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Eve saß kerzengerade neben Cooper auf dem Sofa, auf dem man ihnen einen Platz angeboten hatte, beide sorgsam darauf bedacht, bloß die perfekt arrangierten Kissen nicht zu zerdrücken. Die Wohnung war wie aus einem Inneneinrichtungskatalog. Selbst die tropischen Fische in dem Wand-Aquarium schienen farblich auf die Einrichtung abgestimmt zu sein.
»Ich kann nicht glauben, dass er tot ist.«
Die Kissenbesitzerin und Fischfarbenexpertin, eine gewisse Miss Lisa Taylor, stand in einem marineblauen Satinpyjama mit gefährlich tief ausgeschnittenem Oberteil auf der anderen Seite des Raums.
Eve war nicht sicher, wie nahe der Frau der Tod ihres Nachbarn ging, denn sie hatte die Nachricht ohne nennenswerte Gefühlsregung aufgenommen. Vielleicht war sie ja sogar erleichtert, dass nun Schluss mit der Musik war.
Cooper legte sein Notizbuch auf die Armlehne, schien sich jedoch eines Besseren zu besinnen, und behielt es in der Hand. Lieber die Strichrichtung des Wildleders nicht durcheinanderbringen. »Es muss ein Schock gewesen sein.«
Lisa machte keine Anstalten, Coopers Einschätzung zu bestätigen oder zu leugnen. »Sind Sie sicher, dass Sie keinen Kaffee oder Tee wollen? Oder ein Mineralwasser mit Eis?«
Eve musterte die Frau. Kein Härchen hatte sich aus dem blonden, zu einem Knoten im Nacken zusammengenommenen Haar gelöst und hing über den glatten Satinstoff. Eve war nie so perfekt zurechtgemacht, schon gar nicht um sieben Uhr morgens. Ein Hauch von Parfumduft hing in der Luft, teuer und unaufdringlich dezent. Nur gut, dass sie Cooper an ihrer Seite hatte. Detective Constable Scott Ferguson mit seinem gestylten und gegelten Haar und seinem dicken Bizeps wäre beim Anblick der attraktiven Blondine wohl zum sabbernden Teenager mutiert. Und vielleicht hätte Lisa sich von so einem arroganten Poser sogar beeindrucken lassen. Gleichzeitig musste Eve ehrlicherweise zugeben, dass Ferguson ihr neuerdings ans Herz gewachsen war und sie so etwas wie Respekt füreinander entwickelt hatten. Jedenfalls die meiste Zeit.
Eve verneinte Lisas Angebot. Ihre Gastgeberin würde bestimmt keinen gewöhnlichen Billigtee anbieten, sondern einen ausgefallenen Blend aus Ginseng und irgendetwas Unaussprechlichem. »Nein danke, ist schon gut. Wir brauchen nichts.«
Lisa ließ sich auf das minimalistische Designersofa aus schiefergrauem Wildleder gegenüber sinken. Dampf stieg aus der winzigen Tasse Espresso, die sie aus der Maschine gelassen hatte.
»Also, ich brauche jedenfalls meinen morgendlichen Wachmacher.« Lisa schien leicht verärgert zu sein. Vielleicht weil sie keine Gelegenheit bekam, ihre Qualitäten als Gastgeberin unter Beweis zu stellen oder ihr Nobel-Porzellan zu präsentieren.
Eve sah zu, wie sie die Tasse auf halber Höhe hielt, weil sie offensichtlich zu heiß war, um sie auf dem Schoß zu balancieren, und definitiv zu heiß zum Abstellen auf dem Sofa oder den Kissen. »Sie haben wegen der lauten Musik die Polizei gerufen?«
Lisa nickte. »Aber das war nichts Neues. Früher beschränkte es sich auf die Wochenenden, was mich nicht so sehr stört, aber in letzter Zeit kam es auch an den Wochentagen vor. Zu allen möglichen Zeiten. Gestern Abend hat es überhaupt nicht aufgehört.« Sie hielt inne, vielleicht weil ihr bewusst wurde, dass es nicht besonders einfühlsam klang. »Ich habe heute einen wichtigen Kundentermin.«
Eve tendierte zu der Ansicht, dass Lisa erleichtert war, wenn Dean Johnston künftig ihren Schönheitsschlaf nicht länger störte. »Was machen Sie denn beruflich, Miss Taylor?«
Die Frau sah sich im Raum um, als liege die Antwort auf der Hand. »Ich habe ein Geschäft für Inneneinrichtung. Ich habe mich erst kürzlich selbstständig gemacht.«
Das passte. »Glückwunsch. Kannten Sie Mr. Johnstone gut?«
Lisa kräuselte die Oberlippe, als hätte sie in etwas Saures gebissen. »Flüchtig. Ich fand ihn . zu vertraulich.«
»Zu vertraulich?«
»Ja, Sie wissen schon . er legte einem die Hand um den Ellbogen, wenn man sich unterhielt, oder kam viel zu nah, wenn wir zufällig gleichzeitig im Aufzug standen. Und immer eine Menge Gezwinker.«
»Glauben Sie, er stand auf Sie?«
Lisa schnaubte mit einem abfälligen Lächeln. »Ich glaube, am meisten stand Dean auf sich selbst.«
Eve dachte an das Foto auf dem Firmenausweis. Er war ein gut aussehender junger Mann gewesen. »Haben Sie gestern sonst noch etwas gehört? Außer der lauten Musik? Klang es, als hätte er Gesellschaft gehabt?«
»Dean hatte immer Gesellschaft.« Lisas Tonfall sprach Bände.
»Freunde? Eine Partnerin?«
Lisa zog die Beine an und kauerte sich in der Sofaecke zusammen, wobei der Satinstoff leise auf dem Wildleder raschelte. Eve spürte, wie Cooper neben ihr das Gewicht verlagerte. Selbst er konnte sich ihrer Aura nicht entziehen. Sie wirkte so präsent. Selbstsicher. Atemberaubend.
»Wie gesagt, normalerweise habe ich ihn nur im Vorbeigehen gesehen, allerdings habe ich wesentlich mehr von ihm gehört, als mir lieb war.«
Cooper legte sein Notizbuch in den Schoß. »Genau. Die Musik.«
»Wäre es nur das gewesen. Ich habe mich öfter gefragt, ob es so schlau war, sich zu beschweren. Oder ob es besser gewesen wäre, sie zu ertragen, als die Alternative.«
Eve begriff. »Haben Sie ihn jemals auf die Musik oder die anderen Geräusche angesprochen?«
»Einmal habe ich eine Andeutung gemacht, aber er schien es sogar toll zu finden, dass ich ihm beim Vögeln zuhöre. Ich habe mich gefragt, ob ihn das antörnt.«
Sie nannte das Kind beim Namen, das musste Eve ihr lassen. Sollte sie die Wahrheit sagen, war durchaus nachvollziehbar, weshalb sie ihn als übermäßig vertraulich beschrieb. »Und haben Sie seine Partnerin jemals kennengelernt?«
»Ich glaube nicht, dass er seine Talente an nur eine Frau verschwendet hat.«
Eve wartete.
»Gesehen habe ich die Frauen nie, aber gehört. Ganz eindeutig. Sagen wir mal so . entweder standen sie auf Rollenspiele, oder aber es waren unterschiedliche Frauen.«
Cooper räusperte sich. »Viele? Und oft?«
Lisas blaue Augen funkelten, als sie Cooper ansah. Sosehr sie sich über Deans Übergriffigkeit beschwert hatte, schien sie es regelrecht zu genießen, Cooper auf dieselbe Art in die Enge zu treiben. »Falls es nur eine einzige Frau gewesen sein sollte, hatten die beiden ein gewaltiges Durchhaltevermögen und Temperament. Als ich gestern Abend nach Hause kam, lief die Musik. Ohrenbetäubend laut. Ich dachte, er sei allein.«
»Haben Sie sonst noch etwas gehört? Laute Stimmen? Bumsen?«
Beim Anblick von Lisas Grinsen wünschte Eve, sie hätte ihre Wortwahl besser bedacht.
»Nichts. Aber das war auch völlig unmöglich bei der lauten Musik. Die Wand hat regelrecht gebebt. Meine Fische müssen sich gefühlt haben, als wären sie in einem Whirlpool. Keine Ahnung, wie lange das schon ging. Ich war ab Freitagmorgen geschäftlich unterwegs und bin erst gestern Abend zurückgekommen. Jemand muss bei ihm gewesen sein. Es sei denn, er hat Selbstmord begangen.«
Eve schwieg.
Lisa setzte sich auf. »Glauben Sie, es könnte eine der Frauen gewesen sein?«
»Noch können wir nichts ausschließen. Hatte er jemals Besuch von seiner Familie? Von Freunden?«
Lisa nippte an ihrem Espresso. »Schwer zu sagen, aber in dem Fall wäre es bestimmt leiser gewesen. Ihn selbst habe ich nie gehört, immer nur die Musik und die Sexgeräusche.«
»Haben sich die anderen Nachbarn nie beschwert?«
»Nicht dass ich wüsste. Ich bin Dean nur begegnet, weil er zu ähnlichen Uhrzeiten kam oder ging wie ich. Aber jetzt, wo Sie es erwähnen - ich hatte ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
In diesem Moment ließ ein Klopfen an der Tür alle drei zusammenzucken. Lisa stand auf und öffnete die Tür, vor der einer der Polizisten des Teams aus Johnstones Wohnung stand.
Eve trat hinaus auf den Korridor und zog die Tür nahezu hinter sich zu. »Ja?«
»Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber die Leiche wird jetzt abtransportiert. Die Spurensicherung bleibt noch. Sie haben den Laptop und andere persönliche Gegenstände sichergestellt. Interessante Freizeitgestaltung, wenn man sich sein Schlafzimmer so ansieht, würde ich sagen.«
Nach Lisas Erläuterungen waren keine weiteren Ausführungen nötig. Der Firmenname auf Johnstones Ausweis war der einzige brauchbare Hinweis, den sie hatten. »Okay. Danke, dass Sie mir Bescheid sagen.« Sie wandte sich um und kehrte in das Apartment zurück.
»Nun gut, Lisa. Wir lassen Sie jetzt in Ruhe, damit Sie sich für die Arbeit fertig machen können. Danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.« Eve kramte ihre Visitenkarte aus der Innentasche ihres Blazers und reichte sie ihr. »Sollte Ihnen noch etwas einfallen oder sollten Sie etwas hören, rufen Sie mich bitte an.«
»Danke, das werde ich.« Lisa begleitete sie zur Tür und blieb stehen. »Eine Sache gibt es noch.«
Eve wartete.
»Sie haben mich nach Familie und Freunden gefragt.«
»Ja.«
»Ich weiß nicht recht, ob ich das sagen sollte. Aus Respekt?«, sagte Lisa, obwohl sich nicht einmal der Anflug eines Zweifels auf ihrer Miene abzeichnete; vielmehr drohte sie gleich zu platzen, wenn sie nicht loswurde, was sie wusste.
»Wir sind für alles dankbar, das uns weiterhelfen...