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Die Sonne erhob sich träge und prall wie eine vollreife Apfelsine im Golf von Salerno; die Taubenfamilie, die es sich im Torre del Faro gemütlich gemacht hatte, begrüßte sie mit liebevollem Gurren, sobald die ersten goldenen Strahlen sie erreicht hatten. Unweit des alten Leuchtturms, in den römischen Ruinen der Villa Jovis, zog die morgendliche Dämmerung ihren fahlen Schleier von den Steinmauern, sodass diese in der Morgenröte in zartem Rosé erstrahlten.
Ganz in der Nähe des kleinsten der Faraglioni-Felsen hatte bereits ein Fischerboot festgemacht, es war das des alten Nino, der längst nicht mehr aus wirtschaftlichen Gründen aufs Meer hinausfuhr, den es aber auch auf seine alten Tage nicht in seinem Haus in Amalfi hielt. Allzu sehr vermisste er das Schwanken der Holzbohlen unter seinen Füßen, den salzigen Geruch des geliebten Meeres in der Nase, das vertraute Kitzeln der ersten Sonnenstrahlen und die sanfte Umarmung des Wellengangs.
Der alte Fischer genoss die Einsamkeit auf seinem Boot, mit dem er stets noch vor Anbruch der Dämmerung hinausfuhr; manchmal nur kreuzte einer seiner alten Kollegen, sie grüßten sich mit wissendem Nicken oder riefen sich ein »Come stai?« von Boot zu Boot zu. Später, wenn das Meer übersät war von den Yachten, Segelbooten, Ausflugsschiffen und Fähren, steuerte Nino seine Barkasse längst wieder in den vertrauten Hafen von Amalfi.
Aber heute war der Tag erst wenige Minuten alt und verheißungsvoll, es roch bereits nach Frühling, und Nino, in einer Hand eine Angel, in der anderen eine Zigarette (von der niemand, erst recht nicht seine Frau und schon gleich dreimal nicht seine Tochter Lisabetta wissen durften), überlegte, ob er die Fische, die er in der nächsten Stunde unzweifelhaft fangen würde, nach Hause mitnehmen oder Tomasio, seinem Freund auf der Insel Capri, schenken sollte. Beide hatten sie eine große Familie, Kinder und Kindeskinder, und Nino konnte stets gewiss sein, dass der kleine Fang, den er nun als Privatier nach Hause brachte, in jeder Familie sehr willkommen sein und ganz bestimmt aufs Köstlichste zubereitet werden würde. Er warf einen Blick auf die Insel und entschied sich, den Fang zu behalten und an seinen Schwiegersohn Marco weiterzugeben. Denn Tomasio lebte in Anacapri, und um die Fische zu ihm zu bringen, hätte Nino mit seinem kleinen Boot die Insel umrunden oder aber mit seinem Freund einen Treffpunkt in der Marina verabreden müssen. Dazu war er heute viel zu träge, auch wenn er wusste, dass Tomasio ihn sicherlich zu einem caffè eingeladen hätte.
Dieser indes, der nichts von seiner verpassten Chance, in wenigen Stunden zwei Brassen und sogar einen Schwertfisch entgegenzunehmen, wusste, schlüpfte soeben in seinem Haus in die blauen Plastiksandaletten und machte sich auf, seiner Ziege einen Besuch abzustatten. Amanda war trächtig, und Tomasio hatte in der Nacht eine Vorahnung gehabt, dass sie gebären würde, weshalb er aufgestanden war und nach dem Rechten gesehen hatte. Aber noch war es nicht so weit, Amanda hatte nur leise gemeckert, als er ihren prallen Bauch abgetastet hatte. Also war er wieder zurück ins Bett geschlüpft, neben seine Frau Renata, die gestöhnt und ihn geschimpft hatte, dass sie nun wach sei und bestimmt nicht mehr einschlafen könne. Es dauerte keine fünf Minuten, da hatte Tomasio leises Schnarchen von ihrer Seite des Bettes vernommen, was wiederum ihn daran hinderte, erneut in den Schlaf zu finden. Also hatte er neben ihr wach gelegen, die Augen an die Zimmerdecke gerichtet, und überlegt, was, um Himmels willen, er mit den kleinen Zicklein - er war überzeugt, es waren zwei - anstellen sollte. Amanda war ein Geschenk von Pippo gewesen, dem Eismann aus Positano, dem Mann von Elena, einer Freundin seiner Tochter Marcella, die gemeinsam mit Elena eine Physiotherapeutenausbildung in . aber nein, dachte Tomasio, das führte jetzt zu weit. Auf alle Fälle war Amanda wohl schon gedeckt gewesen, als er sie bekommen hatte, denn an eine unbefleckte Ziegenempfängnis glaubte nicht einmal der tief katholische gute Tomasio.
Sollte er ein Zicklein behalten? Die Erlaubnis dafür hatte Tomasio bereits von Renata erhalten, wenn auch widerstrebend.
Aber zwei Zicklein und dazu die Mutterziege - das war zu viel, er hatte nicht vor, eine ganze Herde zu gründen. Er könnte es schlachten, aber das würden ihm seine Töchter Lucia und Marcella niemals verzeihen.
Und wäre es nicht für das eine Zicklein schöner, es könnte mit seinem Geschwisterchen zusammenbleiben? Wahrscheinlich wäre es besser, alle beide abzugeben.
Während Tomasio also, wie bereits erwähnt, mit diesen Gedanken beschäftigt in den Stall hinüberschlappte, sich zu Amanda in das Stroh setzte und beruhigend auf die hübsche Girgentana-Ziegendame einredete, blickte diese ihn aus halb geschlossenen Augen träge an und schien ihm mit dem stetig mahlenden Kiefer sagen zu wollen: Reg dich nicht auf, mein Bester, ich mach das nicht zum ersten Mal, ich krieg das schon hin mit der Geburt. Tomasio nickte ihr zum Zeichen, dass er verstanden hatte, zu und strich ihr liebevoll über das lange weiße Fell. Als er den Bauch in Augenschein nahm, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Lucia! Natürlich würde er ein Zicklein, sobald es groß genug war, zu Lucia bringen! Obwohl seine geliebte Ziehtochter nichts, aber auch gar nichts mit einer Ziege gemein hatte, hatte Tomasios Hirn sie mit Amanda verknüpft, denn eine Gemeinsamkeit gab es doch: Beide waren schwanger. Lucia, die im Palazzo Farnese bei Annunziata lebte und sich dort um alles kümmerte, war ebenfalls in froher Erwartung, und deshalb war sie ihm beim Betrachten des Ziegenbauches in den Sinn gekommen. Ja, dachte Tomasio zufrieden, im Palazzo Farnese war so ziemlich jedes Tier gut aufgehoben, denn weder Lucia noch die Contessa Annunziata selbst noch der deutsche Dottore Martin, werdender Vater von Tomasios sechstem Enkelkind, würden etwas dagegen haben, dass sich die große Schar Haustiere, die sie im Garten des Palazzo beherbergten, um zwei kleine Ziegen erweiterte.
Lucia hingegen, vollkommen ahnungslos, dass ihr lieber Papà sie in nicht allzu ferner Zukunft mit einem kleinen Zicklein beglücken würde, stand in der weitläufigen Küche des Palazzo und wusch sich den Mund mit Salbeitee aus. Sie war am Ende des dritten Monats ihrer Schwangerschaft angekommen und plagte sich entsetzlich mit morgendlicher Übelkeit. Was sie nicht davon abhielt, ihre Freundin und Arbeitgeberin Annunziata Farnese, die für ihre neunundachtzig Jahre erstaunlich fit und kein bisschen dement war, nach Strich und Faden zu verwöhnen. Im Moment bereitete sie für die alte Dame Eier im Glas zu. Frische Hühnereier, früher hätte Lucia davon Appetit bekommen, aber in letzter Zeit würgte es sie, sobald sie den Hühnerstall nur betrat. Lucia versuchte, sich zusammenzunehmen, knabberte lustlos an einem alten und trockenen Biscotto und dachte ans Essen. In Gedanken war sie seit gestern damit beschäftigt, was sie heute und in der nächsten Woche kochen könnte, denn sie erwartete den ersten Stipendiaten. Der bankrotte Palazzo, in dem sie seit über einem Jahr mit der Contessa lebte, war durch glückliche Fügung und viel Engagement vonseiten ihres deutschen Mannes Martin von einer eigens gegründeten Stiftung der biologischen Gesellschaft Italiens und Deutschlands übernommen worden, mit der Vereinbarung, dass die Stiftung Stipendien an junge Forscher vergeben sollte, die sechs Monate im Palazzo lebten und sich mit dem Nachlass des ehemaligen Besitzers, Dottore Giovanni Farnese, einstmals Italiens bedeutendster Biologe, beschäftigten. Lucia war von ganzem Herzen für diese Wendung des Schicksals dankbar und wollte aus dem Grund am heutigen Sonntag ein besonderes Festmahl zubereiten. Martin reiste von Heidelberg an, gemeinsam mit einem jungen Nachwuchswissenschaftler. Seit Tagen war sie voller Vorfreude, hatte sie ihren Martin doch seit zwei Wochen nicht gesehen - eine viel zu lange Zeit für junges Glück. Nun also stand ein mehrgängiges Menü für heute auf dem Plan, Lucia aber warf die Menüfolge ständig wieder um. Heute Nacht, als sie wegen des Vollmondes wach gelegen hatte, war ihr dann die Idee gekommen, zur Vorspeise gefüllte Zucchiniblüten zu servieren. Die waren ein Gedicht, einfach zu machen - die leuchtend orangefarbenen Blüten bekamen eine Füllung aus Ricotta und Parmesan und wurden anschließend in etwas Olivenöl knusprig ausgebacken - und dennoch eine Augen- und Gaumenweide. Der kleine Schönheitsfehler allerdings war, dass sie keine Zucchiniblüten hatte. Die Zucchini, die sie im Palazzo anbauten, waren noch weit entfernt davon, zu blühen - aber Salvatore, der Obst- und Gemüsehändler und nicht zu vergessen: enger Freund, kultivierte seine Früchte im Gewächshaus. Lucia würde ihm also nachher einen Besuch abstatten. Und zwar, trotz des Verbots von Martin, mit ihrer himmelblauen Vespa. Ihrem Ehemann war stets angst und bang, wenn er auch nur daran dachte, dass seine junge Frau und zukünftige Mutter seiner Kinder in halsbrecherischer Geschwindigkeit auf den kurvigen Gebirgsstraßen der Insel unterwegs war.
Lucia wurde es bei dem Gedanken an einen Besuch bei ihren Freunden und ein gelungenes Menü am Abend, vor allem aber bei der Vorfreude auf ihren geliebten Martin nicht nur warm ums Herz, auch ihr Magen stabilisierte sich, und sie stellte nun entschlossen die Eier im Glas, einen frischen, leicht gebutterten Toast und eine japanische Kanne mit grünem Tee auf das Tablett und schickte sich fröhlich an, zu Annunziata in den ersten Stock zu gehen und diese mit bester Sonntagslaune zu wecken.
Salvatore Trettani, der Herr nicht nur über...
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