Tokvi-tey
Es war am Nachmittage des darauffolgenden fünften Tages, als die sechs Reiter das Gebiet der Pulverflußquellen hinter sich hatten und nun den Bighornbergen zustrebten.
Die Strecken, die sich von Missouri nach dem Felsengebirge hinziehen, gehören noch heutigen Tages zu den wildesten Teilen der Vereinigten Staaten. Dieses Gebiet besteht fast ganz aus einsamer baumloser Prairie, in welcher der Jäger mehrere Tage lang zu reiten hat, ehe er einen Busch oder eine Wasserquelle findet. Das Land steigt nach Westen zu allmählich an; es bildet bald sanfte Erhöhungen, sodann Hügel, welche immer höher, schroffer und zerklüfteter werden, je weiter man nach Westen kommt; aber der Mangel an Holz und Wasser bleibt sich gleich. Darum wird diese Gegend von den Indianern »Mah-kosietscha« und von den Weißen »Bad lands« genannt. Beide Ausdrücke bedeuten das Gleiche, nämlich soviel wie schlechtes Land.
Selbst bedeutende Flüsse, deren Gebiet ein großes ist, wie z.B. der Platte, führen im Sommer nur wenig Wasser mit sich. Weiter im Norden, wo die Quellgebiete des Cheyenne-, Powder-, Tongue-und Big-Horn-Flusses liegen, wird das Land besser. Das Gras ist saftiger; die Büsche treten zu ausgedehnteren Strauchwäldern zusammen, und endlich schreitet der Fuß des Westmannes sogar im Schatten hundert-und noch mehrjähriger Baumriesen dahin.
Dort befinden sich die Jagdgründe der Schoschonen oder Schlangenindianer, der Sioux, Cheyennes und der Arapahoes. Jeder dieser Stämme zerfällt wieder in Unterabteilungen, und da eine jede dieser Abteilungen ihre besonderen Interessen verfolgt, so ist es kein Wunder, daß es einen immerwährenden Wechsel von Krieg und Frieden zwischen ihnen gibt. Und ist der rote Mann ja einmal zu längerer Ruhe geneigt, so kommt Master Bleichgesicht und sticht ihn so lange, erst mit Nadeln, dann mit Messern, bis der Indianer das vergrabene Kriegsbeil wieder hervorsucht und von neuem zu kämpfen beginnt.
Unter diesen Umständen versteht es sich ganz von selbst, daß da, wo die Weidegründe so vieler und verschiedener Stämme und Abteilungen zusammenstoßen, die Sicherheit des Einzelnen eine sehr fragliche, ja höchst gefährdete ist. Die Schoschonen oder Schlangenindianer sind stets erbitterte Feinde der Sioux gewesen, und darum haben die Strecken, welche sich von Dakota aus südlich vom Yellowstoneflusse nach den Big-Hornbergen ziehen, sehr oft das Blut des roten - wohl auch des weißen Mannes getrunken.
Der dicke Jemmy und der lange Davy wußten das sehr genau, und aus diesem Grunde waren sie mit aller Sorge darauf bedacht, möglichst einem Zusammentreffen mit Indianern, gleichviel welchen Stammes, auszuweichen.
Wohkadeh ritt voran, da er ganz dieselbe Strecke bereits auf dem Herwege durcheilt hatte. Er war jetzt mit einer Büchse bewaffnet und trug an seinem Gürtel mehrere Beutel mit all den Kleinigkeiten, welche dem Prairiemanne unentbehrlich sind. Jemmy und Davy hatten ihr Äußeres nicht verändert. Der erstere ritt selbstverständlich seinen hohen Klepper, und der zweite hing seine ewig langen Beine an den Seiten seines kleinen, störrigen Maultieres herab, welches alle fünf Minuten den bekannten Versuch, seinen Reiter abzuwerfen, vergeblich wiederholte. Davy brauchte nur den einen Schuh, rechts oder links, wo es gerade notwendig war, auf die Erde zu setzen, um festen Halt zu haben. Er glich auf seinem Tiere einem jener Bewohner der australischen Inseln, welche ihre an sich höchst gefährlichen Boote mit Auslegern versehen und aus diesem Grunde niemals umkippen können. Davys Ausleger aber waren seine beiden Beine.
Auch Frank trug ganz dieselbe Kleidung, in welcher er von den beiden Freunden zum erstenmal gesehen worden war: Mokassins, Leggins, blauen Frack und Amazonenhut mit langer, gelber Feder. Der kleine Sachse saß ganz ausgezeichnet zu Pferde und machte trotz seines sonderbaren Habits den Eindruck eines recht tüchtigen Westmannes.
Eine Lust war es, Martin Baumann im Sattel sitzen zu sehen. Er ritt wenigstens ebensogut wie Wohkadeh. Er war wie mit dem Pferde verwachsen und hatte jene weit vorgebeugte Haltung, welche dem Tiere die Last erleichtert und den Reiter befähigt, die Anstrengung eines monatelangen Rittes ohne Übermüdung auszuhalten. Er trug einen echten ledernen Trapperanzug, wie überhaupt seine ganze Ausrüstung und Bewaffnung nichts zu wünschen übrig ließ. Er war mit ganzer Seele bei der Aufgabe, welche er zu lösen hatte. Wer ihm in sein frisches Gesicht und sein helles Auge blickte, mußte zu der Ueberzeugung kommen, daß er sich hier in der Prairie ganz in seinem Elemente befinde. Er machte ganz den Eindruck, daß er, obgleich noch halb ein Knabe, nötigenfalls doch als Mann zu handeln verstehen werde. Hätte die schwere Sorge um den gefangenen Vater nicht einen Schatten über ihn geworfen, so wäre er wohl das heiterste Glied des kleinen Trupps zu nennen gewesen.
Lustig war es, den schwarzen Bob zu betrachten. Das Reiten hatte niemals zu seiner Passion gehört, und so saß er in einer geradezu unbeschreiblichen Haltung zu Pferde. Er hatte seine liebe Not mit dem Tiere, und dieses aber auch wieder mit ihm, denn er vermochte es nicht, auch nur zehn Minuten lang einen festen Sitz zu bewahren. Hatte er sich einmal ganz an den Hals des Pferdes vorgeschoben, so brachte ihn jeder Schritt des Tieres um irgend einen Teil eines Zolles nach hinten. So rutschte und rutschte er, bis er sich in der Gefahr befand, hinten herunter zu fallen. Dann schob er sich möglichst weit vor, und die Rutschpartie begann von neuem, wobei er ganz unfreiwilligerweise in Stellungen geriet, welche der Spaßmacher eines Cirkus sich nicht lächerlicher hätte aussinnen können. Er hatte nämlich anstatt des Sattels nur eine Decke aufgeschnallt, weil er infolge früherer Proben wußte, daß es ihm unmöglich sei, sich in dem Sattel zu erhalten; er war bei einem einigermaßen schnellen Tempo immer hinter denselben zu sitzen gekommen. Er hielt die Beine weitab vom Pferde. Wurde ihm gesagt, daß er festen Schluß nehmen solle, so antwortete er stets:
»Warum soll Bob drücken mit den Beinen armes Pferd? Pferd ihm ja nichts zuleid gethan! Bobs Beine sind doch keine Kneipzange!«
Die Reiter hatten den Rand einer nicht sehr tiefen, fast kreisförmigen Bodensenkung erreicht, deren Durchmesser vielleicht sechs englische Meilen betragen mochte. An drei Seiten von kaum merklichen Terrainanschwellungen umgeben, wurde diese Senkung im Westen von einer ansehnlichen Höhe begrenzt, welche von Strauch-und Baumwuchs bestanden zu sein schien. Vielleicht hatte es früher hier eine seeartige Wasseransammlung gegeben. Der Boden bestand aus einem tiefen, unfruchtbaren Sande und zeigte außer wenigen harten Grasbüscheln nur jene grau schimmernde, nutzlose Mugwortvegetation, welche die sterilen Gegenden des fernen Westens kennzeichnet.
Wohkadeh trieb sein Pferd, ohne sich lange zu besinnen, in den Sand hinein. Er nahm die gerade Richtung nach der erwähnten Höhe zu.
»Was für eine Gegend ist dies hier?« fragte der dicke Jemmy. »Sie ist mir unbekannt.«
»Die Krieger der Schoschonen nennen diesen Ort Pa-are-pap,« antwortete der Indianer.
»Den >See des Blutes<. O weh! Da wollen wir ja nicht wünschen, Schoschonen zu begegnen.«
»Warum?« erkundigte sich Martin Baumann.
»Weil wir sonst verloren wären. Hier an dieser Stelle ist eine Jagdabteilung der Schoschonen von den Weißen bis auf den letzten Mann niedergemetzelt worden, ganz ohne alle Veranlassung. Obgleich seitdem wohl an die fünf Jahre vergangen sind, würden die Stammesangehörigen der Ermordeten doch einen jeden Weißen, welcher das Unglück hätte, in ihre Gewalt zu geraten, ohne Barmherzigkeit töten. Das Blut der Gefallenen schreit nach Rache.«
»Meint Ihr, daß sich Schoschonen in der Nähe befinden, Sir?«
»Ich will es nicht hoffen. Wie ich gehört habe, befinden sie sich jetzt weit nordwärts am Musselschell River in Montana. Ist dies wahr, so sind wir vor ihnen sicher. Wohkadeh wird uns sagen, ob sie indessen südwärts gezogen sind.«
Der Indianer hatte diese Worte gehört. Er antwortete:
»Als Wohkadeh vor sieben Tagen hier vorüber kam, gab es keinen einzigen Krieger der Schoschonen in der Nähe. Nur die Arapahoes hatten ein Lager da aufgeschlagen, wo der Fluß entspringt, welchen die Bleichgesichter den Tongue River nennen.«
»So sind wir sicher vor ihnen. Uebrigens ist die Gegend hier so eben und offen, daß wir auf über eine Meile weit jeden Reiter oder Fußgänger erkennen und also imstande sein würden, unsere Maßregeln zur rechten Zeit zu treffen. Vorwärts also!«
Sie mochten wohl eine halbe Stunde lang in gerader westlicher Richtung geritten sein, als Wohkadeh sein Pferd anhielt.
»Uff !« rief er aus.
Dieses Wort wird von den Indianern meist als Ausruf der Verwunderung gebraucht.
»Was gibt's?« fragte Jemmy.
»Schi-schi!«
Dieses Wort ist aus der Mandanersprache und heißt eigentlich »Füße«, hat aber auch die Bedeutung von Spur oder Fährte.
»Eine Fährte?« fragte der Dicke. »Von einem Menschen oder einem Tiere?«
»Wohkadeh weiß es nicht. Meine Brüder mögen sie selbst betrachten.«
»Good lack! Ein Indsman weiß nicht, ob die Spur von einem Menschen oder von einem Viehzeuge ist! Das ist mir noch niemals vorgekommen! Das muß ja eine ganz und gar eigentümliche Fährte sein. Wollen sie uns doch einmal betrachten. Aber steigt hübsch ab und reitet mir nicht darauf herum, ihr Leute, sonst ist sie dann nicht mehr zu erkennen.«
»Sie wird dann noch immer zu erkennen sein,« meinte der Indianer. »Sie ist groß und lang; sie kommt weit von Süden her und geht weit nach Norden.«
Die Reiter stiegen ab, um die...