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Linnea hat gerade eine Trennung hinter sich. Sie braucht dringend einen Tapetenwechsel, will nur raus aus Oslo. Ihre beste Freundin bietet ihr an, erst mal ins Haus ihrer kürzlich verstorbenen Großtante Marie zu ziehen. Das alte Haus mit wunderschönem Garten steht auf der kleinen Insel Hjartøy in Nordnorwegen - weit genug weg also. Linnea lässt sich auf das Abenteuer ein und zieht an einem stürmischen Winterabend zusammen mit Kater Arthur auf die felsige Insel. Nach und nach lebt sie sich in ihrer neuen Umgebung ein, lernt die Nachbarn und den charmanten alleinerziehenden Vater Karsten kennen ... Und entdeckt auch das Haus für sich, und darin eine alte bronzene Glocke mit geheimnisvoller Inschrift, die einst Marie gehörte. Dieser Fund löst eine Suche aus, durch die Linnea mehr und mehr über Maries dramatische Vergangenheit erfährt, die auch ihr eigenes Leben für immer verändern wird.
Hjartøy, 2009
Linnea atmete ein paarmal tief ein und wieder aus, wie sie es aus dem Yogaunterricht kannte, aber es half nichts. Die Nervosität angesichts der Dinge, die nun vor ihr lagen, wurde nicht weniger.
Beim Blick durchs Autofenster auf die grauschwarze, neblige Landschaft um sie herum war es ihr ein Rätsel, wie sie es jemals für eine gute Idee hatte halten können, sich an diesen gottverlassenen Ort mehr als tausend Kilometer von ihrer sicheren Osloer Wohnung entfernt zu begeben.
Ihr kam das Wort »ungemütlich« in den Sinn, und nun lag es ihr auf der Zunge wie ein saurer Drops. Noch bevor ihr neues Leben überhaupt angefangen hatte, stieß sie bereits an die Grenzen des meteorologischen Spektrums. Mit einem Mal klatschte etwas gegen die Frontscheibe, und es dauerte einen Moment, bis Linnea es als eine Mischung aus Regen und Schnee identifiziert hatte, die aber trotzdem nicht dem entsprach, was sie üblicherweise als Schneeregen bezeichnen würde. Auch dafür gab es vermutlich irgendeinen Fachausdruck. Die Scheibenwischer jedenfalls hatten ihre liebe Mühe, die undefinierbare Masse beiseitezuschaffen.
Iris, ihre ansonsten ganz vernünftige Freundin, musste sich vertan haben, als sie ihr Hjartøy als perfekten Ort für einen Neuanfang angepriesen hatte. Linnea fiel nun auch auf, dass die Bilder, die sie von diesem Ort gezeigt bekommen hatte, allesamt an strahlenden Sommertagen aufgenommen worden waren. Nun hingegen waren hier weit und breit weder sonnenüberflutete Felsstrände noch bezaubernde Bootshäuschen zu sehen, stattdessen glich die Umgebung einem deprimierenden Stück moderner Kunst, sodass sie Iris mit Fug und Recht irreführendes Marketing vorwerfen konnte.
Linnea und Iris hatten sich in der achten Klasse kennengelernt, als Iris plötzlich mitten im Schuljahr einfach aufgetaucht war. Anfangs sah es nicht so sehr danach aus, dass sie sich mal anfreunden würden. Doch dann kam der Tag, an dem Iris nach der letzten Stunde weinend auf dem Schulklo saß.
Linnea hatte die verzweifelten Schluchzer aus der kleinen Kabine nicht zuordnen können und war erst einmal ratlos vor der verschlossenen Tür stehen geblieben, bis sie sich ein Herz gefasst und angeklopft hatte. Schließlich wurde von innen am Schloss herumgefummelt, die Tür glitt auf, und aus verweinten Augen hatte Iris überrascht zu ihr aufgeblickt. Die sonst so weichen Locken des neuen Mädchens hatten ihre Form verloren und klebten an ihren feuchten Wangen. Als Linnea wissen wollte, was los sei, hatte Iris tief Luft geholt und gesagt, sie habe ihren Vater verloren. Wie sich herausstellte, war der aber keineswegs gestorben, sondern nur von der Mutter vor die Tür gesetzt worden, die nämlich der Meinung gewesen war, dass er weder als Ehemann noch als Vater etwas tauge. Später, als Linnea ihn persönlich kennenlernte, hatte sie gedacht: Das ist dann wohl so ein »Freigeist«. Seit der Trennung von Iris' Mutter lebte er in einem kanariengelben, ziemlich heruntergekommenen Haus inmitten der alten Holzhaussiedlung im Osloer Viertel Rodeløkka, wo Iris und ihre Freunde allzeit willkommen waren. Er war eher eine Art Kumpel als eine verlässliche Vaterfigur.
Von jenem Tag an hatte Iris Einzug in Linneas Leben gehalten, und bei den Lehrern waren die beiden nur noch unter dem Spitznamen »Blumenkinder« bekannt. Wenn Linnea es sich recht überlegte, war es am Anfang fast wie eine Verliebtheit gewesen. Iris war so anders als sie selbst, mit ihrem welligen, rotblonden Haar, das sich wie ein Fluss über Schultern und Rücken ergoss und bei Regen zu einem regelrechten Wasserfall aus Löckchen wurde. Linneas glatte schwarze Mähne war das genaue Gegenteil davon.
Nach einer turbulenten Kindheit, in der Iris viele Ortswechsel verkraften musste und sich oft selbst überlassen war, hatte die Kernfamilie schließlich den Stellenwert als einzig wahres Lebensmodell für sie bekommen. Voller Elan hatte sie sich dann auch an die Verwirklichung dieses Traums gemacht, war ein paarmal gestolpert und gefallen, aber immer wieder aufgestanden, bis sie mit einem gutaussehenden, aber etwas langweiligen Mann (Guttorm, Lehrer an einer weiterführenden Schule) und zwei relativ wohlerzogenen Kindern (Gerhard und Pernille, sechs und sieben Jahre alt) zu guter Letzt ans Ziel gelangt war. Nach dem Abitur hatte Iris Vorschulpädagogik studiert und war Leiterin eines privaten Kindergartens geworden.
Und dann, viele Jahre später, war sie an der Reihe damit, die Reste einer aufgelösten, völlig ratlosen Freundin aufzusammeln, der nicht nur ein, sondern nun schon zum zweiten Mal der Himmel auf den Kopf gefallen war. Der Klumpen in Linneas Bauch war sofort wieder da, und ihr schien, als wäre das Leben einfach irgendwann zu einer Suppe aus schmerzhaften Empfindungen verkommen, einem zusammengepantschten Gebräu, das mit der Zeit ziemlich bitter schmeckte. Noch immer fragte sie sich manchmal, wie richtig ihre Entscheidung von vor fast zwei Jahren eigentlich gewesen war. Iris war die Einzige, die davon wusste, und sie hatte ihr wieder und wieder beteuert, dass es die einzig vernünftige Lösung gewesen sei. Vernunft geht wohl einfach über Gefühl, dachte Linnea missmutig. Nach dem Drama der letzten Zeit, diesem neuen Drama, das ihr Leben auf den Kopf gestellt und sie letztlich sogar aus ihrer Heimatstadt vertrieben hatte, holten die negativen Gedanken der Vergangenheit sie nun mit voller Wucht wieder ein.
»Du könntest nach Hjartøy, da kannst du umsonst wohnen«, hatte Iris gesagt, als Linnea dummerweise laut ausgesprochen hatte, dass sie am liebsten auf eine einsame Insel ziehen würde. Sie hatte die Freundin nur verständnislos angeguckt, leicht beduselt von der Flasche Wein, die sie sich geteilt hatten, während die zweite bereits wartete. »Na, du weißt schon, die Insel, von der meine Oma kam. In Nordland«, hatte Iris präzisiert. Aber Linnea wusste nicht. Ihr war zwar bekannt, dass Iris' Großmutter aus dem Norden stammte, von wo genau hatte sie jedoch vergessen, und dass es sich um eine Insel handelte, erst recht. Für Linnea gehörte alles nördlich von Trondheim zu Nordland.
»Nach dem Tod von Großtante Marie hat Papa Omas Elternhaus geerbt«, hatte Iris erklärt.
Da war Linnea wieder eingefallen, dass Iris ein Jahr zuvor mit ihrem Vater die weite Strecke nach Norden gefahren war, um an der Beerdigung der Großtante teilzunehmen, oder war das schon zwei Jahre her? Die Zeit verging ja so schnell. Eigentlich hatte sie gedacht, das Haus sei längst verkauft.
»Du kennst doch meinen Vater«, hatte Iris mit einem resignierten Kopfschütteln gesagt, »er ist nicht gerade der Schnellste, wenn es um Entscheidungen geht. Außerdem hat es ihn wohl überrascht, wie wenig das Haus wert ist, obwohl es ja nicht klein ist und durchaus seinen Charme hat. Die alten Häuser da oben kriegst du echt hinterhergeworfen.«
Und hier saß Linnea nun, in ihrem neu angeschafften Gebrauchtwagen auf dem Weg zu besagtem Haus, einem Haus auf einer ihr völlig unbekannten Insel. In einem Augenblick des Übermuts - und der Weinseligkeit - hatte sie Iris beim Wort genommen. Danach war alles so schnell gegangen, dass sie nicht mehr viel über ihren neuen Wohnort herausfinden konnte. Oder vielleicht hatte sie es auch vermieden, aus Angst davor, kalte Füße zu bekommen. Iris war der Meinung gewesen, sie solle sich ein Jahr Zeit zum Einleben lassen, aber Linnea hatte sie auf ein halbes Jahr heruntergehandelt. Ein halbes Jahr ohne Männer immerhin. Sie schielte auf ihr Handy, das auf dem Beifahrersitz lag. Es war und blieb stumm. Glücklicherweise kannten nur wenige ihre neue Nummer, und die Kommunikation mit der Arbeit lief größtenteils per E-Mail.
Ja, sie brauchte definitiv eine Luftveränderung, doch im Moment hätte sie sich lieber an einem Strand in Thailand frische Luft um die Nase wehen lassen, im Schatten einer üppigen Palme und mit Wellengeplätscher im Hintergrund. Für Arthur wäre das allerdings nichts gewesen. Sie stieß einen schweren Seufzer aus, und aus dem Käfig auf dem Rücksitz drang ein vorwurfsvolles Miauen.
»Ja, ich weiß, Arthur, das ist alles meine Schuld. Aber wir müssen jetzt einfach versuchen, uns an dieses neue Leben zu gewöhnen, wir beide. Und es ist auch nicht für immer, das verspreche ich dir.« Sie versuchte, möglichst optimistisch zu klingen, hörte aber selbst, dass ihre Stimme nicht...
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