Schweitzer Fachinformationen
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Dieser Moment war schön und schrecklich zugleich. Leni seufzte, als sie aus dem Fenster der Werkstatt blickte. Natürlich freute sie sich, dass sie eines ihrer Werke verkaufen konnte, andererseits schmerzte es sie zu wissen, dass sie es nun höchstwahrscheinlich niemals wiedersehen würde.
Die zwei Männer der Spedition trugen den von ihr gestalteten Schrank über den Innenhof bis kurz vor die Toreinfahrt, wo sie ihren Transporter geparkt hatten. Die Laderampe war bereits heruntergelassen. Der kleinere der beiden hielt einen Moment inne, um sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn zu wischen. Sein dürrer Partner, der den Schrank von unten hielt, kam ins Wanken, und das Möbelstück rutschte gefährlich nach rechts. Leni schnappte nach Luft und rannte nach draußen.
»Vorsicht, passen Sie doch auf!«
»Keene Angst, allet rodscha«, erwiderte der dürre und schob den Schrank stöhnend auf die Ladefläche.
Leni atmete erleichtert aus.
Die beiden nickten ihr zu, hoben die Laderampe hoch, kletterten in den Transporter und brausten vom Hof. Leni strich mit den feuchten Handflächen über den rauen Stoff ihrer grauen, mit Farbspritzern gesprenkelten Arbeitslatzhose. Ihr Freund Jannik, der sich gerade auf der anderen Seite des Innenhofes von der Käuferin verabschiedete - einer dünnen Blondine mit einer riesigen Sonnenbrille auf der Nase -, hatte den Schrank bei einer Haushaltsauflösung im Wedding ergattert. Das wahrscheinlich aus den Sechzigerjahren stammende Möbelstück hatte Leni anschließend mit matten Farben in Grau in Kombination mit Altweiß und Violett in ein richtiges Schmuckstück verwandelt.
Sie ging kurz in die kleine Küche direkt neben der Werkstatt und schenkte sich eine Tasse Kaffee aus der Thermoskanne ein.
»Ah, hier steckst du also!« Jannik lehnte sich an den Türrahmen und musterte sie von oben bis unten. Er war fast zwei Köpfe größer als sie und durchtrainiert, da er viermal die Woche ins Fitnessstudio ging. Seine markanten Gesichtszüge und das Gewinnerlächeln ließ jedes Frauenherz höherschlagen - das hatte Leni immer wieder erlebt, wenn sie zusammen unterwegs waren.
»Hat 'nen Tausender gebracht«, sagte er und fingerte eine Zigarette aus der Schachtel.
»Was, so wenig? Ich meine .«
Sie bemerkte, dass sein Blick die Küchenablage absuchte. Also kramte sie ein Feuerzeug aus der Schublade und hielt ihm die Flamme unter die Nase.
»Danke!« Er inhalierte tief und strich mit der freien Hand durch sein wie immer perfekt frisiertes Haar. »Mehr war leider nicht drin«, fuhr er fort. »Aber ist doch gut, dass das Ding endlich weg ist. Stand eh nur im Weg rum.«
Leni zuckte innerlich zusammen, sagte aber nichts, sondern nippte stattdessen an ihrer Tasse.
»Wir brauchen unbedingt neue Ware«, fuhr er fort und wischte sich einen unsichtbaren Fussel von der Jeans. »In drei Wochen ist doch das Straßenfest, da müssen wir echt mehr im Angebot haben.«
»Ich kann ja noch mal im Internet gucken?«
Jannik schnippte die Asche auf den Fußboden. »Ja, mach das, gute Idee. Ich muss los, okay? Wir sehen uns morgen.« Er beugte sich zu ihr hinunter und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange.
Ehe Leni etwas Passendes erwidern konnte, war er auch schon verschwunden. Eigentlich hatte sie gehofft, dass sie heute etwas zusammen machen würden, aber wahrscheinlich hatte er noch Termine. Sie waren jetzt seit fast zwei Jahren ein Paar, und fast genauso lange war sie bei ihm angestellt. Sie setzte sich an den kleinen Schreibtisch, der in einer Ecke der Werkstatt hinter einem mit Papageien und großen, bunten tropischen Blumen bemalten Paravent stand. Während ihr Laptop hochfuhr, klickte sie sich durch die Fotos von ihr und Jannik, die sie auf ihrem Handy gespeichert hatte. Eins gefiel ihr besonders gut. Ihre Freundin Lisa hatte es auf ihrer Geburtstagsfeier gemacht: Sie saßen beide einander zugewandt auf einem Sofa, und Jannik hatte den Arm um sie gelegt. Sie schob ihr Handy beiseite und nahm den runden Briefbeschwerer in die Hand, den sie auf einem Flohmarkt in Friedrichshain entdeckt hatte. Mit dem Zeigefinger strich sie über das polierte Millefioriglas, das wahrscheinlich in den Sechzigerjahren in einer Glashütte in Murano in Italien geformt worden war. Mehrere bunte kleine Glasstäbe waren zu einem größeren zusammengeschmolzen worden, wodurch ein Blumenmeer in Kobaltblau, Karmesinrot, Maulbeerviolett und Mandarinenorange entstanden war.
Behutsam setzte sie das Sammlerstück zurück auf die Tischplatte und rief die eBay-Kleinanzeigenseite auf. Während Jannik meistens auf Flohmärkten, Messen und bei Haushaltsauflösungen für Vintage Dream einkaufte, stöberte sie überwiegend online nach geeigneten Objekten, weil Jannik dazu keine Lust hatte. Auf der Startseite wurden ihr bereits eine Reihe von Anzeigen empfohlen: ein alter Spiegel für fünfzehn Euro, eine angeblich antike Vase für zehn und drei original Arne Jacobsen 3107 Fritz Hansen Stühle für hundertfünfzig Euro. Das hörte sich interessant an. Sie rief die Anzeige auf. Die Sitzflächen der dunkelbraunen Holzstühle aus gebogenem Verbundsperrholz waren zerkratzt, und die Stuhlbeine sahen verrostet aus, aber der Originalaufkleber schien echt zu sein: Made in Denmark 0366 by Fritz Hansen. Bei dem Stuhl handelte es sich also um den dritten von insgesamt sechsundsechzig. Der Anbieter verkaufte nur an Selbstabholer. Sie müsste also selbst bis ganz runter nach Baden-Württemberg fahren. Das konnte sie vergessen.
Leni suchte weiter, und schließlich fiel ihr Blick auf ein weiteres vielversprechendes Angebot: Verschiedene Möbel, Fünfziger- bis Achtzigerjahre, Lampen, landwirtschaftliche Geräte usw. zu verkaufen. Ort: Gut Schwansee, Waabs in Schleswig-Holstein. Nur Abholung! Landwirtschaftliche Geräte . Vielleicht gab es dort auch ein paar schöne alte Kutschenräder. Die waren als Dekoration für den Garten vor allem in Potsdam zurzeit sehr beliebt. Oder ein paar alte große Milchkannen? Solche Raritäten ließen sich wundervoll bemalen und dann als Schirmständer für den Flur nutzen.
Leni spürte ein Kribbeln im Bauch, die Vorfreude, vielleicht ein paar ungewöhnlichen Fundstücken auf die Spur gekommen zu sein. Okay, auch hierfür würde sie ein paar Stunden Autofahrt in Kauf nehmen müssen, aber es war nicht so weit weg wie Baden-Württemberg, und wenn Jannik sie begleitete, könnte daraus ein richtig schöner Ausflug werden. Sie schrieb dem Anbieter eine Mail und ging in die Küche, um sich noch eine Tasse Kaffee zu holen. Als sie zurück an ihren Schreibtisch kam, hatte sie bereits eine Antwort in ihrem Mailordner. Sie vereinbarte mit dem Verfasser der Anzeige, Bernhard Cornelius, einen Besichtigungstermin am kommenden Nachmittag um 17 Uhr. Jetzt musste sie nur noch Jannik überzeugen, sie zu begleiten, aber der war ja nicht mehr da. Auch ihre Aushilfe Jasmin konnte sie nirgends entdecken. Also löschte sie überall das Licht und schloss ab. Jannik hatte Glück gehabt, dass er so ein hübsches Geschäft mitten im angesagten Wrangelkiez in Kreuzberg ergattern konnte. Es befand sich in einem gemütlichen Innenhof, und von dort wehte Leni nun ein milder Wind entgegen. Sie stellte fest, dass die Pfingstrosen, die sie im vergangenen Jahr in dem kleinen Beet schräg vor dem Eingang eingepflanzt hatte, jetzt Anfang Mai schon zu blühen begonnen hatten. Wie schön! Sie beugte sich hinunter, um an einer Blüte zu schnuppern. Dabei fiel ihr Blick auf einen Zigarettenstummel, den jemand in die Erde gesteckt hatte. Unmöglich! Wie gedankenlos musste man sein, um seine Kippe in einem Blumenbeet zu entsorgen? Sie warf den Stummel in den großen Müllcontainer, der mitten auf dem Innenhof stand und einen unangenehmen Geruch verbreitete.
Auf dem Weg zu ihrer Wohnung in der Oderbergerstraße kam sie wie jeden Tag an der Kleinen Kaffeerösterei vorbei und ließ sich durch den Duft, der durch das halb geöffnete Fenster auf die Straße wehte, zum Kauf einer kleiner Packung Biokaffee verleiten.
»Alles klar bei dir?«, fragte Lukas, dem der Laden gehörte und das frisch gemahlene Pulver direkt von der Mühle in die Tüte rieseln ließ. Er blinzelte ihr aus seinen dunkelbraunen Augen freundlich zu und strich sich über seinen perfekt gestutzten Vollbart.
»Jetzt schon. Du kennst mich doch: Gebt mir Kaffee, und niemand wird verletzt!«
Er grinste. »Ich war schon immer gut darin, das Schlimmste zu verhindern.« Er schob ihr das Glas mit den selbst gebackenen Cookies entgegen, das auf dem Holztresen stand: »Kaffee allein reicht nicht. Man braucht auch noch Cookies dazu, viele Cookies, wenn du mich fragst.«
Leni griff beherzt ins Glas. »Darf ich mir zwei nehmen?«
»Na klar, bist ja unsere liebste Stammkundin.« Lukas stellte das Glas zurück an seinen Platz.
»Jannik war vorhin auch kurz hier.«
»Echt? Hat er mir gar nicht gesagt.«
»Er hat einen Espresso getrunken.«
Die Tür zum Café, das nebenan war, öffnete sich, und ihre Aushilfe Jasmin steckte den Kopf durch den Spalt. »Schreib mir bitte den Kaffee an, okay?«
Die Worte waren an Lukas gerichtet, doch als sie Leni erblickte, nickte sie ihr zu: »Hi!«
»Hi! Ich habe dich vorhin gesucht .«
»Ich habe früher Schluss gemacht.«
Sie schob die Tür auf, und Leni stellte fest, dass sie sich umgezogen hatte und nun statt Jeans und Pulli eine knallenge Lederhose und darüber einen golden schimmernden eng anliegenden Rolli trug.
Da Leni nicht reagierte, fügte sie schnell dazu: »Habe ich mit Jannik abgesprochen.« Sie hob die Hand. »Ich bin dann mal weg!«
Auf dem Weg...
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