Schweitzer Fachinformationen
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Die Haustür fällt ins Schloss. Dann klackert es im Flur und über den Wohnzimmerboden bis in die offene Küche: peng-peng-peng, wie Schüsse. Jemand, der überraschenderweise schon vor achtzehn Uhr von der Arbeit gekommen ist und zehn Zentimeter hohe Designerschuhe trägt. Mama.
Das Klackern hört auf. Mama ist vor dem Küchentisch stehen geblieben und hat das darauf liegende Jahreszeugnis entdeckt. Es raschelt: Sie hat es aufgehoben und guckt wahrscheinlich in diesem Moment auf die Noten. Torben, der sich im Hängesessel um die eigene Achse dreht und sich Mühe gibt, möglichst tiefenentspannt zu wirken, zählt die Sekunden nach dem Rascheln. Eins, zwei, drei . Die Noten sind leider etwas höher. Vier, fünf, sechs .
»Torben! Das geht so nicht! Torben? Toooor-ben!!«
Whoaa. Ist ja gut. Der Hängesessel stoppt. Torben kneift sich auf beiden Seiten kräftig in die Wangen, bevor er aufsteht und lässig hinüberschlurft. Wenn man sich in die Wangen kneift, werden sie ein bisschen rot. Rote Wangen sehen gesund aus. Nach draußen spielen, Fußball, Park und all diesen Dingen mit frischer Luft. Alle Mütter mögen Kinder mit roten Wagen. Außerdem macht es das Gesicht locker. So fällt das entschuldigende Lächeln gleich viel leichter.
»Hi, Mum. Schicke Schuhe«, gratuliert er ihr und stoppt mit seinen Badelatschenfüßen direkt neben ihren spitzen Lackpumps. »Also, ich würde mich ja niemals in so was reinquetschen. Ich verbringe die nächsten sechs Wochen komplett in Badelatschen. Und wenn wir schon beim Thema sind: Meine alten sind mir zu klein. Guck mal, vorne hängen schon die Zehen raus!«
Er wackelt demonstrativ mit den überstehenden Zehen, aber seine Mutter schaut gar nicht hin.
»Wenn du in diesen Sommerferien eins garantiert nicht tun wirst, dann ist das sinnloses Herumlungern am Baggersee«, macht sie seinen Ferien-Träumen einen Strich durch die Rechnung. Anklagend deutet sie auf das Zeugnis. »Oder willst du behaupten, dass das nicht besser gegangen wäre?«
Torben schüttelt stumm den Kopf. Sicher wäre das besser gegangen, möchte er sich verteidigen. Aber du warst ja nie für mich da, wenn ich Fragen hatte. Für mich war es schließlich das erste Jahr auf dem Gymnasium. Leider hattest du trotzdem nie Zeit, um mir nach der Schule einen Kakao zu machen oder mir bei den Hausaufgaben zu helfen.
Aber er verkneift sich diese Sätze, so wie er sie sich schon das ganze letzte Jahr verkniffen hat, weil Mamas Arbeit vorgeht und sie sonst noch mehr gestresst wäre als sowieso schon.
Stattdessen sagt er: »Jetzt sind doch erst mal Ferien, Mama, chill mal. Ich weiß ja, dass du dir wieder nicht freinehmen kannst, um mit mir zu lernen. Ist schon okay. Aber versprochen: Ich werde am See ein paar Mathe-Übungsblätter machen.«
Agnes Schmidtke greift sich an die Stirn. Wenn das Schauspielerinnen im Film machen, erzählen sie was von Migräne. Nicht so Torbens Mama.
»Ich glaube, du hast mich immer noch nicht ganz verstanden, mein Sohn. Wenn man etwas macht, dann macht man es richtig. Deshalb wirst du die fünfte Klasse freiwillig wiederholen«, sagt sie kühl. »Ich habe das mit deiner Direktorin schon alles geregelt, und sie ist ganz meiner Meinung. Du bist weit unter deinen Möglichkeiten geblieben, Torben.«
Die folgende Erklärung hört Torben nur noch mit halbem Ohr. Altes Klassenzimmer, vertraute Schulmaterialien, aber andere Lehrkräfte, andere Mitschüler, Chance, Neustart. Es rauscht so durch.
Torben streift die Badelatschen ab und schleicht zurück in seinen Hängesessel, doch Mama lässt ihre Peng-Peng-Pumps an. Während sie von Verantwortung für den eigenen Lebensweg und Sich-selbst-am-Kragen-packen redet, donnert sie sich weiter auf. Parfüm, Haarspray, Lidschatten und so. Torben findet nicht, dass ihr die knallrote Jacke mit den spitzen Schultern steht. Auch nicht die dicke Perlenkette oder die dreieckigen Glitzer-Ohrringe. Das alles gehört doch eher zu einer bösen Hexe in einem Disney-Film und nicht zu einer Mama, die beim Spiegeleierbraten gerne Rocksongs vor sich hin singt und den ganzen Sonntag im Flausch-Anzug mit ihm auf dem Sofa sitzt und zockt. Seiner Mama. Auf die ist er schon stolz, auch wenn er ihr das niemals, garantiert nicht sagen würde. Sie selbst ist nämlich schon ganz allein äußerst stolz auf sich, mehr als genug.
»Dies ist eine erfolgreiche Kleinfamilie mit einer finanziell unabhängigen Alleinverdienerin«, sagt sie gern. »Statistisch betrachtet gibt es uns gar nicht. Witzig, oder? Das ist Mathematik, mein Sohn!«
Mathematik, alles klar. Für sie vielleicht!
Ausgerechnet wegen Mathematik darf er die Klasse wiederholen. Zusammen mit all diesen . diesen Babys, die gerade frisch aus der Grundschule kommen.
Agnes Schmidtke guckt auf die Uhr.
»Ich habe gleich noch einen Termin. Spatenstich bei meinem neuen Großprojekt. Da wäre es ganz hilfreich, wenn ich einen wohlerzogenen Sohn mit gekämmten Haaren und gebügeltem Hemd dabeihätte. Ein bisschen Familienkompetenz zeigen, das gefällt den wichtigen Herrschaften. Außerdem gibt es lecker Häppchen mit der Bürgermeisterin. Los jetzt!«
Torben trödelt. Er hat keine Lust auf Häppchen mit der Bürgermeisterin. Er hat keine Lust, sich wie ein Dressurhündchen vorführen zu lassen. Ein weiteres gelungenes Projekt seiner Super-Karrieremutter, die alles gleichzeitig und natürlich am besten kann - ein Eins-a-Sohn mit Sternchen.
***
Doch als sie wenig später mit quietschenden Reifen an der Baustelle halten, ist alles ganz anders als gedacht. Viel besser! Und das liegt nicht nur daran, dass die Bürgermeisterin sich verspätet hat und deshalb die Häppchen noch vollständig vorhanden sind. Es liegt vor allem daran, dass der Spatenstich am Grünen Fleck stattfindet. Mamas neues Riesenprojekt, das neue Luxus-Seniorenwohnheim, liegt direkt neben Torbens Lieblings-Baggersee!
Das Wetter ist großartig, deshalb herrscht dort Hochbetrieb. Von der extra aufgebauten Tribüne neben der Bald-Baustelle hat man einen Superblick auf den Milchpilz, einen Kiosk in Form eines riesigen Fliegenpilzes.
Während Mama spricht, setzt Torben sein Pokerface auf. In Wirklichkeit starrt er aber an ihr vorbei auf das Geschehen rund um den Milchpilz.
Jetzt ist Mamas Chef dran. Er hat einen komplizierten Nachnamen, irgendwas mit W, Witterscheidt oder Wietschoreck oder so. Er erzählt etwas von der Ruhe, die man sich im Alter ehrlich verdient hat und besonders gern genießt. Sein Stellvertreter, der Herr Neubart heißt und auch so aussieht, nickt mit glasigem Blick.
Am Ufer des Sees hat eine Gruppe Kinder wirklich viel Spaß. Ein abgenudelter Beachvolleyball fliegt durch die goldene Abendsonne.
Kurz bevor genau dieser Beachvolleyball allerdings volle Sahne gegen den Kopf vom Chef knallen kann, springt Torben hoch, reißt die Arme in die Luft und schmettert den Ball eins a zurück zu den Kindern. Puh. Das hätte bestimmt Ärger gegeben.
Trotzdem schaut Mama ihn jetzt strafend an. Der Witterscheidt oder Wietschoreck hat das mit dem Ball vor lauter Konzentration auf seine Unterlagen gar nicht gemerkt, er kneift nur die Augen zusammen und räuspert sich. Herr Neubart und die Bürgermeisterin haben ihr gespieltes Grinsen nur für einen Moment unterbrochen.
Immerhin johlen die Kinder im Strandbad anerkennend, ein Junge winkt ihm.
Torben setzt sich auf seine Hände und krallt die Fingerspitzen ganz fest in das Holz der Tribüne, um nur ja kein bisschen zu zucken oder zu zappeln.
Dann ist die Bürgermeisterin mit ihrer Rede an der Reihe. Wie ein Wasserfall quasselt sie von bisher ungenutzten Möglichkeiten städtischer Gestaltung, der Einbindung der Bürger und sozialer Verantwortung gegenüber allen Generationen . blablabla. Unfreiwillig wandert Torbens Blick immer wieder hinüber zum Milchpilz, er kann quasi gar nichts dagegen tun. Vorne ist ordentlich was los, eine Riesenschlange windet sich durch die halbe Liegewiese. Er riecht den Pommesduft bis hierher. Mmm!
Doch was er von seinem Sitzplatz aus am besten sehen kann, ist die Rückseite des Kiosks. Kästen voller Glasflaschen stapeln sich um eine Tür, die auf einmal aufspringt. Ein Mädchen schießt heraus wie eine Kanonenkugel. Ihr Gesicht ist ganz rot und sie wedelt sich erst mal Luft zu. Das ist Lulu. Die kennt er noch von der Grundschule. Sie kann nichts hören und redet mit den Händen. Echt nicht einfach, wenn sie im Milchpilz aushilft! Er versucht dann immer, besonders deutlich zu sprechen und mit Gesten zu unterstreichen, was er meint.
Sie trägt einen hellen Rock mit schwarzen Tupfen und ein grünes T-Shirt mit einem großen, regenbogenfarbenen Hund aus Glitzerpailletten darauf. Außerdem Badelatschen, wie Torben wehmütig feststellt. Ihre ganzen Klamotten passen überhaupt nicht zusammen, und trotzdem wirkt Lulu so komplett, wie er sich selbst gerne fühlen würde. Ihre offenen Haare scheinen in alle Richtungen gleichzeitig zu hüpfen, wenn sie tanzt. Und sie tanzt, so scheint es zumindest für Torben, die ganze Zeit. Sogar jetzt! Sie schlüpft aus den Badelatschen und steigt in die Kühlwanne zu den Getränkekästen. Einfach so. Mit geschlossenen Augen lehnt sie an der Wand und tanzt im Sitzen.
Während Torben ihr dabei zuguckt, vergisst er alles andere um sich herum. Die harte Holztribüne, die ernsten Mienen, das langweilige Gerede - alles egal. Als Lulu nach ein paar Minuten von ihrem Papa wieder in den Milchpilz geholt wird, ist irgendwie die Hälfte der Farben aus der Welt verschwunden. Im selben Moment zieht auch noch eine Wolke vor die Sonne. Passt ja prima, denkt...
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