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Im Sommer 1768 zog Reverend Austen mit seiner Familie in das bescheidene Pfarrhaus am Dorfrand von Steventon in der Grafschaft Hampshire. Es muss eine merkwürdig anzuschauende Fuhre gewesen sein, die da vom nahe gelegenen Fleckchen Deane, wo die Austens vorübergehend Quartier bezogen hatten, nach Steventon aufbrach: Der Sommer war ungewöhnlich regnerisch, die schmale Straße aufgeweicht, und obwohl der Wagen nur mit wenigen Möbeln und Hausrat bepackt war, befürchtete der Reverend, jeden Moment im Morast steckenzubleiben. Zu allen äußeren Widrigkeiten kam der schlechte Gesundheitszustand seiner Frau, Cassandra Austen, sie brachte die ganze Fahrt auf einer Matratze zu, die man über den Hausrat gelegt hatte.
Umgeben von Büschen und kleineren Baumgruppen, lag das Pfarrhaus etwas abseits vom Dorf und präsentierte sich zunächst nicht im besten Zustand. Das im 17. Jahrhundert erbaute Haus hatte zwei Stockwerke, im unteren befanden sich zwei Wohnzimmer, die Wirtschaftsräume und ein Arbeitszimmer, im oberen sieben Schlafzimmer und drei Ankleidezimmer. Hinter dem Haus gab es einen großen Blumen- und Gemüsegarten. Unweit des Pfarrhauses lag auf einem Hügel die aus dem 13. Jahrhundert stammende Kirche St. Nicholas, ein schlichter und einfacher Bau, wie er in dieser Gegend üblich ist. Anders als das Pfarrhaus, das 1940 abgerissen wurde und von dem heute nur noch die eiserne Waschküchenpumpe zu sehen ist, hat die Kirche die Zeiten überdauert. Über einen kleinen Weg, der von beiden Seiten mit einer winddichten Hecke gesäumt war, ging die Familie Austen, fast wie durch einen Tunnel, vom Pfarrhaus zur nahe gelegenen Kirche.
Steventon selbst ist ein verträumter Ort, der zwischen Winchester und Basingstoke liegt und ganze siebzig Kilometer von London entfernt, aber trotz der relativ geringen Distanz heute immer noch so abseits vom großen Verkehr ist, wie er es damals - zu Zeiten der Kutschen - schon war.
So idyllisch vieles aus heutiger Sicht am Pfarrhaus und seiner Umgebung anmutet, ein Wunschort ist dieses Steventon für den Reverend und seine Frau zunächst nicht gewesen. Mrs. Austen empfand die Landschaft sogar als ausgesprochen «unattraktiv»[1]. Ackerbau und Viehwirtschaft prägten das Bild: Felder mit Getreide, Kohlrüben, Bohnen und Erbsen, und auf den sanften Hügeln weideten die Schafe.
Damit entsprach die Gegend so gar nicht dem, was das damals herrschende Landschaftsideal des Pittoresken als schön und großartig pries: abwechslungsreiche Formen und Kontraste, starke und bizarre Landschaftseinschnitte. Der Begriff des Pittoresken stammt von dem Geistlichen und Hobbymaler William Gilpin, der zu dieser Zeit mit seinen Reisebüchern und ästhetischen Essays eine große Wirkung auf das Publikum - und später auch auf Jane Austen - ausübte. Sein Urteil über die Gegend zwischen Winchester und Basingstoke war kurz und bündig: «most unpleasant»[2].
Die Grafschaft Hampshire ist im Vergleich zu den anderen Grafschaften im Süden Englands etwas stiefmütterlich mit aufregenden Naturschönheiten bedacht worden, ihr fehlt die Großartigkeit von Landschaften, wie sie etwa Somerset mit den heidebewachsenen Hochebenen des Exmoors oder die Grafschaften Devon und Cornwall mit den Steilküsten, den Brandungen und Klippen und den weiten Moorgebieten im Inneren des Landes aufzuweisen haben. In der Grafschaft Hampshire liegen die landschaftlichen Attraktionen eher am Rande, so etwa der New Forest im südwestlichen Zipfel der Grafschaft und die Isle of Wight. Die eigentliche Bedeutung Hampshires hing schon zu Zeiten von Jane Austen mit drei Städten zusammen, das heißt eigentlich nur mit zweien, nämlich den Hafenstädten Portsmouth und Southampton, die dritte, die alte Königsstadt Winchester, lebte schon damals von ihrer Tradition.
Als das Ehepaar Austen mit seinen drei Söhnen das Pfarrhaus von Steventon bezog, war die Familie nach damaligen Maßstäben noch relativ klein. Das Haus bot genug Platz auch für eine wachsende Familie. Vor allem aber bedeutete die Pfarre ein gesichertes Einkommen, denn diese Stellen waren meist Pfründen, sie wurden von einem Grundherrn, der über sie verfügen konnte, verkauft oder einem armen Verwandten überlassen. Häufig bekam auch der jüngere Sohn des Grundherrn, der vom Erbe ausgeschlossen war, eine Stelle als Pfarrer.
Es gab zu dieser Zeit in der englischen Amtskirche zwei Auffassungen vom geistlichen Amt: Die eine war durch die Methodisten geprägt, die unter ihrem Anführer John Wesley eine neue Religiosität forderten und als Erweckungsbewegung innerhalb der britischen Hochkirche immer größeren Zulauf erhielten, die andere - zu der auch George Austen gehörte - sah im Pfarrer in erster Linie einen Beruf, den man durch die Aneignung bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten erlernen konnte. Der in dieser Tradition stehende Pfarrer war daher in der Regel ein eher weltlicher Mann, er hatte häufig ein Studium in Oxford oder Cambridge absolviert und suchte mit der Pfarrstelle ein gesichertes Auskommen. Da die kirchliche Aufsicht zumeist nicht allzu streng und die Gemeinden klein waren, hielten sich die geistlichen Pflichten in Grenzen, und der Pfarrer konnte neben seinen Amtsgeschäften seinen Liebhabereien nachgehen. Wie die Pfarrstellen verwaltet wurden, hing also weitgehend vom Belieben des jeweiligen Amtsinhabers ab. Doch waren die Gemeinden oft so klein, dass eine einzige Pfarrstelle zur Absicherung der Existenz nicht genügte, sodass weitere Stellen dazugekauft oder gepachtet werden mussten.
Auch die Pfarre in Steventon, die George Austen von einem reichen Verwandten, Thomas Knight, übertragen bekam, konnte der Familie Austen allein kein standesgemäßes Auskommen sichern. So versuchten die Austens ihren Lebensstandard zu heben, indem sie sich, so gut es ging, selbst mit Lebensmitteln versorgten. Im Garten hinter dem Haus wurden Gemüse angebaut und Kleintiere gehalten. Außerdem erhielt die Familie Austen von Thomas Knight das Nutzungsrecht an der im Norden der Gemeinde gelegenen Cheesedown Farm. In den Briefen von Jane Austen finden sich darum immer wieder auch Details, die sich auf diesen landwirtschaftlichen Kontext beziehen: Informiere Edward, schreibt sie ihrer Schwester, dass mein Vater den Rest von 25 s. das Stück für Sewards Schafe bezahlen will und im Gegenzug für diese Nachricht einige von Edwards Schweinen zu erhalten wünscht.[3] Da jedoch die Familie weiter anwuchs, blieb das Budget knapp. Der Reverend nahm deshalb Schüler zum Unterricht an; 1773 schließlich, fünf Jahre nach dem Einzug in das Pfarrhaus von Steventon, kaufte ihm ein anderer Verwandter, Francis Austen, die nahe gelegene Pfarre in Deane.
Man darf sich diese materiellen Beschränkungen aber nicht als gravierend vorstellen, denn es reichte der Familie immer noch für ein ganz beachtliches Dienstpersonal: Da war jemand für den Garten, für das Haus und für die Küche, später musste man auch die Kutsche nicht mehr selber lenken, und ein Mädchen half den Damen beim An- und Auskleiden. Kurzum, die Austens gehörten zu den Familien der Gegend. Man zählt sie zumeist zur Gentry, einer Gesellschaftsschicht, die vielfach von ihrem ererbten Besitz leben konnte und sich durch kultivierte und gepflegte Umgangsformen sowohl gegenüber dem Adel wie dem Bürgertum abzugrenzen versuchte. Der Selbstanspruch der Gentry als traditionsbewusster Elite ging jedoch über ihre ökonomische Bedeutung, die im Schwinden begriffen war, weit hinaus. Allgemein gilt für die englische Gesellschaft um 1800, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten oft weniger an der Lebensweise als am kulturellen Selbstanspruch deutlich wurden.
Auf die Familie Austen treffen die schichtspezifischen Merkmale der Gentry aber nur zum Teil zu: George Austen nämlich entstammt einer bürgerlichen Familie aus der Grafschaft Kent, sein Geburtsort ist Tonbridge im Nordwesten der Grafschaft, dem sogenannten Herzen von Kent, einem der landschaftlich schönsten Gebiete im Süden Englands. Doch nur kurze Zeit war die Kindheit von George Austen ein Spiegel dieser Landschaft: Die Mutter stirbt bald nach der Geburt ihres vierten Kindes, da ist der 1731 geborene George gerade ein Jahr alt. Nach einiger Zeit heiratet der Vater erneut, erkrankt aber kurz darauf und stirbt 1737. George ist jetzt sechs Jahre alt, und der Bruder seines Vaters, Francis Austen, übernimmt seine Erziehung. 1741 wird er auf die Tonbridge School geschickt und sechs Jahre später auf das St. John's College in Oxford. Nach allem, was man weiß, muss er ein überaus fleißiger und ehrgeiziger Student gewesen sein, der die akademischen Grade mit Leichtigkeit und in schöner Regelmäßigkeit erwarb. Mit dem Master of Arts verlässt er 1754 zunächst das College und wird Diakon an der Christ Church Cathedral in Oxford. Einige Zeit später kehrt er nach Kent zurück, im Mai 1755 wird er in Rochester zum Priester geweiht, und in den folgenden drei Jahren ist er als Hilfsgeistlicher in einem kleinen Ort in der Nähe von Tonbridge tätig. 1758 erhält er in Oxford eine Assistenzstelle als Kaplan; bevor er 1760 das College als Theologe verlässt, war er im Studienjahr 1759/60 als Proktor beschäftigt.
George Austen galt als aufgeschlossener und belesener Mann, der in einer Zeit, wo das Lesen von Romanen gesellschaftlich keineswegs allgemein akzeptiert und anerkannt war, die Romane von Richardson und Fielding las, der aber auch den kauzigen Samuel Johnson schätzte und selbst die «gothic novels» nicht verschmähte, auf die das gebildete Lesepublikum immer etwas naserümpfend herabsah. In seinem Auftreten zeichnete er sich...
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