Ich kann mich gut selbst führen
Matthias Platzeck musste 2006 nach nur einem halben Jahr im Amt als Bundesvorsitzender seiner geliebten SPD zurücktreten. Zuvor hatte er zwei Hörstürze und einen Nervenzusammenbruch erlitten. Den Bundesvorsitz abzugeben, bezeichnete Platzeck als »die schwierigste Entscheidung«3 seines bisherigen Lebens; er habe sie auf »dringenden ärztlichen Rat« hin getroffen. Bei seiner Rücktrittserklärung äußerte Platzeck offen, dass er sich mit dem Amt des Parteivorsitzenden übernommen und seine Kräfte überschätzt habe.
Man könnte eine Chronik füllen mit Beispielen wie ihm. Menschen, die in hohen Positionen sind, Menschen, die viel Gutes bewegen könnten, die aber durch bestimmte Umstände aus dem Rennen geworfen werden. Dabei ist Burn-out, wie im Falle Matthias Platzeck, nur eine der vielen Ursachen hierfür.
Wenn Führungskarrieren scheitern, so liegt das meist an der Selbstführung. Wenn Sie an dieser Aussage zweifeln, so denken Sie zunächst einmal an Ihre eigenen »Niederlagen« im Beruf zurück. Waren es wirklich nur äußere Umstände, die Sie dafür zur Rechenschaft ziehen können, oder liegen die Gründe doch eher darin, dass Sie zu beschäftigt waren, um entweder das Kleingedruckte zu lesen oder um die dunklen Wolken am Horizont der Unternehmensentwicklung, der eigenen Ehe oder der eigenen Gesundheit wahrzunehmen?
Niemand wird bestreiten, dass eine Führungskraft nur dann dauerhaft gut sein kann, wenn sie sich zunächst selbst gut führt. Sich selbst gut zu führen ist die Basis jedes erfolgreichen Lebens. Und für alle, die die Entscheidung treffen, auch Führungskraft werden zu wollen, gilt dies in noch größerem Maße. Gute Selbstführung ist die Voraussetzung. Danach kann man sich gerne aufmachen, um andere zu führen.
Kommen wir also gleich zur Sache. Ich beginne mit zwei wesentlichen Tipps für echte Profis auf dem Gebiet der Selbstführung:
Tipp 1: Verändern Sie Ihre ungesunden Glaubenssätze.
Tipp2: Studieren Sie das Buch Die 7 Wege zur Effektivität von Stephen R. Covey und werden Sie zum Lehrer dafür.
Steigen wir ein.
Tipp 1: Die Sache mit den Glaubenssätzen
Ich war weit in meinen Dreißigern, als ich mich zum ersten Mal bewusst mit der Wirkung des Wortes »Glaubenssatz« auseinandersetzen musste. Wir hatten seitens der Firma eine Weiterbildung und der Seminarleiter konfrontierte uns mit einem sogenannten Antreibertest.4 Wie bei solchen Übungen üblich, beantworteten wir ein paar Fragen zur Selbsteinschätzung und zählten unsere Punkte zusammen. Das Ergebnis war die folgende Grafik:
Bild 1: Meine Auswertung beim Antreibertest
Die Grafik ließ mich seitdem nicht mehr los, denn sie war ein Beispiel dafür, wie man selbst den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Man lebt von Tag zu Tag und wundert sich, warum manche Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, und nimmt vieles für gegeben hin. Dann kommt ein simpler Coaching-Test daher und plötzlich fällt es einem wie Schuppen von den Augen.
Urplötzlich hatte ich mit dieser Auswertung einen Indikator in der Hand, warum ich nahe am Burn-out war und viel zu häufig erlebte, dass mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war: »Meine Güte, warum habe ich das und das alles noch nicht erledigt?« Kein Wunder - ich hatte gleich zwei innere Antreiber im Gefahrenbereich! Wie soll das auch gehen - es allen recht machen zu wollen und dann auch noch alles perfekt zu machen? Was für ein Wahnsinn! Beides ist zudem eine Illusion - und dann auch noch in der Kombination?
Sofort wurde mir klar, warum all meine Investitionen in Zeitmanagementseminare und die tollen Planungswerkzeuge auf Papier oder später im Computer nie die erhoffte Wirkung hatten.
Glaubenssätze sind mächtig. Sie bringen Menschen dazu, sich und andere in die Luft zu sprengen (Terroristen), den Planeten gegen die Wand zu fahren (»Die Wirtschaft des Landes ist wichtiger ...«) oder ihre Familie zu vernachlässigen (»Die Arbeit ist das Wichtigste .«). Nur zur Klarstellung! Zum Zeitpunkt des Seminars saß ich in der Geschäftsleitung eines großen Unternehmens, hatte eine Familie und stand somit mitten im Leben.
Ich interpretierte mein Verhalten immer als naturgegeben und Teil meines Charakters - insbesondere meines Arbeitsethos. Immer sagte eine innere Stimme in mir: »Andreas, du bist halt so.« Vieles in meinem Leben fühlte sich dennoch wie ein Kampf an.
Durch das besagte Seminar wurde mir klar, dass viele Verhaltensweisen von eigenen Glaubenssätzen geleitet sind. Glaubenssätze entstehen meist in der Kindheit über Erzählungen und dann später über eigene Erfahrungen. Für meine geliebte Großmutter war das Leben recht einfach. Sie glaubte zutiefst an Gott, verhielt sich daraufhin fromm nach den göttlichen Vorgaben und alles, was sie im Leben erfuhr und erhielt (die Resultate), bestätigte stets ihre eigenen Glaubenssätze.
Mein Lieblingsbeispiel für die Macht von Glaubenssätzen ist folgendes:
Es soll Führungskräfte geben, deren starke Überzeugung (Glaubenssatz X) es ist, dass Menschen vom Grunde her faule Wesen sind. Wie verhält sich eine solche Führungskraft den Mitarbeitern gegenüber? Sie oder er wird wohl viel vorgeben, kontrollieren und wenig vertrauen. Was erntet die Führungskraft sehr häufig? Wenig engagierte Mitarbeiter. Was lernt die Führungskraft daraus? »Ha - ich habe recht.« Und der Glaubenssatz stabilisiert sich.
Andere Führungskräfte sollen dagegen die starke Überzeugung (Glaubenssatz Y) haben, dass Menschen sehr wohl engagiert arbeiten, vorausgesetzt, sie sehen einen Sinn in ihrer Tätigkeit und sie haben gute Arbeitsbedingungen. Wie verhält sich nun eine solche Führungskraft gegenüber den Mitarbeitern? Sie wird sie mehr einbinden, ihnen mehr vertrauen und mehr Freiheitsgrade und Entfaltung lassen - und zwar völlig automatisch. Was wird eine solche Führungskraft häufig ernten? Engagierte Mitarbeiter, womit sich der eigene Glaubenssatz wieder bestätigt und festigt.
Die Frage ist nun nicht, welche der beiden Führungskräfte recht hat beziehungsweise welcher ihrer unterschiedlichen Glaubenssätze X oder Y nun richtig ist. Beide haben irgendwo recht! Die einzig richtige Frage ist vielmehr: Welcher der beiden Glaubenssätze ist für die eigene Lebensführung effektiver - sprich: auf Dauer positiv wirksamer?
Ich bin nach vielen Jahren und viel Arbeit mit Führungskräften davon überzeugt, dass wir nicht Opfer unserer bestehenden Glaubenssätze sind. Wir können sie hinterfragen und wir können sie verändern.
Wenn man mit den Ergebnissen des eigenen Lebens nicht zufrieden ist, dann hat man zwei bekannte Hebel, die man betätigen kann. Wenn Sie kleine Dinge verändern möchten, arbeiten Sie direkt an den Verhaltensweisen. Wenn Sie große Dinge verändern möchten, arbeiten Sie an Ihren Glaubenssätzen.
Was macht also ein Könner auf diesem so zentralen Gebiet der Selbstführung?
Schritt 1: Setzen Sie sich entweder mithilfe eines Coachs oder einer Selbstanalyse aus dem Netz oder der Literatur mit Ihren Glaubenssätzen auseinander, welche Sie in Ihrem Leben so angesammelt haben.
Schritt 2: Finden Sie heraus, welche Ihrer Glaubenssätze wohl die ungesundeste Wirkung auf Ihr Leben haben.
Schritt 3: Welche alternativen Sätze würden Ihnen schlagartig Erleichterung verschaffen? (Die »Erlauber«)
Schritt 4: Halten Sie sich im Alltag diese »Erlaubersätze« so häufig es geht bewusst vor Augen und versuchen Sie, danach zu handeln. Warten Sie geduldig die Ergebnisse ab und nehmen Sie diese bewusst wahr. Nur die Resultate können uns auf Dauer einen neuen Glaubenssatz annehmen lassen, denn - wie gesagt - alle Glaubenssätze entstehen entweder aus Erzählungen oder eigenen Erfahrungen.
Der Schock der Auswertung des Antreibertests ist nun über 25 Jahre her und ich habe in dieser Zeit meine drei ungesündesten Antreiber wie folgt behandelt:
No. 1: »Andreas, sei perfekt!« - Der innere Glaubenssatz dahinter war: »Ich muss alles noch besser machen, es ist nie genug.« Ich habe ihn nunmehr aktiv ersetzt durch: »Ich darf Fehler machen und aus ihnen lernen. Es genügen auch manchmal auch 80 Prozent.«
No. 2: »Mach es allen recht.« - Der innere Glaubenssatz dahinter war: »Ich bin nur dann wertvoll, wenn alle mit mir zufrieden sind. Wenn ich Nein sage, werde ich abgelehnt.« Mein Erlaubersatz heute lautet: »Ich darf meine eigenen Standpunkte ernst nehmen. Ich bin in Ordnung, auch wenn jemand mit mir unzufrieden ist. Ich darf es auch mir recht machen.«
No. 3: »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.« - Der innere Glaubenssatz lautet: »Finanzielles Auskommen ist das Wichtigste. Ohne Geld kannst du deine Familie und dich selbst nicht erhalten.« Hier habe ich nunmehr folgenden Erlaubersatz dagegengesetzt: »Ich setze gut überlegte Entscheidungen in das Zentrum meines...