Schweitzer Fachinformationen
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Es war mittlerweile Nachmittag geworden. Die Beamten der Kripo Zürich Nord hatten sich im Büro des Einsatzleiters Severin Martelli zusammengefunden und die bisherigen Fakten des Falles Hungerbühler auf einer übergroßen Wandtafel mit farbigen Schreibern grafisch dargestellt. Zum einen hatte die Vermutung – und mehr war das noch nicht – des Engel-Wirtes Anlass zum Reden gegeben. Dann stand auch der merkwürdige Umstand zur Debatte, dass der 80-jährige Hungerbühler gestern wie üblich um 18 Uhr das Abendessen im Alters- und Seniorenheim Alpenblick eingenommen hatte, aber dann aus welchen Gründen auch immer die Residenz in Zürich-Höngg wieder verlassen und sich zu fortgeschrittener Nachtstunde mit seinem späteren Mörder getroffen hatte. Was war so dringend gewesen, dass es keinen Aufschub bis zum Morgen verkraftete und wer hätte den alten Mann zu einem solchen Ausflug verleiten können?
Hier tappte das Team rund um Martelli ebenso im Dunkeln wie bei der Frage, welche Rolle der Sohn des Toten spielte. Als man Titus Hungerbühler den Tod seines Vaters mitteilte, reagierte er anders als erwartet. Er zeigte keinen Anflug von Trauer oder Gram, was ihn sofort verdächtig machte. Gemäß seiner Aussage beschränkte sich der Kontakt zum Senior lediglich auf die üblichen Zusammenkünfte an Weihnachten, Ostern und Geburtstagen. Das letzte Treffen war demnach fast drei Monate her.
Nicht minder verwirrend erschien der Bescheid der Gerichtsmedizin, wonach der Tod die Folge eines Herzstillstands gewesen war, hervorgerufen durch Stress und Überanstrengung. Angesichts des anatomischen Zustandes des Herzens, so meinte der Mediziner lapidar, sei das erstaunlich, denn dieser Muskel war für sein Alter erstaunlich rüstig. Doch das war nicht das einzige Rätsel. Bei der Obduktion wurde ein rund fünfzehn Jahre alter Port gefunden. Dieses Teil, erklärte der Gerichtsmediziner, würde in der Regel Krebspatienten unterhalb des Schlüsselbeins eingesetzt, um ihnen chemotherapeutische Medikamente intravenös geben zu können. Allerdings sei in der Krankenakte des Toten nirgends von einer Krebserkrankung die Rede. Selbst der Hausarzt, der das Seniorenheim betreute, wusste nichts davon.
»Wenn Hungerbühler eine Krebsbehandlung über sich hat ergehen lassen müssen, von der man nichts wissen durfte, dann wird sie wohl nicht im Unispital erfolgt sein«, mutmaßte Enzo Baldini, einer der Ältesten im Team von Martelli. Dass er es schon so viele Jahre an der Seite des launischen Chefs ausgehalten hatte, lag wohl an der Tatsache, dass beide von italienischen Eltern abstammten, die in den 60er-Jahren in die Schweiz gekommen waren und blieben. Diese Gemeinsamkeit, die aus den beiden Polizisten gleichsam Schicksalsgefährten machte, war offenbar von Bestand. Sie teilten in etwa ähnliche Kindheitserlebnisse, waren eine Teilmenge dieser ›Tschinggen‹ gewesen, wie man die Italiener in der Schweiz damals abschätzig genannt hatte. Dabei waren sie hier geboren worden, hatten die Schule wie alle anderen Kinder durchlaufen und sprachen akzentfrei den hiesigen Dialekt. Sie wurden noch vor der Rekrutenschule eingebürgert und waren fortan gespaltene Seelen. Im Pass Schweizer, im Herzen Italiener. Das prägte und hallte bis zum heutigen Tag nach. Secondos05 mussten hierzulande stets mehr leisten, so lautete ihre Überzeugung, wenn sie gleichviel erreichen wollten.
»Was gibt es denn für private Kliniken in der Region, die bei genügend Kleingeld auch mal etwas verschwiegener agieren?«, fragte Reto Zuppinger in die Runde. Der kleine, aber durchtrainierte Mittdreißiger gehörte ebenfalls zum Stammteam. Dank seines hemdsärmeligen Auftretens besaß er einen guten Draht zum einfachen Volk.
»Private Kliniken gibts hierzulande so häufig wie Verkehrskreisel«, meinte der Chef. »Die Frage ist mehr, wieso man eine Krebsbehandlung geheim halten musste und zum Zweiten, welche Art von Krebs behandelt wurde!« Martelli blickte in die Runde und wandte sich an Baldini und die danebensitzende Jungpolizistin Lena Salzmann. »Enzo, du und Lena, ihr geht mal die Kliniken durch.« Die Angesprochenen nickten, derweil fuhr Martelli fort und wandte sich an Zuppinger und dessen Kollegen Lukas Rütimann. »Ihr beiden klärt ab, was die Familie über die Krebssache und den Alten weiß. Da muss doch im Archiv der Firma irgendetwas zu finden sein und erstellt einen Stammbaum dieser Sippe.«
Die Leute erhoben sich von ihren Sitzen, als Martelli nochmals eine Frage in die Runde warf: »Wer von euch hat schon mal gehört, dass es Ende der 60er-Jahre in der Schweiz einen atomaren Unfall gegeben hat?«
Die anderen blickten ihn fragend an. »Mir sind nur Tschernobyl und Fukushima bekannt«, antwortete Salzmann als Erste.
»Genauso ging es auch mir«, meinte der Chef. »Dabei muss es mitten in der Schweiz, in einem unterirdischen Versuchsreaktor, bös gekracht haben. Möglicherweise gab es sogar Tote. Mindestens aber eine erhebliche Verstrahlung. Wer könnte mir da Licht ins Dunkel bringen?«
»Vielleicht ein Militärhistoriker«, schlug Baldini vor.
»Frag doch den Trümpi. Der hat schon mehr Jahre auf dem Buckel als wir und ist ein wandelndes Lexikon. Vielleicht weiß er was!« In Rütimanns Gesicht stand ein breites Grinsen, denn alle wussten nur zu gut, dass sich der Chef mit diesem etwas sturen und eigenwilligen Beamten nach wie vor schwertat, weil er ihn nicht so recht fassen konnte. Erst in letzter Zeit hatte er ein gewisses Maß an Respekt für den Alten entwickelt und wollte von seinem Wissen profitieren, da Trümpi kurz vor seiner Pensionierung stand.
»Gute Idee, wo ist der überhaupt?«, antwortete der Chef zum Erstaunen der Anwesenden, bis ihm einfiel, dass er ihn ja heute Morgen erst wieder aus diesem Fall herausgenommen hatte, weil dem Alten noch eine wichtige Sitzung bevorstand. Und während sich seine Untergebenen auf den Weg machten, durchquerte Martelli den langen Gang der altehrwürdigen Polizeikaserne. Das unangenehme Neonlicht wurde vom gräulichen Novilonboden reflektiert, sodass alles krank und jämmerlich aussah. Martelli freute sich auf den Bezug des Neubaus, der bald anstand. Endlich lichtdurchflutete Räume, zeitgemäße Infrastruktur und Platz für sich und sein Team. Die neue Umgebung würde sich sicher auch auf die Arbeitsmoral der Beamten niederschlagen, war er sich sicher. Und während er eine gläserne Schwenktüre durchschritt, wie sie auch in alten Spitälern zu finden war, fiel ihm ein, dass Trümpi seit Jahrzehnten in diesem Gebäude seinen Dienst absolvierte. Und plötzlich empfand er es nachvollziehbar, dass man griesgrämig und abgelöscht wurde.
Umso überraschter war er, als er in Trümpis Büro trat. Mehrere wild wuchernde Gummibäume sorgten für ein dschungelhaftes Ambiente und mittendrin saß der Alte. Er blickte zwar überrascht, aber nicht unfreundlich auf, als sein Chef eintrat.
»Salut Jean-Jacques, wie liefs?«
»Danke der Nachfrage«, meinte der Angesprochene und staunte, dass sich der Chef für seine Pensionierung interessierte. »Der Berater für eine sorgenfreie Pensionierung hat mir geraten, mir ein Hobby zu suchen, um nicht an Langeweile einzugehen.«
»Und hast du Hobbys?«
»Hast du welche?«, fragte er zurück.
Martelli lachte kurz auf. »Verstehe. Modelleisenbahnbauen und Briefmarken sammeln sind wohl nicht dein Ding.«
»Im Jahr 1977 tötete ein Mann im Affekt seine Ehefrau wegen einer Modelleisenbahn. Der Grund war, dass die Partnerin mit dem Staubsauger die wartenden Figürchen beim Bahnhof eliminiert hatte. Das war mir eine Lehre!«
Martelli musste lachen. Er mochte Menschen mit trockenem Humor.
»Sag, Jean-Jacques, kannst du dich an einen atomaren Unfall in einer Versuchsanstalt in der Schweiz erinnern? Irgendwann Ende der 60er-Jahre.«
Trümpi dachte kurz nach. Als würde sein Gedächtnis irgendwo zwischen Fenster und Decke hängen, blickte er in die Höhe und suchte in seinem geräumigen Erinnerungsschatz nach Fakten.
»Ja, da war mal was. Wenn ichs noch recht weiß, kam es Ende der 60er-Jahre zu einem Atomunfall. Wieso willst du das wissen?«
»Unser Fall Hungerbühler könnte mit diesem Unfall irgendwie zusammenhängen.«
»Du meinst wegen dieser Gerüchte rund um diese radioaktiven Fässer, von denen die Dörfler gesprochen haben?«
»Es waren wohl nicht nur Gerüchte. Ich habe Fotos gesehen.« Martelli erzählte vom Gespräch mit dem Engel-Wirt. Trümpi hörte aufmerksam zu und nickte. »Wenn du willst, kann ich mal versuchen, mehr über die Geschichte herauszufinden.«
Martelli lächelte. »Mach das. Besonders interessiert uns, wie sehr unser Toter und seine Baufirma in den 60er-Jahren in die Entsorgung dieses Reaktors involviert gewesen waren. Woran arbeitest du im Moment?«
»Ich muss noch in zwei Fällen rund um Nötigung im Nachbarschaftsbereich Papierkram erledigen. Beides Resultate meines letztwöchigen Fronteinsatzes.«
»Gut, das hat Zeit. Ab sofort arbeitest du im neuen Fall. Alle Infos, die wir bislang zusammengetragen haben, findest du auf unserem Server.«
»Und wie heißt das Passwort?« Trümpi wusste, dass sein Chef die Angewohnheit besaß, wichtige Informationen nur seinen eingeschworenen Leuten zugänglich zu machen. Und dass jeder, der das Passwort erhielt, zum engeren Kreis gehörte.
Entgegen seiner Erwartung zögerte Martelli keine Sekunde und nannte ihm den Zugangscode. »Wäre hilfreich, wenn du bis morgen zu unserer 9-Uhr-Sitzung einige Hintergrundinfos zusammengestellt hättest und sie dem Team vortragen könntest! «
Als der...
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