Schweitzer Fachinformationen
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Alexis: Jahr 2090
»Wer bist du?«, flüsterte mir eine weibliche Stimme ins Ohr. Ich setzte mich mit einem Ruck auf und blinzelte benommen. Meine Handgelenke pochten schmerzhaft. Sie waren wundgescheuert.
Grashalme und pinke Sommerblumen raschelten, als eine warme Brise über die smaragdgrüne Ebene strich, auf der ich ein Nickerchen gemacht hatte. Die ländlichen Gegenden von Montana waren gespenstisch still.
Hier draußen, rund zweihundert Meilen von Helena - der Hauptstadt des Bundestaats - entfernt, lieferte das Stromnetz kaum genug Saft, um unseren abgeranzten Trailerpark zu versorgen.
Die Titanen waren im Jahr 2050 aufgetaucht, und die Weltordnung brach zusammen.
Die Kids in der Schule nannten es apocalypse core.
Ich nannte es Hölle.
Die humanoiden, unsterblichen Titanen hatten rasiermesserscharfe Zähne, schwarze Venen, lange Klauen und bewegten sich mit übermenschlicher Geschwindigkeit. Woher sie gekommen waren oder warum sie Menschen zum Spaß zerfetzten, wusste niemand.
Ihre Existenz war nicht sehr förderlich für diejenigen, die leben wollten (wollte ich nicht).
Pater John meinte, dass die Titanen gekommen waren, um »den Menschen eine Lektion zu erteilen«. Da wir durch sie nur dramatische und grauenvolle Tode starben . merkwürdige Lektion.
Letzten Endes waren es die Spartaner, die uns gerettet hatten.
»Kannst du mich hören?«, fragte die unbekannte Stimme lauter.
Ich drehte den Kopf hektisch von einer Seite zur anderen auf der Suche nach der Person, der sie gehörte, aber außer mir war weit und breit niemand zu sehen. Die ruckartigen Bewegungen sorgten jedoch dafür, dass meine Handgelenke stärker pochten, und mir entwich ein Ächzen.
Vater und Mutter panschten in der Badewanne wieder mal ihr »Spezialgebräu« gegen den Hunger zusammen - eine Mischung aus Reinigungsmitteln, Wasser und schimmeliger Backhefe -, und das machte sie immer unberechenbarer.
Bestes Beispiel: Letzte Woche hatte ich Vater »falsch« angeschaut, also fesselte er mich mit einem groben Seil, weil ich eine »faule, nichtsnutzige, verwöhnte zehnjährige Göre« war.
Heute Morgen hatte ich schließlich die Nase voll davon, wie ein Hund angebunden zu sein, und schlug meine Arme so lange gegen einen Stein und zerrte an den Fesseln, bis ich mich befreien konnte.
Beide Handgelenke waren definitiv gebrochen.
Immerhin bist du frei.
Die gute Nachricht? Vater war so planlos, dass er sich an die Fesselaktion vermutlich nicht mal erinnerte.
Die schlechte Nachricht? Er brauchte teure Arzneimittel vom Spartanischen Bund - vorzugsweise tödliche -, die er sich aber nicht leisten konnte.
Jemand müsste sich also eigentlich mit der Billigvariante um seine geistige Gesundheit kümmern und ihm eins mit einer Schaufel überbraten. Das hatten sie mit unserem Nachbarn Paul gemacht - ihm von hinten das Ding über den Schädel gezogen.
»Du kannst mich hören, nicht wahr? Was . bist du?«, ertönte die unsichtbare Stimme ganz nah an meinem Ohr, was mich panisch zusammenzucken ließ.
Ganz toll, ich werde von einem Geist heimgesucht.
Ich schaute mich erneut misstrauisch um.
In der Ferne blitzte der Stacheldrahtzaun vor den Bäumen auf, die den Trailerpark umgaben, und die zerfledderte weiße Fahne, die von einem Ast hing, zeigte das Wappen von Haus Hades - ein grässlicher Skeletthund mit flammend roten Augen. Ein Höllenhund.
Unter der Flagge war ein Schild mit einer Warnung in blutroter Farbe angebracht: >Militarisierte Schutzzone des Spartanischen Bunds. Achtung: Kein Zutritt für Titanen.<
Die chthonische Killer-Organisation - die Assembly of Death - und ihre Erkennungszeichen (gruselige Höllenhundflaggen, um die niemand gebeten hat) waren überall in den Schutzzonen präsent. Sie warnten die Titanen davor, dass es selbst unter Monstern auch Goliaths gab.
Jeder kannte die zwölf spartanischen Familien, die über die Erde herrschten. Die acht olympischen Häuser waren die Guten, da ihre Kräfte niemandem Schaden zufügten. Die vier chthonischen Häuser dagegen waren durch und durch böse. Sie waren Massenmörder mit dunklen Kräften.
Ein Schauer durchlief mich.
Das Zeitalter von Göttern und Monstern ist scheiße.
Ich atmete angestrengt durch meine zusammengebissenen Zähne und versuchte, mich auf irgendetwas anderes als den quälenden Schmerz zu konzentrieren, der über meine Unterarme nach oben ausstrahlte.
Was würden Emmy Noether oder Carl Gauß in dieser Situation machen?
Leider hatte ich keine Ahnung, was meine Helden - geniale Mathematiker der Vergangenheit - tun würden.
Schlafen wäre schön.
Und der Tod auch.
Im Moment würde es mir ja schon reichen, wenn ich die Autobiographie von Emmy Noether in der Stadtbücherei zum x-ten Mal lesen könnte. Das fühlte sich immer wie eine liebevolle Umarmung an.
Oder zumindest stellte ich mir so eine Umarmung vor. Ich hatte noch nie eine bekommen.
Bis jetzt.
Vielleicht würde ich auch nie eine kriegen, immerhin konnte ich es nicht ausstehen, wenn mich jemand anfasste, und die Leute konnten mich nicht gut leiden.
»Du riechst vertraut«, flüsterte die unsichtbare Stimme lauter. »Ich frage mich . Wie heißt du, Kleine?«
Ich schnüffelte an meiner Achsel. Da ich heute Morgen das kalte Wasser aus dem Gartenschlauch zum Waschen benutzt hatte, roch ich nur Sonne und Gras.
»Ich bin A-Alexis Hert«, antwortete ich zögerlich. Die wulstige Narbe über meinem Brustbein, die ich schon als Baby hatte, kribbelte.
»Du verstehst mich, Mensch? Du kannst mit mir sprechen?« Ich zuckte erschrocken zusammen, als die Stimme noch lauter wurde. »Ich bin Nyx.«
»Äh . hi«, erwiderte ich steif.
Dann herrschte langes Schweigen.
»Warum sind deine Handgelenke blutig?«, wollte Nyx wissen.
»Meine P-Pflegeeltern legen es drauf an, mich umzubringen.« Ich seufzte tief.
»Du bist ein seltsamer Mensch«, ertönte Nyx' Stimme näher als zuvor. »Du sprichst vom Tod - doch du riechst nicht nach Angst. Irgendetwas stimmt nicht mir dir.«
»Da hast du wohl recht«, meinte ich.
Nyx zischte. »Deine Einstellung ist beunruhigend. Ich kenne unsterbliche Spartaner, die den Tod mehr fürchten als du.«
»Bist du ein Geist?«, fragte ich.
»Nein.«
»Du lügst.«
Plötzlich wurde die Sonne von etwas Dunklem verdeckt - das nur Zentimeter vor meinem Gesicht schwebte. Geschlitzte Pupillen standen in scharfem Kontrast zu leuchtendem Violett, und eine glitschige, gespaltene Zunge strich mir über die Wange.
»Ich sagte doch, dass ich real bin«, zischte Nyx.
Eine . eine . große schwarze Schlange - so lang wie meine Beine, mit zwei nadelspitzen Fangzähnen und violetten Augen - schwebte vor mir in der Luft.
Sie sah gefährlich aus.
Wie ein Raubtier.
»Was bist du?«, flüsterte ich.
Sie ließ den glänzend schwarzen Kopf in der Sommerbrise hin- und herpendeln, als wollte sie mich hypnotisieren. »Ich bin eine Echidna, eine uralte Spezies unsichtbarer Schlangen. Was du natürlich nicht weißt - Menschen haben keine Kenntnis von der Natur der Bestien.«
Ich schluckte hart. »Bist du giftig?«
Die Fangzähne der Schlange blitzten auf, als sie nickte. »Sehr sogar. Ein kleiner Kratzer durch einen meiner Fänge würde dich innerhalb von Sekunden töten.«
»Krass«, hauchte ich ehrfürchtig. »Wollen wir Freunde sein?« Ich hatte noch nie einen.
Die violetten Augen leuchteten auf. »In Ordnung«, zischte Nyx. Ihr Maul öffnete sich beim Sprechen. »Aber nur, weil du ein erbärmliches Leben zu führen scheinst und ich in diesem barbarischen Land vergessen wurde und hier niemanden zum Reden habe.«
»Cool.« Ich streckte die Hand aus, um ihr den glänzenden Kopf zu tätscheln.
Nyx schnappte geräuschvoll in die Luft. »Fass mich nie wieder so an, sonst sorge ich mit einem Biss für dein Ableben, Mädchen - ich bin doch kein dahergelaufener Hund.« Sie gab einen überheblichen Laut von sich. »Das hier ist nur eine Übereinkunft auf Zeit.«
Ich lachte. Sie war lustig.
Stunden später, nachdem ich mit meiner neuen besten Freundin herumgetollt und versucht hatte, die Schmerzen in meinen Handgelenken zu ignorieren, tauchte der Sonnenuntergang den Himmel in feuriges Pink.
Wenn ich nicht vor Einbruch der Dunkelheit in den Wohntrailer zurückkehrte, wurde ich ausgeschlossen und musste draußen im Dunkeln bleiben. Ich hatte ganz fest vor, heute Nacht drinnen zu schlafen.
»Lass uns zusammen zurückgehen«, flüsterte ich. Nyx wurde wieder unsichtbar und schlängelte sich neben mir her, als ich losrannte. Ihr Kopf streifte immer wieder meine Füße.
Wir schafften es rechtzeitig, der Himmel war noch hell - nicht, dass das jemandem auffiel.
Mutter und Vater saßen im Vorgarten, ausgemergelt und mit glasigem Blick, und schlürften ihr »Spezialgebräu« aus schmutzigen Tassen....
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