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Kaum eine andere Epoche deutschsprachiger Lyrik fasziniert so nachhaltig wie die Romantik (etwa 1790–1830). Selten zuvor waren deutsche Gedichte, sieht man etwa vom mittelalterlichen Minnesang ab, sehnsuchtsvoller, kunstvoller und zugleich tiefgründiger als sie uns im lyrischen Œuvre der Dichtergeneration begegnen, die unmittelbar nach Goethe (zum Teil auch parallel zu ihm) mit einem völlig neuen ästhetischen Programm in Erscheinung trat. Nicht umsonst gilt die Romantik als eine lyrische Epoche, die bis heute eine unbestrittene Ausnahmestellung in der deutschsprachigen Literaturgeschichte hat.
Zahlreiche Gedichte von Tieck, Novalis, Schlegel, Arnim, Brentano, Eichendorff und Heine – um nur einige prominente Vertreter zu nennen – genießen nachgerade einen einzigartigen Stellenwert. Nicht nur ragen sie in Gehalt und Kunstfertigkeit aus der deutschen Literaturgeschichte heraus, sondern zeichnen sich auch in vielfacher Hinsicht durch einen kaum überbietbaren Grad an ästhetischer Innovation und Selbstständigkeit aus. Viele von ihnen haben weltliterarische Bedeutung gewonnen.
Auch dank zahlreicher genialer Vertonungen durch Komponisten wie Schubert, Schumann, Mahler und Brahms sind unzählige Gedichte oder Gedichtzeilen der deutschen Romantik einem breiten Publikum bis in unsere Gegenwart bekannt. Als Melodie haben solche Gedichte gerade auch in Form von populären Volksliedern weit über die Grenzen der Literatur hinaus Verbreitung gefunden. Sie erfreuen sich nach wie vor international anhaltender musikalischer Rezeption.
Freilich ist die zeitlose Popularität der romantischen Lyrik von einzelnen bzw. isolierten Aspekten her schwer erklärbar. Gleichwohl besticht neben dem nahezu unüberschaubaren Textbestand und dem vielfältigen Repertoire an Formen, Themen und Motiven vor allem die außergewöhnliche sprachliche Schönheit, in der viele Gedichte der Romantik verfasst sind. Die hohe Musikalität romantischer Verse und die meist in einem schlichten, volksliedhaften Ton gehaltene Diktion strahlen hinein in einen vielfältig differenzierten Fundus an Sprachbildern und bildhaften Assoziationen. Diese besondere Ausformung poetischer Fantasie bildet einen einzigartigen ästhetischen Höhepunkt deutschsprachiger Lyrik.
Mit Recht wird der romantischen Lyrik ein herausragender Beitrag „zum Reichtum und zur Schönheit der deutschen Literatursprache“1 bescheinigt. Das zeigt sich beispielsweise an dem Gedicht Mondnacht von Eichendorff:
Es war, als hätt’ der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blüten-Schimmer
Von ihm nun träumen müßt’,
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Dieses schlicht wirkende Gedicht zieht den Leser bereits durch den außergewöhnlichen Wortklang in seinen Bann. Verzaubert wird der Leser aber auch von dem unfassbaren dunklen Sinn des innigen Einklangs von Himmel und Erde. Hierbei entfaltet sich in der einfachen Darstellung der Landschaft in Verbindung mit der Schönheit der lyrischen Sprache ein besonderer ästhetischer Reiz. Nicht umsonst hat Oskar Seidlin die These aufgestellt, dass Eichendorffs Mondnacht zu den „zehn vollendeten Wundern deutscher Sprache“2 gehört. Bedeutenden Anteil an dieser Wahrnehmung haben nicht zuletzt die entfesselte schöpferische Fantasie, von der die romantischen Verse getragen sind, und die künstlerische Raffinesse ihrer Machart.
Gewiss nimmt Eichendorff eine exponierte Stellung als Lyriker der Romantik ein, tatsächlich aber sind jene Gedichte der deutschen Romantik, auf die diese in der fiktionalen Literatur einzigartigen Qualitätsmerkmale zutreffen, zahlreich. Die aus der poetischen Innovations- und Gestaltungskraft ausgehende ästhetische Wirkung bleibt unerschöpflich. Sie lässt Gedichte der Romantik immer wieder aufs Neue zu einem wahren Lesegenuss werden, sprechen sie doch Herz, Sinne und Verstand gleichermaßen an.
Der virtuose Kunstgriff, mit dem die von Friedrich Schlegel programmatisch geforderte ganzheitliche Poetisierung der Welt gedanklich und sprachkünstlerisch in der Lyrik der Romantik umgesetzt wird, hat einen einmaligen schöpferischen Anspruch. Diesem Konzept entspricht das vielberufene „Zauberwort“ Eichendorffs, das nicht nur dem Kunstverständnis der Romantik, sondern auch dem Gedicht als romantischem Wortkunstwerk ästhetische Anziehungskraft und Aktualitätswert verliehen hat. Anschauliche Bestätigung dafür liefern beispielsweise die Verse von Novalis berühmtem Gedicht:
Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Kreaturen
[…]
Dann fliegt von einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.
Gerade in einer Zeit, in der Zahlen und Figuren den Lauf und das Verständnis der Welt zu bestimmen scheinen, rufen uns diese Zeilen in Erinnerung, dass das technisch-rationale Weltbild einer poetischen Ergänzung bedarf, um dem Menschen das verloren gegangene Gleichgewicht zurückzugeben. Schon dadurch wird die Aktualität des romantischen Weltverständnisses sichtbar – dies umso mehr, als die Sehnsucht nach der Heilung jenes Bruchs, der in der Zeit der Aufklärung zwischen Mensch und Natur aufgetreten ist, nach wie vor den Reiz der romantischen Gedichte ausmacht.
Auch der Zauber der romantischen Lyrik, so scheint es, ist heute noch wirksam. Zahlreiche Gedichte jener Zeit vermögen es nach wie vor, „seelische Saiten in uns“ anzurühren3, weil sie den Leser immer wieder auffordern, die eigenen Bilder und Fantasien zu entfalten. Johann Wolfgang Goethe, der ansonsten der romantischen Bewegung kritisch bis ablehnend gegenüberstand, wird man bis heute darin zustimmen dürfen, dass das künstlerische Schaffen der romantischen Dichter einen „unglaublichen Reiz“4 besitzt.
Ein Lesebuch, das die besten Gedichte der deutschen Romantik vorzustellen beabsichtigt, sieht sich vor die besondere Herausforderung gestellt, aus der Vielzahl von Gedichten weltberühmter Lyriker eine begrenzte Auswahl zu treffen. Eine solche Auswahl, wie gewissenhaft sie auch vorzugehen vermag, verkürzt. Denn mit jeder Entscheidung für ein bestimmtes Gedicht wird immer auch eine Entscheidung gegen andere Gedichte getroffen. Daher erscheint es geboten, dem Leser an dieser Stelle kurze Rechenschaft darüber abzulegen, welche editorischen Grundsätze und Besonderheiten die vorliegende Gedichtauswahl auszeichnen.
Die vorliegende Anthologie ist als eine Leseausgabe konzipiert. Sie vermittelt fundierten Einblick in die lyrische Produktion der gesamten Epoche der deutschen Romantik. Die aufgenommenen Gedichte stammen überwiegend aus der Feder von großen Lyrikern, die zu den Klassikern der Poesie der Romantik zählen. Doch die Anthologie enthält auch mit bisher weniger bekannten Gedichten von Karoline von Günderrode, Julius Kerner, Ludwig Uhland u.a.m. einige Entdeckungen, die zu echten Überraschungen zählen dürfen. Damit ist eine der wesentlichen Absichten der vorliegenden Anthologie erfüllt: dem Leser mehr von der Vielfalt der romantischen Lyrik zu bieten als nur die bekannten Texte.
Neu an dieser Anthologie ist der Versuch, den Leser der hier versammelten Gedichte an die Motiv- und Themenvielfalt, die zahlreichen Ausdrucksmöglichkeiten sowie die individuellen Schreib- und Verfahrensweisen der Autoren heranzuführen. Rasch wird der Leser einsehen, dass die permanente Überschreitung aller räumlichen und zeitlichen Grenzen, das ständige Aufbrechen zu neuen Ufern, auch in ästhetischer Hinsicht zum Grundkonzept der literarischen Romantik zählte. Die Lyrik der Romantik, so wie sie in dieser Anthologie präsentiert wird, ist auch als Ergebnis eines besonderen poetischen Universums zu verstehen, dessen Umrisse sich „in einer endlosen Reihe von Spiegeln vervielfachen“ (Schlegel). Dies rechtfertigt die Aufnahme der Gedichte von Autoren wie Friedrich Hölderlin und Heinrich von Kleist, die allenfalls unter Vorbehalt einer wie auch immer verstandenen Romantik zugerechnet werden.
Es ist folgerichtig, wenn sich die Auswahl der vorliegenden Gedichte nicht an einer gewaltsamen Konstruktion des „typisch“ Romantischen orientiert, das dem lyrischen Œuvre der deutschen Romantik ein normatives Verständnis aufzwingen würde. Die Romantik ist weniger ein normativer als vielmehr umstrittener, ja unklarer Begriff. Ihr Wesen ist, wie Oscar Wilde einmal treffend formulierte, „die Ungewissheit“. Deshalb zielt die hier vorgelegte Gedichtauswahl darauf ab, dem Leser ein authentisch differenziertes Weltbild der Romantik zu vermitteln, wie es in den Gedichten Niederschlag gefunden hat.
Mit...
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