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Es ist schon eine Weile her, daß die frommen Eltern des jungen Lessing im sächsischen Örtchen Kamenz die erschütternde Nachricht erhielten: ihr Junge sei in Leipzig Komödien-Schreiber geworden und gehe mit Komödianten um. Die Mutter weinte. Der erzürnte Vater beorderte den verlorenen Sohn mit strengen Worten zurück.
Fünfzig Jahre nach diesem Vorfall durfte der wohlbestallte Beamte Friedrich Wagner, ohne sein Ansehen zu schädigen, Schauspieler in sein Haus laden und sich selbst auf einer Liebhaber-Bühne betätigen. Die Komödianten waren Schauspieler geworden. Die hohe Dichtung hatte sie geadelt. Im ersten Jahr des Neunzehnten Jahrhunderts erblickte Schillers >Jungfrau von Orleans< zu Leipzig das Licht der Welt. Als der Vorhang fiel, brach das verzückte Publikum in stürmischen Beifall aus. Es lebe Friedrich Schiller! Pauken und Trompeten mischten sich jubelnd ein. Nach der Vorstellung erwartete eine ehrfürchtige Gemeinde, zu beiden Seiten des Wegs Spalier bildend, den priesterlichen Poeten. Väter und Mütter hoben ihre Kinder empor: der ist es! da ist er! Um den Stücke-Schreiber war der Weihrauch des Gottesmanns. Die Bühne wurde die neue Kultstätte, die üppige Erbin der mager gewordenen Kirche.
Nicht alle Bürger wurden Gläubige des neuen Gotts. Viele klagten: nicht Lessing und Schiller und Goethe sind die Lieblinge des Volks, sondern Iffland und Kotzebue. >Die Hussiten von Naumburg< stellten den >Wallenstein< in den Schatten, >Das Donauweibchen< die >Zauberflöte<. Wenn Hannchen unter dem Jubel des Parterres sang:
»Als ich auf meiner Bleiche
ein Stückchen Garn begoß,
da kam aus dem Gesträuche
ein Mädchen atemlos«
erinnerte das Theater an weniger feine Zeiten; da war es kein Heiligtum gewesen, sondern eine Stätte kräftiger Volksbelustigung. Wie der Leipziger Tempel Thalias schon aussah! Er scheint, grollte man höhnisch, zu jenen heiligen Gebäuden zu gehören, bei denen es, wie bei alten Kirchen und Rathäusern, offenbar ein Verbrechen ist, auch nur einen einzigen Stein zu verrücken oder die verwitterte Farbe aufzufrischen. Und der Hausherr, Franz Seconda, ein kleiner gebückter Alter mit entsetzlich dickem Kopf und vorstehenden Glasaugen, paßte sehr genau in dies verwunschene Schloß. Der servile und grobe Theater-Direktor sah aus wie der Häuptling einer Bande von Faxenmachern.
Nein, Onkel Adolph, Friedrich Wagners Bruder, fühlte sich nicht wohl in diesem neuen Gotteshaus. Seine Liebe gehörte der Antike, den italienischen Klassikern und den deutschen Philosophen. In Jena hatte er Fichte kennengelernt und von Schiller Komplimente über schlechte Verse entgegengenommen. In Dresden war er Tieck nahegetreten. Mit Jean Paul stand er in ständigem Briefwechsel. Als Brockhaus 1812 sein Konversations-Lexikon herauszugeben begann, gehörte Adolph Wagner zu den ersten Mitarbeitern. Was hat dieser Träger einer gediegenen Bildung bei Gauklern und Spaßmachern zu suchen? Sollen sie lieber wieder, wie einst, in ihrer Bude vor dem Tor dem Volk ihre Kunststückchen zeigen! Sollen sie lieber wieder, wie einst, mit ihren Theater-Friseuren, Säuglingen, Papageien und Meerschweinchen über die Landstraßen rumpeln!
Als Adolph Wagner jung gewesen war, unterstand der Chef solch einer Bande dem >Directeur de plaisir<; er hatte aufzupassen, daß dies Plaisir auch keinen Schaden anrichtete. In der Nähe von Universitäten waren Schauspiel-Gesellschaften nicht geduldet; eine weise Obrigkeit wußte ihre Herde vor den Zigeunern zu schützen. Dann aber drangen sie vor, bis in die Herzen der Städte. Zum Unglück! Denn wie wenig haben sie sich geändert. Wo sie sind, ist Zuchtlosigkeit und Roheit. Kann man nicht jeden Abend noch erleben, wie das Parterre außer Rand und Band gerät? Da klopft sich mancher junge Fant den Bast von den Händen. Das gleicht einem Flegel-Convent. Immer wieder muß man sie ermahnen: enthaltet euch allen Lärmens! Übernehmt euch nicht beim Applaudieren! Bringt keine kleinen Kinder mit! Wird die Gardine aufgezogen, so hat äußerste Ruhe zu herrschen! Hat jemand das Bedürfnis, während des Spiels hinauszugehen, so knalle er nicht die Türen zu! Auch ist es streng verboten, die Garderoben der Schauspielerinnen zu betreten.
Was muß ein stiller Privat-Gelehrter wie Adolph Wagner, der >König Ödipus< übersetzt und Cäsars Schriften eingeleitet hat, am Altar der Thalia nicht alles erleben. Noch ist der Vorhang nicht auseinandergegangen, die melancholischen Töne einer sanft dahinschmelzenden Musik wehen schon im voraus die Ahnung künftiger trauriger Szenen ins fühlende Herz - da wird es plötzlich im Zuschauerraum ungewöhnlich lebhaft. Die Köpfe drehen sich. Ein Scharren, Kratzen, Pochen und Pfeifen überlärmt den sanften Schwung der göttlichen Melodie. Aus einer Loge dringen blendende Strahlen ins Dunkel. Sonne hinaus! gröhlt es. Die Sonne gehorcht. Die stadtbekannte Dame, deren glitzernder Kopfputz, vom Licht der Bühne getroffen, so grell erstrahlte, verschwindet. Das derbe Gelächter der Leipziger prasselt dröhnend hinterdrein.
Nein! Onkel Adolph kann in dieser jüngsten Weihestätte nur eine Marktbude sehen, in der sich Gecken und wenig schamhafte Weiber zur Schau stellen. Diese eitlen Fratzenschneider können ihre große Nummer nicht oft genug anbringen, so daß man auf den Opernzetteln ein geneigtes Publikum um gütige Verschonung wegen der ungebührlichen Wiederholung von Arien bitten muß. Nein! Thalia ist keine himmlische Muse. Es bleibt eine unüberbrückbare Kluft zwischen den Menschen vom Theater und den Gebildeten, zwischen dem Schein der Szenen und dem Sein echten bürgerlichen Strebens . Wenn diese Kluft nur bliebe! Aber ist nicht die eigene Familie schon den Komödianten verfallen? Das begann mit Friedrichs Vorliebe für Theaterstücke und Schauspielerinnen. Das wuchert jetzt fort mit der zweiten Ehe, die Friedrichs Witwe eingegangen ist. Ein Komödiant ist Vater der Neffen und Nichten Onkel Adolphs geworden. Wo will das enden?
Die gelbe Postkutsche setzte im August 1814 die verwitwete Wagner, neununddreißig Jahre alt, wiederverehelicht mit dem vierunddreißigjährigen Geyer, in Dresden ab. Hier war es, als hätte es nie einen Napoleon und eine Völkerschlacht und einen verlorenen Krieg und das Lazarett-Fieber gegeben. Rotröckige Garde-Grenadiere hängen ihre langen Beine aus den Fenstern der Schloß-Gasse heraus, ein Strickzeug auf dem Schoß. Der Posten am Tor schmökert in einem Roman der Leihbibliothek; friedlich lehnt das Gewehr an der Wand. Eine Kolonie von Hofräten erster bis vierter Klasse ziert die Residenz. Vom Hof-Marschall bis zum Hof-Bratenwender und zur Hof-Silberwäschersfrau kreist alles um die königliche Sonne, die drei Fünftel ihres Reichs verloren hatte.
Das Theater lag breit im Strahlenkranz des königlichen Gestirns. Ein tüchtiger Musikus wurde sehr geschätzt, weil sein Bruder Kammerdiener war. Ein Tenor wurde nicht engagiert, weil der König eine Ähnlichkeit mit jenem Geheimen Rat von Anstetten herausfand, der ihm nach der Schlacht von Leipzig die Gefangenschaft angekündigt hatte. Das Theater war ein Hof-Park, in dem auch Bürgerliche sich bescheiden ergehen durften. Am Sonntag war es den Dresdnern erlaubt, ihrem Wohlgefallen am Spiel ungehemmten Ausdruck zu verleihen. An den Wochentagen, wenn der Hof zugegen war, hatte man Rücksicht zu nehmen auf den königlichen Widerwillen gegen alle Ausbrüche des Gefühls.
In dieser Welt siedelte der Königlich Sächsische Hofschauspieler Ludwig Geyer seine Wagners an. Als die verwitwete Frau Aktuar, Mutter vieler Wagner-Kinder, dem Hofschauspieler auch noch ein Geyer-Kind bescherte, erhielt die kleine Cäcilie Taufpaten, deren keins seiner Stiefbrüder und Stiefschwestern sich rühmen konnte: einen Hof rat, einen Hofmaler und einen Hofschauspieler. Geyer hatte tausend Taler im Jahr und das Nest mehr als voll. Deshalb mußte auch seine zweite Muse mitverdienen, die Malerei. So verwandelte er sich zu Zeiten in einen Hofmaler und schuf in dieser Eigenschaft ein würdig angeordnetes, lebensgroßes Bild der Königin von Sachsen. Hier konnten die Dresdner ihre teure Landesmutter mit dem ihr so eigenen Ausdruck von Majestät und Milde wiedererkennen; auf dem Tisch, im Halbdunkel, war die Büste des Königs zu sehen. Die hohe Dame war sehr zufrieden und gab dem Porträtisten den Auftrag, auch ihren Bruder, den König von Bayern, abzukonterfeien. In München pinselte sich dann der Maler-Komödiant erfolgreich durch die ganze Hofgesellschaft. Binnen sechs Wochen entstanden dreißig Hof-Gesichter. Dieser Geyer war ein Allerweltskerl: Darsteller von Liebhabern und Bonvivants, Charakter-Spieler und Komiker, ein geschätzter Tenor, ein Maler allerhöchster Personen - und dazu noch ein Dichter. Im Maler Klaus, der Hauptfigur seines Stücks >Der Bethlehemitische Kindermord<, schuf er sich das poetische Selbst-Porträt: einen gottbegnadeten Künstler, der, gleichgültig gegen das alltägliche Treiben alltäglicher Menschen, nur dem Schönen und Hehren lebt. Und es spricht der hehre Klaus, Lohengrins Ahnherr, in gereimten Alexandrinern zu seinem weniger hehren Weib:
»Vom Himmel ziehst Du mich beständig doch herunter,
Erschlaffst die Phantasie mit lauter...
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