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"Die Fenster des schönen alten Palais am Ballhausplatz [.] warfen oft noch spät abends Licht in die kahlen Bäume des gegenüberliegenden Gartens, und gebildete Bummler, wenn sie nachts vorbeikamen, fasste Schauer an. Denn so wie der heilige Josef den gewöhnlichen Zimmermann Josef durchdringt, durchdrang der Name 'der Ballhausplatz' den dort stehenden Palast mit dem Geheimnis, eine des halben Dutzends mysteriöser Küchen zu sein, wo hinter verhängten Fenstern das Geschick der Menschheit bereitet wurde."
(ROBERT MUSIL, "DER MANN OHNE EIGENSCHAFTEN")
IN DER MONARCHIE war der Ballhausplatz mehrmals Entscheidungszentrum für halb Europa. Heute ist er nur mehr politisches Zentrum der Republik. Aber weder das Bundeskanzleramt noch die Präsidentschaftskanzlei waren zu Beginn dieser Republik an dem Platz, an dem sie aktuell residieren. Im alten Palais Kaunitz, dem heutigen Bundeskanzleramt, tagte nach 1918 zunächst nur der Ministerrat und gab sich jene Geschäftsordnung, die die reale Ausübung der Staatsmacht in den folgenden 100 Jahren prägte. Darüber hinaus saß der Staatssekretär für Äußeres am Ballhausplatz. Der Bundeskanzler hingegen hatte sein Büro in der Herrengasse, im heutigen Innenministerium. Zudem hatte am Ballhausplatz auch der 1919 zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählte Karl Seitz seine Dienstwohnung. Doch erst im Dezember 1920 fand der neu gewählte Bundespräsident Michael Hainisch in den an der Löwelstraße gelegenen Zimmern sein neues Büro; die junge Republik wollte sich in ihren Symbolen nicht an die überwundene Monarchie anlehnen, daher sollte das Staatsoberhaupt hier und nicht in der kaiserlichen Hofburg sitzen.
Die Staatskanzlei, jahrhundertelang Schauplatz der habsburgischen und internationalen Diplomatie, wurde 1717 im Auftrag des Obersthofmeisters Sinzendorf durch Johann Lucas von Hildebrandt gebaut, um für den erstmals entstehenden professionellen Apparat der Außenbeziehungen eine Infrastruktur zu schaffen. Entsprechend den damaligen Gepflogenheiten musste das Gebäude sowohl das Amt als auch die Residenz des Ministers beherbergen. Da der Bauplatz recht beengt war, entschied sich Hildebrandt für einen fünfeckigen Bau, der die kurze Platzfassade eindrucksvoll erweiterte. Über dem großen Einfahrtstor signalisierte ein Balkon die Wichtigkeit des Hauses, die Beletage wurde betont, sonst war nicht viel Schmuck angebracht.
Man fuhr in die stuckverzierte Einfahrt, stieg beim rechten Wagenschlag aus und schritt die Prunkstiege direkt hinauf in die Beletage. Diese war zweigeteilt: rechts die private Repräsentationswohnung, links der Amtsflügel und dazwischen vier Räume für eine beiderseitige Nutzung. Von der Treppe kam man zunächst in einen schlichten Vorsaal, von diesem in den über sieben Meter hohen Festsaal mit vergoldeten Stuckaturen, Friesen und Simsen und einem Plafond, in dem sich vier Lüftungsgitter in den darüber liegenden Raum öffnen. Sie hatten zur Zeit des Wiener Kongresses große Berühmtheit erlangt, weil Metternichs Schreiber durch sie mithörten und mitschrieben. Fünf schwere Luster funkeln mit ihren Kristallen und erleuchten den Saal für nächtliche Festlichkeiten. Hier konnte man schon Hof halten - auch wenn sich das gesamte Gebäude im Vergleich zu den Palais der wirklich reichen Potentaten bescheiden ausnahm.
Vom großen Saal gelangt man durch einen fünfeckigen Salon in den heutigen Ministerratssaal mit einer strengen, aus dem frühen 19. Jh. stammenden Ausstattung. Ihn dominieren Stucco-lustro-Wände, zwei große vergoldete Spiegel und noch immer ein Bild des 18-jährigen Kaisers Franz Joseph. Der Raum ist heute die Schaltstelle der österreichischen Politik. Nach einem weiteren kleinen Salon erreichte man ursprünglich das Ministerzimmer, dessen kleiner Balkon damals auf die Bastei hinausblickte. Von diesen Räumen aus konnte man über eine kleine eiserne Brücke direkt auf die Krone der Stadtmauer und in das hübsche Paradeisgartl gelangen. Nach dem Ministerzimmer lag die Kapelle, die Metternich später zugunsten einer Bibliothek in den Halbstock verlegte. Heute befindet sich das Kanzlerzimmer nicht mehr hier, sondern im rechten Flügel.
Die Wohnung in dieser Flucht - wo aktuell der Bundeskanzler amtiert - war fast gemütlich angelegt. Durch einen schmalen Spiegelgang erreichte man ein Vorzimmer und von dort das große Boudoir der Dame des Hauses, südseitig im ruhigen Innenhof, sowie das Schlafzimmer und den Speisesaal - früher Säulensaal, heute holzgetäfeltes Kanzlerbüro. Ein paar Nebenräume sowie ein Herrenzimmer hinter dem Säulensaal schlossen das Ganze gegen das Minoritenkloster ab. Eine Hintertreppe führte in das Obergeschoß und in den Hof hinunter. Heute liegen hinter dem Kanzlerzimmer noch weitere Räume, üblicherweise auch das Büro des Kabinettschefs, da der Flügel 1902 in Richtung Staatsarchiv verlängert wurde.
Im darüberliegenden zweiten Stock befanden sich zur Zeit der Monarchie die privaten Wohnräume der Ministerfamilie, die Kinderzimmer, die Privatkanzlei sowie Wohnräume führender Hausangestellter. Im Hochparterre unter der Beletage lagen die Dienstzimmer der Beamten der Staatskanzlei und nochmals darunter im linken Flügel die Stallungen und im rechten die Küche, von wo zwei Spindeltreppen das Service nach oben ermöglichten.
Staatskanzler Renner nutzte 1918-20 das Gebäude nur wenig und nur in seiner Rolle als Leiter des Außenamts; Gleiches gilt für seine Nachfolger Michael Mayr und Johann Schober. Erst am 18. Juni 1923, nachdem der Völkerbund dem österreichischen Kanzler Seipel aufgenötigt hatte, einige Ressorts einzusparen, beschloss die Bundesregierung die Zusammenlegung von Kanzler- und Außenamt im Palais. Der ehemalige Privatflügel wurde dem Bundeskanzler zugeordnet - Marmorecksalon als Vorzimmer, das daran anschließende Zimmer als Arbeitszimmer, dahinter den Säulensaal als Besprechungsraum und danach vier Räume an der Außenfront und vier innenliegende Zimmer. Im rückwärtigen Teil der Beletage wurden die Räume ebenfalls vom Kanzleramt genutzt. Das Außenamt, insgesamt nur zwei Sektionen, war im Hochparterre und in Teilen des Obergeschosses konzentriert, zum Teil musste es in benachbarte Palais auswandern. Jetzt wurde der Ballhausplatz wieder Zentrum der österreichischen Politik, denn hier amtierten nun Bundespräsident, Bundesregierung und Bundeskanzler - der mehrmals auch die Ressorts Äußeres, Inneres und Justiz führte. Aufgrund dieser Kompetenzfülle gab es in den Folgejahren auch zusätzlich zahlreiche Kanzleramtsminister.
Säulensaal, Besprechungszimmer des Kanzlers bis 1938
1924 BEGANNEN - vor allem wegen des Sparkurses Seipels - innerparteilich die Länder zu rebellieren und legten ihm den Rücktritt nahe. Der Prälat war seit einem Schussattentat ohnedies psychisch und körperlich geschwächt und demissionierte am 8. November. Jetzt wurde der Salzburger Rudolf Ramek neuer Chef eines Kabinetts, in dem Vertreter der Länder starke Positionen innehatten. Der erfahrene Pragmatiker schaffte es am Ballhausplatz tatsächlich, bis Oktober 1926 seine Regierung zu halten. In seine Amtszeit fiel die Einführung des Schillings, die die ökonomische Stabilisierung der Republik symbolisierte. Letztlich stolperte er aber über Bankenzusammenbrüche, die er nicht verhindern konnte.
Daher übernahm im Oktober 1926 nochmals Seipel die Regierung, doch in der Folge verschärften sich die innenpolitischen Spannungen zusehends. Am Ballhausplatz war das daran zu merken, dass immer mehr Demonstrationen ihren Weg zum Bundeskanzleramt nahmen. Einen blutigen Ausbruch fanden die Konflikte am 30. Jänner 1927 im burgenländischen Schattendorf, als rechte Frontkämpfer das Feuer auf eine Demonstration des Republikanischen Schutzbundes eröffneten und zwei Menschen töteten. Die Verantwortung war klar, aber Kanzler Seipel beschwor vom Ballhausplatz aus nur die Gefahr der roten Volksfront. Es war erkennbar, dass er darauf abzielte, die Sozialdemokratie auszuschalten.
Die Allgemeinheit glaubte Seipel sein Bedrohungsszenario allerdings offenbar nicht, denn bei der Wahl im April 1927 erreichten die Sozialdemokraten mit über 42 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis. Seipel musste daher eine Koalition aus drei Parteien zusammenbasteln. Als am 14. Juli die Mörder von Schattendorf in Wien freigesprochen wurden, brach tags darauf der Aufstand los: Eine empörte Menge stürmte den Justizpalast und setzte ihn in Brand, Regierung und Bundeskanzler sahen sich einer kaum mehr lösbaren Krise gegenüber. In dieser suchte Seipel sein Heil in der Verfolgung sozialdemokratischer Institutionen, übersah dabei aber die wachsenden Konflikte innerhalb seines Bürgerblocks. Als jene offen aufbrachen, trat er im April 1929 zurück - er war abermals...
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