Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Prolog
1980
Die Schwarmzeit kündigte sich immer über das Telefon an. Jedes Frühjahr erwachte das rote Wählscheibentelefon zum Leben, weil verzweifelte Anrufer Honigbienen in ihren Mauern, Kaminen oder Bäumen meldeten.
Ich verteilte Grandpas Honig auf meinem Maisbrot, als er aus der Küche kam, mit diesem schlitzohrigen Lächeln, das besagte, dass wir unser Frühstück wieder einmal würden stehenlassen müssen. Ich war zehn und hatte fast mein halbes Leben lang Bienenschwärme mit ihm eingefangen, deswegen wusste ich, wie es weitergehen würde. Er trank seinen Kaffee in einem Zug aus und fuhr sich mit dem Arm über den Schnurrbart.
»Wir haben wieder einen«, sagte er.
Dieses Mal stammte der Anruf von einem privaten Tennisclub, ungefähr eine Meile entfernt an der Carmel Valley Road. Als ich mich auf den Beifahrersitz seines klapprigen Pick-ups setzte, trat er mehrmals aufs Gaspedal, um ihn anzulassen. Schließlich sprang der Motor an, und wir fuhren kreischend aus der Einfahrt und wirbelten Kies auf. Er raste an den Schildern mit der Geschwindigkeitsbegrenzung vorbei, auf denen fünfundzwanzig stand, wie ich von Fahrten mit Granny wusste. Wir mussten uns beeilen, um den Schwarm zu erwischen, weil den Bienen womöglich einfallen könnte, woanders hinzufliegen.
Grandpa schlingerte auf das Gelände des Tennisclubs und trat neben einem Weidezaun auf die Bremse. Er stemmte sich mit der Schulter gegen die klemmende Tür und drückte sie ächzend auf. Wir traten in einen Minizyklon aus Bienen, ein laut brummender Tintenfleck am Himmel, der wie ein Vogelschwarm nach links und rechts abdrehte. Mein Herz raste mit ihnen, ängstlich und ehrfürchtig zugleich. Die Luft schien zu pulsieren.
»Warum tun sie das?«, rief ich über den Lärm.
Grandpa ging auf ein Knie und neigte sich zu meinem Ohr.
»Die Königin hat den Stock verlassen, weil es drin zu eng wurde«, erklärte er. »Die Bienen sind ihr gefolgt, weil sie ohne sie nicht leben können. Sie ist die einzige Biene im Volk, die Eier legt.«
Ich nickte, um Grandpa zu zeigen, dass ich verstanden hatte.
Der Schwarm hatte sich einem Kastanienbaum genähert. Alle paar Sekunden löste sich eine Handvoll Bienen aus dem Schwarm und verschwand zwischen den Blättern. Ich trat näher, schaute hinauf und sah, dass sich die Bienen als Ball, ungefähr so groß wie eine Orange, an einem Ast sammelten. Mehr Bienen dockten an, bis die Kugel so groß wie ein Basketball war und pulsierte wie ein Herz.
»Die Königin ist dort gelandet«, sagte Grandpa. »Die Bienen beschützen sie.«
Als sich die letzten Bienen der Gruppe angeschlossen hatten, wurde es still.
»Warte beim Wagen auf mich«, flüsterte Grandpa.
Ich lehnte mich an die vordere Stoßstange und sah zu, wie er auf eine Stehleiter stieg, bis er mit dem Kopf auf gleicher Höhe mit dem Schwarm war. Dutzende Bienen krochen über seine nackten Arme, während er anfing, mit einer Säge den Ast abzusägen. In diesem Augenblick ließ ein Platzwart einen Rasenmäher an, die Bienen erschraken und flogen in Panik auf. Ihr Summen wurde zu einem durchdringenden Heulen, und sie schlossen sich zu einem engeren, schnellen Kreis zusammen.
»Verdammt nochmal!«, hörte ich Grandpa fluchen.
Er rief dem Platzwart etwas zu, und der Rasenmäher verstummte. Während Grandpa darauf wartete, dass sich der Schwarm erneut am Baum sammelte, spürte ich, wie mir etwas über den Kopf krabbelte. Ich langte hinauf und berührte Flaum, dann spürte ich, wie sich Flügel und kleine Beinchen in meinem Haar verfingen. Ich warf den Kopf hin und her, um die Biene abzuschütteln, aber sie verhedderte sich nur noch mehr und wurde verzweifelter, ihr Summen steigerte sich in die hohe Tonlage eines Zahnbohrers. Ich holte mehrmals tief Luft, um mich für das zu wappnen, von dem ich wusste, dass es kommen würde.
Als die Biene ihren Stachel in meine Haut bohrte, raste der brennende Schmerz von meiner Kopfhaut in meine Backenzähne, und ich biss die Kiefer zusammen. Ich tastete erneut hektisch mein Haar ab und erstickte einen Schrei, als ich eine zweite Biene darin fand, dann noch eine. Angst breitete sich weiter und weiter in meinem Brustkorb aus, als ich mehr pelzige Körper spürte, als ich zählen konnte, ein kleines Geschwader Honigbienen, die mit der gleichen Angst zu kämpfen hatten wie ich.
Dann roch ich Bananen - den Geruch, den Bienen verströmen, um nach Unterstützung zu rufen -, und ich wusste, dass ich angegriffen wurde. Ich spürte einen brennenden Stich an meinem Haaransatz, gefolgt von einem heftigen Schmerz hinter dem Ohr, und ich ging auf die Knie. Ich wurde ohnmächtig, oder vielleicht betete ich auch. Ich dachte, dass ich womöglich sterben würde. Innerhalb von Sekunden hielt Grandpa meinen Kopf in den Händen.
»Versuch, dich ganz still zu halten«, sagte er. »Da sind noch fünf drin. Ich hole sie alle raus, aber vielleicht wirst du noch mal gestochen.«
Eine weitere Biene stach mich. Jeder Stich verstärkte den Schmerz, bis sich mein Kopf anfühlte, als würde er lichterloh brennen, und ich griff nach dem Autoreifen und hielt mich daran fest.
»Wie viele sind es noch?«, flüsterte ich.
»Nur noch eine«, sagte er.
Als es vorbei war, nahm mich Grandpa in die Arme. Ich legte meinen pochenden Kopf an seine Brust, die muskelbepackt war, weil er sein Leben lang fast fünfzig Pfund schwere Bienenstöcke voller Honig gehoben hatte. Er legte mir sanft die schwielige Hand in den Nacken.
»Schnürt sich dir die Kehle zu?«
Ich atmete so tief ein und aus, wie ich konnte. In meinen Lippen prickelte es seltsam.
»Warum hast du mich nicht gerufen?«, fragte er.
Ich hatte keine Antwort darauf. Ich wusste es nicht.
Meine Beine zitterten, und ich ließ mich von Grandpa zum Wagen tragen und auf die Sitzbank legen. Ich war früher schon gestochen worden, aber nie von so vielen Bienen auf einmal, und Grandpa machte sich Sorgen, dass mein Körper in einen Schockzustand fiel. Sollte mein Gesicht anschwellen, sagte er, müsste ich in die Notaufnahme. Er wies mich an zu hupen, sollte ich keine Luft mehr kriegen, und ich wartete, bis er den Ast fertig abgesägt hatte. Er schüttelte die Bienen in einen weißen Kasten aus Holz und trug ihn zur Ladefläche des Pick-ups, während ich die heißen Schwellungen auf meinem Kopf betastete. Sie waren fest und hart, und sie schienen größer zu werden. Ich hatte Angst, dass mein Kopf bald so aufgebläht wäre wie ein Kürbis.
Grandpa stieg ein und ließ den Motor an.
»Einen Moment«, sagte er, nahm meinen Kopf in die Hände und fuhr mit den Fingern über die Kopfhaut. Ich zuckte zusammen, als würde er Murmeln in meinen Schädel drücken.
»Einen habe ich übersehen«, sagte er und zog einen schmutzigen Fingernagel seitlich über meine Kopfhaut, um den Stachel zu entfernen. Er erklärte immer, dass es falsch war, den Stachel zwischen Daumen und Zeigefinger herauszudrücken, weil er dann das gesamte Gift in den Stich abgab. Er hielt mir die Handfläche hin, um mir den Stachel mit der stecknadelgroßen Giftblase zu zeigen, die noch daran hing.
»Sie arbeitet noch«, sagte er und deutete auf das weiße Organ, das Gift pumpte und nicht wusste, dass seine Dienste nicht mehr gebraucht wurden. Es war ekelhaft und erinnerte mich an ein Huhn, das ohne Kopf herumlief, und ich rümpfte die Nase. Er warf ihn aus dem Fenster und schaute mich dann erfreut an, als hätte ich ihm gerade mein Zeugnis mit lauter Einsern gezeigt.
»Du warst sehr tapfer. Du bist nicht ausgerastet und so.«
Mein Herz schlug Räder in meinem Brustkorb, und ich war stolz auf mich, weil ich mich von den Bienen hatte stechen lassen, ohne wie ein Mädchen zu schreien.
Wieder zu Hause, stellte Grandpa den Kasten mit den Bienen neben seine Sammlung von einem halben Dutzend Bienenstöcken an den Zaun hinten im Garten. Der Schwarm gehörte jetzt uns und würde sich bald an sein neues Zuhause gewöhnen. Bienen flitzten bereits aus dem Eingang und flogen in kleinen Kreisen herum, um die neue Umgebung zu erkunden und sich Orientierungspunkte einzuprägen. In ein paar Tagen würden sie Honig produzieren.
Als ich zusah, wie Grandpa Zuckerwasser für sie in ein Einweckglas füllte, dachte ich darüber nach, dass er gesagt hatte, die Bienen würden der Königin folgen, weil sie ohne sie nicht leben konnten. Sogar Bienen brauchten ihre Mutter.
Die Bienen in dem Tennisclub hatten mich angegriffen, weil ihre Königin aus dem Stock geflüchtet war. Sie war verletzlich, und sie versuchten, sie zu beschützen. Verrückt vor Sorge, hatten sie das erste Ziel angegriffen, das sich ihnen in den Weg stellte - mich.
Vielleicht hatte ich deswegen nicht geschrien. Weil ich sie verstand. Bienen verhalten sich manchmal wie Menschen - sie haben Gefühle, und manche Dinge jagen ihnen Angst ein. Man sieht, dass es so ist, wenn man ganz stillhält und beobachtet, wie sie sich bewegen, ob sie auf der Wabe mühelos zusammenströmen wie Wasser oder ob sie zitternd darüber rennen, als würde es sie überall jucken. Bienen brauchen die Wärme einer Familie; eine einzelne Biene überlebt die Nacht wahrscheinlich nicht. Wenn ihre Königin stirbt, rennen Arbeiterbienen verzweifelt durch den Stock und suchen nach ihr. Das Volk schrumpft, und die Bienen werden mutlos und niedergeschlagen, kriechen langsam durch den Stock, statt Nektar zu sammeln, schlagen die Zeit tot, bevor die Zeit sie umbringt.
Ich kannte das nagende Bedürfnis nach einer Familie. An einem Tag hatte ich eine, dann war sie über Nacht nicht mehr da.
Kurz vor meinem...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.