Schweitzer Fachinformationen
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Die Sonne fiel durch die Äste der Bäume und schien auf das Fell des Binturong, ließ es schokoladenbraun glänzen. Im Schlaf streckte er seine flauschigen Pfoten und rollte sich neu ein. Er lag auf einem Hut, der jetzt etwas platt war, und hatte den buschigen Schwanz um sich selbst geringelt. Seine langen Schnurrhaare zuckten im Traum und seine dreieckigen, wuscheligen Ohren drehten sich hierhin und dorthin, um kein Geräusch zu verpassen.
Falls da eines wäre, das ihn warnte. Binturongs schlafen immer nur mit den Augen, die Ohren bleiben wach.
Seine Ohren nahmen das Rascheln des Dschungels auf. Das Plätschern des Wassers am Fluss, wo jemand Wäsche wusch. Die Stimmen von Kindern im Dorf, zwischen den Hütten mit ihren spitzen Wellblechdächern und ihren wild ineinandergebauten Terrassen am Fluss. Das Knacken und Knistern eines alten Radios. Die Rufe der Papageien in den hohen Bäumen hinter dem Dorf.
Nichts, was ihn hätte beunruhigen müssen.
Er träumte.
Er träumte von einer großen, flachen Ebene, die ganz und gar kahl war. Etwas hatte alle Bäume mitgenommen und war davongeflogen und das war seltsam. Es sah sehr hässlich aus, so kahl. Aber dann wuchsen plötzlich neue Triebe aus der Erde, winzige zartgrüne Bäume, die mehr und mehr Blätter bekamen und sich hoch ans Licht schoben. Er sah sie wachsen wie in einem Tanz. Sie leuchteten von innen, magisch. Sie waren wunderschön und er war sehr froh über sie. Sie waren schon so hoch wie er, so hoch wie ein Orang-Utan, jetzt so hoch wie die spitzen Dächer der Hütten -
Er setzte seine weichen Pfoten in den neuen leuchtenden Wald, denn er spürte, dass etwas darin war, das auf ihn wartete. Etwas Aufregendes. Er reckte die Nase, witterte einen wunderbaren Geruch . Etwas raschelte in den Schatten. Es rief ihn.
Da drang ein neuer Geruch in seine empfindliche Nase, ein beißender, unangenehmer Geruch. Er nieste und wachte auf.
Blinzelte.
Der Abend war gekommen, die Dunkelheit hatte sich blau auf das Dorf und den Fluss und den Dschungel gesenkt. Die Menschen waren dabei, schlafen zu gehen. Er sprang von dem Tisch, auf dem der Hut lag, auf die Terrasse und schüttelte sich, um endgültig wach zu werden. Die Terrasse war lang und schmal und lief an der Flussseite um die Hütte herum, die Kinder spielten tagsüber dort und die Kleider der Menschen trockneten über dem Geländer.
Jetzt waren keine Kleider da.
Er reckte die Nase in seinem pelzigen Gesicht. Das Geländer! Das Geländer roch so seltsam! Und es sah auch seltsam aus. Anders als sonst. Es hatte eine neue Farbe. Und da standen mehrere kleine Eimer. Der Binturong schnüffelte daran und nieste. Igitt!
"So, fertig, man sieht sowieso nichts mehr. Abendessen", sagte jemand.
Und jemand anders: "Lass es trocknen und komm rein. Es ist ein bisschen sehr bunt, oder? Blau und rot und gelb und grün und dazu noch viel Weiß."
"Drüben, im anderen Dorf, haben sie auch so bunte Sachen", erwiderte eine jüngere Stimme. "Die Touristen mögen das. Sie kommen, wenn wir ein buntes Geländer haben. Bestimmt. Und bringen Geld."
Die ältere Stimme schnaubte. Da erst sah der Binturong die beiden; sie standen in der Tür zur Hütte, ein kleiner und ein großer Mensch. Und dann tauchten sie ins warme Licht hinein. "Wir angeln, wir jagen und wir sammeln Früchte", sagte der große Mensch innen. "Das war doch schon immer so. Wir brauchen hier keine Touristen."
"Wie oft noch, wir müssen mit der Zeit gehen!", sagte jemand Drittes. "Sonst kommt das Palmöl zu uns, ist dir das lieber?"
"Ich will einfach in Ruhe gelassen werden, wir brauchen die Welt da draußen kein Stück", brummte die älteste Stimme.
Der Binturong ging um die Farbeimer herum und hörte nicht mehr zu. Er verstand die Sprache der Menschen, denn er lebte mit ihnen, seit er denken konnte. Sie wussten es nicht, aber es waren seine Terrasse und seine Hütte. Nachts. Tagsüber durften die Menschen sie benutzen. Es gab so viele Menschen in der Hütte, wie er Krallen hatte, große und kleine, junge und alte. Manchmal legten sie Früchte irgendwohin, die er fraß. Die Menschen wunderten sich dann, wo die Früchte geblieben waren. Es war möglich, dass sie sie eigentlich hatten aufbewahren wollen. Nun ja .
Der Binturong verstand also ihre Sprache, doch die Worte in dieser Nacht verwirrten ihn.
Mit der Zeit gehen? Wohin ging die Zeit? Und wieso kam das Palmöl, wenn man nicht mit ihr ging?
Unter der Terrasse war etwas unterwegs. Etwas Großes, er hörte es. Er streckte den breiten Kopf durchs Geländer und sah hinunter: Dort, am Ufer des Flusses, ging ein kleiner grauer Felsen spazieren. Dabei streifte er die Terrasse leicht von unten. An einer Ecke hatte der Felsen einen weißen Streifen.
Moment, die Ecke war ein Horn.
Und jetzt drehte der Felsen sich um und sah den Binturong an. Es war gar kein Felsen. Es war ein Nashorn. Ein sehr junges Nashorn.
In seinen Augen stand Erstaunen.
"Mein Horn hat einen Streifen", sagte es.
"Ja." Der Binturong sprang von der Terrasse, sorgfältig darauf achtend, dass er nicht an die Farbe geriet. Er landete vor dem Nashorn, ging auf seinen weichen Bärenpfoten um das Tier herum und begutachtete es von allen Seiten.
"Du hast noch mehr Streifen", sagte er, als er wieder vorn angekommen war. "Überall. Sieht interessant aus. Das kommt von der Farbe der Menschen."
"Oh", sagte das Nashorn.
"Was machst du hier?"
"Ich weiß nicht." Es schüttelte den Kopf. Irgendwie schien es verwirrt zu sein.
"Da war Unruhe im Wald. Bei meiner Familie. Sie sind alle weg. Sie haben gesagt, etwas kommt."
"Was kommt?"
"Ich weiß nicht. Die Baumhonigfresser waren nervös. Seit ich aus dem Ei geschlüpft bin, haben sie immer auf den Bäumen gelebt, unter denen wir fressen. Sie waren immer da. Aber heute Abend sind sie weggeflogen. Sie haben auch gesagt, dass etwas kommt."
"Warte mal, du bist doch ein Nashorn. Du bist ganz sicher nicht aus einem Ei geschlüpft", sagte der Binturong. "Eier sind lecker, aber ich habe noch nie ein Nashornei gesehen."
"Alle kleinen Kinder schlüpfen aus Eiern", erwiderte das Nashorn störrisch. "Ich habe das beobachtet. Bei den Baumhonigfressern. Bei anderen Nashörnern noch nicht, denn ich bin das einzige Kind. Aber es ist ja wohl klar, dass wir aus Eiern schlüpfen. Dafür haben wir schließlich das Horn. Die Baumhonigfresser machen die Eier von innen mit dem Schnabel kaputt, wenn sie rauswollen, wie wir mit unseren Hörnern."
"Äh", sagte der Binturong. "Und deine Familie ist weggegangen?"
"Oder weggeflogen. Ich denke, sie sind mit den Baumhonigfressern mitgeflogen. Ich habe geschlafen. Sie waren die ganze Zeit schon nervös, und als ich aufgewacht bin, waren sie weg. Meine Mama auch. Hast du sie gesehen? Ist sie hier vorbeigeflogen?"
"Nashörner fliegen nicht."
"Natürlich fliegen sie", sagte das Nashorn eigensinnig.
"Hast du gesehen, wie sie fliegen?"
"Nicht . direkt, aber wenn die Baumhonigfresser das können, können wir das auch. Wir können alles. Ich meine, ich habe es noch nie probiert, aber bestimmt könnte ich es auch. Also? War meine Mama hier?"
"Keine Ahnung, ich hab geschlafen, wie du", sagte der Binturong. "Ich schlafe immer tagsüber."
Sie trotteten jetzt nebeneinanderher durchs Dorf, zwischen den Hütten der Menschen mit ihren Wellblechdächern hindurch. Die Lichter in den Hütten gingen nach und nach aus, Öllampen wurden gelöscht, die Menschen schliefen.
"Sie verschlafen die beste Zeit", murmelte der Binturong. "Na, sollen sie. Jetzt ist es unser Dorf."
Er sprang auf eine Wassertonne und von da auf eine weitere Terrasse. "Oh, wie schön! Hier sind Litschis! Ich weiß nicht, ob sie die für sich wollen . vielleicht . aber vielleicht haben sie die auch für die Binturongs hingestellt." Er griff eine der hübschen Früchte, biss die rosa Schale auf, bis er an das weiße Fruchtfleisch kam. Der leckere Saft rann seine Kehle hinunter und verklebte sein Fell. Er würde sich später putzen. "Mmmh! Frisst du auch Früchte?"
"Natürlich, Nashörner können alles fressen", sagte das kleine Nashorn. "Vielleicht haben die Menschen die Früchte auch für vorbeifliegende Nashörner hingestellt."
Der Binturong warf ihm eine Frucht hinunter und das Nashorn schnüffelte daran.
"Nee", sagte es dann. "Das ist die falsche Sorte Frucht."
"Ich dachte, ihr könnt alles fressen?"
"Können schon", sagte das Nashorn. "Ich könnte diese Litschi fressen. Ich könnte ja auch fliegen. Aber ich will gerade nicht."
Der Binturong war fertig mit den Litschis, er ließ eine für die Menschen übrig. Dann lief er auf seinen Bärenpfoten über ein Hausdach, einen Baum entlang, wobei er seinen Schwanz um die Äste ringelte, um sich festzuhalten - und wieder auf eine Terrasse. Die Terrassen und Häuser waren wild übereinandergebaut am Ufer des Flusses. Im Fluss lagen die schmalen Holzboote, mit denen die Menschen fischen gingen. Auf einem der Boote hatte jemand ein Bündel Bananen vergessen. Mit einem langen eleganten Sprung war der Binturong dort.
Im Boot nebenan saß ein Orang-Utan.
"Guten Abend", sagte der Orang-Utan, der eine Banane fraß. Ein Orang-Utan-Kind linste hinter seinem Rücken hervor und steckte schüchtern einen Finger in den Mund. "N'Abend", nuschelte es.
Das Nashorn stand am Ufer und sah zu ihnen hinüber.
"Ich könnte rüberhüpfen!", rief es....
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