Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Ich wollte in das Haus nicht einziehen. Schon im Winter hatte Katharina mir von ihrer unverhofften Erbschaft erzählt, ein großes, komplett renoviertes Gutshaus hundert Kilometer nördlich von Berlin, das ihr Vetter Edwin ihr aus nur zu vermutenden Gründen hinterlassen hatte und damit zugleich die schwierige Frage, was sie mit dieser Erbschaft anfangen sollte.
Ich riet ihr, das Haus zu verkaufen, aber Katharina meinte, in dieser gottverlassenen Gegend bekäme man höchstens ein Zehntel dessen, was der Vetter in das Haus schon investiert hätte. Sie erwog, eine Pension für Fahrradtouristen zu eröffnen oder, was ihr Vetter geplant hatte, einen Aufenthaltsort für Künstler, wofür er das Haus eigens umgestaltet hatte mit Bädern an jedem Zimmer oder Apartment und einer großen Küche mit mehreren Kochstellen. Aber weder verspürte sie die Neigung, eine Fahrradpension zu führen, noch ein Künstlerparadies, und so blieb dieses Thema wochenlang Gespräch im Freundeskreis, was aber immer wieder nur zu den gleichen Vorschlägen führte, weil die Möglichkeiten auch an drei Fingern abzuzählen waren und die vierte, Katharina könnte allein in dieses Haus mit zehn oder fünfzehn Zimmern ziehen, absurd war.
Katharina kannte ich, seit ich mir vor zwanzig Jahren meinen ersten Hund angeschafft hatte. Sie arbeitete in der Tierarztpraxis in meiner Nähe, der Hund war infolge einer Borreliose oft krank, und mir gefiel, wie Katharina mit ihm umging, entschlossen, aber niemals grob, wie sie sich freuen konnte an den Eigenarten eines Hundes, auch wenn sie ihr die Arbeit erschwerten. Es sei furchtbar für sie, sagte sie einmal, dass alle Tiere sich vor ihr fürchteten, obwohl sie die Hunde wie die Katzen, sogar die Meerschweinchen liebe und ihnen ja auch nur Gutes tue. Ich weiß nicht mehr genau, wie es kam, dass wir uns befreundeten. Wir gingen manchmal miteinander ins Kino, einmal reisten wir gemeinsam nach Sizilien, weil wir herausgefunden hatten, dass wir beide Sizilien liebten. Inzwischen fiel Katharina mir immer als Erste ein, wenn ich etwas Erfreuliches oder Unerfreuliches zu erzählen hatte, sogar noch vor Sylvie, die ich viel länger kannte.
Es war Anfang Februar bei Sylvies achtundsechzigstem Geburtstag, als morgens zwischen drei und vier wieder einmal die Rede auf Katharinas grandiose Immobilie kam. Wir waren nur noch zu fünft oder sechst, der engste Kreis eben, als Sylvie meinte, wir könnten doch alle zusammen da einziehen. Ich rief gleich: um Gottes willen, aber Sylvie war von ihrem Vorschlag so entzückt, dass sie uns mit vom Alkohol befeuerter Begeisterung ein gemeinsames Leben in einem Schloss auszumalen begann, was mich umso mehr abschreckte. Katharina sah ernst von einer zur anderen und sagte dann mit einem Blick zu mir, den ich als Frage verstand, daran hätte sie auch schon gedacht. Eigentlich sei das sogar ein alter Traum von ihr, für den sie irgendwann nur der Mut verlassen hätte.
Ich beteuerte noch einmal, dass für mich so eine späte, wenn auch luxuriöse Wohngemeinschaft nicht infrage käme, Sylvie jubelte, in dem Gesicht von Michael Jahnke, dessen Freund vor einem Jahr an einem Aneurysma gestorben war, glaubte ich etwas zu erkennen, das Neugier, vielleicht sogar Hoffnung hätte sein können, und Katharinas Gesicht sah ich an, dass in ihr schon die ersten Pläne keimten.
Von diesem Tag an arbeiteten Sylvie und Katharina an dem großen Vorhaben Bossin und fuhren fast an jedem Wochenende mit ausgewählten Kandidaten über Land. Offenbar gestaltete sich das Zusammenfügen einer Gemeinschaft, die sowohl erwünscht als auch willig war, schwieriger als erhofft, was weder Sylvies noch Katharinas Enthusiasmus bremste. Sylvie hatte einen Traum und Katharina einen Plan. Und wenn Katharina einen Plan hatte, entfaltete auch der sinnvollste Zweifel an seiner Realisierung die gegenteilige Wirkung, indem er Katharina nur animierte, nach neuen Wegen und Umwegen zu suchen, um ans Ziel zu gelangen. Wie die Geschichte mit der alten Dogge, deren Besitzer nach einem Unfall und einer misslungenen Operation für unbestimmte Zeit auf einen Rollstuhl angewiesen war und den Hund nicht behalten konnte. Katharina versprach ihm, einen geeigneten Nachfolger zu finden, bei dem die Dogge die zwei oder drei Jahre, die sie noch zu leben hatte, glücklich sein würde. Aber es fand sich niemand, der dieses riesige Tier aufnehmen wollte oder konnte. Am Ende beschloss Katharina, die den Hund schon als Welpen gekannt hat und der es unmöglich war, ihr Versprechen zu brechen, den Hund selbst zu behalten. Sie nahm ihn mit in die Praxis, wo er in einem hinteren Raum ein komfortables Bett bekam, stellte einen Studenten an, der zweimal am Tag den Hund, der schon an leichter Inkontinenz litt, zum Ausgang in der Praxis abholte, ging morgens und abends selbst mit ihm spazieren, bis er nach zwei Jahren starb. Sie gab zu, dass es eine Strapaze war, aber sie hatte sich nun einmal vorgenommen, den armen Hund zu retten.
Noch im Mai standen nur Katharina, Sylvie und Michael Jahnke als zukünftige Bewohner des Hauses fest. Manche Interessenten hatten sich wieder zurückgezogen, andere waren von der Idee begeistert, besaßen aber selbst Anwesen auf dem Land oder ererbte Villen in Berlin, die sie einem Zimmer in einer Kommune vorzogen.
Katharina beschloss, den Kreis der Kandidaten zu erweitern und lud zur Besichtigung des Hauses eine größere Gesellschaft ein, zu der auch Personen gehörten, die man nur mit gutem Willen als erweiterten Freundeskreis bezeichnen konnte. Diesmal fuhr ich mit, um wenigstens einmal gesehen zu haben, wovon Sylvie und Katharina träumten.
Das Haus war schöner, als ich es mir nach den Fotos vorgestellt hatte, ein lang gezogener Bau mit schmucklosen Säulen links und rechts der Treppe, die zu dem überdachten Eingang führten, die in der oberen Etage symmetrisch angeordneten Fenster ließen auf ausreichende Zimmer schließen, darüber drei Gaubenfenster, die wie schläfrige Augen aus dem Dach in die Landschaft blickten.
Nach der Besichtigung des Hauses lud Katharina zu einem kleinen Umtrunk im Garten ein. Wir standen im gleißenden Sonnenschein auf der großen Wiese vor dem Haus, der Wind wehte den süßlichen Duft des Flieders herüber, an der Eingangstür hatte jemand, wahrscheinlich Sylvie, einen Strauß bunter Luftballons angebracht, wie vor Geschäften, die neu eröffneten oder für eine Sonderaktion warben.
Ich konnte mir durchaus vorstellen, mein großstädtisches Leben gegen ein Leben in diesem Prachtbau zu tauschen, vorausgesetzt, ich hätte darin eine eigene Wohnung mit wenigstens drei Zimmern für mich allein und außer mir wohnten darin höchstens noch Katharina und Sylvie.
Ich kannte kaum jemanden von den Leuten, die das Haus und den Garten inspizierten, darunter auch ein jüngeres Paar, das Hand in Hand herumspazierte, an dem eigentlichen Anlass des Treffens aber kaum Interesse zeigte. Hin und wieder winkten sie den beiden Kindern, die kreischend und juchzend über die Wiese tobten. Eltern und Kinder waren hell und anmutig gekleidet wie für ein Sommerfest und sahen nicht aus, als träumten sie von einem Leben auf dem Dorf.
Um Katharina hatte sich eine kleine Gruppe möglicher Interessenten versammelt, von denen ich nur das Ehepaar Müller kannte, sie pensionierte Lehrerin für Deutsch und Geschichte, er emeritierter Althistoriker. Amadeus Müller war ein renommierter Wissenschaftler, und ich konnte mir nicht vorstellen, dass er eine Landkommune für sich ernsthaft in Erwägung zog. Allerdings erzählte man sich, er hätte vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten, was auch erklärte, warum er sich auf einen eleganten ebenholzfarbenen Stock mit Silberknauf stützte. Und wer wusste, welche Schäden er sonst noch davongetragen hatte. Jedenfalls schienen die Müllers sich ernsthaft nach den Räumlichkeiten zu erkundigen, denn Katharina wies ein paarmal in Richtung der rechten Ecke des Hauses, wo im Erdgeschoss eine kleine, komfortable Wohnung lag, die der Vetter wohl für sich selbst vorgesehen hatte. Katharina hatte nach kurzem Überlegen darauf verzichtet, weil sie sich in der künftigen Gemeinschaft keine privilegierte Position anmaßen wollte, nur weil ihr das Haus gehörte. Das würde von Anfang an alles in eine Schieflage bringen, sagte sie.
Ich goss mir noch etwas von dem Chardonnay ein, den Katharina in einer großen Kühltasche auf dem Eingangsportal abgestellt hatte, setzte mich auf die oberste Stufe und versuchte herauszufinden, wer von den geladenen Personen Katharinas Einladung annehmen könnte. Sylvie lief mit einer Weinflasche zwischen den Gästen herum und füllte die Gläser nach. Hinter mir hüpften die Kinder und versuchten, sich ein paar Luftballons aus dem Bündel zu erobern. Marianne Jansen half ihnen dabei, setzte sich dann neben mich, zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und atmete dann mit einer Entschlossenheit aus, die offenbar dem Satz galt, den sie mir mitteilen wollte:
Ich glaube, ich mache das.
Was?
Ich ziehe hier ein. Und du?
Du kennst mich doch, natürlich nicht.
Marianne, von ihren Freunden Mary genannt, hatte eine kleine Buchhandlung, fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt, wo ich seit jeher meine Bücher kaufte. Dreißig Jahre hatte sie das Geschäft gemeinsam mit ihrem Mann betrieben, bis Martin vor drei Jahren plötzlich gestorben war. Er hatte sie am Nachmittag im Laden ablösen sollen, weil sie einen Zahnarzttermin hatte, und als er nicht kam, auch nicht ans Telefon ging, schloss sie den Laden ab und ging nach Hause. Da fand sie ihn auf dem Fußboden vor dem Bett, tot.
Zwei Wochen danach öffnete sie die Buchhandlung wieder, stellte bald eine junge Frau ein, das Geschäft lief weiter wie...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.