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Die Vielfalt der europäischen Romantiken ist so groß, dass die Verwendung des Singulars, also die Rede von der europäischen Romantik, nur eine Sammelbezeichnung ohne begriffliche Einheit ist. Die Ausdrücke und sowie ihre fremdsprachigen Entsprechungen werden in den programmatischen und oft auch polemischen Diskursen der Zeit je nach den eigenen Bedingungen und Zielen immer wieder neu verwendet und definiert. Denn die verschiedenen Kontexte stellen unterschiedliche Herausforderungen. Die durch Kant revolutionierte Universitätsphilosophie, woran die deutsche Frühromantik anschließt, eröffnet einen anderen Problemhorizont als etwa der akademisierte literarische Klassizismus, gegen den sich die Romantiker in Italien oder Frankreich wenden. Das schlägt bis auf die Begriffsbildung durch. Die Italiener Giovanni Berchet und Ludovico di Breme sowie die Franzosen Stendhal und Victor Hugo, die alle vier für ihre Länder maßgebliche Manifeste in diesem Zusammenhang verfasst haben, meinen mit und das zeitgemäß Volkstümliche im Gegensatz zur etablierten akademischen Hochkultur. Damit bieten sie zugleich das Gegenteil zur intellektuell esoterischen Jenaer Rede vom . Denn dort geht es ganz unpopulär um avantgardistische Vorstellungen imaginärer Transzendenz. Nach ihnen soll das moderne Subjekt durch eigene Fantasie die Funktion der traditionellen Metaphysik und Religion übernehmen. Je nachdem, ob man um die Konsequenzen der Kantischen Philosophie oder gegen die klassizistische Literaturnorm stritt, bedeuteten die Ausdrücke , und also etwas ganz anderes.
Die Differenzen betreffen aber nicht nur den historischen Wortgebrauch. Sie beginnen schon bei der Frage, ob das Wort von einem Autor überhaupt in programmatischer Absicht verwendet wird. Wie erwähnt ist es in der Literaturgeschichtsschreibung schon seit Langem Gewohnheit, auch Schriftsteller zu den Romantikern zu zählen, die sich gar nicht als solche bezeichneten - zum Beispiel die englischen Dichter William Wordsworth, Samuel Taylor Coleridge und Robert Southey, die man als zusammenfasst, weil sie sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts im englischen Lake District niedergelassen haben. Auch selbsterklärte Klassizisten und programmatische Gegner der Romantiker werden - wie etwa Giacomo Leopardi - aufgrund ihrer Gedichte der Romantik zugeordnet.
Differenzen zeigen sich auch bei der Einschätzung, wer als kanonischer Autor anzusehen sei. Die italienischen Romantiker etwa entdecken das für sie epochal Neue und Interessante gerade bei deutschen Autoren, die weder im damaligen noch im heutigen Deutschland als Romantiker gelten: unter anderem bei Klopstock, Winckelmann, Lessing, Wieland und Gottfried August Bürger. Friedrich Schlegel, Novalis und Ludwig Tieck, die für Deutschland maßgeblichen Romantiker, sind dagegen damals unbekannt. Auch in Frankreich spielen sie keine Rolle. Dort sieht man das Romantische vor allem in Schiller und Goethe.
Zur Vielfalt der Romantik gehört außerdem, dass man diese Bezeichnung über die Literatur hinaus auf die Malerei, die Musik, die Naturwissenschaft und weltanschaulich-politische Positionen übertragen hat. In der Malerei bezieht man sich dabei vor allem auf Landschaftsdarstellungen. Analog zur Beschreibungskunst der Literatur sieht man in Bildern die Fähigkeit, durch die Natur zugleich menschliche Gefühle auszudrücken und übersinnliche, transzendente Perspektiven zu eröffnen. Das Muster bietet Caspar David Friedrich. Sein Landschaftsbild Das große Gehege (1832) [Abb. 1] etwa zeigt Erde und Himmel als fast spiegelbildliche harmonische Hälften, die sich in der Bildmitte zu einem offenen Horizont vereinen. Die Perspektive des Bildes, das aus den Augen eines leicht über der Erde schwebenden Betrachters gemalt scheint, zieht den Blick zu diesem Horizont hin, durch die Bildlandschaft hindurch auf ein imaginäres Jenseits. Wer das Bild ansieht, kann sich visuell in den Seelenflug versetzt fühlen, von dem Eichendorffs Mondnacht spricht. Die Rede von entsteht im 18. Jahrhundert in England. Der Terminus zeichnet diejenigen Landschaftseindrücke aus, in denen der betrachtende Naturwanderer seine eigenen Empfindungen widergespiegelt sieht. Durch Jean-Jacques Rousseaus Träumereien eines einsamen Spaziergängers (1782) werden solche Landschaften zur Mode in vielen europäischen Literaturen. So entsteht, was man bis heute nennt und gleichermaßen in der Literatur wie in der Malerei findet: Naturdarstellung als Ausdruck subjektiven Empfindens.
1 Caspar David Friedrich, Das große Gehege, 1832, Dresden, Galerie Neue Meister
Für die Musikgeschichte setzt der Schriftsteller, Komponist und Jurist E. T. A. Hoffmann eines der folgenreichsten Signale, indem er Beethovens Symphonien mit dem Wort zum Inbegriff künstlerischen Tiefsinns erklärt (Kreisleriana Nro. 4: Beethovens Instrumentalmusik, 1813). Unter den ersten Hörern waren viele von Beethovens Kompositionen irritiert und nannten sie bizarr. Durch das neue Wort erhebt Hoffmann sie zum Gipfel der Kunst. Zugleich formuliert er damit das Ideal einer absoluten Kunst, die ohne Inhalte, Aussagen oder Botschaften das menschliche Gemüt ergreift und in ihm Ahnungen des Ungeheuren, Unendlichen, Tiefsinnigen erweckt. Genau das nennt Hoffmann «das wundervolle Reich des Romantischen» als «Geisterreich des Unendlichen».[1] Mit dem einen Wort revolutioniert sich die Erwartung an die Musik, die nun, gerade weil sie nichts Bestimmtes bedeutet, unendlich viel bedeuten soll. Der Erfolg, den diese revolutionäre Deutung der Instrumentalmusik hatte, war fast zu groß - die Auszeichnung der als absolute, reinste Kunst ist zum Klischee geworden.
Im Blick auf die Naturwissenschaft hatte die Zuordnung zur Romantik lange etwas Anrüchiges. Sie war die Stigmatisierung derer, die sich der erforderlichen Rationalität verweigerten. Als romantische Naturwissenschaftler bezeichnete man diejenigen, die um 1800, zur Zeit der disziplinären Ausdifferenzierung der experimentellen Fächer (Chemie, Experimentalphysik), an der Vorstellung einer umfassenden natürlichen Einheit festhielten. Belebte und unbelebte Natur, die physischen und die psychischen Aspekte des Lebendigen wollten sie aus einem integrativen Ansatz heraus verstehen. Der Philosoph Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sprach in diesem Sinne von der «Weltseele». Die heutige wissenschaftsgeschichtliche Forschung hat die Gegenüberstellung von fachlich disziplinierten Experimentalwissenschaften einerseits und romantischen Einheitssuchern andererseits vielfach korrigiert. Es gab keine romantische Schule der Naturforscher, die als Anachronismus irgendwann untergegangen wäre. Wenn man das Ziel, die ganze Natur aus einem Prinzip erklären zu können, als eine romantische Vorstellung bezeichnet, dann lebt sie unter der Bezeichnung oder bis heute fort.
Noch umstrittener ist schließlich die Deutung der Romantik als politische Bewegung. Es ist eine Tatsache, dass sich viele, die man literaturgeschichtlich zur Romantik zählt, auch politisch engagiert haben. Eine gemeinsame Position ist dabei allerdings nicht erkennbar. Die politischen Standpunkte sind vielmehr so breit gestreut wie das politische Spektrum der Zeit zwischen Revolution und Restauration. In Deutschland kann man hier eine Entwicklungslinie von der intellektuell avantgardistischen Frühromantik zur katholischen Spätromantik sehen, obwohl der Spätromantiker Heine als scharfer Kritiker der Restauration dagegensteht. Auch in England beginnt die literarische Romantik im Geiste der Revolution. Der Dichter William Blake etwa verklärt die amerikanische Unabhängigkeitserklärung zu einem kosmisch-heilsgeschichtlichen Revolutionsmythos (America, a Prophecy, 1793). Doch auch wenn dieser Enthusiasmus angesichts des jakobinischen Terrors und des Napoleonischen Imperialismus vergeht, findet unter den englischen Autoren keine vergleichbare reaktionäre Politisierung wie in Deutschland statt. Im Gegenteil: Der seinerzeit in ganz Europa bekannteste englische Romantiker, Lord Byron, engagiert sich im griechischen Freiheitskampf. In Frankreich und Italien verläuft die Entwicklung eher umgekehrt zu Deutschland. In Frankreich wird die romantische zunehmend zu einer ...
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