Schweitzer Fachinformationen
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? Sophia und Jutta von Sponheim fahren in einem breiten, offenen Wagen durch das Tor und machen vor dem Stallgebäude halt. Juttas großer Bruder Meinhardt und zwei Knappen reisen zu Pferd, große, glänzende Tiere, noch rassiger als Hildeberts. Der zahnlose Heine kommt eilig herbei, verbeugt ich vor der Herrschaft und hält die schweißtriefenden Pferde, während der Kutscher vom Bocksitz springt. Heine gibt sich Mühe, nicht die vornehmen Leute im Wagen anzustarren, und obwohl Jutta in ihrer jugendlichen Schönheit strahlt, ist es Sophia, von der er die Augen kaum lassen kann. Meinhardt hilft zuerst seiner Mutter, dann seiner Schwester von dem Wagen herunter. Hildebert kommt aus der Dunkelheit des Tores, begrüßt alle drei freundlich, besonders Sophia, deren Hände er an seine Lippen führt.
Als Mechthild endlich dazukommt, hat Hildebert ihnen auf Sophias Aufforderung hin bereits alle Gebäude gezeigt, die den Hofplatz umgeben. Mechthild sieht fürchterlich aus, hat aber im Gegensatz zu den vorherigen Wochen, als sie die Strähnen einfach hängen ließ und sich nicht die Mühe machte, Hände oder Gesicht zu waschen, immerhin das Haar frisiert und den Zopf unter den Schleier gesteckt. Wegen des besonderen Anlasses hat sie heute das dunkle Wollkleid, das sie seit Benediktas Tod trägt, gegen ein passenderes Seidenkleid ausgetauscht. Sophia und Meinhardt begrüßen Mechthild freundlich. Einen Schritt hinter ihnen steht Jutta in einem groben und einfachen Kleid. Sie tritt als Letzte zu Mechthild hin. Hell und fein ist sie, rank und schmal wie ein Kind, obwohl sie einen Busen und das Gesicht einer Frau hat. Sie ist sechzehn Jahre alt, älter als Clementia. Mechthild macht einen Knicks vor dem jungen Mädchen, das ihre Hand nimmt und flüstert, es tue ihr leid, von Mechthilds Verlust zu hören. Es wärmt Mechthild, dass Jutta Benedikta erwähnt, sie kann die Hand des jungen Mädchens beinahe nicht loslassen. Jutta legt einen Augenblick ihre Hand an die Wange der Frau des Hauses. Obwohl sie noch so jung ist, hat sie eine tiefe Furche zwischen den Brauen.
Hugo wurde geschickt, Hildegard zu holen, die bei Agnes sein sollte, die das Kind aber wie gewöhnlich aus den Augen verloren hat. Hugo springt herum auf der Suche nach seiner Schwester, aufgeregt über den vornehmen Besuch, ruft nach Hildegard, kennt ihre Verstecke und findet sie wie erwartet am Bach. Er bringt sie zu Agnes, die sie an den Haaren zieht, weil sie ihrer eigenen Wege geht, obwohl sie doch Bescheid bekommen hat, ihr zu folgen. Hildegard verteidigt sich nicht, aber die Art, auf die sie es nicht tut, ist schlimmer, als würde sie Widerworte geben. Agnes zerrt sie den ganzen Weg hinauf bis zum Haus, und Hildegard lässt sich mitziehen, ohne sich zu wehren. Agnes weist sie an, das verdreckte Kleid auszuziehen, und schickt das Dienstmädchen, saubere Sachen für das Kind zu holen, während sie grob und rücksichtslos Hildegards Haar löst und den Kamm durch die sparsame Pracht jagt. Sie hilft ihr in ein sauberes Kleid, streicht den Stoff über dem Körper des Mädchens mit beiden Händen zurecht, betrachtet sie kritisch und fragt sich nervös, ob es passend ist, die feinen Gäste in dem Kleid zu empfangen, das sie auch bei Clementias unglückseliger Hochzeit trug. Hugo überbringt den Bescheid, das Kind solle ordentlich hergerichtet und direkt in den Speisesaal geschickt werden. Obwohl die Frau des Hauses es nicht offen gesagt hat, spürt Agnes doch, dass etwas im Werden ist, das Hildegards Zukunft betrifft, und es macht sie unruhig, nicht genau zu wissen, was es ist. Es ist schwer, das Herz nicht an die Kinder der Herrschaft zu hängen. Über Hildegard hat sie so viele Nächte gewacht, dass all die Unruhe sich zu einer Liebe gesammelt hat, die schmerzt wie ein Geschwür bei dem Gedanken an den Abschied, den die Zukunft bringen wird.
Im Saal warten die Gäste zusammen mit Mechthild und Hildebert. Als Agnes sie durch die Tür schiebt und im Bruchteil einer Sekunde wieder verschwunden ist, macht Hildegard einen Knicks, ohne aufzusehen. Sie hört ihrem Gespräch zu, verliert aber die Konzentration, da es ausschließlich um Zusammenhänge geht, die sie nicht versteht. König Heinrich und Bischof Ruthard werden erwähnt, aber sie kennt sie nicht. Sie streckt Arme und Beine und einmal gähnt sie so laut, dass das Gespräch zwischen den Erwachsenen verstummt. Mechthild sieht sie streng an, aber Juttas Augen lächeln. Sie streicht Hildegard übers Haar, als würde sie sie kennen, nimmt ihre Hand und bittet ihre Mutter um Erlaubnis, mit dem Kind einen Spaziergang im Garten machen zu dürfen.
Jutta ist die schönste Frau, die Hildegard je gesehen hat. Im Obstgarten sagt sie es zu ihr, geradeheraus und ohne darüber nachzudenken, ob es passend ist.
»Du bist so schön«, sagt sie einfach und lässt Juttas Hand los.
Jutta lächelt, sie antwortet nicht, gibt ihr aber auch nicht das Gefühl, sie habe etwas Falsches gesagt, so wie Agnes oder Mechthild oder ihre Geschwister es getan hätten.
»Erhältst du Unterricht im Lesen?«, fragt Jutta stattdessen und nimmt wieder Hildegards Hand, geht weiter zwischen den Bäumen umher. Bienen und Wespen scharen sich um gelbe und lila Pflaumen im Gras.
»Ich soll zuerst acht werden«, antwortet Hildegard, und ihre Handfläche schwitzt.
»Du bist acht«, sagt Jutta, während sie weiter durch das Gras bis zur Steinmauer gehen.
»Es soll erst Winter sein«, antwortet Hildegard, denn Hildebert hat sie hingehalten und gesagt, es wird erst so weit sein, wenn die Ernte eingebracht ist.
Jutta lacht, sie will hinunter zum Bach, und Hildegard zeigt ihr den Weg. Sie schlägt einen Bogen um die Stelle, an der sie die Kreise in die Erde geritzt hat. Dort ist es zu schlammig, sagt sie, denn Jutta wird nach dem Kreis aus Steinen fragen, und sie weiß nicht, wie sie es erklären soll. Der Rohrkolben steht aufrecht und reckt seine braunen Kolben in die Luft, um sie vor den Stellen zu warnen, an denen das Wasser tief wird.
Hildegard weist Jutta den Weg zu den breiten, flachen Steinen, wo sie selbst so gerne sitzt.
Jutta geht in die Hocke und schließt die Augen. Ihre Hände und Arme sind schmächtig, obwohl sie runde Wangen hat. Gelbrandkäfer und Wasserläufer tanzen über das Wasser, ein Fisch schnappt perfekte Kreise in die Oberfläche, die träge davonwippen und von dem grünbraunen Wasser verschluckt werden. Eine Ruhe fällt über Hildegard, sie klemmt ein Schilfrohr mit ihren Nägeln ab, sieht einem Schatten nach, der unter der Oberfläche dahingleitet. Jutta seufzt. Eine Libelle steht mit schwirrenden Flügeln still in der Luft, und Hildegard streckt die Hand nach ihr aus.
»Das ist ein schönes Geschöpf«, sagt Jutta. »Sieh, wie das Licht in seinen Flügeln spielt. Und sieh, die Becherjungfer und den Blattkäfer dort«, Jutta dämpft die Stimme und zeigt auf den Käfer, der einen Hahnenfuß als Wippe benutzt, »welch feine Kleider sie heute angelegt haben.«
Hildegard wird von einer feierlichen Stimmung erfasst. Sie betrachtet den kleinen, grünlich schimmernden Käfer, der seine Reise zwischen den Blättern des Hahnenfußes fortsetzt. Sie kennt die Namen vieler Tiere und Pflanzen, sagt sie oft vor sich hin und freut sich über sie.
»Der Herr hat all diese Schönheit geschaffen, um uns zu erfreuen«, lächelt Jutta und nickt Hildegard zu.
Hildegard nickt ebenfalls. Er hat Jutta geschaffen, denkt sie, und sogar sie selbst, auch wenn es kaum zu glauben ist, dass er sie mit derselben Hand geschaffen hat.
»Bettlerhahnenfuß«, sagt Jutta und zeigt auf die gelben Blüten, die sich in großen Büscheln im sanften Wind wiegen, »weißt du, warum er diesen Namen bekommen hat?«
Hildegard antwortet, sie wisse, man könne den Saft gegen Warzen verwenden, und ist stolz, als Jutta ihr über die Wange streicht.
»Man sagt, die Bettler schmieren sich die Haut mit dem Saft der Pflanze ein, das gibt Ausschlag und Blasen auf der Haut. So werden sich die Leute ihrer eher erbarmen«, erklärt Jutta und hält einen Stängel zwischen zwei Fingern.
Hildegard denkt an einen beinlosen Mann, den sie einmal auf dem Marktplatz in Mainz sah. Er schob sich mit Hilfe seiner Arme vorwärts, und seine Wangen waren von schorfigen Krusten bedeckt. Sie hatte Mitleid mit dem Mann gefühlt und war vor ihm stehen geblieben, bis Mechthild sie weggezogen hatte. Dass jemand sich selbst Schmerzen zufügt, versteht sie nicht.
»Ich habe etwas, das du sehen sollst«, sagt Hildegard und springt auf. Sie wird plötzlich mutig und will Jutta die Kreise zeigen, sie will ihr erklären, wie sie die Rangordnung in dem lebenden Licht gesehen hat. Sie trippelt unruhig vor Jutta hin und her, die zunächst nicht so aussieht, als wolle sie aufstehen. »Es ist etwas, das ich gesehen habe.«
Jutta hört geduldig zu, während Hildegard zeigt und ihr von den Kreisen und den Steinen und den toten Tieren berichtet, die jetzt fort sind. In ihrem Eifer tritt sie verkehrt und sinkt bis zum Knöchel in den Schlamm, sodass Jutta sie wieder herausziehen muss, aber das bremst den Wortschwall nicht. Erst als sie meint, sie habe das Ganze so gut erklärt, dass sie selbst es verstehen würde, schweigt sie. Jutta sieht sie lange schweigend und ernst an.
»Ich bin froh darüber, dass du es mir zeigen willst«, sagt sie dann. »Hast du es deiner Mutter gezeigt? Oder deinem Vater?«
Hildegard sieht hinunter auf ihre verschmutzten Schuhe und schüttelt den Kopf.
»Deinen Geschwistern aber?«, setzt Jutta nach und versucht vergeblich, Hildegards Blick aufzufangen.
Hildegard schüttelt wieder den Kopf. Sie beißt sich in die Unterlippe und wickelt eine Haarlocke um ihren...
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