Schweitzer Fachinformationen
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Blassen Pfannkuchen gleich, pressten sich die Gesichter der Jungen an die Fensterscheibe, die Nasen breit gedrückt, die Augen aufgerissen.
»Hast du schon mal so einen Wagen gesehen?«, fragte der Rothaarige und stupste den Jungen neben ihm in die Seite.
»Solche Autos kommen sonst nie hierher«, antwortete der andere, kleiner und schmächtiger als sein Freund.
Gemeinsam beobachteten sie, wie die große, dunkelgrüne Limousine vor dem Portal ausrollte. Der Lack glänzte wie frisch poliert, Chrom blitzte, und eine silberne Frauenfigur zierte die Kühlerhaube, die aussah, als wollte sie jeden Moment herabspringen.
Der Chauffeur öffnete den Schlag im Fond. Ein älterer Mann, gekleidet in einen dunkelgrauen Anzug und mit einem Hut, stieg aus, dann half er einer Frau, den Wagen zu verlassen. Diese trug ein maulbeerfarbenes Kostüm, der Schleier ihres Hutes bedeckte ihr Gesicht.
»Die kommen, um mich zu holen«, sagte der Rothaarige und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
»Woher willst du das wissen?«, fragte der andere, sah den ein Jahr Älteren aber gleichzeitig ehrfürchtig an, denn es war nicht gut, dem Freund zu widersprechen. Dieser war nicht nur einen Kopf größer, sondern auch mächtig stark. Eine Stärke, die er den Kleineren gegenüber ausspielte, sie piesackte und ihnen die Äpfel wegnahm, die die Kinder manchmal zusätzlich bekamen. Die Erzieherinnen bemerkten das nicht, oder sie wollten es nicht sehen, da sie ohnehin meistens den Eindruck machten, als würden sie ihren morgendlichen Tee mit Essig anstatt Sahne trinken.
»Weil ich zu solchen Leuten gehöre«, antwortete der Rothaarige patzig.
»Du gehörst zu niemandem, ebenso wie ich«, erwiderte der Jüngere nun doch, denn immer konnte er dem Freund nicht zustimmen. »Außerdem bist du viel zu faul und zu dumm, als dass eine Familie dich mitnehmen würde.«
»Du willst wohl eins auf die Nase!« Drohend baute sich der Junge vor dem Kleineren auf, die Ankunft des Paares in dem eleganten Auto schien vergessen. »Ich kann Fußball spielen, während du nie den Ball triffst, und ich kann auf Bäume klettern. Männer wollen einen Jungen haben, der kicken und gut klettern kann.«
Mit diesen Worten hatte er recht, und der Blondschopf sackte in sich zusammen. Während die anderen Jungen bei Wind und Wetter im Hof herumtobten und den Lederball durch die Gegend kickten, saß er lieber in seinem Zimmer und sah sich die Bilder in den Büchern an. Na ja, genau genommen waren es nur zwei Bücher, die den Jungen zur Verfügung standen: eines mit Tieren, die in einem Land weit weg von hier lebten - Affen, Löwen, Zebras und Kamele -, im zweiten Buch wurden Bauern bei der Feldarbeit gezeigt, und es gab bunte Zeichnungen von Kühen, Schweinen und Hühnern. Er mochte die Bilder mit den Tieren und hoffte, bald lesen zu lernen, damit er die Texte unter den Bildern verstand.
»Pass auf, gleich werden sie mich holen«, sagte der Ältere, nachdem das elegante Paar im Haus verschwunden war. »Die haben bestimmt ein ganz großes Haus, vielleicht sogar ein Schloss, und einen riesigen Garten, in dem ich mit meinem neuen Vater jeden Tag Fußball spielen werde.«
Einerseits gönnte der Blonde dem anderen eine neue Familie, gleichzeitig spürte er jedes Mal, wenn jemand abgeholt wurde, umso mehr die Einsamkeit. Vater, Mutter, vielleicht auch einen Bruder oder eine Schwester - davon träumten sie alle hier. Regelmäßig kamen Ehepaare, die sich einen Buben aussuchten. Meistens waren das kleine Jungen, fast noch Babys, die weder laufen noch sprechen konnten. Er war vier Jahre alt, für sein Alter klein und schmächtig, die Augenbrauen und Wimpern so hell, dass man sie erst auf den zweiten Blick sehen konnte, und seine Nasenspitze ragte ein wenig nach oben. Der Junge war weder sportlich oder sonst irgendwie interessant, und auch die Misses sagten ihm immer wieder, dass ein so unscheinbares Kind niemand zu sich nehmen wollte. Es war nicht allein, dass er nicht Fußball spielen konnte. Die Leute der Insel brauchten Kinder, die in der Landwirtschaft und in den Läden mit anpacken konnten. So hatte er sich damit abgefunden, in dem Heim zu bleiben, bis er erwachsen sein würde.
Der Blick in den Hof hinunter war nun uninteressant geworden, die Jungen wandten sich vom Fenster ab. Daher bemerkten sie nicht, wie ein weiterer Wagen vor das Portal fuhr. Dieser war klein, alt und mit vielen rostigen Stellen - ein Modell, das es zuhauf auf der Insel gab.
Die Tür öffnete sich, Miss Crill trat ein und rief: »Thomas, mitkommen.«
»Ich?« Der blonde Junge sah die Miss erstaunt an.
»Natürlich du, oder ist dein Name plötzlich nicht mehr Thomas?« Mit ein paar Schritten war sie bei ihm und packte ihn am Arm. »Na los, worauf wartest du?«
»Warum er?«, schrie der Rothaarige und stampfte trotzig auf. »Ich bin für die Leute viel geeigneter als der Schwächling, ich kann nämlich .«
»Halt deinen Mund, Walter«, herrschte die Frau ihn an, musterte ihn mit einem kühlen Blick und sagte: »Wenn du weiterhin nicht lernen willst, dann will dich auch nie jemand haben.«
Hinter dem Rücken der Frau warf Walter dem Jüngeren einen wütenden Blick zu. Unwillkürlich tat er Thomas leid, auch wenn Miss Crills Aussage seine eigenen Worte dem Freund gegenüber bestätigte.
Wortlos folgte er der Erzieherin durch die hohen Korridore mit den nackten, schmucklosen Wänden, dann ging es eine schlichte Steintreppe ins Erdgeschoss hinunter. Mit jedem Schritt klopfte sein Herz schneller. Waren die Leute in dem schönen Auto wirklich gekommen, um ihn zu holen? Konnte es wirklich wahr werden? Ebenso wie Walter stellte sich auch Thomas deren Haus mit einem großen Garten vor. Sicher waren sie sehr, sehr nett, und die Frau roch bestimmt gut. Jemand, der ein solches Kostüm trug, musste gut riechen. Miss Fontaine hatte auch immer gut gerochen, wie eine blühende Sommerwiese, und sie war auch immer fröhlich gewesen und hatte mit den Jungen gespielt. Manchmal hatte sie ihm, Thomas, aus den Bilderbüchern vorgelesen, während die anderen Fußball spielten. Vor ein paar Wochen aber hatte Miss Fontaine gesagt, sie werde heiraten und bald eigene Kinder bekommen, deshalb müsse sie fortgehen. Thomas hatte ihre Beine umklammert und gerufen: »Kannst du mich nicht als dein Kind mitnehmen? Ich verspreche, auch immer ganz artig zu sein und viel zu lernen.«
Sanft hatte ihre weiche Hand auf seinem Kopf gelegen, als sie antwortete: »Das geht nicht, kleiner Thomas, aber du wirst bald Leute finden, die dir Vater und Mutter sein werden.«
»Wie können Sie so etwas sagen, Miss Fontaine?« Das war Mrs Watson gewesen. Thomas sah sie nur selten, denn die Heimleiterin verbrachte den ganzen Tag in ihrem Arbeitszimmer und wollte von den Kindern nicht gestört werden. »Sie wissen doch genau, dass niemand ein Kind mit einer solchen Vorgeschichte haben will. Ich wünschte, ich könnte den Jungen aufs Festland schicken, nach London oder in eine andere Großstadt, da hätte er vielleicht eine Chance.«
Thomas hatte nicht verstanden, was sie mit ihren Worten meinte, sondern nur, dass ihn nie jemand abholen würde. Jetzt jedoch schien sein Traum wahr zu werden.
Vor der Tür des Arbeitszimmers blieb Miss Crill stehen, musterte Thomas kritisch, spuckte in ihre Handfläche und fuhr ihm glättend übers Haar, mit wenig Erfolg. Seine hellen Haare waren struppig und standen ständig in alle Richtungen ab.
»Zeig deine Hände!«
Thomas war froh, sich Hände und Fingernägel am Morgen gründlich gesäubert zu haben. So hielten sie dieser Begutachtung stand. Dann öffnete Miss Crill die Tür und schob ihn in den Raum.
»Hier ist der Junge, Mrs Watson.«
Thomas stolperte in das Zimmer, blieb abwartend in der Nähe der Tür stehen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
»Danke, Miss Crill, Sie können gehen.« Mrs Watsons Stimme war tief und rauchig. »Das wär er dann also.«
»Er ist sehr klein für sein Alter.«
Das hatte der Mann gesagt, der hinter einer Frau, die auf einem der Sessel Platz genommen hatte, stand. Eine Welle der Enttäuschung schwappte über Thomas hinweg. Das waren nicht die Leute mit dem schönen Auto. Diese hier waren ganz einfach angezogen, die Frau mit einem schlichten braunen Kostüm, ohne feinen Schleier, und der Mann sprach ein seltsames Englisch.
Die Frau sagte nun etwas zu dem Mann, woraufhin dieser die Stirn runzelte, überlegte, schließlich nickte und ihr antwortete. Sie redeten in einer Sprache, die Thomas nie zuvor gehört hatte. Auf der Insel wurde neben Englisch auch häufig Jèrriais gesprochen, und er konnte die früher übliche Sprache Jerseys auch ein wenig verstehen und ein paar Worte sprechen.
»Der Junge wächst noch«, sagte Mrs Watson. »Ich versichere Ihnen, er ist gesund. An Leib und Seele.«
Die beiden Fremden wechselten wieder ein paar Sätze in dieser Sprache, die in Thomas' Ohren hart und abgehackt klang. Eine Ahnung beschlich ihn, unwillkürlich wich er zurück, bis er den Türknauf an seiner Schulter spürte. Mit diesen Leuten wollte er nicht mitgehen! Er konnte sie ja nicht mal verstehen, und sie hatten bestimmt auch kein großes, schönes Haus mit Garten.
Nun wurden ein paar Schriftstücke über den Schreibtisch geschoben, auf denen der Mann unterschrieb. Als das erledigt war, lehnte Mrs Watson sich zufrieden zurück und sagte: »Miss Crill packt seine Sachen, in ein paar Minuten ist er fertig. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden? Der Inspektor des Hauses nebst Gattin ist kurz vor Ihnen angekommen. Früher als vereinbart, aber ich möchte sie nicht länger warten lassen.«
»Ich danke Ihnen, Mrs Watson«, erwiderte...
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