1. KAPITEL
Mit einem Seufzer machte Kate es sich gemütlich auf dem bequemen Stuhl im Zimmer der Hauswirtschafterin. Für einen Moment erfreute sie sich an der Stille ringsumher. Es war spät, kurz nach elf Uhr abends, und sie war allein im Haus. Eigentlich war es nicht vollkommen still. Das alte Haus knarrte und ächzte beim kleinsten Windstoß, außerdem tickte die alte Standuhr in der Diele. All diese Geräusche waren vertraut und tröstlich. Kate gefiel die Vorhersagbarkeit und Routine hier in Crosthwaite House. Sie hatte diese Stellung erst seit sechs Monaten, aber jeder Tag verlief auf die gleiche Weise. Früher hätte sie dies langweilig gefunden, doch in den vergangenen Monaten war es genau das, was sie brauchte, um ihr gebrochenes Herz und verletztes Selbstgefühl zu heilen und herauszufinden, was ihr wirklich wichtig war.
Sie nahm die Tasse mit heißer Schokolade von dem kleinen Tisch neben sich und trank einen Schluck. Es war ihr einziger Luxus jeden Tag, und sie hatte sich darauf gefreut, seit sich die beiden jungen Mägde aus dem Dorf um sieben Uhr verabschiedet hatten. Manchmal trank sie ihre Schokolade oben in der großen Bücherei und las in einem der zahlreichen Bücher, aber an den meisten Tagen zog sie sich in ihre Kammer zurück und genoss das süße Getränk kurz vor dem Schlafengehen.
Das Zimmer war einfach, aber gemütlich. Die frühere Haushälterin hatte dreißig Jahre lang dieselben Möbel benutzt, aber als sie ging und ihr als Nachfolgerin die Schlüssel des großen Hauses übergab, empfahl sie Kate, sich Möbelstücke aus dem ganzen Haus zusammenzusuchen, um die Kammer heimeliger zu machen und ihrem Geschmack anzupassen. Nun stand hier ein Schaukelstuhl, den sie im obersten Stockwerk gefunden hatte, und sie benutzte Bettwäsche aus einem Zimmer, das möglicherweise früher einmal einer Gouvernante gehört hatte.
Dies alles war nicht mit ihrem Zimmer im Elternhaus zu vergleichen, aber es war praktisch und bequem, und für Kate war es zur Zuflucht vor der Außenwelt geworden.
Müde erhob sie sich und ging durch den langen Flur zur Küche. Ihre einzige Kerze nahm sie mit, um den Weg zu beleuchten. Sie stellte ihre Tasse neben das Waschbecken, wo sie sie zum Spülen am nächsten Morgen stehen ließ. Sie war stets früh auf den Beinen und begann ihre Arbeit, noch bevor die beiden Mägde ankamen.
Zurück in ihrer Kammer, schloss Kate die Tür hinter sich und stieg ins Bett. Die Luft hier war so angenehm, dass sie immer gut schlief, ganz besonders, wenn sie nach dem Dinner einen langen Spaziergang am See unternahm. Als sie die Kerze ausblies, fielen ihr bereits die Augen zu.
Das Gebäude lag in totaler Finsternis, als er ankam, aber George hätte sich mit verbundenen Augen zurechtgefunden. Er hatte seine Kindheit umherreisend zwischen den verschiedenen Besitztümern seines Vaters verbracht, aber Crosthwaite House war immer sein Lieblingshaus gewesen. Auf dem Gelände gab es viele geheime Verstecke, und in den Sommermonaten war es nur ein kurzer Weg zum See, um sich abzukühlen. Für einen Augenblick erlaubte er sich, in diesen glücklichen Erinnerungen zu schwelgen, denn er wusste, dass sie bald von dunkleren vertrieben werden würden.
Seit zwei Jahren war er nicht mehr hier gewesen, und selbst im Dunkeln überraschte es ihn, wie gut das Gelände und das Haus instand gehalten worden waren. Bei seiner Abreise nach Italien hatte er das Anwesen in den Händen von Mrs. Lemington, seiner betagten Haushälterin, zurückgelassen. Ihr Ehemann arbeitete als Hausbewahrer. Beide waren in den Siebzigern, und George fühlte sich fast ein wenig schuldbewusst, weil sie so lange Zeit ohne jede Anweisung hatten zurechtkommen müssen. Er hatte einen Mann eingestellt, der sich um einige seiner größeren Liegenschaften im Süden kümmerte, aber Crosthwaite war weit entfernt von London, und er bezweifelte, dass der Verwalter viel zu dessen Erhalt beigetragen hatte.
George war müde nach dem langen Ritt und freute sich auf eine angenehme Nacht in einem weichen Bett. Er suchte eine leere Box für sein Pferd und bereitete es für die Nacht vor. Alles Benötigte lag bereit, sogar eine kleine Menge Heu, und nach fünfzehn Minuten stand Odysseus mit glänzendem Fell und gutem Futter im Stall.
Nun wandte sich George dem Haus zu. Er schaute auf die Uhr - Mitternacht war bereits vorüber. Während er sich um Odysseus kümmerte, hatte er keine Bewegung und keine Geräusche wahrgenommen. Mr. und Mrs. Lemington bewohnten kleine Zimmer neben der Küche. Vermutlich würde kein weiteres Personal im Hause sein. Als er seine Absicht verkündete, das Haus für immer zu verlassen, beschloss seine Haushälterin, Mägde und einen Gärtner aus dem Dorf einzustellen, die jeden Abend heimgehen konnten. Es reduzierte die Kosten für den Unterhalt des Hauses und gab ihm mehr Freiheit, seinen Interessen auf Reisen nachzugehen. Die meisten Räume des alten Gemäuers waren daher vermutlich nicht in Benutzung, die Türen abgeschlossen und die Möbel mit Tüchern abgedeckt, bis jemand nach Crosthwaite House zurückkehrte, der es wieder lieben würde.
Obwohl er sich ein wenig schuldig fühlte, das alte Ehepaar um diese späte Stunde zu stören, ging George zur Eingangstür und betätigte laut den Messing-Türklopfer. Er hörte drinnen den Ton laut von den Wänden des leeren Hauses widerhallen. Geduldig wartete er einige Minuten, aber dann fragte er sich, wie lange die Lemingtons wohl brauchten, um aus dem Bett zu steigen und zur Haustür zu kommen. Er griff noch einmal nach dem Türklopfer.
Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass er die Lemingtons nicht würde wecken können. Als er am Morgen zu dem Ritt nach Norden aufbrach, hatte er vorgehabt, das Dorf Thornthwaite sehr viel früher zu erreichen, vielleicht schon zum Abendessen. Doch auf dem letzten Teil der Reise hatten ihn Erinnerungen geplagt, und so kehrte er unterwegs in einer Taverne ein, um mit einem Drink seine Nerven zu stärken. Mehrere Stunden lang hatte er so das Unvermeidliche aufgeschoben, und erst, als er wieder in die kühle Abendluft hinaustrat, fiel ihm auf, wie spät es geworden war.
Leise fluchend, trat er einen Schritt zurück und schaute sich um. Eins der Fenster im Untergeschoss stand ein klein wenig offen, und er erinnerte sich, dass es zur Küche führte. Es befand sich über dem großen Spülbecken. Wahrscheinlich bekam er Seife an die Knie, wenn er hindurchkletterte, aber wenigstens wäre er dann drinnen im Haus.
George gab den Versuch auf, die Lemingtons zu wecken, und ging zu dem Fenster. Beim ersten Versuch, es zu öffnen, schrammte er sich die Fingerknöchel. Es dauerte eine Weile, bis es so weit offen stand, dass er hindurchklettern konnte.
Mit unelegantem Gezappel schaffte er es hinein, froh, dass niemand ihn gesehen hatte. Wie er vermutet hatte, war es noch ein kleines Stück bis zum Waschbecken hinunter, doch bald stand er auf dem Boden der Küche und war recht zufrieden mit sich.
Mit einem Ruck wachte Kate auf. Irgendetwas stimmte nicht. Für einen Moment blieb sie ganz still liegen und lauschte. Jeder Muskel war angespannt, und als sie von der Küche her lautes Klappern hörte, sprang sie aus dem Bett. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Im Stillen schalt sie sich wegen ihrer Sorglosigkeit. Sie hätte heute jemanden aus dem Dorf rufen sollen, um das defekte Küchenfenster reparieren zu lassen. Es war schon seit einiger Zeit schwergängig und ließ sich nicht mehr ganz schließen. Sie hatte bereits nach dem jungen Mann geschickt, der Gelegenheitsarbeiten rund um Crosthwaite House erledigte, wenn es nötig war. Er hatte ihr gesagt, er werde in ein paar Tagen kommen, um das Fenster zu richten. Jetzt wünschte sie, sie hätte darauf bestanden, dass er eher kam.
Sie lebten hier in Thornthwaite sehr abgelegen und hatten im Umkreis von zwei Meilen keine Nachbarn außer ein paar Enten. Der neue Hausbewahrer wohnte mit seiner Frau im Pförtnerhaus am Ende der Auffahrt, aber Kate wusste, dass er für eine Woche zu seiner Tochter und ihrem neugeborenen Baby gefahren war. Von nirgendwo war Hilfe zu erwarten. Niemand würde eine dunkle Gestalt bemerken, die um das Haus herumschlich. Kate blieb einen Moment stehen und überlegte, was sie tun sollte. Vielleicht konnte sie im Dunkeln den Eindringling davon überzeugen, dass außer einer vierundzwanzigjährigen nicht sehr kräftigen jungen Frau noch jemand im Haus war?
Am liebsten hätte sie sich versteckt, aber sie fühlte sich verantwortlich für das Haus. Wenn der Einbrecher ungehindert das Haus ausrauben konnte, würden am nächsten Morgen Kunstwerke und Möbel im Wert von Tausenden von Pfund fehlen.
Bevor sie sich selbst davon abhalten konnte, schlich Kate durch ihre Schlafzimmertür und den Gang entlang zur Küche. Der Steinboden war eiskalt, und bei jedem Schritt stieg ihre Angst.
In der Küche waren die Fenster hoch oben in den Wänden, aber von außen waren sie ebenerdig zu erreichen. Hier war es ein wenig heller. Als Kate durch die Tür spähte, sah sie eine dunkle Gestalt vom Boden aufstehen. Rasch blickte sie nach oben und stellte fest, dass er wohl durch das defekte Fenster eingedrungen war.
Der Mann hatte sie noch nicht bemerkt, weil er mit dem Rücken zu ihr stand. Ihr einziger Vorteil war die Überraschung, denn er war groß und breitschultrig und ihr sichtlich überlegen in Bezug auf Körperkraft.
Sehr leise und langsam näherte sie sich den schweren Kupferpfannen, die über der großen Feuerstelle hingen. Einige davon konnte sie kaum heben, aber selbst die kleinen würden eine gute Waffe sein....