Schweitzer Fachinformationen
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mit extraherben Zitronen und jeder Menge fluffigem Baiser, damit es nicht zu sauer wird
Das Einzige, was schlimmer ist, als in einer Backshow vor dem ganzen Land gedemütigt zu werden, ist direkt im Anschluss einen Anruf von deiner vorwurfsvollen Mutter zu bekommen, bei dem sie keine Zeit mit tröstenden Worten verliert, sondern dich ohne Umschweife wegen einer ungeklärten Angelegenheit im Testament deines Vaters nach Hause zitiert. Und dir mitteilt, dass du doch dann gleich bis Weihnachten bleiben kannst, wenn du schon da bist - und zwar nicht, weil es wunderschön wäre, dich zu sehen oder leckere Plätzchen zu backen, sondern weil du ja sowieso arbeitslos bist.
Ich würde mich zu gern weigern und die Feiertage einfach mit meinem neunjährigen Sohn in unserer Wohnung in L.A. verbringen, vergraben unter einem Haufen flauschiger Decken auf dem Sofa, wo wir uns in unseren gestreiften Pyjamas mit Süßigkeiten vollstopfen und Filme schauen. Mal ganz zu schweigen davon, dass meine Mutter und ich in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr als ein paar angespannte Stunden miteinander verbracht haben. Aber ich bringe es auch nicht übers Herz, sie am ersten Weihnachtsfest nach dem Tod meines Vaters allein zu lassen. Ich würde gern sehen, dass es ihr gutgeht, und ihr umgekehrt dasselbe Gefühl in Bezug auf mich vermitteln - auf diese subtile, unterschwellige Art, bei der ich murmle »Alles okay bei dir? Bei mir ja«, auch wenn das vielleicht weder auf sie noch auf mich je zutreffen wird. Hier bin ich also, gemeinsam mit meinem Sohn unterwegs ins Haus meiner Kindheit. Meinen Stolz habe ich über Bord geworfen und durch das Rentiergeweih ersetzt, das ich an die Fensterscheiben meines zwölf Jahre alten Prius geklebt habe.
Ich rutsche auf dem Sitz hin und her, weil mein Hintern von der langen Fahrt schon ganz taub ist. Wir haben die Fahrt quer durchs Land innerhalb von vier Tagen beinahe hinter uns gebracht und sie so sparsam wie möglich gestaltet. Eine Nacht haben wir bei einer Freundin in New Mexico geschlafen, eine bei dem Freund einer Freundin in Missouri, und dann haben wir uns noch von den Reise-Bonuspunkten eines Freundes für eine Nacht ein Motelzimmer in Pennsylvania genommen. Auf dem Rückweg haben wir diese Möglichkeit nicht mehr, und meine einzige Hoffnung besteht darin, dass es sich bei der ungeklärten Angelegenheit aus Dads Testament um irgendwelche verschollenen Familienschätze handelt.
»Noch siebzehn Minuten!«, verkündet Spencer vom Rücksitz, der die verbleibende Reisezeit von meinem am Armaturenbrett befestigten Smartphone abgelesen hat. Ich brauche jetzt zwar keine Hilfe mehr bei der Route, lasse das Navigationssystem ihm zuliebe aber noch laufen. »Noch sechzehn Minuten!«, meldet sich Spencer ein paar Sekunden später erneut.
Tief hole ich Luft. »Spence, du Liebe meines Lebens, wenn du wirklich jede verbleibende Minute herunterzählst, dann explodiert vermutlich Mommys Kopf. Und in einem solch kleinen Auto landet das Gehirn wirklich überall. Du willst doch kein Gehirn auf dir haben, oder?« Bessere Sprüche habe selbst ich nach neun Stunden Fahrt nicht mehr auf Lager.
Er grinst mich im Rückspiegel an. »Niemand mag Sarkasmus.«
Ich gluckse. Er wiederholt einen Satz, den ein Lehrer mal zu ihm gesagt hat, erwischt mich damit aber jedes Mal. »Aber meine Witze sind doch so gut!«
»Sie sind nicht schlecht«, meint Spencer und denkt einen Moment lang nach. »Aber toll sind sie auch nicht.«
Niemand kann einem besser die nackte Wahrheit vor Augen führen als ein Viertklässler. Letztens hat mein Sohn ein Buch gelesen, in dem die Hauptfigur einen Trank zu sich nimmt, der es ihr unmöglich macht zu lügen. Spence hat mir erzählt, dass das Leben des Jungen dadurch zwar schwerer wurde, er gleichzeitig aber auch glücklicher war, weil er nicht mehr das Gefühl hatte, die Erwartungen anderer erfüllen zu müssen, und er dadurch mehr er selbst sein konnte. Und dann hat Spencer mir mitgeteilt, dass er es künftig auch so machen würde. Er zieht das erstaunlich konsequent durch, muss ich sagen.
»Haverberry Cove!«, ruft er, als wir an einem hübschen Holzschild mit schwarzer Schrift vorbeifahren.
Ich sehe Spence über den Rückspiegel an. Er drückt sich ans Fenster, eine Hand an die Scheibe gelegt, und seine Augen leuchten mit der Lichterkette, die quer über die Hauptstraße gespannt ist, um die Wette.
»Du hast ja noch nichts gesehen«, sage ich betont munter und mehr, um mich selbst davon zu überzeugen, dass es schon nicht so schlimm werden wird. »Es gibt hier einen Weihnachtsmarkt, auf dem es jede Art von heißer Schokolade und Pekannusskuchen gibt. Und Pferdeschlitten. Das volle Programm.«
Spencer strahlt, ohne den Blick vom Fenster abzuwenden.
Haverberry Cove, Massachusetts, ist furchtbar elegant. Es besteht zu drei Vierteln aus dem Charme von Neuengland und zu einem Viertel aus nach Salzwasser duftendem Treibholz. Kurz gesagt: Es ist perfekt, außer dass ich es hasse, hier zu sein. Imposante historische Häuser mit Blick auf den Ozean umgeben einen postkartentauglichen Platz, an dem alles handgemacht, handgeschnitzt und regional ist. Das Städtchen hat die Größe, bei der jeder etwas mehr als nur ein bisschen über den anderen weiß, was unerträglich ist, wenn man wie ich der stadtbekannte Skandal ist, aber ganz nett, wenn dir die Kellnerin ungefragt einen Kaffee bringt oder der Lebensmittelverkäufer dir die letzte reife Cantaloupe-Melone aufhebt, weil er weiß, wie gern du sie magst.
»Sehe ich morgen Dad?«, fragt Spence mich zum hundertsten Mal.
»Jepp«, bestätige ich. Jake - der Samenspender, wie meine Freunde ihn liebevoll getauft haben - verdient einen Titel wie »Dad« nicht wirklich, weil er höchstens einmal pro Monat anruft und daran erinnert werden muss, sich um Geburtstagsgeschenke zu kümmern.
»Glaubst du, er geht mit mir zum Weihnachtsmarkt?«
»Ganz bestimmt«, antworte ich voller Zuversicht. Wenn er es nicht macht, werde ich nämlich seinen Pick-up mit meinem Schlüssel zerkratzen.
Die Ampel springt auf Grün, und ich fahre auf den Platz und die Bäckerei meines Vaters zu. Meine letzte Energie nutze ich, um nicht an Dad und das Backen zu denken, was überhaupt nicht funktioniert. Eine halbe Sekunde später stelle ich mir auch schon meinen unendlich peinlichen Auftritt bei The Ultimate Bake Off vor, wo ich nicht nur meine finanziellen Sorgen ausgeplaudert habe, sondern auch wegen des Todes meines Vaters einen Gefühlsausbruch hatte - beides Dinge, die ich vor laufender Kamera unbedingt vermeiden wollte. Nicht nur, weil meine Mutter solche Shows für eine perverse Erfindung für Minderbemittelte hält, sondern weil ich auch mein Bestes gebe, wegen meines Dads nicht in eine Grübelschleife zu stürzen - seinetwegen, wegen der Bäckerei oder wegen des Streits, den ich mit ihm hatte, als ich ihn zum letzten Mal gesehen habe.
Ich starre nach vorn und umklammere das Lenkrad, um nicht zu seiner Bäckerei There's Nothing Batter Bakery zu schauen. Ich möchte nicht wissen, ob der Weihnachtsschmuck im Schaufenster steht oder ob die Tür einen neuen Anstrich bräuchte - beides Dinge, um die wir uns so gern zusammen gekümmert haben, als ich noch ein Kind war. Der Laden gehört mir nicht, erinnere ich mich selbst. Mein Vater hat ihn nicht mir vererbt, sondern Mom, einer Frau, die sich für Bäckereien noch weniger interessiert als für Reality-TV.
Und selbst wenn er sie mir vererbt hätte, würde ich sie nicht wollen. Die Erinnerung an alles, was schiefgegangen ist, ist zu schmerzhaft.
»Mom!«, sagt Spence und fällt vor Lachen fast vom Sitz, als er mit dem Finger an die Scheibe klopft. »Schau!«
Ich spähe hinüber zu den neun Rentieren, die über der Grünfläche hängen, und zu der übergroßen Menora.
»Ich hab's dir doch gesagt«, erwidere ich.
»Aber siehst du Granpas Bäckerei«, ruft Spence und erschreckt mich damit richtig. Ich hätte nicht gedacht, dass er sich erinnern kann, wie die Bäckerei aussieht. Immerhin war er nur einmal da, und damals war er fünf.
»Ist das Schokolade?«
Ich kann nicht anders, als doch hinüber zu There's Nothing Batter Bakery zu schauen. Die Bäckerei sieht nicht so herzzerreißend heruntergekommen aus wie in meiner Erinnerung. Eine blinkende Lichterkette und Stechpalmenzweige rahmen das Fenster und geben den Blick frei auf eine unglaublich detaillierte winterliche Dorfszene, in deren Hütten das Licht brennt und die von Puderzuckerschnee bedeckt ist. Und genau wie Spence gesagt hat, besteht das Dorf komplett aus Schokolade, was eine ungeheuer komplizierte Aufgabe sein und Mom ein Vermögen gekostet haben muss. Außer natürlich, sie hat einen neuen Geschäftsführer angestellt, der gleichzeitig ein magischer Chocolatier ist.
Ich spüre zwar die Schuldgefühle, die ich erwartet hatte, aber da ist noch etwas anderes - ich fühle mich nicht mehr gebraucht. Weil ich jetzt ohnehin nicht mehr wegschauen kann, lehne ich mich hinüber zum Beifahrerfenster und verlangsame die Fahrt, um einen Blick auf die Person hinter der Ladentheke zu erhaschen. Aber der Mann hat mir den Rücken zugewandt, und so sehe ich nur seinen braunen Haarschopf.
Komm schon, dreh dich um, damit ich dich anschauen und dann dafür hassen kann, dass du mich ersetzt hast.
Als hätte der Mann mich gehört, dreht er sich tatsächlich - doch in diesem Moment bleibt eine Gruppe von Freitagabendbummlern genau vor dem Schaufenster stehen, um ihre Schals und Mützen...
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