LEVEL 1:
DIE 1970ER
DIE ERSTE DADDEL-DEKADE
In diesem Jahrzehnt kommen Personal Computer und Spielkonsolen zum ersten Mal in viele Haushalte. In den USA und vielen weiteren westlichen Ländern beginnt der Boom der Gaming Arcades. Das Fundament für die Ausbreitung der Videogames ist gelegt.
PONG: EINFACH ERFOLGREICH
Zwei Balken, ein Ball: Pong ist die einfachste Darstellung von Tennis, die man sich vorstellen kann. Beide Balken - die »Schläger« - befinden sich links und rechts an der Bildschirmseite. Mit dem eigenen Controller kann man einen Schläger rauf und runter bewegen. So haut man den pixeligen Ball weg, bevor er ins Aus geht. Pong war einfacher als Tennis for Two im Jahr 1958 und deswegen genau das richtige Spiel für das junge Unternehmen Atari. Der Gründer Nolan Bushnell benannte seine Firma nach der Stellung atari (»Treffer« oder »Erfolg«) im japanischen Strategiespiel Go, ähnlich dem Schachmatt. Schon während seines Studiums hatte Bushnell begeistert Spacewar! gespielt und auf dieser Basis ein einfaches Spiel namens Computer Space entworfen. Das produzierte die Firma Nutting Associates dann für Arcade-Automaten, was Bushnell ein stabiles Einkommen verschaffte. Aber Bushnell war unzufrieden, dass Computer Space nicht der Riesenerfolg war, den er erhofft hatte. Mit seiner eigenen Firma Atari wollte Bushnell keine Kompromisse eingehen. Kurz nach der Gründung beauftragte er den Elektroingenieur Allan Alcorn, ein Ping-Pong-Game zu entwerfen. Alcorn war gerade neu als Auszubildender eingestellt worden und Bushnell gab ihm eine einfache Aufgabe, damit der Junge eigene Erfahrungen machen konnte. Bushnell hielt ein so einfaches Spiel für zu simpel, um es wirklich zu verkaufen.
Dabei übersah er die drei Kriterien, die schon seit Jahrzehnten den Erfolg von mechanischen Arkade-Automaten wie dem Flipper garantierten: optisch reizvoll, einfach zu verstehen und schwer zu meistern. Als die Atari-Belegschaft nach jedem Feierabend ein oder zwei Stunden Pong spielte, war die Sache klar: Das Spiel musste vermarktet werden. Sogleich tauften sie es Pong - der Markenname Ping Pong war geschützt. Das erste Testgerät stellten die Atari-Leute in Andy Capp's Tavern in Sunnyvale in Kalifornien auf. Ein paar Tage später meldete sich der Besitzer: Die Pong-Maschine sei kaputt, ob jemand zur Reparatur kommen könnte. Alcorn fuhr rüber und öffnete den Münzbehälter, um erst mal eine Runde zu Testzwecken kostenfrei zu spielen. Eine wahre Flut an Kleingeld ergoss sich über den Kneipenboden. Denn die Maschine war nicht kaputt: Die Vierteldollarmünzen hatten den Automaten blockiert. Der Automat in Andy Capp's Tavern hatte ungefähr das Vierfache dessen eingebracht, was ein durchschnittlicher Flipper generierte. Atari konnte also sehr zuversichtlich sein, was den Erfolg von Pong anging. Trotzdem fand sich kein Partner, der die Maschinen finanzieren wollte. Also investierte Bushnell das gesamte Firmenkapital in elf Maschinen und verkaufte sie sofort. Die eingenommenen 9900 Dollar in bar flossen gleich in die nächsten 50 Maschinen.
Streng genommen waren die ersten Pong-Automaten keine echten Computer - ein fest verdrahteter, sowohl digitaler als auch analoger Schaltkreis steckte in der gelb-braunen Apparatur. Aber sie waren ein Hit und Atari hatte bald 8 000 Stück verkauft. Schnell begannen Flipper-Hersteller die Geräte zu kopieren und Atari fand internationale Partner für die weltweite Vermarktung. In Italien unter dem Namen TV Joker, in Japan entstand der Pong-Klon Elepong und in Frankreich Smatch. Aber bald fiel auch der Firma Magnavox der Erfolg von Pong auf. Magnavox hatte von Sanders Associates die Rechte an Baers Brown Box gekauft. Und dazu gehörte auch ein Ping-Pong-Spiel .
SPORT, ABER MIT WENIGER BEWEGUNG: SPORTSPIELE
Ziemlich viele der ersten elektronischen Games waren Sportsimulationen. Tennis for Two, Pong oder das Golfspiel auf der Brown Box: Das Konzept, einfach eine bestehende Sportart umzusetzen, hat sich bis heute bewährt. Nur die richtige Technik und Programmierung zu finden, war nicht immer einfach. Heute sind Sportspiele ein fester Bestandteil der Videogame-Welt. Die FIFA-Reihe steht mit rund 325 Millionen verkauften Spielen (Stand: 2021) auf Platz fünf der erfolgreichsten Game-Franchises. Mittlerweile leihen Sportstars ihren digitalen Avataren nicht nur den Namen, sondern auch das fotorealistisch aufbereitete Gesicht. Zum Genre Sportspiel zählen auch Manager-Games, bei denen man eine Fußball-, Basketball- oder Curling-Mannschaft führen kann. Normalerweise sind Sportspiele jugendfrei. Eine der wenigen Ausnahmen dürfte Pong sein. Da die USK (Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle) das Spiel nie in Augenschein genommen hat, ist der in jeder Hinsicht harmlose Klassiker offiziell als »Ab 18« eingestuft.
DIE BRAUNE BOX BEI MAGNAVOX
Nach einigen Jahren in der Development Hell hatte es die Brown Box doch noch geschafft: Von mehreren potenziellen Partnern hatte nur die Radio Corporation of America (RCA) Interesse angemeldet, aber deren Bedingungen gefielen Sanders Associates nicht. Die RCA-Führungskraft Bill Enders jedoch wechselte zum Elektronikhersteller Magnavox und hatte das TV-Spielgerät nicht vergessen. Er schaffte es, seine Vorgesetzten für die Brown Box zu interessieren. 1971 kaufte Magnavox die Rechte und arbeitete an einem marktreifen Produkt: Erst unter dem Namen »Skill-O-Vision«, dann als »Odyssey«. Die Inspiration dazu kam wahrscheinlich vom Film 2001: Odyssee im Weltraum, der 1968 in die Kinos kam und der unter anderem den schachspielenden Computer HAL 9000 zeigt. Die Spielkonsole Odyssey enthielt insgesamt zwölf Games, mitgeliefert wurden auch bunte Plastikfolien, die auf TV-Bildschirmen hafteten. Denn das System konnte nur Schwarz-Weiß-Effekte produzieren. Ebenfalls beigelegt waren Spielgeld, Spielkarten und Pokerchips, die für einige Games benutzt werden sollten. Für Ralph Baer zu viel des Guten: »Ich wusste, dass niemand jemals diesen ganzen Kram nutzen würde«, zitiert ihn Tristan Donovan im Buch Replay.
1972 kam die Odyssey schließlich auf den Markt - das gleiche Jahr, in dem Bushnell Atari gründete. Und zwei Jahre später kam es zum Konflikt: Magnavox ging gegen Atari vor Gericht - Pong sei ein Plagiat des Ping-Pong-Spiels auf der Odyssey. Baers Unterlagen bewiesen, dass er schon länger an dem Spielkonzept gearbeitet hatte. Und dann fand sich noch ein erdrückenderer Beweis: Bushnell hatte am 24. Mai 1972 eine Odyssey-Vorführung bei Magnavox besucht, der Gästebuch-Eintrag war eindeutig. Schließlich einigten sich Atari und Magnavox auf eine einmalige Zahlung von 700 000 Dollar für eine Volllizenz. Für Atari lohnte sich der Deal gleich doppelt: Zum einen war die Firma damit zum Schnäppchenpreis aus dem Schneider, zum anderen mussten die Anbieter von Pong-Klonen große anteilige Summen an Magnavox zahlen. Und der Erfolg von Pong in den Spielhallen kurbelte auch die Verkaufszahlen der Odyssey an: 1975 hatte Magnavox insgesamt 350 000 Konsolen verkauft. Kein Wunder also, dass Atari bald auch eine eigene Konsole auf den Markt brachte: die Atari Home Pong.
DAS RENNEN AUF DIE ARCADE-SPIELHALLEN
In den Jahren nach 1972 expandierten die Arcade-Automatenhersteller. Im Prinzip ähnelten sich die meisten Spiele: Dinge bewegten sich auf der Mattscheibe, wurden abgeschossen, geworfen, geschleudert. 1974 war die Zeit für etwas Neues gekommen: Gran Trak 10 - der erste Rennspiel-Automat. Das Gerät von Atari hatte keinen Joystick oder Drehknopf, sondern ein Lenkrad, einen Schaltknüppel und zwei Fußpedale. Auf dem Bildschirm sah man beim Spielen eine Rennstrecke - in Schwarz-Weiß und aus der Vogelperspektive. Mit dem Steuer lenkte man einen pixeligen Rennwagen durch den Track. Das Game war ein Rennen gegen die Uhr: Man musste möglichst viele Kontrollpunkte passieren, bevor die Zeit ablief. Fuhr man gegen die Begrenzung, legte das Auto einen U-Turn hin. Durch den Einsatz von ROM, Read-Only-Memory, setzte Atari einen neuen Standard in der Branche. Gran Trak 10 verkaufte sich gut. Allerdings hatte sich die Firma verkalkuliert und machte pro Automat 100 Dollar Verlust. Im Geschäftsjahr 1974 summierten sich die Verluste für Atari auf eine halbe Million Dollar. Und dann begann die japanische Firma Taito auch noch, ebenfalls ein Rennspiel auf den Markt zu bringen. Bei Speed Race war auf dem Bildschirm keine abgeschlossene Rennstrecke zu sehen, sondern eine von oben nach unten scrollende Straße. Dieses Element, entworfen vom Spieledesigner Tomohiro Nishikado, war ein Meilenstein im Computer-Game-Design. 1975 erschien Speed Race unter den Titeln Racer und Wheels (später Wheels II) auch auf dem nordamerikanischen Markt. Mit an die 10 000 verkauften Automaten war das Videogame das erfolgreichste Arcade-Spiel des Jahres. In Japan erhöhte Speed Racer die Kosten für ein Spiel von 50 auf 100 Yen und verdoppelte so den Standardpreis in Spiel-Arkaden.
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