U-Boot war mehr los als hier. Ich vergesse so langsam alles, was ich jemals gelernt habe."
Im Internat der bösen Tiere, in dem Menschen und Tiere zusammen lebten und...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.