Schweitzer Fachinformationen
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KAPITEL 1
Hannah öffnet widerwillig blinzelnd die Augen. Ein Stück Toast klebt an ihrer Wange, und ihr Mund fühlt sich pelzig an. Sie blickt angestrengt auf die Wanduhr und schließt rasch wieder die Augen. Zwei Uhr nachts. Warum musste ausgerechnet dieser Tag so beginnen? Dabei sollte sich ab heute alles ändern. Ein Neubeginn.
Hannah zieht sich den durchweichten Toast von der Wange, lässt ihn auf den Teller fallen und reibt sich über den schmerzenden Nacken. Ihr Smartphone ist dank der Shuffle-Wiedergabe in die peinlicheren Tiefen ihrer Playlist vorgedrungen, und sie drückt hastig die Pausetaste. Ihr Körper fühlt sich an, als gehöre er auf die Innenseite der Kreidelinie eines Tatorts.
Sie stemmt sich mit den Ellbogen in die Höhe und betrachtet die korrigierten Seiten, die über den Küchentisch verstreut liegen. »Verdammt«, murmelt sie leise. Irgendwie hatte sie es geschafft, im Schlaf ihr Weinglas umzustoßen, und nun sehen die Essays der zehnten Klasse über Shakespeares Macbeth aus, als wären sie mit Blut bespritzt.
Ob sie wohl mit der Behauptung durchkäme, es mit Absicht getan zu haben, um dem Stück Leben einzuhauchen? Angesichts der Vorstellung der skeptischen Mienen ihrer Schüler eher unwahrscheinlich. Teenager besitzen Antennen für Skandale jeglicher Art, und vermutlich würde die Gerüchteküche der Schule dafür sorgen, dass sie spätestens Ende der Woche zum Direktor gerufen wurde.
Ihr Handy gibt einen Piepton von sich. Eine SMS von Steph, die sich wahrscheinlich in einem ähnlichen Korrigiermarathon befindet.
Ist er schon zu Hause? Hast du es ihm gesagt? x
Hannah tippt ihre Antwort ein. Nein und nein.
Steph textet sogleich zurück. Aber du wirst es tun! Versprochen?
Ja. Sonst killst du mich noch. Und ich würde wirklich gern die nächste Staffel von Scandal sehen.
Viel Glück. Du schaffst das. x
Als Hannah den Stuhl zurückschiebt, kollidiert sie mit dem Ergebnis ihres letzten gescheiterten Versuchs, an einem Buchladen vorbeizugehen, ohne etwas zu kaufen. Sie streicht über das glatte, tröstliche Cover des obersten Exemplars im Stapel. Die Versuchung ist groß, die ganze Nacht wach zu bleiben und sich in der Geschichte eines anderen zu verlieren. Doch dann fällt ihr wieder ein, was sie heute vorhat. Widerstrebend steht sie auf und atmet dabei langsam aus, um die Nerven zu beruhigen, die sich an jeden Atemzug klammern.
Tom. Ich verlasse dich. Angst durchfährt sie bei dem Gedanken daran, die Worte laut auszusprechen. Zu sehen, wie er den Mund öffnet und sich seine Augen zu schmalen Schlitzen verengen, während er sich darauf vorbereitet, sie ein letztes Mal zu attackieren. Das kann er wirklich gut. Ob mit E-Mails, Mailboxnachrichten oder einfach nur durch gutes, altes Anschreien. Er wusste schon immer, wie er sie am besten verletzen konnte.
Hannah trägt den Teller zur vollen Spüle hinüber und quetscht ihn zwischen eine leere Dose gebackene Bohnen und eine Pfanne, in der sich gerade eine neue Lebensform zu entwickeln scheint.
Morgen. Darum wird sie sich morgen kümmern. Sie schaltet das Licht aus und knöpft auf der Treppe im Hinaufgehen ihr graues Kleid auf. Vor dem Schlafzimmer hält sie überrascht inne. Der rasselnde Atem ihres Mannes dringt durch die geschlossene Tür. Sie hat angenommen, dass er immer noch im Büro ist. Ein weiterer Deal. Eine weitere Nacht, die sie getrennt voneinander verbrachten.
Leise betritt sie das Zimmer und schlüpft unter die Bettdecke. »Warum hast du mich nicht geweckt, als du nach Hause gekommen bist?«
Toms einzige Antwort ist ein Schnarchen.
Schrrrrrapp.
Hannah zieht sich das Kissen über den Kopf.
Sie kann es immer noch hören. Steckt den Kopf hervor und sieht auf die Uhr. Halb fünf. Viel zu früh. Sie fühlt sich wie erschlagen nach nur wenigen Stunden Schlaf.
Da ist es schon wieder.
Sie dreht sich um. »Tom, hey, hör auf zu schnarchen.« Ihre Stimme klingt wie ein Krächzen. »Ich versuche zu schlafen.« Es wäre toll, wenn er ihr ausnahmsweise einmal zuhören würde. Aber das konnte sie sich abschminken.
Stattdessen murmelt er etwas Unverständliches. Seine Stimme klingt belegt und verwaschen. »K.K.Kannni.«
Hannah lehnt sich widerwillig zu ihm hinüber und versucht, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Eine Gestalt liegt auf dem Boden vor dem Bett. Na super. Offenbar hat er sich wieder einmal mehr mit Whisky als mit seiner Arbeit beschäftigt. Sie greift hinüber und stupst ihn an, aber er stöhnt nur. »Herrgott noch mal.« Hannah reibt sich über die schmerzenden Augen.
»Kannni . Hilllllmiiiiiir.«
Erschöpft schaltet Hannah die Nachttischlampe ein und blinzelt in der plötzlichen Helligkeit auf ihn hinab.
Irgendetwas stimmt nicht.
Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht.
Tom liegt auf dem Boden, sein Körper ist gekrümmt, und in seinen weit aufgerissenen Augen liegt ein flehentlicher Ausdruck. Sein Gesicht ist kreidebleich und hängt auf einer Seite schief herab, der verzerrte Mund versucht, Worte zu formen, die Hannah nicht versteht. Schockiert sieht sie zu, wie seine rechte Hand kraftlos über das Holz am Fußende des Betts schrammt. Schrrrapp. Sein linker Arm liegt unter ihm, die Hand ist in einem unmöglichen Winkel gekrümmt, sodass sie aussieht wie ein missgestalteter Schnabel.
Hannahs Puls beginnt zu rasen. Hastig klettert sie aus dem Bett und versucht instinktiv, ihren Mann hochzuziehen. Doch egal wie sehr sie sich auch anstrengt, sein Körper ist zu schwer für sie, und er sackt wieder auf den Teppich zurück. Sie zuckt zusammen, als sie ihn stöhnen hört. Hoffentlich hat sie nicht alles noch schlimmer gemacht. Ihr Mund ist staubtrocken, und die Panik droht sie zu ersticken.
Sie brauchen Hilfe.
»Keine Sorge, Tom«, flüstert sie, während sie mit zittrigen Fingern nach dem Telefon greift, um den Notruf zu wählen. »Keine Sorge. Alles wird wieder gut. Alles wird wieder gut.« Wenn sie es nur oft genug wiederholt, glaubt sie es vielleicht selbst irgendwann.
Ihre Stimme bebt, als sie dem Rettungsdienst ihre Adresse nennt. Die Worte laut auszusprechen macht sie so entsetzlich real. In Toms Augen steht die nackte Angst, und sie streicht ihm über das dunkle Haar. Es ist so weich. Wie lange ist es her, seit sie es das letzte Mal berührt hat?
Eine Männerstimme stellt ihr Fragen, die sie bisher nur aus dem Fernsehen kennt. Was ist geschehen? Wer? Wann? Wo? Langsam bekommt Hannah das Zittern in ihrer Stimme unter Kontrolle. Der Mann teilt ihr mit, dass ein Krankenwagen auf dem Weg sei. Absurderweise fragt sie sich, wer der Mann am anderen Ende der Leitung ist. Wie er aussieht. Und ob er ihr verraten kann, was die Zukunft bringt. Aber vielleicht ist es besser, es nicht zu wissen.
Sie legt auf und steht für einen Moment wie erstarrt da, bis sie Tom ein Wort nuscheln hört, das ihr Name sein könnte. Sie setzt sich auf den Boden, legt seinen Kopf vorsichtig in ihren Schoß, verdrängt jeden Gedanken an die Zukunft und versucht, ihm all den Trost zu spenden, den sie aufbringen kann. Als sie seine rechte Hand in ihre nimmt, umklammert er ihre Finger. Gemeinsam warten sie auf das, was auch immer als Nächstes kommen wird. Seine Hand fühlt sich kalt an. Schwer. Nach Verantwortung.
Minuten später trifft der Krankenwagen mit zwei Sanitätern ein - ein Mann und eine Frau, deren Namen Hannah sofort vergisst, deren Gesichter sich aber in ihr Gedächtnis brennen. Sie folgt ihren grünen Uniformen die Treppe hinauf ins Schlafzimmer.
»Was ist los mit ihm? Was hat er?« Hannah beginnt wieder zu zittern. In dem vergeblichen Versuch, Wärme und Trost zu finden, verschränkt sie die Arme fest vor der Brust.
Der kastanienbraune Pferdeschwanz der Sanitäterin wippt hin und her, als sie sich neben Tom kniet. Sie scheint kaum alt genug zu sein, um Alkohol kaufen zu dürfen, aber die ruhige, konzentrierte Art, mit der sie sich ihm zuwendet und seinen Puls misst, lässt Hannah ein wenig ruhiger werden. »Ich bin mir noch nicht sicher. Wir müssen ihn erst untersuchen.« Sie blickt ihm forschend ins Gesicht. »Hallo, Tom. Wie geht es Ihnen?«
»Kannni aufschn.«
»In Ordnung.« Die junge Frau nickt, als habe er sich vollkommen verständlich ausgedrückt. »Ich werde jetzt ein paar kleine Tests durchführen, damit wir es Ihnen anschließend etwas bequemer machen können. Würden Sie bitte Ihre Arme heben?«
Hannah hält den Atem an und fleht ihn stumm an. Komm schon, Tom!
Er hebt den rechten Arm, aber sein linker bewegt sich nicht.
Hannah versucht, ihn durch pure Willenskraft dazu zu bringen, ihn hochzuheben. Doch er rührt sich nicht. Panik steigt in ihr auf, und sie wendet sich an den Sanitäter, der neben ihr steht. »Was ist denn nur mit ihm?«
Er sieht sie mit einem Ausdruck in den Augen an, der ihr bedeutet, dass ihr nicht gefallen wird, was er zu sagen hat. »Die eine Gesichtshälfte hängt herab. Dazu kommen Sprach- und Bewegungsprobleme. Vermutlich hat er einen Schlaganfall erlitten. Aber wir müssen noch weitere Untersuchungen durchführen, um sicher sein zu können.«
»Ein Schlaganfall? O Gott.« Sie versucht, die schreckliche Kindheitserinnerung an ihre Babysitterin zu unterdrücken, die sabbernd in einem Krankenhausbett liegt.
»Wir werden Ihren Mann so schnell wie möglich ins Krankenhaus bringen.« Die Stimme des Mannes ist sachlich und...
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