Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Siebzigerjahre. Der bekannte Musiker David Bowie sitzt im Zug von Moskau zurück nach Berlin. Die stundenlange Reise zieht sich hin. Im Geiste komponiert er, dichtet Songtexte für die neue Platte . Es muss etwas ganz Außergewöhnliches werden, etwas, das die Weltmusik revolutioniert.
Doch was hilft es, die kreative Blockade will nicht weichen. Dagegen hatte die Moskaureise helfen sollen. Der Star war jedoch nicht recht zufrieden mit seinem Aufenthalt dort. (Balletttänzerin Mascha, mit der er eine Art Affäre begonnen hatte, schmiss sich an ihn ran, steckte alles klaglos ein. Nicht abzuwimmeln, wollte überall bei ihm sein, ihn überallhin begleiten, ins Museum und in die Oper.
Außerdem wurde dort zu viel getrunken. Den Abschiedswodka, scharf wie flüssige Rasierklingen, auf dem Bahnhof mit Mascha gekippt, spürt er noch immer irgendwo in den Schläfen, dazu ihre feuchten, hysterischen Küsse, das kratzig schwarz gefärbte Haar und den Schafsmief ihrer Felljacke. Sie gab ihm vier hart gekochte Eier mit auf die Reise. Aus lauter Langeweile pellte er jedes einzelne, und jedes Mal erfüllte erneut ein intimer Schwefelgestank das Abteil. Niemand regte sich groß darüber auf.)
Derweil fährt der Zug schon durch . durch Polen. Noch so ein Land . Er hat davon gehört. Seufzend zieht er seine neueste Erwerbung hervor, einen der neuen Taschenrechner, die zu dieser Zeit im Westen in Mode sind - zum Erstaunen der Mitreisenden, die diese Erfindung nicht kennen und gaffen wie Kinder vor dem Schaufenster des Spielwarengeschäfts.
Um die Zeit totzuschlagen, beginnt er schläfrig zu rechnen:
88374
+ 2842840
- 2929087 .
Das Ergebnis kümmert ihn gar nicht. Er tippt immer neue Additionen und Divisionen ein, nur aus Spaß daran, immer größere und größere, immer seltsamere Zahlenwerte einzugeben, die niemand kennt . Ziffern, so groß, dass sie nur noch Raum ausdrücken. Den Kosmos. Ist er eingenickt? Vielleicht auch nicht.
Er öffnet die Lider. Es dämmert. Draußen verdickt sich das Grün endloser Wiesen. In der Ferne kann er zwei kleine, funkelnde Silhouetten ausmachen. Das sind Mädchen, die Kühe hüten: Er meint sogar, ihre verwegenen, schier liebestrunkenen Rufe den Raum durchbohren zu hören.
MÄDCHEN 1: «Hoi, Helena, weiden sie schön?»
MÄDCHEN 2: «Sie weiden schön, nur dich kann ich von Weitem nicht sehen!»
MÄDCHEN 1: «Hoi, hoi!»
Er musste eingeschlummert sein. Als er zu sich kommt, hält der Zug in Warschau. Den Worten eines respektablen Herrn, der vorzüglich Englisch zu sprechen meint, glaubt er entnehmen zu können, dass der Aufenthalt von längerer Dauer sein wird. Das dumpfe Dunkel des Bahnsteigs riecht nach Eisengerümpel, Pisse und Holunder, dahinter der Mief von gekochtem Kohl aus einer abgelegenen Speisewirtschaft. Vorsichtig verlässt er die stickige Winterhöhle des Abteils und taucht ein in die undurchdringliche, von spärlich schwachen Lichtern gesprenkelte Finsternis der fremden Metropole.
David Bowie verliert sich in der Dunkelheit des Bahnhofs.
Zugleich steigt aus ihr das Innere einer kleinen Wohnung in einem Plattenbau auf. Ein einziger Raum, in den viele Räume gestopft sind. Die Konturen der hier kumulierten Lebensüberfülle werden sichtbar.
Kinderwagen, Roller, Farnkräuter, Kristalle; labile Wäschestapel im Wandschrank.
Gestaute, ansteckende Gestalten, die des Nachts Ungeheuer gebären.
Dieser Saustall spricht nicht schlechthin für die Schlampigkeit der Bewohner, er dürfte eher ein Zeichen für die Vielzahl der miteinander unvereinbaren Interessen und Funktionen sein, für die diese Stube als Bühne und Lagerraum herhalten muss.
Schlitten. Saftpresse. Weckgläser. Am Kleiderständer, neben der Lammfelljacke und den Dufflecoats der Kinder, eine Milizmütze mit Streifen.
Auf Yogi-Sofas schlummern mit ausgebreiteten Ärmchen die Kinder. Auf der Schlafcouch wälzt sich schlaflos unter der Reproduktion eines Gemäldes von Wyspianski Polizei-Zugführer Wojciech Kretek.
Die Putzfrau Anastazja Ladczuk, im Weiteren Frau Nastka genannt, geht mit einem Eimer über die Bühne. Sie ist eine Figur, die nicht ganz in diese Wirklichkeit gehört, sie ist ein Teil von ihr, steht aber auch daneben, leicht transzendent, real und doch fähig, durch Wände zu gehen.
Sie trägt eine nach Schweiß riechende Nylon-Schürze und Turnschuhe mit Korksohle; Impfnarben zeichnen ihre schwammigen Arme wie geheimnisvolle Runen, Schatzkarten.
Ihr Gang ist träge, eher ein Wanken, sie seufzt und blinzelt träge, schaut sich auch die Gegenstände an und schimpft, murmelt etwas wie: «Alles durcheinandergebracht und rumgeschmissen, sie holen's raus und tun es nicht zurück, kein Respekt, nie Ordnung gelernt, haben einfach von allem zu viel, das ist es. Uns ging das anders, ein kleiner Stock, ein Knopf, eine Glasscherbe, schon war das Kind weg und spielte. Wir wurden geschlagen, aber wir wussten, warum. Wir bettelten darum, noch mehr geschlagen zu werden. Heutzutage, hier, gibt's alles im Überfluss, alles liegt nur rum .»
Vielleicht lässt sie auch die ein oder andere Sache mit abergläubischem Seitenblick in ihre Schürzentasche gleiten.
Zugführer Wojciech Kretek sieht sie nicht. Er ist ein Mann von Anfang dreißig, nach damals gängigen Maßstäben gut aussehend: Schnauzbart, passend zum gestreiften Pyjama.
Seine weit geöffneten Augen glänzen im Dunkel. Metaphysische Qual mischt sich darin mit ganz physischer, körperlicher Gereiztheit.
Neben ihm - seine Ehefrau. Der Zugführer zieht zum Abbau seiner Unruhe vielleicht sogar den Verkehr mit ihr in Erwägung, sie jedoch schläft wie eine Tote. Ihr fett mit Creme bestrichenes Gesicht leuchtet in übernatürlichem Seidenglanz. Der Zugführer begnügt sich damit, sich an ihrer Seite hin und her zu wälzen und dabei zu stöhnen wie jemand, der seine Wut an einem Stein auslässt oder durch hochgezogene Brauen und vernehmliche Seufzer einen Fels bewegen will, ein Lebenszeichen von sich zu geben .
Ganz offensichtlich will ihn etwas zerreißen, lässt ihm keine Ruhe. Etwas ist in ihm zerbrochen, ob Kratzer oder tiefe Wunde - es quält, juckt, verlangt nach Artikulation. Der Zugführer steht auf. Langt nach den Zigaretten, wirft einen anklagenden Blick auf die Schornsteine und Neonlichter vor dem Balkonfenster, die da durch die finstere Gelatine der Maiennacht leuchten. Schließlich knipst er eine kleine Lampe an und setzt sich an den Klapptisch, beginnt ungelenk in die Tasten der Schreibmaschine zu hauen, eine Zigarette nach der anderen aus der Packung zu klopfen, sie aufzurauchen und dann achtlos in dem kolossalen Kristallaschenbecher zu zerdrücken.
Er ist ein ungeübter, dafür glühender Schreiber.
ZUGFÜHRER: «Intern heißt er bei uns: der Damenwürger von Mokotów. Es gibt Opfer, gibt Obduktionen, eine Täterbeschreibung und ein Gutachten der Kriminalexperten. Die Sache zieht sich schon an die zwei Wochen hin, bislang gibt es aber noch keine Pressemeldung. Kein Sterbenswörtchen nach außen, Dienstlächeln heruntergelassen, um die Hysterie von Volk und alten Weiblein nicht noch zu befeuern. Vielmehr muss diese im Keim erstickt oder zumindest so lange wie möglich hinausgezögert werden. Denn bislang fehlt ein Teil in dem Puzzle. Welches? Natürlich, der Täter.
Das darf nicht sein in unserem freien demokratischen Volksvaterland.
Der Chef kriegt Druck von oben, und er selbst gibt den Druck an uns weiter. Man munkelt, sogar das Ministerium habe schon Wind von der Sache bekommen .
Auf der Dienststelle drückende, leicht entzündliche Atmosphäre. Es hagelt und üblere Flüche. Unser Bösewicht ist weiter auf freiem Fuß, tut sich keinen Zwang an, und niemand weiß, wo er das nächste Mal aufkreuzen wird, bums, rauf auf sein nächstes Opfer. Kürzlich war es eine Kantinenmitarbeiterin am Parkplatz bei den Filmstudios, gestern wiederum zwei halb nackte Jugendliche, die erhitzt aus dem Hotel Bristol gerannt kamen, weil ihnen schlecht war. Minderjährig. Wer die wohl auf die Tanzfläche gelassen hat - vermutlich der Garderobenmann, für ein paar Zloty.»
(Die Ehefrau des Zugführers erwacht. Sie setzt sich auf der Couch auf, desorientiert und verschlafen, nimmt die Watte aus den Ohren. Es handelt sich um eine Frau um die dreißig, mit Lockenwicklern und Nachthemd im Gemüse-Kräuter-Muster. Das können Pastinaken, Kapern, Dill oder Mohrrüben sein, die in die Saftpresse fallen. Ohne Sympathie sieht sie ihrem schreibenden Mann zu.)
ZUGFÜHRER (sieht das nicht oder tut so, denn schon tippt er rascher, und seiner Stimme ist Ärger anzuhören. Seine Notizen können durch Fotos aus Obduktionen und Kriminalgutachten illustriert werden): «Haartracht zerstört, Aussage wirr. In Tränen und Seufzern ein konzentrierter Hauch Weinbrand. Die eine arg lädiert, Augenverletzung, Schock, erinnert sich an fast nichts. Die andere war ohnmächtig geworden, aufgeschlagene Knie, hässlich eingerissenes Ohr, angeblich hat er sie mit dem Schal gewürgt, sie erinnert sich einzig an das Schneeflockenmuster und die fremdsprachige Aufschrift SKI. Bis zur Hochzeit ist das heil. Aber einstweilen spielt dieser verfluchte Pimpelfritze Katz und Maus mit der Miliz.
Die...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.