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Ein Vorwort wird nicht immer seinen legitimen Platz sichtbar vor den Worten haben. Meist wird es nachher geschrieben, weil erst am Ende zu sehen ist, was dem Leser zuvor mitgeteilt werden sollte. Vielleicht, weil er gewarnt werden muß, nichts anderes und nicht ganz so viel zu erwarten, als der Titel verspricht; und besonders, wo er so anspruchsvoll ist, daß möglichst schnell hinzugefügt werden muß: in ihm steckt kein Anspruch, nur eine solide Absicht. Der Leser ist je nachdem, was es zu lesen gibt, mehr ein Partner oder mehr außerhalb. Hier gibt es keine Mitteilung zuvor jener Art, wie sie vielleicht vor einer Darstellung der Geschichte Islands angebracht wäre. Das Vor-Wort gehört bereits zu den Worten, die folgen.
Wäre es anspruchsloser auf diesen Blättern Ich zu sagen, statt (dem einem Nachruf angemesseneren) Er? Der, welcher schreibt, bin ich, und der, welcher beschrieben wird, ist Er - hier um so mehr, als dem Präteritum kein Präsens mehr folgen wird; immer winziger werde ich, immer mehr wächst Er. Das Er scheint auffälliger, prätentiöser zu sein, ist aber, in diesem Fall, das Pronomen der Distanz. Und dem Leser wird geholfen, wenn Er großgeschrieben wird; das große E ist nicht der hohe Sockel zu einer kleinen Figur; das peinliche Gefühl wird abklingen, wenn Er von den Niederlagen berichtet, die Er erlitten hat.
Ein Vor-Wort, das sich unmittelbar an den Leser wendet, wird mißbraucht, wenn es eine captatio benevolentiae ist, das Betteln um Nachsicht, oder, um dasselbe zu erreichen, eine Einschüchterung. Da soll der, an den es sich wendet, so oder so gefügig gemacht werden; auch zum Beispiel als Beichtvater, ein ungehöriger Anspruch. Wer von einem Anonymus, der gar keinen Auftrag dazu hat, Absolution will, ist ein Narr. Die Titel >Confessiones<, >Confessions<, >Die Beichte eines Toren< . sind Zeichen der Dringlichkeit, wie vehement einer sich um sich kümmerte.
Dies Wort zuvor könnte das ernüchternde Motto tragen: doppelt genäht hält besser; so nähen nur Menschen, die zum unprofessionellen Leser und auch zum professionellen zu wenig Vertrauen haben: ein menschenfreundliches Mißtrauen. Wer (wie Er) Bescheinigungen über die vielen Bücher, die Er schrieb, in unschuldiger Eitelkeit gesammelt hat, kann vielleicht ob solchen Kleinmuts entschuldigt werden.
Ihm, von dem hier die Rede, ist es darum zu tun, sich gleich zu Beginn (wie ungern!) ein Etikett zu geben, um so viele falsche Stempel zu überkleben. Marx verherrlichte »die allgemeine Sonne« und verachtete »das Lampenlicht des Privaten«. Wer so denkt und wie der Lehrer Hegel (und viele Lehrer vor ihm und wie viele Schüler nach Marx) muß mit Nachdruck, und schon auf den ersten Seiten, aufmerksam gemacht werden, daß es im Kommenden nur um ein >Lampenlicht< geht. Die >allgemeine Sonne< seiner Tage war das Wilhelminische Reich und das zaristische Rußland, der Mord an Rosa Luxemburg und die Serie der Moskauer Stalin-Prozesse ab 1936, das zwölf Jahre alt gewordene deutsche Millennium, die Kapitalismen und die Sozialismen, die, zu Fahnen sublimiert, vom ewigen Konflikt ablenkten: der zwischen den Großmächten ausgetragen wurde, wie eh und je.
Diese Sonnenfinsternisse, bei denen >die allgemeine Sonne< immer wieder einmal spärlich durchkam und dann mehr Finsternis hinterließ, sind nicht aufgezeichnet in diesem Buch. An guten Darstellungen der Zeitgeschichte fehlt es nicht. Er wäre nicht imstande, sie mit Statistiken und Kategorien der Psychologie, der Soziologie, der Politologie zu übertreffen.
Eher fehlt es an Selbstdarstellungen (nicht an Memoiren) der viel bescheideneren >Lampenlichter<; sie werden nur dann ein bißchen geachtet und geschätzt, wenn sie zugleich Sonnen (oder doch wenigstens Sonnenfinsternisse) sind: Stalin oder Hitler oder irgendeiner in dieser weltgeschichtlichen Preislage. Der Persönlichkeitskult ist nach wie vor en vogue; kann man keine Heroen haben, welche die allgemeine Sonne verfinstern, dann werden an regionalen Börsen Halbgötter kreiert. Noch werden die Favoriten kultureller Konventikel nicht auf Plakaten in Demonstrationen herumgetragen. Aber sie sind keine Lampenlichter mehr, sondern angesehene Aktien, der Eigenname ist ein Markenartikel.
In diesem Nachruf hat es der Leser mit einem >Lampenlicht< zu tun, mit einem Privatmann. Die Lampe will nicht Licht verbreiten über die Menschheit: wie Adam und Eva sich auswirkten, Begründer der ersten Klassengesellschaft; sie setzte ein mit der >Dialektik< zwischen Kain und Abel. Wer aber hat Interesse an einer Lampe, die nur den schmälsten Bezirk beleuchtet, den sehr engen der Erfahrungen eines einzelnen in ein paar Jahrzehnten? Wer braucht seinen Autonekrolog?
Eingeladen, ein Bildnis von sich zu entwerfen, würden Arbeiter, Kaufleute und Ladenmädchen unbefangen entweder in Fotografierpose gehen oder einige, vielleicht sehr hübsche Anekdoten ausplaudern. Schriftsteller, Musiker, Schauspieler und andere Träger der Kultur gehen, wenn sie renommiert sind und etwas auf sich halten, sofort in die Defensive. Sie denken nach, wie sie sich beschreiben können, ohne erkennbar zu sein. Fortschrittliche Maler kritzeln Beliebiges aufs Papier, Unterschrift: »Ich beim Mittagessen«; das können sehr reizvolle Kringel sein. Akteure, die sich selbst darstellen sollen und von den Stücken gelernt haben, in denen sie aufgetreten sind, verkriechen sich in eine Mülltonne oder streichen sich regenbogenfarbig an oder stülpen die Totenmaske einer vor Jahrtausenden verstorbenen Menschenart über Nase und Mund. Die nicht-gegenständliche Kunst hat viele Herkünfte; eine, wenig bemerkte, ist die Flucht vor der Ähnlichkeit, im besonderen vor der Ähnlichkeit zwischen sich und dem Abbild.
>Verfremdung< regiert die Stunde. Für einen Autonekrolog schickt sich das nicht. Es ist viel Kunst darauf verwendet worden, nicht nur die Oberfläche zum Verschwinden zu bringen; auch, was darunter ist, wurde als Oberfläche entlarvt. Jeder Intellektuelle ist ein deus absconditus geworden. Wer sich im Selbstporträt auf den Leib rücken will, fühlt sich verpflichtet, weit von sich abzurücken. Er aber will seine Selbst-Entfremdung aufheben, sich dem vertrautesten Fremden nähern. Novalis schrieb: »Alles wird romantisch, wenn man es in die Ferne rückt; so wird alles in der Entfernung Poesie.« Brechts Ästhetik der Verfremdung war beste Novalis-Schule; nur verwechselte er die Mittel der Poetisierung mit denen der Politisierung, romantisierte sie und setzte die öde Literatur gesellschaftskritischer Parabeln in die Welt. Die Epigonen haben es immer noch nicht gemerkt. Diese Aufzeichnungen wollen nicht schönen und nicht häßlichen Schein, sondern eine Aufhebung im Nekrolog. Die nüchterne Elegie, die folgt, ist nicht auf Dichtung und Wahrheit aus, auf eine poetisierte Wahrheit, eher auf eine ernüchterte. Es müssen noch viele Schleier fallen, bis sich die Maskerade der Mythen, der biographischen und der autobiographischen, ausgetobt hat. Ist solch ein prekärer Versuch der Entmythologisierung seiner selbst nützlich? Nützlich für wen? Sie mag den Bereich eines anderen Lampenlichts ein wenig erweitern; denn die allgemeine Sonne blendet zu vieles weg. Vielleicht wird einer in einem Geheimnis getroffen, das er barg, ohne es zu wissen. Die >allgemeine Sonne< hat es mit Epochen zu tun, mit historischen Gesetzen, mit Völkern und mit der Richtung, in der das Ganze sich gradlinig vorwärts wälzt oder dialektisch hin und her springt, in eine gute Zukunft hinein. Aber der einzelne möchte manche Einzelheit kennenlernen, die im grellen Licht der allgemeinen Sonne (für soviel Helle zu winzig) nicht bemerkt wird. Ob gerade Er, aufdringlich nur in der Konzentration auf sein Lampenlicht mit dem engen Kreis, nützlich sein kann: von Winzigkeit zu Winzigkeit, ist ungewiß. Er kann nichts versprechen; nicht einmal, daß der wilde Wille zur Wahrhaftigkeit, der schon manchen betrogen hat, ihn zu Wahrheiten führte.
Die Eröffnung, daß Er auf die wahre (nicht nur wahrhaftige) Darstellung des beschriebenen Er aus ist (ein hybrider Ehrgeiz, im Verhältnis zu dem alles Erforschen des Alls ein Kinderspiel ist), muß dem Leser, der den Autor kaum kontrollieren kann, verdächtig sein, weil von recht unzulänglichen, dem Berichterstatter allein reservierten Bezirken berichtet wird. Um so mehr, als der Verdächtigte selbst Verdacht gegen sich hegt: er könnte zum Mogeln verführt werden, gegen seinen eindeutigen Willen. Wie leicht hätte Er es, wenn Er einen Mord begangen, einen Krieg angezettelt, die Bank von England ausgeraubt hätte - und könnte nun, mit Daten und Zeugen, die Untaten aus dem Dunkel hervorziehn.
Dem Leser kann nicht mehr Vertrauen zugemutet werden, als Er selbst zu sich hat; denn die unverrückbare Absicht, sich posthum zu beschreiben, losgelöst von jedem Interesse an dieser Beschreibung, ist keine Garantie, da Er noch am Leben ist, wenn auch fast nicht mehr in ihm. Er kann nur den Versuch machen, die einzige Selbst-Entfremdung, die Er in seinem Leben zu finden vermag, etwas aufzuheben: daß Er sich zu einem guten Teil, zum schlechtesten Teil gar nicht oder mit den Augen von Irgendwem gesehen hat und sich deshalb akklamierte und sich deshalb verurteilte. Das Gewissen war immer lebendig - aber war es seins? Auch die, welche das Wort Freiheit (neust-hochdeutsch: >Authentizität<) auf sich...
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