MEINE RENNRADKARRIERE
Sportlich war ich schon immer. Als Jugendlicher war ich Leichtathlet - vor allem Hochspringer, aber auch Zehnkämpfer. Ich spielte Fußball in meiner Dorfmannschaft, war in der Basketballmannschaft und in der Volleyballmannschaft meiner Schule, und - was sportlich nicht gerade besonders anstrengend war - ich war Eisstockschütze. Sieben bis acht Trainingseinheiten pro Woche waren normal für mich. Meine Leistungen in der Schule glänzten in dieser Zeit nicht besonders, was mir weniger, mehr aber meiner Mutter immer wieder Sorgen bereitete. Unnötig, wie sich herausstellte. Die Matura schaffte ich als Zweitbester meiner Schule. Am Studium der Betriebswirtschaft an der Uni Innsbruck fand ich dann umso mehr Spaß. Ich finanzierte es selbst und arbeitete in den Ferien ganztags und während des Semesters sehr oft an den Wochenenden als Kellner. 70 bis 80 Stunden pro Woche Arbeit und Studium waren keine Seltenheit. Urlaub gab es nie. Ich erinnere mich an einen Sommer, in dem ich drei Monate lang arbeitete - zehn bis zwölf Stunden pro Tag, sieben Tage in der Woche - und mich gleichzeitig für die Diplomprüfung der Volkswirtschaftslehre im Herbst vorbereitete. Die Zeit dafür fand ich in meiner zwei-, dreistündigen Pause am Nachmittag. Ich kam in diesem Sommer leicht auf 100 Stunden pro Woche. Es war anstrengend, aber es lohnte sich. Die Prüfung bestand ich souverän.
Die Arbeit als Kellner hat mich eines gelehrt: Effizienz. Ich hatte die Gäste im Restaurant, in der Bar und auf der Terrasse zu betreuen. Oft konnte ich die Arbeit nur bewältigen, indem ich die Strecke von der Bar bis zur Terrasse rannte! Ich konnte die Arbeit nur schaffen, indem ich mehrere Dinge gleichzeitig erledigte - ich hatte mir angewöhnt, niemals mit leeren Händen zu laufen, jede Sekunde zu nutzen. Diese Einstellung prägte mein ganzes Arbeitsleben und später auch mein Training für das Race Across America. Im Winter spulte ich regelmäßig 5000 Kilometer auf der Rolle ab. Um auch diese Zeit zu nutzen, schaffte ich mir ein Rednerpult an und erledigte meine Lesearbeit auf der Rolle. Ich las pro Jahr etwa 15 bis 20 Fachbücher und unzählige wissenschaftliche Aufsätze während des Trainings, zudem bildete ich mich über Podcasts, Videos und Hörbücher weiter.
Aber zurück zu meiner Studienzeit. Die enorme Zeitbelastung durch Studium und Arbeit ließ keine Minute für Sport. Von den ehemaligen täglichen Trainings war ich weit entfernt und wurde zum regelrechten Sportmuffel. Nach dem Studium bot mir Professor Hans Hinterhuber gleich eine Assistentenstelle am Institut für Unternehmensführung an. Nachdem ich es gewohnt war, sieben Tage in der Woche zu arbeiten, machte ich so gleich weiter. Witha, meine damalige Freundin und später Mutter meiner zwei Söhne, war nicht gerade begeistert und versuchte mich zu überzeugen, dass es neben der Arbeit auch noch etwas anderes im Leben gab. Für mich war es normal, samstags und sonntags zu arbeiten. Neben der Forschung für meine Dissertation und der Lehre an der Uni bekam ich sehr viele Möglichkeiten, an Projekten mitzuarbeiten, Workshops für Unternehmen zu gestalten, Vorträge zu halten usw. Mein erstes Buch veröffentlichte ich zwei Jahre bevor ich meine Dissertation abschloss. Es war keine Seltenheit, dass ich - weil die Arbeit kein Ende nahm - die ganze Nacht lang einen Seminartag vorbereitete, in der Früh schnell unter die Dusche ging, um anschließend, ohne eine Minute geschlafen zu haben, eine Gruppe von Führungskräften den ganzen Tag zu unterrichten.
Obwohl mich dieser Lebensrhythmus nicht belastete, wurde mir klar, dass mir etwas Wichtiges fehlte: Sport. Martin, ein Freund von mir, brachte mich zum Mountainbiken, und etwas später, ich war 28, besorgte er mir ein Rennrad. Es war das Colnago Master Olympic, das Trainingsrad des Weltmeisters Maurizio Fondriest. Sein Mechaniker hatte ein Radgeschäft in Innsbruck. Ein paar Freunde von mir trainierten für den Styrkeprøven - die Kraftprobe -, ein Rennen, das jährlich zur Sonnenwende in Norwegen ausgetragen wird. Die Strecke führt 540 Kilometer lang von Trondheim nach Oslo - nonstop. Etwa 4000 Höhenmeter sind zu absolvieren. Da ich immer wieder mit ihnen trainierte, fragten sie mich schließlich, ob ich das Rennen gemeinsam mit ihnen bestreiten möchte. Ich hatte keine Ahnung vom Rennradfahren, erst ein paar Kilometer trainiert und traute mir dieses Rennen natürlich nicht zu. Hubert, einer meiner Freunde, meinte dann im Scherz: "Das ist ganz leicht, Trondheim liegt im Norden, Oslo im Süden. Das heißt, es geht eh immer nur abwärts!"
Damit war ich überzeugt - mit diesen Jungs musste das schließlich Spaß machen!
Das Rennen startete am 18. Juni 1999. Da man in Tirol im Winter nicht gut auf der Straße trainieren kann, begann ich mit meinem Training erst im Februar, März. Ich hatte bis zum Styrkeprøven gerade einmal etwas mehr als 2000 Kilometer in den Beinen. Martin, Hubert, Markus und Peter nahmen sich die Zeit, um mit dem Wohnmobil nach Trondheim zu fahren. Ich flog knapp vor dem Rennen dorthin. Wir trainierten zwar ein bisschen, aber eigentlich genossen wir so kurz vor dem Rennen mehr die Landschaft. Und weil wir so cool waren, tranken wir abends Rotwein und rauchten Zigarren. Und weil wir nicht nur cool waren, sondern auch schlau, war uns klar, dass wir für das Rennen wohl viel Energie, sprich Kalorien, benötigen würden. Wir gingen essen - Steak mit Pommes, Dessert -, und natürlich wieder Rotwein. Um 23 Uhr waren wir im Hotel. Die Sonne schien noch, und im Zimmer war es hell. Wir konnten es kaum abdunkeln. Den Bauch vollgeschlagen und im hellen Zimmer schlief ich mehr schlecht als recht. Irgendwann war es 6 Uhr. Wir standen auf, gingen zum Start, und es ging los. Das Wetter war anfangs noch gut, aber nach ein paar Stunden begann es zu regnen. Auf dem Dovrefjell, dem höchsten Punkt, schneite es. Das Rennen war unglaublich lang, es wurde unglaublich hart. Aber irgendwie schafften wir es nach über 20 Stunden ins Ziel. So fertig war ich noch nie.
Mit Langstreckenfahren war dann vorerst einmal Schluss. Erst 2007 entschied ich mich wieder dafür, ein Rennen zu bestreiten. Mein Freund Alex brachte mich zum Ötztaler Radmarathon: für viele der Ritterschlag im Radsport, 235 Kilometer und 5500 Höhenmeter. Mit einer Zeit von etwas mehr als zehn Stunden kam ich ins Ziel. Sechs weitere Male nahm ich daran teil - das letzte Mal 2014, als ich mein Ziel erreichte, die Strecke in weniger als neun Stunden zu absolvieren. Damit war für mich das Kapitel Ötztaler abgeschlossen.
Ich begann mich wieder für längere Strecken zu interessieren. Und wie es der Zufall wollte, brachte mich Rotary 2013 zu meinem nächsten Projekt. Meinhard Huber, der Präsident der Fellowship Cycling to Serve Austria, organisierte eine Langstreckenfahrt von Weiz in der Steiermark nach Bregenz in Vorarlberg - von der Distriktkonferenz 1910 zur Distriktkonferenz 1920 (Rotary Österreich ist in zwei Distrikte geteilt). Wir wollten die über 600 Kilometer und etwa 8000 Höhenmeter in 30 Stunden bewältigen und dabei Spenden zur Ausrottung der Kinderlähmung sammeln. Bei dieser Radfernfahrt kam ich das erste Mal in direkten Kontakt mit dem Race Across America. Einer der Teilnehmer war der ungarische RAAM-Solo-Finisher Ferenc Szönyi. Er hatte von unserem Vorhaben gehört und schloss sich uns an. Unterwegs erzählte er mir, dass er vorher bereits von Ungarn nach Weiz geradelt war, uns nun begleitete, am nächsten Tag rund um den Bodensee fahren wollte und dann wieder zurück nach Ungarn - unvorstellbar für mich. Bregenz erreichten wir nach etwa 30 Stunden. Zu Meinhard sagte ich im Ziel, dass ich wieder dabei sei, wenn er noch einmal etwas in dieser Art organisiere. Diese Aussage sollte mich später zum Team Rotary RAAMs Polio bringen, ein Vier-Mann-Team, das 2016 in der Staffel das RAAM fuhr.
Vorher ging es aber noch einmal nach Norwegen zum Styrkeprøven. Ich schloss mich dem deutschen Vitargo-Team an, das das Rennen in 18 Stunden finishen wollte. Ein oder zwei Tage vor dem Start traf ich in Trondheim die Teammitglieder. Wir hatten ein kurzes Teammeeting, in dem die Rennstrategie erklärt wurde. Alle zwei Stunden zwei Minuten Pause, zehn Sekunden vor dem Ende der Pause ertönte eine Trillerpfeife, und jemand zählte zurück. Wer bei null nicht auf dem Rad war, hatte Pech - die Gruppe startete. Verabsäumte man den Startpfiff, verlor man nicht nur den Windschatten der Gruppe, sondern auch das Begleitfahrzeug, in dem Essen, Kleidung und Ersatzmaterial waren. In diesen zwei Minuten Pause musste alles erledigt werden - Pinkelpause, Essen nachfüllen, Flaschen nachfüllen, umziehen. Zwar extrem stressig, aber erfolgreich. Nicht alle kamen ins Ziel, aber gemeinsam mit ein paar Teamkollegen bewältigte ich die 18 Stunden mit einem Schnitt von ca. 30 km/h. In Oslo angekommen, verbrachten wir etwas Zeit im Ziel. Dann musste ich packen und gönnte mir drei, vier Stunden Schlaf im Hotel, bevor ich zum Flughafen aufbrach und weiter nach Oxford reiste, wo ich am nächsten Tag einen Vortrag hielt .
Irgendwann Ende 2015 kontaktierte mich...