Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
»Paola hat sich ausgesperrt!«, ruft Emil, als ich nach drei Anläufen gerade dabei bin, die neue Boulderroute zu meistern.
Längst hat sich das geliebte und zugleich verhasste Gefühl eingestellt, bei dem meine Unterarme vor Anspannung schmerzen und glühen. Ein kurzer Check nach oben verrät, dass noch zwei Griffe bis zum selbst gesteckten Ziel warten. Kleine Griffe, ja. Und eventuell stehen sie auch recht weit auseinander . Aber gemessen an der Strecke, die bereits hinter mir liegt, sind sie ein Klacks. Nichts und niemand wird mich davon abhalten, sie zu bezwingen. Selbst wenn meine Muskelkraft an ihr Limit kommt, ist da weiterhin mein Kopf, der in solchen Fällen stahlhartes Durchsetzungsvermögen an den Tag legt. Der sich nicht aufhalten lässt und meine persönlichen Grenzen überwindet, als dienten sie lediglich der Dekoration.
Emil weiß das. Und deshalb wird er meiner Schwester ausrichten, dass ich mich zurückmelden werde, sobald ich hier durch bin.
Komm schon.
Mit einem bewussten Atemzug schiebe ich das Becken ein Stückchen höher, hänge fast waagerecht an der Wand und zögere nicht länger, mit der rechten Hand nach oben zu greifen. Das Brennen meiner Haut, als ich das raue Material umfasse, gibt mir unmissverständlich zu verstehen, dem Ziel ganz nah zu sein. Ein letzter Griff wartet auf mich. Ein Pinch von der Größe eines Weinkorkens, der offenbar nur dafür gebaut wurde, um den Kletternden an dieser Stelle den restlichen Mut zu nehmen.
Oder aber, um sie herauszufordern. Anzufixen, wie einen Löwen, dem sein Revier streitig gemacht wird. Zu fokussieren, wie eine Motte, die das Licht sieht. Zu reizen, wie Fee es vorhin mit mir getan hat. Dass sie diesen Kaffeeverkäufer Adam als ihre Begleitung vorzieht, bringt mein Blut auch jetzt, Stunden später, zum Kochen. Jagt pures Adrenalin durch meine Adern. Macht, dass ich plötzlich ausreichend Energie habe, den Pinch mit beiden Händen zu berühren.
Yes! Did it!
Gedämpft sickert das Jubeln meines Kumpels zu mir durch; weil vor meinen Augen Sterne tanzen, schließe ich die Lider. Keine zwei Sekunden später folgt eine relativ dumpfe Landung auf der Matte.
»Alter, du bist so ein Tier!« Emil streckt mir seine tätowierte Hand entgegen, und sobald ich stehe, klopft er mir anerkennend auf die Schulter. »Für einen Moment dachte ich, du packst es nicht, und dann erhebst du dich wie der Phönix aus der Asche.«
Nach Luft japsend schnappe ich mir meine Trinkflasche und realisiere, wie sehr meine arme Lunge da oben kämpfen musste. Inzwischen ist sie praktisch nur noch ein Feuerball.
»Paola hat angerufen?«, keuche ich und leere das Wasser in einem Zug.
Er nickt und wischt sich die kreidigen Hände an seiner Sporthose ab, was eine Wolke Magnesiumkarbonat aufwirbelt. Das staubige Zeug hängt hier zusammen mit dem angestrengten Stöhnen der Sportler standardmäßig in der warmen Luft. Hat was von Heimat. »Jap. Wir müssten gleich mal bei ihr vorbeifahren und ihr den Ersatzschlüssel bringen.«
Ich schnaube amüsiert. »Müssten wir, hm?«
Paolas Wohnung liegt keinen Kilometer von der Boulderhalle entfernt in der Hafencity. Wäre nicht das größte Problem gewesen, dass sie sich zu Fuß auf den Weg macht, aber Emil gibt ihr immer gern hundert Prozent. Und sie ihm. Die zwei haben eine besondere Verbindung, obwohl Menschen ernsthaft nicht unterschiedlicher sein könnten. Sie mit ihrem straighten Alltag, ganz vorn am Start in Enzo Millers Unternehmen, alles fancy, alles irgendwie clean und geebnet. Emils Weg würde ich stattdessen eher offroad nennen. Oft fegt er wie ein kräftiger Wirbelsturm durchs Leben, was tatsächlich ziemlich erfrischend ist. Damals hat er sich erfolgreich von den Ketten der sozialen Unterschicht befreit - inklusive Kontaktabbruch zu beiden Elternteilen -, und ich kenne niemanden, der so selbstbewusst und klar nach seinen eigenen Werten lebt wie er. Nicht jeder packt es, sich trotz mieser Verhältnisse einen Ausbildungsplatz zu angeln, zu schuften, zu kämpfen und schließlich mit Auszeichnung zu bestehen. Er schon.
»Und ausgerechnet jetzt ist ihr Nachbar mit dem Zweitschlüssel nicht in der Nähe?«
»Hätte sie sich dann bei dir gemeldet?« Nun ist es Emil, der ein verächtliches Schnauben von sich gibt. »Ist doch kein Thema, wir sind hier sowieso durch, oder?«
Ja, stimmt wohl. Seine schweißnasse Stirn, an der seine dunkelbraunen Haare kleben, belegt unsere erfolgreiche Sportsession. Erneut gleitet mein Blick an der Kletterwand entlang, dann steuern wir auf die Umkleidekabinen zu.
»Nur die Schlüsselübergabe, hast du gehört? Ich habe nicht die Nerven für unnötigen Small Talk«, erkläre ich vorsorglich, als wir keine fünfzehn Minuten später in meinem Wagen sitzen. Alles, was ich heute noch will, sind eine heiße Dusche und ein Sandwich mit extra Käse.
»Chill!« Aus dem Augenwinkel bemerke ich, wie Emil sein iPhone zückt. »Sind die Glücksgefühle der weißen Route etwa schon verflogen?« Ohne eine Antwort zu erwarten, tippt er auf dem Display herum und blickt auf, sobald wir in Paolas Straße einbiegen. »Schau, sie steht sogar unten.« Zufrieden betätigt er den Fensterheber, und bevor wir richtig zum Stehen kommen, steckt meine Schwester bereits den Kopf ins Fahrzeuginnere.
»Meine Mensch gewordene Rettung!«, ruft sie aus und streckt sich umständlich, um Emil einen dicken Knutscher auf die Wange zu drücken. Dabei verschwindet er unter ihren langen, glatten Haaren, die meistens in allen möglichen Duttvarianten hochgesteckt sind, aber heute gefühlt die halbe Fahrerkabine erobern. »Wenn ich könnte, würde ich jetzt eine Konfettikanone über dir zum Platzen bringen.« Paolas grüne Augen spiegeln das Grinsen wider, das sich über dem Gesicht unseres Kumpels ausgebreitet hat.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Kopfschüttelnd lasse ich mich im Sitz zurückfallen.
»Hallo, Bruderherz! Danke fürs Kommen.«
»Wieso verdiene ich dafür keine Konfettikanone?«
»Na, weil ich einen Zehner darauf verwetten würde, dass du mich hättest laufen lassen und dass Emil dich überredet hat, zu mir zu fahren.«
Ein Blick zu meiner Rechten präsentiert mir zwei Antlitze, die als Leinwände für triumphierende Ausdrücke dienen: leicht angehobene Brauen, Münder, die überlegen nach oben gebogen sind.
Diabolisch.
»Wusste ich's doch!« Paola hält ihm eine Hand zur Ghettofaust hin. »Kommt ihr zwei Süßen noch auf einen Kaffee rauf?«
Emils Finger fliegen schnurstracks zum Gurtschloss, als hätte diese Einladung seine automatische Abschnallfunktion aktiviert.
»Nein, danke«, erinnere ich ihn barsch und wedle mit dem Schlüsselbund herum, bis meine Schwester ihn sich schnappt. »Wir sind nur hier, damit du nicht vor der Tür schlafen musst.«
Sichtlich enttäuscht zuckt Emil mit den Achseln und zieht seine Hand zurück. »Er ist heute nicht allzu gut drauf.«
»Merk ich schon.« Paola kneift die Lider zusammen und scannt mich von oben bis unten. »Ist alles in Ordnung bei dir?« Das Spöttische ist ihrer Stimme entwichen.
»Mach dir keine Sorgen, ich bin okay. Der Tag war bloß lang, und ich habe dank dieser Rettungsmission noch nicht geduscht.«
»Versprich mir, dass du damit rausrücken würdest, wenn es was Ernstes gäbe.«
Weil es sich nicht lohnt, mit diesem entschlossenen Wesen zu diskutieren, lehne ich mich quer über Emil und reiche ihr meine Hand zum Kleinen-Finger-Schwur, woraufhin sie erleichtert ausatmet.
»Gut, dann befreie ich kurz meinen Schlüssel von drinnen und bringe dir deinen zurück.« Sie zeigt mir einen Daumen hoch, ehe sie Emil sanft in die Schulter knufft. »Fahr nächstes Mal mit dem Motorrad her, wenn du einen Kaffee willst. Du weißt ja: Die Türen stehen für dich offen.«
»Im Moment steht hier keine Tür offen«, sage ich stöhnend und stütze meinen Ellenbogen auf die Fensterlehne, was niemanden zu interessieren scheint.
»Klar, gern.«
»Passt dir morgen? Ich weiß allerdings nicht genau, wann ich loskomme, habe zwei Camper in der Werkstatt stehen.«
»Oh, nice. Schickst du mir gleich Fotos?«
»Gern.«
»Perfekt. Ich kann morgen flexibel Feierabend machen. Schreib mir einfach, sobald du Zeit hast, oder ich besuche dich und deine Wunderwerke.«
Wunderwerke. Das trifft es gut. Emils Job ist garantiert eines, weil er es gewagt hat, zwei Leidenschaften zu verbinden, für die er brennt.
Richtig brennt. Nicht wie ein Teelicht, sondern im Stil eines ausgewachsenen Infernos, das eine krasse Sogwirkung entfaltet, sobald man ihm durch Zuhören oder Beobachten Raum zum Atmen gibt.
Emil liebt das Reisen und die handwerkliche Arbeit mit Holz, und so war es für ihn nur logisch, bereits während seiner Ausbildung alles für eine Zukunft als Camper-Ausstatter in die Wege zu leiten. Wenn ihm zweifelnde, niedermachende Stimmen begegnet sind, hat er sie grundsätzlich mit Unkraut verglichen und war darauf bedacht, ihnen keine Energie zuzuspielen. Einen Nährboden anzulegen, auf dem sie zusammen mit Hass und Neid ab dem Wurzelwerk vergammelt sind und keine Gelegenheit bekamen, sich auszubreiten.
Und was kam dabei raus?
Der Laden boomt!
Emils Ruf eilt ihm längst voraus, sodass sich Leute aus dem ganzen Land glücklich auf eine monatelange Warteliste...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.